Es gibt 259 Antworten in diesem Thema, welches 62.947 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (17. Januar 2022 um 08:45) ist von melli.

  • „Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass sie letztendlich doch nur nur hinter meinem Geld her war.“


    ein "nur" zuviel

    Das allerschlimmste aber war, dass Luisa sein Lächeln erwiderte.


    schreibt man das in diesem Fall nicht groß? ?(

    „Ich bitte die Verspätung zu entschuldigen und wünsche allseits einen guten Tag.“ grüßte er mit einem leichten Kopfnicken in die Runde.


    Hier den Punkt weg und hinter die Anführungszeichen ein Komma

    Ansonsten hast du das Tischgespräch jetzt ja wirklich sehr gerafft, hab irgendwie mehr erwartet, dass da noch irgendwas bei passiert. Aber ich stimme Jennagon zu, du hebst Anni immer mehr von den "guten" Leuten ab.

    Spoiler anzeigen

    Stichwort: Orks ;)

  • Eine Weile war das Rumpeln der Kutsche das einzige Geräusch.
    „Euch ist der Wein nicht bekommen, oder?“, grinste Herr Carnese amüsiert.
    „Doch schon, war einfach nur zu viel“, nuschelte ich mit schwerer Zunge.
    „Das war nun ein kleiner Ausflug in die wirklich gute Gesellschaft Riefenburgs, Anna. Und mich interessiert, wie es Euch gefallen hat.“
    „Is das Euer Ernst?“
    „Ja“, verbiss er sich das Lachen.
    „Es war scheußlich. Das Essen war gut, nix gegen das Essen, war wirklich lecker, aber der Rest war doch furchtbar. Is das immer so?“
    Herr Carnese zuckte vage die Schultern.
    „Mal mehr, mal weniger“, wollte er sich nicht festlegen. „Was fandet Ihr denn so furchtbar?“
    „Na“, ich hob die Hände und fuchtelte in der Luft herum, „dieser ganze Austausch von Gemeinheiten, dieser schnöselige Baron und seine arrogante Tochter, dann auch noch dieser blöde Scharper. Den kannte ich schon von der Ausstellung, wo er mit ner Frau am Arm Luisa angraben wollte. Und dann später die ganze Schleimerei gegenüber den Vandermeers. Furchtbar!“, regte ich mich auf.
    Herr Carnese legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend los.
    „Das is nich witzig! Wenn ich das richtig mitbekommen habe, soll Luisa wohl mit diesem ollen Scharper anbändeln? Und da frag ich mich doch, ob der alte Vandermeer seine Tochter hasst oder so? Den jeden Tag zu ertragen wär ja schlimmer als … als .. naja ich weiß nicht, aber schlimmer geht nimmer, würd Thure dazu sagen.“
    „Wer ist Thure?“
    „Mein Bruder.“
    „Hieß der nicht Connor?“
    Schlagartig war ich nüchtern. Was aber auch nicht half, ich saß wie ein ertappter Sünder in der Kutsche und starrte Herrn Carnese aus weit aufgerissenen Augen an. „Thure kam auch bei dem Überfall ums Leben.“ sagte ich schließlich und wich seinem fragenden Blick aus.
    „Sicher“, hörte ich ihn murmeln.
    Schweigen.
    „Anna, wollt Ihr mir nicht einfach erzählen, was Euch wirklich passiert ist?“
    Unter seinem ruhigen Blick wurden meine Augen plötzlich feucht.
    „Das würde mir ja doch kein Mensch glauben“, flüsterte ich erstickt.
    „Warum gebt Ihr mir nicht einfach eine Chance?“
    Mühsam drängte ich die Tränen zurück.
    „Fangt mit dem an, was ich Eurer Meinung nach am allerwenigsten glauben würde und testet mich. Ich verspreche Euch, keinem Menschen je ein Sterbenswörtchen zu verraten von dem, was Ihr jetzt zum Besten geben werdet.“
    Er hielt meinem Blick stand.
    „Ich bin mal von einem Drachen angegriffen worden.“ flüsterte ich.
    Herr Carnese blieb ernst, schien aber zu überlegen.
    „Ihr meint sicher eine Echse, die so groß war, dass sie Euch wie ein Drachen vorkam“, erwiderte er ganz ruhig.
    Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Herr Carnese, ich meine einen richtigen Drachen. Mit Flügeln und allem.“
    Eine Weile schwieg er.
    „Ein innerer Drache, vor dem Ihr zu fliehen versucht?“
    „Nein. Ein richtiger, lebendiger Drache, Herr Carnese, ein ungeheuer großes Tier.“
    Betreten schaute er zu Boden.
    „Es scheint tatsächlich, als würde ich den Test doch nicht bestehen“, gab er schließlich zu, „Anna, es gibt gar keine Drachen.“
    „Ja“, lächelte ich bitter, „das hatte ich vorher auch geglaubt.“
    Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass Herr Carnese mir glauben würde, war aber trotzdem enttäuscht. Es gab so vieles in meinem Leben, dass ich mit meinen Freunden nie würde teilen können. Ich fühlte mich einsam und verloren.
    Nie wieder würde ich soviel Wein trinken.

    Dienstag unterschrieb ich den Kaufvertrag für das Haus vor der Stadt.
    Herr Carnese, Hanno und Herr Traub waren mir bei den Formalitäten behilflich.
    Hanno zeigte sich über meine Kaufentscheidung etwas erstaunt, aber Herr Carnese unterstütze mich darin und damit schien alles gut zu sein.
    „Ihr werdet Möbel brauchen“, murmelte Herr Carnese, „wenn es Euch nichts ausmacht, ich habe noch welche auf dem Speicher meines Hauses, die hier passen könnten. Sie sind in einwandfreiem Zustand und deshalb zu schade, um sie wegzuwerfen, aber ich ändere von Zeit zu Zeit den Stil meiner Einrichtung, und dieser Änderung fielen sie zum Opfer.“
    „Ich kann die Räume ausmessen“, bot sich Hanno an, „dann wissen wir gleich, ob die Möbel passen werden.“
    Jetzt, wo ich das Haus gekauft hatte und es mir gehörte, hatte ich es plötzlich sehr eilig, darin einzuziehen. Nicht, dass ich den Aufenthalt im Gästehaus leid war, aber ich wollte endlich irgendwo ankommen. Schon allein deshalb nahm ich das Angebot des Herrn Carnese dankend an.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Oh und ich dachte, sie lönnte sich endlich alles von der Seele reden ;( Wie heißt es so schön? Es hat nicht sollen sein - oder so ähnlich ;)

    Gut geschrieben, melli :thumbsup:

  • Tatsächlich war der Speicher des Hauses Carnese riesig und in ihm genug Möbel, um direkt mehrere Häuser damit zu füllen. Wie es schien wechselte Herr Carnese sehr oft seinen Stil.
    Zusammen mit ihm und Hanno guckte ich unter die Tücher, und obwohl mir angesichts der vielen schönen Stücke die Auswahl mehr als schwer fiel, hatte ich schon am Abend alle Möbel, die ich brauchen konnte, zusammen.
    Ich war aufgeregt wie ein kleines Kind.
    Wie ein Zeichen war das Wetter in den nächsten Tagen wunderschön. Von einem blauen Himmel strahlte die Sonne, kein einziges Wölkchen war zu sehen und meine Einzugsvorbereitungen schritten rasend schnell voran. Herr Carnese hatte mir acht Männer organisiert, die meine Möbel mit großen Wagen zum Haus fuhren und sie dort nach meinen Wünschen aufstellten. Er selbst war in der Galerie unabkömmlich und Hanno musste auch arbeiten gehen.
    Es war noch hell, als bereits alles an Ort und Stelle stand. Die Männer boten mir an, mich mit zurück in die Stadt zu nehmen.
    Ich lehnte dankend ab. Die Strecke konnte ich später auch zu Fuß laufen, das würde ich in Zukunft sowieso müssen, da ich mir weder Pferd noch Wagen leisten wollte. Außerdem hatte ich den dringenden Wunsch, noch im Haus zu bleiben, allein. Ich wollte von Raum zu Raum gehen, mir alles anschauen und mir mein Leben hier vorstellen.
    Es wurde sehr still, nachdem die Männer fort waren.
    Die Sonnenstrahlen fielen in Bündeln durch die schmutzigen Fenster, und die groben Schuhe der Männer hatten ihre Spuren hinterlassen.
    Ich hatte noch keinen Besen, um aufzukehren und auch noch keinen Lappen, um die Fenster zu putzen. Ein paar Spinnweben hingen in den Ecken, schon grau und alt.
    Langsam setzte ich mich auf einen Stuhl und sah mich um. Das war also mein neues Leben.
    Totenstill.
    Kein Vater, der nach irgend etwas fragte. Keine Brüder, die hungrig nach Hause kamen. Niemand, der schmutzige Fenster und Spinnweben überhaupt bemerken konnte.
    Dieses Haus würde alles beherbergen, was von Anthea Conrad übrig war.
    Anna Lange hatte Freunde gefunden, aber Anthea war allein.
    Mein Leben kam mir vor wie ein Drahtseil, auf dem ich zu laufen hatte, ein Drahtseil über einem Abgrund.
    Seufzend rief ich mich zur Ordnung. Es hatte keinen Zweck, über verschüttete Milch nachzugrübeln. Es war wie es war.
    In meinem Kopf begann ich eine Liste zu machen, was ich noch alles beschaffen musste. Als Erstes einen Stift und Papier, um diese Liste festhalten zu können.
    Zu meiner Überraschung fand ich bei meinem weiteren Rundgang eine Matratze, ein Kopfkissen und eine Bettdecke auf meinem Bett vor. Ich hatte sie beim Einräumen gar nicht gesehen und war mir ganz sicher, dass das Bett auf dem Speicher keines dieser Dinge gehabt hatte.
    Dankbar lächelnd dachte ich an Herrn Carnese und ließ mich aufs Bett fallen.
    Warum hatte ich dumme Kuh auch ausgerechnet mit dem Drachen angefangen? Ich wünschte, ich hätte versucht, ihm zu erzählen, dass die „Wilden“ in Wirklichkeit Orks waren. Wie er wohl reagiert hätte?
    Aber Danners hatten uns gegenüber auch immer diese freundliche Wärme gezeigt mit ihren geschenkten Semmeln und wir waren jahrelang mit ihnen befreundet gewesen, meine Eltern zumindest.
    Ich musste sehr vorsichtig sein.
    Mich fröstelte.
    Bettwäsche fügte ich meiner Liste hinzu, als ich unter die Decke flüchtete. Und Streichhölzer und Holz für die Öfen. Mein Kleid würde im Bett zerknittern, aber das war mir egal.
    Es war ein großes Bett, breit genug für zwei Personen. Neben mir war viel Platz, und ich wünschte, Connor würde dort liegen und mich einfach in den Arm nehmen. Ich sah uns, wie ich meinen Kopf auf seine Brust und er den Arm um mich legte und hörte uns gemeinsam darüber sprechen, was wir noch alles brauchen würden.
    Aber das hatte er nicht gewollt.
    Ich drehte mich auf die Seite und steckte die Bettdecke überall fest um mich. Nur langsam wurde mir warm, und mit der Wärme kam die Müdigkeit. Ich würde einfach hier schlafen. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt und der Gedanke, jetzt noch mal aufzustehen und den weiten Weg zu Herrn Carneses Gästehaus zurück zu laufen, erschien mir nicht sehr verlockend.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Kenne dieses Gefühl irgendwie. Hatte ich, als ich ausgezogen bin und am ersten Abend ganz allein ohne Internet in meiner Wohnung hockte :|
    Ja, da wird man nachdenklich ^^ Anni sollte sich langsam mal besinnen

    • Offizieller Beitrag

    Ich gebe Alo Recht. Anni passt nicht in diese Welt und zu dene Kerle gehört sie schon lange nicht! Ihre Welt befindet sich dort draußen und ist mindstens genauso einsam wie sie dort! Wird Zeit, dass beide Welten wieder zusammenkommen :evil:
    Es ist sehr schön geschildert und gefällt mir gut!!!!


    :thumbup::thumbup:

    Dann kanns ja weitergehen!

  • Die erste, die mich in meinem neuen Heim besuchte, war Luisa.
    Sie hatte die Wegbeschreibung von Herrn Carnese bekommen und traf schon am frühen Morgen mit einer kleinen Kutsche ein. Mit etwas verwunderten Augen nahm sie mein bescheiden anmutendes Haus zur Kenntnis, doch dann lächelte sie mich herzlich an.
    „Hauptsache, dir gefällt es. Aber du wirst damit rechnen müssen, dass Hanno und Christian und ich dich regelmäßig hier aufsuchen werden, um ein wenig Pause von den konventionellen Zwängen zu machen“, lachte sie, „Und sobald es wieder wärmer wird, könnten wir den Garten nutzen, um selbst zu grillen. Ich habe dir etwas mitgebracht zu deinem Einzug, aber ich brauche deine Hilfe, das alles ins Haus zu tragen. Ich vermute, du hast kein Personal?“
    „Nein“, bestätigte ich, „Ich habe gemerkt, dass es nichts für mich ist, wenn ständig Menschen um mich herum stehen, die darauf warten, dass ich ihnen eine Aufgabe gebe.“
    „So habe ich das noch nie gesehen“, murmelte sie erstaunt.
    Wir brauchten eine halbe Stunde, um die Kutsche zu entladen. Luisa hatte nämlich die Vandermeerschen Wäscheschränke geplündert und genommen, was schon länger nicht mehr gebraucht wurde. Vom Geschirrtuch über Tischdecken zu Bettwäsche hatte ich nun reichlich. Ich dankte ihr. Obwohl Luisa so munter war wie immer, fiel mir ein trauriger Zug um ihre Augen auf. Aber bevor ich sie darauf ansprechen konnte, trafen neue Wagen an meinem Haus ein.
    Es waren wieder die Männer des Herrn Carnese, und auf den Wagen waren meine Waren.
    „Anna, ich komme dich wieder besuchen, sobald ich kann“, sagte Luisa plötzlich und umarmte mich zum Abschied. „Ich habe heute Morgen leider noch Termine.“ Der traurige Zug um ihre Augen wurde stärker.
    „Ich freue mich auf deinen Besuch, Luisa, jederzeit.“
    Die alte Wärme blitzte in ihren Augen auf.
    „Das hoffe ich doch“, zwinkerte sie mir zu, bevor sie ging.
    Etwa drei Stunden später war ich mit meinen Waren allein im Haus.
    Und ich war überrascht von der Menge. Die beiden Zimmer oben waren voll, im Flur stand auch noch etwas und sogar im Wohnzimmer waren noch Kisten. Vielleicht müsste ich noch mal etwas verkaufen, aber allein bei dem Gedanken wurde mir das Herz schwer.
    Erst einmal machte ich Feuer im Herd.
    Einer der Männer war so freundlich gewesen, mir ein paar Streichhölzer da zu lassen und ein anderer brachte mich auf die Idee, an der Hausseite nach Holz zu suchen und tatsächlich lag dort ein abgedeckter Stapel Scheite, wahrscheinlich genug, um mich über den Winter zu bringen.
    Wohlige Wärme breitete sich in den kühlen Räumen aus. Einen Moment blieb ich noch sitzen und genoss die Wärme, dann machte ich mich daran, die erste Kiste zu öffnen.
    Sie enthielt Geschirr.
    Lächelnd nahm ich die Schalen und Teller heraus. Vor meinem geistigen Auge tauchte das Thing mit allen Einzelheiten auf, ich hörte das Gebrumm der vielen Orkstimmen und vermeinte sogar ganz schwach, den Geruch wahrzunehmen. Den Geruch nach Orks und Essen und Durwas.
    Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.
    Wehmütig stellte ich das Geschirr in meine Schränke. So würde zumindest ein Teil der Orks an meinem weiteren Leben teilnehmen, auch wenn es nur die Dinge waren, die sie gemacht hatten.
    Die zweite Kiste enthielt Mappen mit Bildern.
    Ich zog sie in die Küche, holte dann die Mappen heraus, legte sie auf den Tisch und sah mir in aller Ruhe die Bilder an, etwas, zu dem ich vorher nie Zeit gehabt hatte, weder auf dem Thing selbst noch hier in Riefenburg.
    Es waren viele schöne Landschaftsgemälde dabei, aber am meisten sprachen mich die Bilder an, auf denen ich das wogende Gras der Steppe sehen konnte.
    Auf einem Bild schlich sich ein Rudel Hyänen an einen Durwa an.
    Die Hyänen sahen unheimlich aus, heimtückisch, und wenn die Proportionen stimmten, und dessen war ich mir eigentlich ziemlich sicher, waren die Hyänen gute anderthalb Meter groß.
    Endlich ein Bild mit Orks. Ich musste unwillkürlich lächeln, denn jetzt, nachdem ich sie so lange nicht mehr gesehen hatte, fiel mir der körperliche Unterschied zwischen ihnen und Menschen wieder viel stärker auf. Es war schon seltsam. Im täglichen Umgang hatte ich mich irgendwann an diese Muskelberge so gewöhnt, dass ich sie gar nicht mehr richtig wahrgenommen hatte, jedenfalls nicht so stark. Auf dem Bild waren die Orks eines anderen Clans, die Gesichter waren mir alle fremd.
    Als ich die letzte Mappe öffnete, lag ein Brief obenauf. Aus weißem Papier, welches sanft schimmerte. Für Anni von Connor stand darauf in großen, etwas ungelenken Buchstaben geschrieben.
    Ich hörte mich wimmern.
    Und verfluchte meine nassen Augen, die die Buchstaben verschwimmen ließen. Hastig wischte ich sie trocken. Damit du uns nicht vergisst. Ich werde dich jedenfalls nie vergessen.
    Mehr hatte er nicht geschrieben, aber das reichte auch. Ich brauchte ziemlich lange, um mit dem Heulen aufhören zu können.
    Vielleicht war es doof, aber ich hielt den Brief sogar an mein Gesicht und versuchte, daran zu riechen. Natürlich roch er nicht nach Connor.
    Vorsichtig legte ich ihn an die Seite. Er würde später einen Platz in der Schublade meines Nachtschrankes finden.
    Und dann musste ich gleichzeitig breit grinsen und heulen. Die Orks auf dem nächsten Bild kannte ich. Das waren ja Qentar und Rudrac! Sie standen bei den Durwas und schienen in ein Gespräch vertieft.
    Connor hatte Bilder von unserem Clan gefunden.
    Mein Herz schlug bis in den Hals.
    Auf dem nächsten Bild war Qurshina an der Kochstelle, ihr Leib wölbte sich gewaltig vor, sie schien da schwanger zu sein. Qaila saß vor ihr auf dem Boden, hatte eine Hand in einer Geste erhoben und lachte. Und da – ein Bild, wie ich das erste Mal vor Harqon stand. Er hatte die Hand in mein Haar gekrallt und meinen Kopf in den Nacken gezogen, und seine andere Hand kam mit dem Messer auf mein Gesicht zu. Was hatte ich mich da gefürchtet. Aber von der Angst war in meinem Gesicht nichts zu sehen. Ich sah irgendwie stolz aus.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Ja, die schönen Erinnerungen *träum* Schön geschrieben, besonders mit dem Brief, so simpel und doch so lieb :love:

    Und Glückwunsch zur 300ten Seite der Weißen Garde :sekt:

    • Offizieller Beitrag

    Arme Anni ;( Ich heule gleich mit,.. das ist so schöööööööööön :love: und dann liest sie das auch noch in ihrem neuen einsamen Heim.

    Icxh hätte meine Sieben Sachen gepackt,... oh mann. Wie ich die Orks vermisse :D
    Schreib schnell weiter

    :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

  • Die Szene war so kurz gewesen und doch hatte sie jemand festgehalten. Das konnte nur aus dem Gedächtnis gemalt worden sein.
    Es waren etwa dreißig Bilder in dieser Mappe von Connor.
    Ich fand sogar eins von Qashgar, wie er mit dem Speer zwischen den Hörnern des Drachens auftauchte.
    Der Maler hatte sich auf Qashgar konzentriert und der Drache war nur zum Teil zu sehen, weil sein großer Kopf im Verhältnis nicht auf das Bild passte. Ein späteres Bild zeigte dann den toten Drachen und die Orks davor, hier war der Drachen fast ganz im Bild und die Orks winzig klein.
    Neben der Gruppe war eine noch kleinere Gestalt zu erkennen, die im Gras kauerte, mit langen, roten Haaren.
    Aber ganz besonders liebte ich das Bild, auf dem ich neben Connor zusammen mit Tirn und Qentar vor Qashgar stand. Es war so toll gemalt. So sah Connor wirklich aus, genau so. Ich konnte ihn fast fühlen. Offen, selbstbewusst, neugierig und immer bereit, zu lachen.
    Ich verweilte Ewigkeiten bei jedem einzelnen Bild und es wurde schon dunkel, als ich auch das letzte gesehen hatte. Am liebsten hätte ich sie alle aufgehängt, im ganzen Haus, so dass ich sie immerzu würde ansehen können.
    Versonnen lächelte ich vor mich hin.
    Aber auch, wenn ich nun Bilder von ihnen besaß hieß das nicht, dass die Orks bei mir waren. Ich war allein.
    Und obwohl ich meinen Freunden keine Kontakte zur weißen Garde zutraute, so würden sie vielleicht mit anderen Menschen über diese Bilder sprechen und meine Herkunft würde ihre Kreise ziehen bis zu den falschen Ohren. Es brauchte ja nur ein Diener übersehen zu werden, der in einer Ecke stand, während sie darüber sprachen.
    Mein Wissen mit ihnen zu teilen würde sie unweigerlich alle in Lebensgefahr bringen.
    Aber eines Tages, eines Tages würde ich mein Wissen verkünden, und dann könnte ich all meine Freunde einladen und ihnen diese Bilder zeigen. Ich war jetzt schon gespannt, was Herr Carnese zu dem Drachen sagen würde.
    Mein Magen meldete sich knurrend und erinnerte mich daran, das ich den ganzen Tag weder etwas gegessen noch getrunken hatte. Zu Essen hatte ich nichts im Haus, ich würde morgen in die Stadt gehen und mir etwas kaufen müssen, und dazu müsste ich erst einmal an der Bank vorbei, mir Geld holen.
    Seufzend ging ich zum Brunnen und holte mir Wasser. Der Brunnen war schon länger nicht mehr in Betrieb gewesen und ich sollte das Wasser besser vorher abkochen, bevor ich es trank. Mir fiel ein, dass irgendwo in den Waren auch ein kleiner eiserner Kessel sein musste, den ich auf den Herd stellen konnte. Aber den würde ich heute Abend nicht mehr finden.
    Skeptisch schnupperte ich an dem leicht bräunlichen Wasser. Es roch nicht brackig, eigentlich nach gar nichts, so, wie Wasser halt riechen sollte. Mutig nahm ich einen Schluck, befand es für gut und trank des Rest.
    Die Bildermappen brachte ich hoch in mein Schlafzimmer, Connors Brief kam in den Nachtschrank und ich versuchte, mich allein von meiner Kleidung zu befreien. Es dauerte Ewigkeiten und erforderte mein ganzes Geschick, die Verschnürung des Korsetts zu lösen, aber es war eine Wohltat, endlich wieder frei durchatmen zu können. Erleichtert ging ich ins Bett.

    Die nächsten Tage verbrachte ich meist einräumender Weise im Haus.
    Den kleinen Kessel hatte ich gefunden, und darin lagen mehrere kleine Beutelchen, gefüllt mit den üblichen Orkgewürzen, die sofort in die Küche kamen. Christian war einmal kurz dagewesen, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung sei, und er war so nett, mich mit in die Stadt zu nehmen, wo ich dann Geld holen und Einkäufe tätigen konnte. Auch zurück brauchte ich nicht laufen, denn Hanno hatte Dienst am Stadttor und bat einen Bauern, mich ein Stück mitzunehmen, da dieser sowieso an meinem Haus vorbei musste.
    Das Haus hielt mich beschäftigt.
    Ich putzte die Fenster, kehrte und wischte aus, verteilte Tischdecken und stellte Dekoration auf.
    Ein paar Landschaftsgemälde fanden ihren Platz in Wohnzimmer, Flur und Küche, eine runde Elfenbeinschnitzerei kam an die Eingangstüre.
    Der Vorgarten wurde von Unkraut befreit und sah gleich viel einladender aus, und mit einer rostigen alten Schaufel grub ich hinter dem Haus eine kleine Fläche um für Gemüse.
    Feldsalat und Grünkohl wollte ich dort setzen, das war für den kommenden Winter ideal.
    Außerdem füllte ich eine Schale mit Erde und gab dort ein paar Körner und Samen aus den Orkgewürzen herein, das Ganze kam gut gewässert auf die Fensterbank in der Küche.
    Die Schneiderin ließ mir über Luisa ausrichten, das meine Sachen fertig waren, und so ging ich zum ersten Mal zu Fuß in die Stadt.
    Bis zum Stadttor war es gar nicht mal so weit, denn im Gegensatz zu den Kutschen konnte ich die kleinen Feldwege nutzen und war schon in etwa einer Stunde dort angekommen, doch die Wege innerhalb der Stadt zogen sich hin.
    Ich musste zuerst zur Bank und hob dort ein kleines Vermögen ab, nämlich sechstausend Dukaten, und von da musste ich den langen Weg zum Vandermeerschen Anwesen zurücklegen, wo Hilde die Sachen für mich hinterlegt hatte.
    Der steife Butler schien mich wieder zu erkennen und führte mich auch ohne Kärtchen zum Warten in einen Salon, und nach wenigen Minuten kam Luisa freudestrahlend auf mich zugeeilt.
    „Anna, wie schön, dass du kommen konntest. Es tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen, aber ich habe gerade eine kleine Matinee in unserem Musikzimmer. Spielst du auch ein Instrument?“
    Ich verneinte. Das Quälen einer Blockflöte in der Grundschule zählte wahrscheinlich nicht zu Musizieren.
    „Das macht nichts, du kannst dich auch so dazu setzen“, schlug Luisa vor.
    „Hrm“, räuspernd zeigte ich meine Hände vor. Sie waren vom Unkraut zerkratzt und die Erde hatte sich tief in die Schwielen gesetzt, sie waren nicht ganz sauber geworden, trotz bürsten.
    „Ich würde mich so lieber nicht zur Schau stellen“, sagte ich, „deine Freundinnen würden mich bestimmt eingehend mustern und da falle ich nur unangenehm auf. Außerdem habe ich es nicht geschafft, mich allein zu schnüren. Ich trage nur einen Schal um die Taille, damit ich ins Kleid kam, aber ich fürchte, wenn ich mich damit hinsetze, platzen die Nähte trotzdem.“
    „Oh,“ Luisa errötete leicht. Wir sahen uns in die Augen.
    Ich hatte die Wahl gehabt, mich für eine Gesellschaftsschicht zu entscheiden, und ich hatte diese Wahl getroffen.
    „Das ist schade“, sagte Luisa, „ich hätte dich gerne dabei gehabt.“ Betroffen senkte sie ihren Blick. „Komm, ich gebe dir eben deine Kleider. Soll ich dir eine Kutsche kommen lassen, die dich zurück bringt? Du hättest viel zu tragen.“
    Ich folgte ihr ins Ankleidezimmer, wo tatsächlich ein ziemlich großer Stapel Kleider auf mich wartete. Natürlich hätte ich mir gerne jedes einzelne angesehen, konnte aber Luisa nicht so lange von ihren Gästen fernhalten.
    „Danke, aber ich werde zu Fuß gehen.“ Ich konnte hier ja nicht ewig allen Luxus in Anspruch nehmen, den ich für mich freiwillig abgelehnt hatte.
    „Hast du vielleicht ein großes Tuch, in dem ich die Sachen zu einem Bündel einschlagen kann?“
    Luisa schüttelte den Kopf. „Anna, ich werde dich sicherlich nicht mit einem großen Bündel auf dem Rücken quer durch die Stadt gehen lassen. Wir machen es so: Du suchst dir die Wäsche zusammen, die du jetzt unbedingt brauchst, und den Rest bringe ich bei meinem nächsten Besuch mit“, sagte sie entschieden. „Dottie wird dir einen Korb geben.“
    Dottie kam aus dem hinteren Teil des Ankleidezimmers, wo sie gebügelt hatte, und reichte mir lächelnd einen Wäschekorb.
    „Danke, Dottie. Luisa, du solltest deine Gäste vielleicht nicht so lange allein lassen“, murmelte ich. Luisa nahm mich in den Arm und drückte mich länger, als üblich.
    „Anna, wir sind immer noch Freundinnen“, sagte sie mit einem beschwörenden Unterton, dann huschte ein verschmitztes Grinsen über ihr Gesicht. „Und selbst mein Vater wird seiner sonst immer sehr artigen Tochter diese eine Extravaganz einer nicht standesgemäßen Freundschaft lassen müssen.“
    „Bring dich bitte nicht in Schwierigkeiten“, bat ich mit einem bedrücktem Gefühl.
    „Oh, da mach dir mal Sorgen, Anna. Meinen Vater habe ich jetzt im Griff.“
    Für den Bruchteil einer Sekunde meinte ich etwas bitter Zynisches auf ihrem Gesicht zu sehen, aber das war zu schnell vorbei, als dass ich mir sicher sein konnte.
    „Ich werde dich jetzt allein lassen müssen. Komm gut nach Hause, Anna.“ Sie hauchte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand.
    Seufzend macht ich mich daran, meine neue Kleidung durchzusehen.
    Wie nicht anders erwartet hatte Luisa einen exquisiten Geschmack bewiesen und die meisten der wunderschönen Kleider hätte ich zu jedem gesellschaftlichen Anlass tragen können. Wehmütig strich ich über die edlen Stoffe.
    Aber auch ein paar einfache Hauskleider waren dabei, die ich ohne Schnürung tragen konnte, sowie Nachthemden, ein Morgenmantel und Strümpfe. Das packte ich ein.
    Dottie überreichte mir errötend Hildes Rechnung, und ich vertraute ihr die Summe an, um die Schneiderin zu bezahlen und legte für die schnelle und sorgfältige Arbeit noch einen Obulus obendrauf.
    Der Weg nach Hause zog sich hin.
    Nun hatte ich zwei Mal in meinem Leben eine Entscheidung getroffen. Einmal die, zu dem Menschen zurück zu kehren, und einmal die, mir ein Haus vor der Stadt zu kaufen. Wie es schien, wurde ich mit jeder meiner Entscheidungen etwas einsamer. Das Leben war gar nicht so einfach.

    In den nächsten Wochen kehrte eine neue Routine in mein Leben ein, die ich sehr begrüßte. Dienstags ging ich einkaufen auf einem kleinen Viktualienmarkt in der Stadt, und Mittwochs kamen meine Freunde zum Abendessen, Luisa, Hanno, Christian und je nach verfügbarer Zeit, auch Herr Carnese.
    Die ersten beiden Male verliefen etwas förmlich, aber auf Dauer wurde selbst Hanno etwas lockerer.
    Ich freute mich jedes mal auf den Mittwoch.
    Nicht nur, weil sich die auf Orkart gewürzten Speisen großer Beliebtheit erfreuten und ich stolz war, so gut kochen zu können, sondern einfach, weil es schön war, alle wieder zu sehen.
    Es wurde viel diskutiert und gelacht, und unbeobachtet von Dienerschaft gar die ein oder andere Lästerei vom Stapel gelassen. Zwar kannte ich die Personen nicht, aber Christian erwies sich als ein so guter Nachahmer verschiedener Gepflogenheiten, dass ich selbst Hanno mal laut lachen hörte.
    Die anderen Tage verbrachte ich entweder im Garten oder ich vertrieb mir meine freie Zeit damit, mich selbst an der Malerei zu versuchen.
    Luisa hatte sich mit mir bereits für Dienstag verabredet, wir wollten uns auf dem Markt treffen und dann gemeinsam bei mir kochen.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Das Quälen einer Blockflöte in der Grundschule zählte wahrscheinlich nicht zu Musizieren.

    Stammt das aus eigener Erfahrung,.. ;)

    Der Teil ist schön auch wenn noch keine Orks drin vorkommen :D
    Aber man gewinnt einen Eindblick davon wie sich Anni versucht zu integrieren. Sie versuscht merklich die Vergangenheit ruhen zu lassen, auch wenn es ihr z.B. die Bilder schwer machen.

    Irgendwo schon traurig. ;(

    Weiter bitte,.... :thumbup:

  • Eine Stunde lang schoben wir uns durch die Gassen an den Ständen vorbei, und obwohl es zu voll und zu laut war, um sich groß zu unterhalten, kam Luisa mir sehr still und etwas bedrückt vor.
    Doch erst in meiner Küche rückte sie damit heraus: „Anna, ich wollte es dir zuerst sagen, bevor du es von anderen erfährst ...“ Sie stand vor der Spüle mit einem Strunk Sellerie in der Hand und sah mich hilflos an.
    „Was denn, Luisa?“
    Sie schlug die Augen nieder.
    „Ich werde mich zu Weihnachten verloben.“ Das klang wie ein Schuldeingeständnis.
    Mir schwante etwas.
    „Mit diesem Arius Scharper etwa?“ Ihr Gesicht lief rot an. „Ja, Anna, mit Herrn Arius Scharper.“
    Stille.
    Ich sah sie wohl ziemlich entgeistert an und sie sah trotzig zurück.
    „Aber Luisa, das kannst du doch nicht machen. Bist du denn verrückt geworden? Der Typ ist Scheiße“, entfuhr es mit spontan.
    Sie zuckte zusammen, als hätte ich ihr einen Wurm ins Gesicht geworfen.
    „Anna!“ kam postwendend eine Rüge von ihr.
    Jetzt wurde ich rot.
    „Entschuldige bitte meine Ausdrucksweise, anders kann ich diesen Mann aber nicht beschreiben. Luisa! Das ist doch ein Mitgiftjäger reinsten Wassers. Wieso? Jetzt sag mir nicht, dass du in ihn verliebt bist, denn verliebt bist du kein bisschen, das hätte ich dir angemerkt!“
    „Nun Anna, ich hatte meine Gründe, dieser Verlobung zuzustimmen und bitte dich, dieses einfach zu akzeptieren.“ Luisa hatte das Kinn hochgereckt und blitzte mich warnend an.
    „Komm, setzen wir uns in Ruhe an den Tisch“, lenkte ich ein, „Unabhängig von meinen Ansichten über diesen Mann stehst du im Begriff, dich an jemanden zu binden, den du nicht liebst und ich würde gerne wissen, was dich dazu bewogen hat.“
    Das Kinn blieb oben, aber sie konnte meinem Blick nicht mehr standhalten. Seufzend setzte sie sich auf einen Stuhl und stützte die Stirn mit einer Hand.
    „Es ist doch egal, wen ich heirate, Anna. Irgend einer muss es schließlich sein, und da ist Arius so gut wie jeder andere.“
    Ich fasste es nicht.
    „Das klingt ja, als hättest du dich selbst aufgegeben“, hauchte ich entsetzt. „Luisa, was ist denn passiert? Hat dein Vater dich unter Druck gesetzt?“
    Sie schüttelte leicht den Kopf und lächelte bitter.
    „Nein, Anna, das war schon meine eigene Entscheidung. Mich hat niemand gezwungen.“
    „Und wenn du dich eines Tages verliebst? Ich meine, was ist denn, wenn der Richtige plötzlich doch noch kommt? Luisa, dann bist du verheiratet, dann ist es zu spät“, flüsterte ich eindringlich.
    Nie hätte ich diesen Ausdruck von Verbitterung auf ihrem hübschen Gesicht für möglich gehalten.
    „Ach Anna“, ihre Stimme klang gepresst, „da brauche ich keine Angst zu haben. Dem Richtigen bin ich schon vor Jahren begegnet und er wird immer der Richtige sein. Aber diese Liebe ist aussichtslos.“
    In diesem kleinen Geständnis lag soviel Qual, dass ich aufsprang und sie in die Arme zog. Tröstend wiegte ich sie ein wenig hin und her, so wie ich es früher bei Norik gemacht hatte, und endlich kamen ihr die Tränen.
    „Ach, es ist so überaus albern“, heulte Luisa an meiner Schulter. „Weißt du, ich hätte wirklich jeden haben können und dann verliebe ich mich ausgerechnet in einen Mann ...“
    Schniefend holte sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und putzte sich die Nase.
    Wer immer dieser Mann auch sein mochte, ich hätte ihm in diesem Moment gerne den Hals umgedreht, weil er Luisa traurig machte.
    „Ist er … gebunden?“ flüsterte ich.
    „Nein, Anna. Eine Verbindung zwischen uns wäre einfach nur nicht standesgemäß“, nuschelte Luisa hinter ihrem Taschentuch. Ich war kurz davor, aufzufahren.
    Wie albern war das denn?
    Aber noch bevor ich dazu tief Luft holen konnte, stand mir Connors Gesicht vor Augen. Und mir wurde klar, dass ich nicht anders gehandelt hatte. Ich war gegangen, um meinen Kindern eine andere Zukunft als ein Leben unter Orks bieten zu können, wollte ein Haus und eine Kirche und Kleidung.
    Was gab mir jetzt das Recht, Luisas Entscheidung zu verurteilen?
    Vielleicht wollte sie für ihre Kinder ein Anwesen mit Personal und Kutschen, so, wie sie es halt gewohnt war.
    Es war bestimmt keine Fehleinschätzung zu glauben, dass der alte Vandermeer Luisa sofort enterbt hätte, wäre sie mit einem armen Schlucker vor ihn getreten.
    „Das ist bitter“, entfuhr es mir unwillkürlich und ich wusste gar nicht, ob ich jetzt Luisas Situation oder meine Selbsterkenntnis meinte.
    Überrascht sah sie auf.
    „Ich hätte nicht erwartet, dass ausgerechnet du mich verstehst, Anna“, schien sie sich ein wenig zu freuen, „wo du dir doch aus der ganzen Gesellschaft so wenig zu machen scheinst.“
    Sie schneuzte noch mal kräftig in ihr Taschentuch und ein zittriges Lächeln kam zum Vorschein.
    „Weißt du, meine ganz große Liebe habe ich auch wegen der Standesunterschiede verlassen“ , gestand ich kleinlaut.
    „Anna?“
    „Ich hatte mich in einen Wilden verliebt. Vielmehr ich liebe ihn noch“, seufzte ich schwer, „Aber irgendwie konnte ich mir eine Zukunft für meine Kinder dort nicht vorstellen, also bin ich zur Zivilisation zurück gekehrt. Tja ...“
    Luisas Augen leuchteten. „Ich kann dich so gut verstehen“, murmelte sie.
    „Das Doofe ist nur, ich werde nie mit einem Mann zusammen kommen wollen, solange ich … diesen Wilden liebe und deshalb werde ich gar keine Kinder haben“, zuckte ich in breiter Selbstironie die Schultern, „so dass man sagen muss, das war nicht gut durchdacht.“
    Beinahe hätte ich Connors Namen genannt und damit mein ganzes Lügengebilde zum Einsturz gebracht.
    „Siehst du, und ich habe mich da halt eben anders entschieden“, sagte Luisa und setzte sich wieder auf ihren Stuhl, „Ich werde heiraten, und ich werde Kinder haben.“ Sie atmete einmal tief durch. „Allein schon, um vom Markt zu sein. Solange ich noch als freie, gute Partie durch die Gegend lief, wurde ich von allen Frauen meines Alters gemieden wie die Pest. Kaum gibt es das Gerücht, dass ich mit Arius zusammen bin, werde ich wieder eingeladen. Das hat mir gefehlt. Und auch, wenn ich Arius nie werde lieben können, brauche ich nicht unglücklich zu werden. Ich habe dann Kinder, die ich lieben kann.“
    Zweifelnd sah ich sie an.
    Doch, das würde sie schaffen. Unter der grazilen, hübschen Fassade und all ihrer scheinbaren Verletzlichkeit war Luisa Vandermeer ein harter Knochen und ein sehr willensstarker Mensch.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Geschickt melli, wirklich geschickt gemacht wie du Anni erkennen lässt, dass sie eigentlich ihre Entscheidung für Schwachsinn hält. Du bist und bleibst eine geniale Geschichtenerzählerin :thumbsup:

    • Offizieller Beitrag

    „Aber Luisa, das kannst du doch nicht machen. Bist du denn verrückt geworden? Der Typ ist Scheiße“, entfuhr es mit spontan.


    Das trifft es nicht mal annähernd.... X(

    Das ist ja so traurig,... oh mann!!! Wird Zeit für ne Frauenbewegung!!!!!!

    Diesen Kerl,.. Boar net mal mit ner Kneifzange,... und Kiner,.. nur mit moderster Medizin bitte!!!! :puke:

    Ich bin ja mal gespannt ;)

    Spoiler anzeigen

    Weiß ja wie es ausgeht, aber das zu lesen ist echt ne Nummer!!!! HEUL

  • Da meine Geschichte jetzt langsam in die Endrunde geht und ich nicht alles öffentlich einstellen will, geht es im forumsinternen Bereich weiter.

    Danke fürs Lesen bis hierhin
    LG melli ^^

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Liebe melli , auch wenn die letzte Antwort auf dieses Thema schon mehr als 1.095 Tage zurückliegt - ich hoffe doch, dass du mal vorbeischaust und siehst, wie begeistert ich deiner Geschichte folge. Vielen Dank dafür! Sie ist einfach fesselnd und liest sich so flüssig und ohne jegliches "Hä? Wie jetzt?", dass ich nur staunen kann.

    Die Idee für die Story an sich ist schon Klasse. Dazu kommen sympathische und liebevoll gestaltete Protas und natürlich Beschreibungen ... hach. :love:

    Ich geb dir dieses kurze Zwischenfeedback, weil ich ein paar Zitate angesammelt habe, die ich gern kommentieren würde. Da wären:

    “Heißt das etwa, es kämen mehrere Männer für die Vaterschaft in Betracht?” Connor zuckte die Schultern. “So drei oder vier schon.” sagte er lahm. Sodom und Gomorrha! heulte eine Stimme in mir auf. Es war die von der ältlichen Schwester des Pfarrers.

    Perfekt! Ich liebe Antheas trockene Reaktion! Die ältliche Schwester des Pfarrers, lol :rofl:

    Die Tiere ästen friedlich und ab und zu sah man ein Kitz, dass mit ausgelassenen wilden Sprüngen sein Leben feierte.

    Das ist eine wirklich schöne Formulierung, finde ich. :love:

    Und nun quälte mich der Gedanke, dass ich irgendwann in Connors bestem Wams und einer Wildlederwindel zu den Menschen zurück gehen musste, um meine Aufgabe zu erfüllen.

    :rofl: Ich mag Anthea!

    Ihre Geräusche drangen bereits zu uns hoch und sie klang ganz anders als unsere Städte. Leiser. Die tiefen Stimmen von tausenden von Orks legten sich wie ein dunkles Grollen über das Land und riefen den Gedanken an ein Erdbeben hervor.

    Wunderschön beschrieben!

    An der Stelle mach ich einen break. Aber du hast mich an der Angel und wirst noch von mir hören. :thumbsup:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hallo melli,

    ich habe mit deiner Geschichte vor etwa einer Woche angefangen und bin jetzt auf dem "trockenen", weil ich das Ende nirgends finde. Du hast mich total gefesselt. Dein Stil ist wunderbar, auch wenn ich mir denken kann, dass du selber immer wieder Eclen und Kanten findest liest es für mich toll und flüssig.

    Die Figuren sind sehr lebendig. Du lässt viel Freiraum für die eigene Vorstellungskraft, was deren aussehen angeht.

    Wenn ich ein Verleger wäre hätte ich dir vermutlich in Angebot gemacht, leider bin ich in einer ganz anderen Branche tätig. xD

    Ich könnte dir jetzt Lobhymnen über deine Geschichte schreiben. Oder sie sezieren und jeden kleinen Punkt der mir gefällt über-analysieren, warum es mir so gut gefällt. Jedoch möchte ich nicht eine Story tot reiten, die du vermutlich schon vor Jahren abgeschlossen hast.

    Jedenfalls danke für die schönen Momente die ich hier beim lesen verbracht habe!

    (Falls irgendwo das Ende noch steht würde ich das auch gerne lesen ☺ )

    Liebe Grüße!

  • Ich bin zwar noch nicht so weit wie Alraniss, melli , aber ich melde mich jetzt schon mal als Interessent, der auch gern wüsste, wie das Ganze hier endet. :nummer1:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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