Es gibt 220 Antworten in diesem Thema, welches 68.741 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (7. Januar 2019 um 11:40) ist von 97dragonfly.

  • Muss mich mit meinem Tipp Wysi anschließen ^^
    Ich Tippe auch auf die Seherin :D
    Ansonsten habe ich mal wieder nichts zu meckern, bin aber froh das Kasim erstmal bei Freunden ist :D

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

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    Wie kann denn Glas bitte pulsieren? Nur so als Frage am Rande?!

    Glas an sich kann sicherlich nicht pulsieren, das heißt aber nicht, dass es das nicht durch etwas anderes kann. Ich schau mir die Formulierungen aber noch einmal genauer an. :)

    *sich die Hände reibt* Schön, wenn ich Spekulationen anreize. Es geht prompt weiter.


    ~.~.~


    Kadirs Herz hämmerte. Seit sie den kühlen Geheimgang verlassen hatten, stach ein beißender Geruch in seiner Nase; seine Augen tränten, während er zu den Lichtern an den glatten Wänden blinzelte. Harun und einer der Gardisten löschten sie auf ihrem Weg, bis die Dunkelheit um sie herum stetig zunahm. Der Prinz schauderte, wagte in dem fensterlosen Flur nicht, nach links oder rechts zu sehen. Ein Frösteln kroch über seinen Rücken. Kadir strauchelte, doch ehe er fallen konnte, packten ihn kräftige Hände. Murrend stieß er ein Danke durch zusammengebissene Zähne hervor, als er steifbeinig weiterhumpelte. Er ignorierte das Ziehen im Bein und das Pochen in seinem geschwollenen Fuß. Die Stiefel, die er von Harun hatte, waren ihm zu groß. Seine Haut rieb am Innenleder, doch der Prinz zuckte nicht einmal mit dem Mundwinkel.
    Die Rufe, die er noch vor seinen Zimmern ausgemacht hatte, verstummten. Es war die plötzliche Ruhe, die Kadir mehr Angst bereitete. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken und Fragen umher. Mehrfach hatte er den Mund geöffnet, um eine von ihnen zu äußern, doch ein Blick auf Haruns angespannte Schultern reichte, um jedes einzelne Wort herunterzuschlucken.
    Der Hauptmann winkte sie um die nächste Ecke, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der angrenzende Gang ebenfalls verlassen war. Als sie bei ihm ankamen, stemmte er sich bereits gegen einen unscheinbaren Flecken Wand. Der Streifen türkisfarbener Ornamente schimmerte unheimlich in Lampenlicht auf; einen Moment schien er zum Leben erwacht, änderte seine Struktur und Form. Der Eindruck verschwand rasch. Kadir blinzelte und rieb sich verstohlen die Augen. Er musste erschöpfter sein als bisher angenommen.
    Stein schabte Haare sträubend auf Stein, bis sich vor ihnen ein Spalt öffnete, der am Ende kaum breit genug war, um sie hindurchzulassen. Harun drückte sich als Erster in den nächsten geheimen Weg hinein. Er nahm die Öllampe aus der Nische hinter der Tür und hauchte der kargen Flamme flink kräftigeres Leben ein. Fahrig winkte er sie hinter sich her.
    Der Prinz folgte mit seiner Stütze als nächstes. Vorsichtig sah er zurück - sein Herz machte einen Sprung, denn Kasim war nun direkt hinter ihm. Doch das Lächeln, das bereits an seinen Lippen zog, verblasste, als er die hängenden Schultern seines Freundes bemerkte. Die Furche zwischen seinen Brauen war tiefer als gewöhnlich und er zuckte zusammen, als er Kadirs Blick mit seinem auffing. Sein Gesicht war im Schatten kaum zu erkennen. Dem Prinzen blieb keine Zeit, ihn genauer zu mustern, da von hinten die Gardisten drängten und von vorn Harun wiederholt zur Eile mahnte. Ein leises Gespräch würde sie alle aufhalten.
    Mit Bedauern wandte Kadir sich herum. Er fuhr zusammen, als die versteckte Tür mit einem lauten Scharren vom letzten Mann zugezogen wurde und die kühle, abgestandene Luft sie gemeinsam mit der gespenstischen Dunkelheit umschloss. Er versuchte ein Zittern zu unterdrücken, doch das machte es nur schlimmer. Stoßweise atmete er aus und wischte sich heimlich die feuchten Hände an seiner Kleidung ab. Haruns Licht hüpfte vor ihnen auf und ab, spendete jedoch kaum Trost.
    Die Wände schienen bedrohlich nah. Seine Leibwache musste sich schräg hinter ihm halten, ging so zwischen Kasim und dem Prinzen, was Letzterer stillschweigend hinnahm. Mit dem jungen Mann im Rücken hätte er sich wohler gefühlt, doch dies war nicht die Zeit, eigensinnig zu sein.
    Kadir runzelte die Stirn. Irgendwo auf dem Weg hierher hatte er die Orientierung verloren. Dieser geheime Gang war ihm vollkommen fremd. Der Drang zu erfahren, was vor sich ging, ließ seine Hände kribbeln. Er wusste es besser, als sich gegen Haruns Worte zu stellen. Er musste ihm vertrauen, gleichzeitig fiel es ihm jedoch schwerer denn je. Wozu all die Heimlichkeit, außer der Palast wurde angegriffen?
    Ob sein Vater bereits in Sicherheit auf sie wartete? Er hoffte es. Wahrscheinlicher war, dass er sich mit eiserner Miene dem entgegenstellte, was sie bedrohte. Ganz gleich was seine Leibwache sagte; stur wie er war, würde er nicht einfach das Weite suchen. Wenn Kadir ehrlich war, wollte er es ebenso wenig.
    »Hoffentlich geht es ihm gut«, murmelte er zu sich selbst und seufzte, als er erneut beinahe den Halt verlor und sich halb von hinten gestützt mit der ausgestreckten Hand an der Wand abfing.
    Sie schienen endlos durch die Dunkelheit zu laufen. Der Boden zu ihren Füßen war uneben und Kadir war, als würde er sich leicht neigen, als gingen sie seit einiger Zeit hinab. Waren sie auf dem Weg in die unterirdischen Zellen? Der Gedanke daran drehte ihm leicht den Magen um. Er erinnerte sich nur an ein einziges Mal, das er unter dem Palast gewesen war - als Kind an der Hand seines Vaters. Viel wusste er nicht mehr davon, doch der Ekel vor dem Geruch nach Urin, Schweiß und ungewaschenen Körpern - und einem entfernteren schmerzvollen Stöhnen und Raunen - hafteten an seiner Seele wie klebrige Datteln.
    Bevor er sich weiter ausmalen konnte, was sie unten erwartete, endete ihr Weg abrupt in einer Sackgasse.
    Haruns gestraffter Rücken wirkte im Schein der Öllampe, die er nun zurückreichte, gespenstisch.
    »Wo sind wir?«, entschlüpfte es Kadir. Der Hauptmann warf ihm einen eindringlichen Blick zu, den der Prinz eisern erwiderte. Kaum sichtlich zuckten Haruns Mundwinkel, bevor er sich wieder fing und die Wand vor sich begutachtete. Langsam strichen seine Fingerspitzen über den Stein. Kadir schüttelte die Hände des Gardisten fort und schob sich geschickt und auf einem Bein zwischen die Wand und den Hauptmann. Mit großen Augen musterte er den blockierten Durchgang und streckte die Hand aus. Das raue Gestein war kühl, gab unter Druck allerdings wie erwartet nicht nach.
    »Sind wir umsonst hier?«, fragte er, während er zu Harun aufsah - und ja, für einen Moment die Nähe zu ihm genoss. Dieser zog die Stirn kraus und kratzte sich am zerzausten Bart. Erst in diesem Moment erkannte Kadir die dunklen Ringe unter seinen Augen.
    »Nein, der Weg sollte direkt in die Palastmauer führen«, murmelte der Hauptmann und warf einen abschätzenden Blick über die Köpfe der anderen zurück.
    »In die Palastmauer?«, stieß der Prinz ungläubig hervor und erntete einen finsteren Blick dafür. Mit den Schultern zuckend wandte er sich wieder der Wand zu, drückte seine dünnen Fingern abermals dagegen - nichts rührte sich. Vielleicht wenn sie gemeinsam ...
    »Wir könnten eine Abzweigung übersehen haben«, bemerkte einer der Gardisten hinter Kasim.
    Harun schüttelte den Kopf. »Es wäre aufgefallen.« Er nickte zur Öllampe, deren Flamme unberührt leuchtete. »Allerdings wurde diese Verbindung seit Jahrzehnten nicht genutzt«, fuhr er fort. »Geschweige denn gebraucht«, murrte er deutlich leiser. Noch einmal strich er nachdenklich über seine Wangen, dann hielt er unvermittelt innehielt. »Zum Teufel noch eins, Kadir, was machst du da?«
    Der Prinz hob mit gewölbten Brauen den Kopf, während er sich noch immer mit aller Kraft gegen den Stein drückte, dabei bedacht, die Belastung von seinem linken Bein fernzuhalten. »Sicherlich nicht mit der Wand kuscheln«, knurrte er und presste die Hände flach auf das Mauerwerk, bis Adern hervorstachen.
    Harun öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Dann schob er Kadir sanft beiseite und winkte die anderen heran. Der Prinz selbst fand sich nach einigem Quetschen und Drücken mit der Lampe in der Hand in Kasims Armen wieder. Mit großen Augen sah Kadir in das Gesicht des anderen Mannes und blinzelte. Er wollte zurückweichen, doch die Enge um sie herum ließ das kaum zu.
    Schweigend standen sie beieinander und musterten das Treiben vor sich. Die Gardisten stemmten sich mit aller Macht gegen den Stein, schoben sich gegenseitig dabei. Nach einigen Anfeuerungen Haruns, es wieder und wieder zu versuchen, hatten sie endlich Erfolg und die verborgene Tür schabte laut Zentimeter für Zentimeter über den Boden. Sie wischten sich den Schweiß von der Stirn, als sie endlich einen Durchgang geschaffen hatten, der ausreichend genug war.
    »Weiter«, raunte Harun und nahm die Lampe wieder entgegen. Sie warteten nicht, dass der Prinz nach vorn konnte, ließen ihn stattdessen in Kasims Obhut. Nun, zumindest ein Zugeständnis.
    Obwohl er nun die Gelegenheit eines leises Gespräches hatte, blieb Kadir stumm. Der Weg vor ihnen war weit genug, um zu zweit nebeneinander zu gehen, verlief jedoch steiler nach unten. Sie benötigten all ihre Konzentration, um im spärlichen Licht nicht über die eigenen Füße oder einander zu stolpern. Letztendlich schlang Kasim einen Arm um Kadirs Hüfte und hob ihn leicht vom Boden. Der Protest des Prinzen war kaum mehr als ein Schnaufen; er wehrte sich nicht dagegen. Sie kamen deutlich schneller voran, auch wenn er nun umständlich auf einem Bein hüpfte.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (3. Juli 2016 um 16:06)

  • Glas an sich kann sicherlich nicht pulsieren, das heißt aber nicht, dass es das nicht durch etwas anderes kann. Ich schau mir die Formulierungen aber noch einmal genauer an.

    dann würde ich an deiner Stelle aber eher vibrieren oder etwas ähnliches nehmen, weil mit pulsieren denke ich doch eher an einen lebenden Organismus durch den das Blut pulsiert, was bei einem Glas ja nun nicht gerade der Fall ist. ;)

    Der Teil ist dir mal wieder sehr gut gelungen. Detailreich wie immer, wenn ich das mal wieder anmerken darf. Ich bin mal sehr gespannt, wohin die Gruppe gelangen wird und die Gänge hinter den Palastmauern finde ich super gewählt, auch wenn es dann doch irgendwie wieder klischeehaft ist, ist in meinen Augen aber überhaupt nicht schlimm.
    Weiter so :stick:

    xoxo
    Kisa

    • Offizieller Beitrag

    Er fuhr zusammen, als die versteckte Tür mit einem lauten Scharren vom letzten Mann zugezogen wurde und die kühlte, abgestandene Luft sie gemeinsam mit der gespenstischen Dunkelheit umschloss

    kühle

    Grandios geschrieben. Das mit den Geheimgängen und Kadirs Unwissenheit hast du super erklärt. Man kann die Bedenken des Prinzen förmlich spüren, immerhin hat er keine Ahnung, was eigentlich los ist. Und da passt auch der Zynismus gut ins Bild, als er sich gegen die Wand stemmt. :thumbsup:
    Kann mich beschweren und ich bin gespannt, wie es weitergehen wird. ^^

    LG, Kyelia

  • Auch hier tritt wieder schön zu Tage, dass Kadir in einer Art "Glasglocke" aufgewachsen ist und von nichts eine Ahnung hat. Sein Leben wurde von anderen bestimmt - auch von Harun. Bin gespannt, ob das so bleibt, wenn er erfährt, was los ist. :thumbsup:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

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    Der Rest von Kapitel 5 und ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Vorerst geschafft.


    ~.~.~


    Kälte kroch in seine Glieder. Schweiß hatte seine Kleidung klamm werden lassen; fröstelnd verlor Kadir im Dunkeln jegliches Zeitgefühl. Seine Lider waren schwer und das Pochen in seinem Kopf schwoll zu einem stechenden Schmerz an, der von einer Seite der Stirn zur anderen wanderte. Er wollte jammern, anhalten, sich ausruhen, keinen Schritt mehr tätigen - gleichzeitig wusste er, wie kindisch allein der Gedanke war. Den anderen erging es nicht besser. Kasim schnaufte neben ihm, ohne sich zu beschweren. Also schluckte der Prinz jedes harsche Wort, das ihm auf der Zunge lag, herunter.
    Umso erleichterter war er, als Harun das Zeichen zum Halt gab. Als Kadir jedoch an den Gardisten vorbeisah, sackte sein Herz tiefer. Sie standen erneut vor einer Sackgasse.
    »Das ist nicht wahr«, maulte er, jede Zurückhaltung vergessen, und sank rücklings gegen das Gestein.
    Still reichte Harun die Lampe weiter. Auf Zehenspitzen und mit dem Kopf im Nacken, tastete er über die Decke. Nach einigem Fluchen stieß der Hauptmann einen leisen Pfiff aus, lachte schließlich triumphierend, als Steinchen und feiner Sand auf Haar und Schultern rieselten. Einen Moment später klaffte ein unebenes Loch über ihnen, breit genug, um hindurchzuklettern.
    Harun suchte Halt und zog sich mit Leichtigkeit die Öffnung hinauf, bis nur noch seine Beine im Gang baumelten. Wenig später war er ganz verschwunden, bis sein Gesicht auftauchte und er die Hände ausstreckte.
    Ungläubig starrte Kadir zu ihm. Er wollte zum Protest ansetzen, doch unvermittelt drängte Kasim ihn voran. Kurzentschlossen hob er ihn von den Beinen, dem Durchgang entgegen. Dem Prinzen blieb die Luft im Halse stecken und reflexartig warf er die Arme in die Höhe. Harun packte seine Handgelenke, während Kasim von unten Halt gab. Ein beherztes Ziehen später lag Kadir perplex in den Armen des Hauptmannes, der ihn sanft vom Loch fortzog, damit die anderen folgen konnten.
    Nun saß er mitten in einer winzigen Kammer, ein offenes Gatter direkt vor der Nase. Seine Hände glitten über eine dünne Schicht Sand. Eine winzige Laterne am Balken über ihnen leuchtete warm auf sie herab, während ein markanter Geruch nach Mist und trockenem Heu seine Nase kitzelte. Kadir versteifte sich. Mehr noch, als er ein nahes Schnauben hörte. Sein Atem beschleunigte sich, Schweiß perlte zwischen seinen Schultern hinab.
    Sie waren in einem Stall.
    Harun schlich an ihm vorbei, um einen vorsichtigen Blick aus dem Verschlag zu werfen. Sichtlich zufrieden kehrte er zurück und half Kadir auf die Beine.
    »Wohin gehen wir?«, fragte der Prinz, als sie auf den schmalen Gang traten und sich einer Reihe ähnlicher Kämmerchen gegenübersahen. Nur wenige waren verschlossen, die meisten leer. Kadir mied es, den Pferdeköpfen Beachtung zu schenken, die sich neugierig zu ihnen drehten und die Nüstern blähten. Seine Finger kribbelten, all seine Instinkte begehrten auf, verlangten nach Flucht. Feucht klebte sein Haar im Nacken.
    »Je weniger du weißt ...« Harun versuchte ein Lächeln, doch es war schief und verbissen.
    Wie lodernde Glut schwelte die Wut durch Kadirs Bauch, verdrängte die Panik jäh. »Ich will es wissen«, knurrte er, schmälerte die Augen.
    Sein Gegenüber betrachtete ihn ebenso finster. »Du hast etwas versprochen.«
    »Nichts dergleichen habe ich. Du bist nicht mein Vater. Und ich bin nicht blöd. Sag mir, warum wir den Palast verlassen, ich bin immerhin dein Prinz!«
    Harun atmete tief durch und ballte die Hände an seinen Seiten. »Jetzt ist nicht die Zeit, sich wie ein kleines Kind aufzuführen, mein Prinz.«
    Kadir wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, als jemand hinter ihnen kreischte. Erschrocken wirbelten sie herum; die Wachen zogen ihre Waffen blank, zögerten allerdings, als sie den Jungen am anderen Ende der Stallungen entdeckten, gespenstisch von einem fernen Licht erhellt. Einer von ihnen wollte auf das Kind zugehen, doch es machte blitzschnell kehrt und rannte durch ein offenes Tor. »Der Prinz! Sie haben den Prinzen!«
    Die Gesichter der anderen versteinerten, als sie rasche Blicke tauschten. Harun nickte und zwei von ihnen eilten dem Jungen nach. Seine Rufe hallten laut von draußen wider.
    Fluchend und ohne auf die Einwände Kadirs zu achten, warf der Hauptmann ihn wenig sanft über die Schulter, deutete Kasim und dem letzten Gardisten wirsch, die Pferde hinauszuführen.
    Der Prinz strampelte und drückte die Hände gegen Haruns Brust. Sein Puls raste, als er den Blick hob, sein Gesicht dicht neben der Flanke eines der braunen Tiere. Es schnaufte, als Kasim es am Halfter führte, und Kadir hielt den Atem an.
    Alles Wehren half nichts. Draußen wehte ihnen ein heißer Wind entgegen. Sie waren hinter den Palastmauern, doch er konnte nicht einschätzen, wo genau. Nur eines war gewiss: dies waren nicht die Stallungen am Haupttor. Um sie herum herrschte Nacht, doch die Stadt selbst war gespenstisch erhellt und fernab sonstiger Stille. In seinen Kopf stoben die Gedanken umher, nichts wollte zusammenpassen. Und seinen Vater konnte er auch nirgendwo sehen. Etwas lief gewaltig schief.
    »Beeilung«, raunte Harun, als jemand von oben herab Befehle brüllte. Hastig trieben sie die Pferde in die Schatten der Stallmauern. Während Kasim sein Pferd an den leichten Zügeln hielt und leise mit fremder Zunge auf es einsprach, half die Leibwache dem Hauptmann, Kadir auf den ungesattelten Rücken zu hieven.
    Am liebsten hätte er sich auf der anderen Seite wieder herunterfallen lassen, doch die Angst, sich etwas zu brechen, war stärker. Zitternd krallte er die Finger in die Mähne und machte sich so flach wie möglich. Das Pferd scheute und Kasim gelang es nur mit Mühe, es vom Ausbrechen abzuhalten. Betend, nicht doch zu fallen, biss sich Kadir auf die Zunge. Es war ein Alptraum, nur ein Alptraum. Er war sich sicher, jeden Moment aufzuwachen. Doch er blieb weiter gefangen.
    Harun musterte Kasim einen Augenblick eingehend. »Kannst du ohne Sattel reiten?«
    Der jüngere Mann hielt inne, warf einen scheuen Blick zu ihm zurück. Dann nickte er.
    »Steig hinter ihm auf. Reitet so schnell ihr könnt aus der Stadt und haltet erst inne, wenn ihr sicher seid, dass euch niemand mehr folgt«, fuhr der Hauptmann fort. »Und das hier«, er reichte ihm den zusätzlichen Waffengürtel, den er trug, zusammen mit einer eifrig gluckernden Wasserflasche, »wirst du brauchen.«
    Ein letztes Mal wandte Harun sich herum. Ohne auf die anderen Acht zu geben, packte er den Prinzen am Nacken und zog ihn zu einem harten Kuss herunter.
    Kadir bebte, spürte den festen Druck Haruns Lippen auf seinen. Raue Finger umfassten seinen Hals und strichen über die Haut. Als er sich von ihm löste, lehnte Stirn an Stirn und seine dunklen Augen fixierten ihn. »Ich komme nach.«
    Abrupt trat er zurück. Kasim hatte sich unterdessen hinter Kadir auf das Pferd geschwungen und als die ersten Männer um die Ecke bogen, die Waffen erhoben, schlug Harun dem Pferd gegen die Flanke. Wiehernd sprang es voran und Kasim lehnte sich weit nach vorn, um an dem Halfter besseren Halt zu finden, die Zügel fest in den Händen.
    Sie preschten durch die Reihen der Wachen, die überrascht zur Seite sprangen, ehe ein Teil ihnen nacheilte.
    Kadir legte mir weit aufgerissenen Augen eine Hand auf seine Brust, als er das ungewohnte Gewicht spürte, das vorher nicht dagewesen war. Eine Kette baumelte an seinem Hals und als er das Rund des Ringes daran ertastete, schluckte er Tränen herunter. Sein Vater trennte sich niemals vom Ring seiner Mutter, außer …
    Sein Blick war verschwommen, als er über die Schulter zurücksah und hektisch die schattenhafte Umgebung absuchte. Ihre Verfolger rannten bereits zurück, doch Harun war nicht unter ihnen. Er war mit dem letzten Gardisten, der ihnen geholfen hatte, verschwunden.

    2 Mal editiert, zuletzt von Kitsune (6. Juli 2016 um 17:30) aus folgendem Grund: Kleinigkeiten abgeändert.

    • Offizieller Beitrag

    Seine Finger kribbelten, all sein Instinkte begehrten auf, verlangten nach Flucht.

    seine

    Oha. Ein Stall und die Pferde. Das muss für Kadir wahrlich ein Alptraum sein. XD
    Aber immerhin haben sie die Tunnel verlassen. Wobei sie dank des Jungen nichts gut gemacht haben. Jetzt müssen Kasim und Kadir doch auf dem Pferd allein flüchten. Nur wohin jetzt? Außerhalb der Stadt ist doch nur Wüste, oder? Ohne Wasser überleben die nicht lang. Dann hätten sie sich auch direkt in die Schwerter werfen können. XD Aber vielleicht haben sie Glück und treffen auf diese Nomaninnen, von denen wir schon gelesen haben. ;)
    Ich bin gespannt. ^^

    LG, Kyelia

  • also ich finde den teil gut geschrieben muss aber ehrlich zugeben dass ich den kuss zwischen harun und kadir überflüssig finde. Dennoch bin ich mal gespannt wie es weiter gehen wird.

    Sorry das keine Korrekturen dabei sind aber übers Handy geht das so schlecht

    Xoxo
    Kisa

  • Soso, ab jetzt sind also Kasim und Kadir allein unterwegs.
    Auch das war ein guter Teil, allerdings wundert mich langsam, dass Kadir nicht merkt, was los ist. Auch wenn er Harun vertraut sollte er langsam merken, dass er dabei ist, aus dem Palast zu fliehen und sich Sorgen um seinen Vater machen, oder?

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

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    @Kyelia @Kisa @melli Ich bin euch dankbar für eure Anmerkungen, denn ich habe bemerkt, dass ich im letzten Abschnitt ein paar Dinge vergesse habe zu erwähnen. Das kommt davon, wenn man schreibt, wieder umschreibt, anders formuliert, neu zusammensetzt, Sachen streicht ... Deswegen habe ich auch ein paar kleine Dinge abgeändert bzw. hinzugefügt.

    muss aber ehrlich zugeben dass ich den kuss zwischen harun und kadir überflüssig finde.

    Das hat mich darauf gebracht, warum ich den überhaupt drin haben wollte. xD'


    ~.~.~

    - 6 -


    Seufzend fegte der Wind über die Zelte hinweg, ließ Planen vibrieren und flattern. Das Leben war ins Innere verlagert worden, um umherwirbelndem Sand zu entgehen, der dennoch jeden Riss im gespannten Stoff fand.
    Zum Ausharren verdammt, kauerte Musafir auf den ausgerollten Teppichen in seinem Zelt. Mürrisch kaute er auf einem salzigen Stück Trockenfleisch und brütete über seinen Aufzeichnungen. Das Pfeifen um sich herum versuchte er erfolglos zu ignorieren. Mit gerunzelter Stirn blätterte er die Seiten vor und zurück, bis er merkte, dass er einen Abschnitt bereits zum fünften Mal las. Schnaubend schlug er das Büchlein zu und warf es auf die Felle hinter sich. Einen Moment verbarg er den Kopf zwischen den angewinkelten Beinen. Es war ihm zuwider untätig zu sein. Mit jeder Stunde, die er hoffnungslos inmitten der Wüste gefangen war, verlor er wertvolle Zeit.
    Seine Gedanken schweiften, hin zu den Begegnungen mit kleineren Gruppen von Reitern, bevor die Frauen mit Blick auf den aufziehenden Sturm ihr Lager aufgeschlagen hatten. Alle überbrachten dieselbe Botschaft wie schon jene Männer vor ihnen - der König war ein Verräter und der wahre Herrscher würde bald seinen Platz einnehmen. Dann würde die Wüste neuen Glanz erfahren.
    Musafir lachte leise, fuhr durch sein wirres Haar. »Was, sprießen dann plötzlich die Quellen aus dem Boden und der Sand versickert im Nichts? Wird es plötzlich tagelang regnen?«, murmelte er vor sich hin.
    Elin hatte geduldig jene angehört, die ihr und den Frauen mit Respekt begegnet waren, sie aber dankend und ohne weitere Worte wieder auf ihren Weg geschickt. Jene, die Musafir als einziges Sprachrohr nutzten, hatte sie mit Spott und Missachtung gestraft. Einige hatten gegrinst und etwas von Glückspilz gemurmelt, wenn sie vorbeigeritten waren.
    Er grunzte, streckte die Beine aus und strich den Stoff seiner weiten Hose glatt. So hatte er seinen Aufenthalt bei den Wanderinnen nie gesehen. Bereits zu Beginn ihrer gemeinsamen Reise hatte ihm Elin deutlich gemacht, was geschehen würde, wenn er sich einem ihrer Mädchen auch nur annähernd ungebührlich gegenüber verhielt.
    Musafir war nicht willens, eine halbwegs sichere Reise, die Geschichten der Frauen und vor allem seine Würde für eine Nacht neben einem - oder zwei - warmen Körper zu riskieren. Nicht, dass er gern allein schlief, allerdings wollte er die ältere Frau nicht herausfordern.
    Ächzend erhob er sich und streckte die Glieder, verzog das Gesicht, als seine Gelenke knackten. Gähnend rieb er sich über den Nacken, war geneigt, sich bis zum Ende des Sandsturms auf sein Bett zu legen und auf Träume zu hoffen. In letzter Zeit waren sie häufiger geworden und langsam begann er Elins Ansichten zu teilen, dass sie mehr zu bedeuten hatten, mehr waren als pure Fantasien seines Verstandes. Wenn er sich nur an alles erinnern könnte. Einzig diese Frau blieb haften, mit ihrem goldgelben Haar.
    Einen Augenblick stand er mit geschlossenen Lidern da, versuchte sich ihr Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Ungewollt mischten sich andere Sehnsüchte hinein. Musafir schauderte. Räuspernd ordnete er seine Kleider und fühlte sich seltsam ertappt, obwohl er allein war.
    »Irgendwann finde ich dich, versprochen«, murmelte er. Doch ebenso wie er wusste, dass es wohl seine Bestimmung war, auf Ewig nach dieser Frau zu suchen, befürchtete er, dass er in der Wüste nicht fündig wurde. Dennoch trieb es ihn durch die Heimat seiner Vorfahren, rastlos durch das Erbe seiner Familie.
    Mit einem Seufzen legte er sich hin - viel anderes zu tun blieb ihm nicht, wenn er nicht die ganze Zeit seinen umherspringenden Gedanken nachhängen wollte. Er spürte bereits das dumpfe Pochen hinter seiner Stirn.

    Mit Anbruch des neuen Tages legte sich der Wind. Das Lachen einiger Frauen außerhalb seines Zeltes schreckte ihn aus einem unruhigen Schlummer. Ungelenk rutschte er mitsamt einiger Kissen von den Fellen, verheddert in seiner Decke, die er strampelnd von sich zu lösen versuchte. Er schimpfte leise vor sich hin, als jemand den Kopf zu ihm hereinsteckte.
    »Ihr seid wach, wie ich sehe«, bemerkte Elin. Musafir entging ihr amüsierter Tonfall nicht, doch er beschloss, ihn zu übergehen. Endlich frei, richtete er sich mühselig auf und versuchte im Zwielicht des Morgengrauens sein Haar zu bändigen. Die Müdigkeit war nicht so einfach abzuschütteln. Er wandte sich beiseite, als ein herzhaftes Gähnen ihn übermannte.
    Elin lachte leise. Das Lächeln verschwand jedoch rasch aus ihrem Gesicht. »Wir werden länger lagern müssen.« Der jüngere Mann hob den Kopf, musterte sie eine Weile, während sie mit den Schultern zuckte. »Der Sturm hat mehr Sand aufgewirbelt als befürchtet, und obwohl er ihn nicht mehr vor sich herträgt, so ist er noch immer kräftig. Es wäre Wahnsinn, einen besseren Ort zu suchen«, erklärte sie.
    Musafirs anfängliche Freude, dem Sturm entkommen zu sein, sackte schwer wie ein Stein in seine Eingeweide - weitere Stunden der Langeweile würden folgen. Umso leichter wurde ihm, als Elin ihn nach draußen winkte. »Wir können jede Hilfe gebrauchen, auch Eure, Safir.«
    Manche Zelte steckten beinahe bis zur Hälfte im Sand. Schwatzend und ohne Spur von Unbehagen, gruben ein paar Frauen sie teils mit bloßen Händen frei; andere kümmerten sich um die unruhigen Kamele oder klaubten Habseligkeiten zusammen, vorrangig Tücher und Decken, die der Wind versucht hatte mit sich zu nehmen. Am Horizont zeichnete sich das erste helle Orange der Sonne ab. Sie mussten sich beeilen, um noch vor der ersten Wärme des Tages fertigzuwerden.
    Musafir genoss die Böen, die ihnen die Haare um die Ohren wehten. Er war froh darüber, etwas zu tun zu haben, scherzte mit einigen Frauen, während er von Zelt zu Zelt wanderte und ein kaltes Frühstück verteilte - erkaltetes Aschebrot, getrocknete Datteln und Reste von Trockenfleisch. Selbst Elins Stimmung hellte sich auf, als sie mit hochgekrempelten Ärmeln jene Zeltplanen flickte, die im Sturm leicht gerissen waren.
    Stöhnend ließ sich Musafir nach einiger Zeit in den Schatten eines Zeltes sinken, das sie gerade halbwegs freigeschaufelt hatten. Die Sonne löste sich langsam vom Horizont und kündete bereits von einem weiteren heißen Tag. Mit dem Handrücken strich er über seine Stirn und blinzelte auf, als Elin ihm eine Wasserflasche reichte. Dankend nahm er sie entgegen; indes rückte er etwas zur Seite, damit die Wanderin sich neben ihn setzen konnte.
    Einige Zeit saßen sie schweigend, bis Elin begann, ihre geflochtenen Zöpfe zu lösen. »Ihr solltet Alsahar meiden«, bemerkte sie, schimpfte dann leise, als ihre Finger sich in einem Haarknoten verfingen. Musafir schmunzelte ob der derben Flüche.
    Bevor er etwas erwiderte, nahm er einen kräftigen Schluck aus der Flasche. »Wegen der Unruhe?«
    »Auch.«
    Der jüngere Mann wölbte die Brauen, doch Elin wirkte nicht, als wolle sie ihre Worte weiter erläutern. Also nahm er es für den Moment hin. Sein Drang, in die Oasenstadt zu reisen, war ohnehin gering. Es hatte nur zum Teil mit den Nachrichten der Reiter zu tun. Der König der Wüste könnte ihn nicht weniger kümmern. Die kleine Randprovinz nah der Steppen, aus der er stammte, war seit vielen Jahren unabhängig, betrieb eigenen Handel mit den Nomaden der Grenzgebiete und den fahrenden Kaufleuten, die von überall her kamen.
    »Was haltet Ihr davon, mir heute Abend am Feuer mehr über Euch zu erzählen?«, riss Elin ihn aus seinen neuerlichen Gedanken.
    Sie von der Seite musternd, zuckte Musafir die Schultern. »Wenn ich im Gegenzug etwas von Eurem Schicksal erfahre ...«
    Elin lachte leise, flocht ihr Haar nun zu einem dichten Zopf. »Einverstanden. Aber nun zurück an die Arbeit.« Mit Blick auf den Stand der Sonne, erhob sie sich ächzend und stapfte zurück zu den anderen Frauen. Musafir sah ihr nachdenklich nach, schüttelte dann seufzend den Kopf, bevor er sich aufrichtete und den Sand von seiner Kleidung klopfte.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (25. Juli 2016 um 15:17)

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe auch den anderen Teil nochmal gelesen und mit den kleinen Verbesserungen passt es nun besser :thumbsup:
    Musafir hat auch schon von den Unruhen erfahren? Also liegt es schon etwas zurück. :hmm:
    Elin scheint eine interessante alte Frau zu sein. Und ich frage mich, was sie und Musafir noch für eine Rolle spielen werden. ^^
    Dann hoffe ich mal, dass Kadir und Kasim gut entkommen konnten und sie mit der einen Wasserflasche auskommen ;(

    LG, Kyelia

  • Musafir entging ihr amüsierter Tonfall nicht, doch er beschloss, es zu übergehen.

    bezieht sich auf den Tonfall - der Tonfall - ihn

    Ein ruhigerer Teil, wobei ich glaube, dass die Langeweile bald Geschichte sein wird, da sie ja zuuufällig in der Nähe der Stadt lagern :thumbup: .
    Ich denke, Kadir wird einiges zu verarbeiten haben und bin gespannt, wie er mit den jüngsten Ereignissen umgehen wird.

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

  • Nein, ich sollte natürlich nicht längst im Bett liegen und selig schlafen ...


    ~.~.~


    Während die Sonne höher stieg, verbesserte sich die Stimmung im Lager. Einige unter ihnen stimmten eine leise Melodie an, die Musafir schmunzeln ließ, denn selbst Elin fiel mit ein und ihr Gesicht erhielt einen verzückten Ausdruck. Selbst die Kamele im Schatten meldeten sich mit ihrem kehligen, tiefen Röhren.
    Der Klang der hellen Stimmen schlich sich tief in Musafirs Herz, suchte dort einen Anker. Das Lied verfolgte ihn hinein in sein Zelt, als sie alle vor der Mittagshitze flohen. Summend legte er sich mit einem Buch in den Händen auf sein Bett, doch bald schon fielen ihm die Lider zu. Als ihm der Band zum wiederholten Male aus den Fingern glitt und direkt auf seinem Gesicht landete, warf er ihn grummelnd neben sich auf die Felle. Seufzend drehte er sich auf die Seite, bemerkte kaum, wie er in den Schlaf glitt.

    Sein Traum war wirr. Er konnte kaum etwas sehen; Sand wirbelte in seine gereizten Augen und Wind peitschte ihm ins Gesicht. Die trockene, staubige Luft raubte ihm beinahe den Atem. Seine Zunge klebte am Gaumen, allerdings verspürte er keinen Durst. Er schien auch nicht zu schwitzen; die Kleidung an seinem Leib war trocken, ebenso wie Stirn und Hände.
    Immer weiter wanderte er durch den Sand, in den er bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln einsank. Strauchelnd kämpfte er mit dem Gleichgewicht, wollte innehalten, um zu ruhen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Von fern hörte er ein sanftes Klirren. Ein lieblicher Klang, ein Klingeln wie von einem Windspiel, das ein Luftstoß in Bewegung versetzte. Musafir verlor sich darin, stapfte voran und schien dem Geräusch doch nicht näher zu kommen. Vielmehr entfernte es sich. Er streckte die Hand aus, war es doch sein einziger Anhaltspunkt, wohin er gehen musste. Mit geschlossenen Augen folgte er den schwindenden Tönen, jagte ihnen hinterher, indes seine Beine schwerer wurden, sein Kopf gefährlich leicht.

    Mit einem tiefen Einatmen erwachte er. Einige Augenblicke fiel es ihm schwer, zu sagen, wo er war. Er blinzelte zur halbrunden Zeltplane auf, die in einer leichten Windböe vibrierte. Es war dunkel geworden und von draußen drangen die leisen Unterhaltungen einiger Frauen herein.
    Musafir blieb liegen, versuchte sein pochendes Herz zu beruhigen. Langsam rappelte er sich auf und streifte seine verschwitzte Robe über den Kopf. Sein Haar klebte an seiner Haut; er schob es sich vor die Schulter, um etwas Erleichterung zu erfahren.
    Er konnte nicht sagen, wie lange er noch halbnackt in seinem Zelt saß und auf die Teppiche zu seinen Füßen starrte, bis die hellen Farben vor seinen Augen verschwammen, die verspielten Muster sich zu einem einzigen Strudel verbanden. Seufzend schüttelte er den Kopf, kramte in seinem Bündel nach einem frischen, langärmligen Hemd und zog es sich über, bevor er hinausschlich.
    Die Sonne war beinahe am Horizont verschwunden und nur noch ein Streifen tiefes Rot zeugte von ihrer Existenz. Das dunkle Violett der Nacht wurde von unzähligen Sternen und einem sichelförmigen Mond durchbrochen.
    In der Mitte des Lagers hatten die Frauen eine Grube im Sand ausgehoben und ein Lagerfeuer errichtet. An mehreren Stellen steckten am Rand kleine Töpfe auf ihren dreibeinigen Gestellen. Die Flammen züngelten knisternd an ihnen vorbei. Der Geruch nach Kichererbsen, Hirse und gesüßter, erwärmter Ziegenmilch stieg ihm in die Nase. Sein Magen knurrte, als er auf Platten aufgehäufte Trockenfrüchte und Nüsse erblickte.
    Elin rieb mit zwei weiteren Frauen die letzten Reste des Ziegenfleisches mit Salz ein und sah auf, als Musafir sich zögernd zu ihnen gesellte.
    »Ich dachte schon, Ihr kommt gar nicht mehr heraus«, sagte die ältere Frau und wischte sich die Nase an ihrem Ärmel ab.
    Musafir zuckte mit den Schultern, als er sich neben sie auf die bunte Decke hockte. Dankend nahm er von dem dunkelhaarigen Mädchen neben sich einen Becher an und schloss die Augen, als er den herben, leicht salzigen Geschmack von Kamelmilch aufnahm.
    »Ihr solltet morgen mit einigen der Mädchen zur nächsten Oase. Wir lassen die Kamele frei laufen, sie sollte nicht weit von hier sein«, bemerkte Elin und streckte ächzend die zuvor angewinkelten Beine von sich.
    Sichtlich erfreut über die Abwechslung und die Aussicht auf weitere Gespräche, hellte sich Musafirs Miene auf. Er griff nach einer Handvoll Nüssen und Früchten. Kauend beobachtete er das Werkeln der anderen, bis Elin schließlich ihre Hände an ihrer Robe sauber rieb. Sie suchte in den Falten ihrer Kleidung nach etwas und klaubte schließlich ihre längliche Pfeife heraus.
    »Was wisst Ihr über die alten Götter?«, fragte Elin unvermittelt, während sie die rundliche Kammer mit etwas aus einem dunklen Stoffbeutel an ihrem Gürtel stopfte. Sie blickte nicht zu ihm auf, als er unruhig hin und her rutschte.
    Schlussendlich zuckte er seufzend die Schultern. »Das, was jeder in der Wüste über sie weiß.« Er zeichnete kleine Kreise in den Sand. »Zudem wandeln sie nicht mehr.«
    Musafir warf einen flüchtigen Blick in den dunklen Nachthimmel und genoss die frische Brise, die ihm eine Gänsehaut bescherte. »Sie haben ihr Heil im Himmelszelt gesucht, als die Menschen begannen, ihr eigenes in sich selbst zu suchen.«
    Elin kicherte neben ihm. »Das ist nicht ganz das, worauf ich es abgesehen habe.« Schwach schüttelte sie den Kopf und ließ sich die Pfeife von einem der Mädchen am Feuer entzünden. Zufrieden paffte sie einen Moment, dann stieß sie den Rauch aus. »Es gibt genug Menschen, die an sie glauben. In diesen Zeiten mehr denn je. Sie mögen nicht mehr wandeln, doch sie sind noch immer existent.«
    Der jüngere Mann musterte sie eingehend. »So wie ihr«, er deutete im Lager umher, »an das Schicksal glaubt.«
    Elins Mundwinkel kräuselten sich. »Der Glaube an Ismet ist alt. Das Geschöpf selbst ist älter als das Leben und der Tod. Das Schicksal wob die Fäden, verband ihre Stränge, lange bevor Sakan sich entschloss, Abbilder seiner Selbst zu schaffen, und sein Bruder Almaw es für wichtig erachtete, ein Gleichgewicht zu halten.«
    Musafir runzelte die Stirn. »So wie Tag und Nacht, Sonne und Mond ebenfalls ein Gleichgewicht innehalten.« Er blinzelte zur blassen Sichel hinauf.
    »In der Tat«, bemerkte Elin um das Mundstück ihrer Pfeife herum, bevor sie erneut feine Wölkchen ausblies.
    »Und wie passt dann Euer Schicksal in dieses allumfassende Gleichgewicht?«
    »Das Schicksal ist das Gleichgewicht.«
    Musafir hob die Brauen. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, streckte Elin ihm den Stiel ihrer Pfeife entgegen.
    »Ismet sorgt dafür, dass das Schicksal eines jeden ausgeglichen ist, auch und vor allem untereinander. Selten lässt sich Ismet erweichen und ändert vorgegebene Pfade. Ab und an wirkt es willkürlich, beinahe boshaft. Doch ... Alles, was geschieht, hat seine Bestimmung.«
    »Auch meine Reise mit Euch?«
    Sein Gegenüber lächelte. »Auch das. Euer Weg führt Euch quer durch die Wüste, wie ein rastloses Tier, doch Euch treibt ein anderer Durst, ein anderes Verlangen.«
    Musafir dachte eine Weile über die Worte nach. »Es wäre schön, wenn ich genau wüsste, wonach ich suche«, murmelte er schließlich.
    »Nach der Frau aus Euren Träumen?«, schlug Elin schmunzelnd vor.
    »Sie wird mir kaum hier in die Arme laufen«, seufzte er und schob die Hände unter die Achseln, als der Wind merklich auffrischte.
    »Sagt das nicht. Wer weiß, was Ismet für Euch vorgesehen hat.«
    Leise lachend zog Musafir den Kopf etwas ein. »Es ist immer noch schwer vorstellbar, dass Euer Ismet, Euer Schicksal für so viele Leben so viele Fäden gesponnen hat. Und es noch immer tut, wenn ich Euch richtig verstehe.«
    Elin schwieg und zog neuerlich an ihrer Pfeife. »Wusstet Ihr, dass die Nomaden, vor allem jene der grünen Steppen, der Ansicht sind, dass die Götter ihr Heil zwar außerhalb menschlicher Reichweite suchten, jedoch Fragmente ihrer Selbst zurückließen?«, bemerkte sie nach einer Weile leise und starrte in die niedrigen Flammen des Feuers. Die Mädchen hatten sich derweil rund um sie herum versammelt, lauschten entweder ihrem Gespräch oder der leisen Musik, die der Wind mit den Dünen anstimmte - pfeifend und hell.
    »Ein wenig ist mir darüber untergekommen, doch es ist schwer sich vorzustellen.« Er dachte einen Moment darüber nach, was das bedeuten könnte, als Elin bereits weitersprach.
    »Eines Tages, als die Götter ihr neues Heim ersuchten, so sagen die Steppenreiter, fielen die Sterne vom Himmel. Goldene Funken und Regen aus leuchtendem Staub. Viele Herzen wurden von Trauer, jedoch auch von Hoffnung erfüllt. Man glaubte sich verlassen, bis die ersten blinden Kinder geboren wurden. Sie wurden gepriesen, waren beinahe heilig und galten als besonders mit den Himmelswesen verbunden.«
    »Blinde Kinder?« Musafir schnaubte leise. »Galt es womöglich als Segen, das Übel der Welt nicht zu erkennen?«
    »Oh, Safir«, schalt Elin und stupste mit ihrer Pfeife gegen seine Brust. »Euer Denken hat wieder einmal die falsche Abzweigung genommen. Sie mochten blind gewesen sein, das hieß jedoch nicht, dass sie nichts erblickten. Träume waren für sie besonders intensiv. Am nächsten Tag beschrieben sie Dinge fernab der Vorstellungskraft und die sie aus ihrer alltäglichen, realen Welt nicht kennen konnten.«
    »Ihr meint, diese Kinder hatten die Gabe zu sehen?«, unterbrach Musafir Elin, die ihn nun eingehend von der Seite musterte.
    »Die Steppenreiter behaupten seit jeher, dass unter ihnen die ersten Seher waren«, fuhr die ältere Frau fort. »Bei den einen Kindern war es ausgeprägter als bei anderen.«
    »Aber Seher sind nicht blind«, wandte Musafir zweifelnd ein und kräuselte die Nase.
    Elin lachte leise und klopfte ihre Pfeife im Sand aus. »Mit der Zeit hat sich die Gabe gewandelt. Ein Merkmal zieht sich jedoch durch alle Beschreibungen und wenn Ihr einmal einem wahren Seher begegnen solltet - kein Halsabschneider, der sich als solcher schimpft - dann seht Euch die Augen genau an. Sie sind hell und grau, manchmal wirken sie silbrig und es wurde sogar von Kindern berichtet, in denen sich goldene Funken fanden, kleinen Sternen gleich. Diese Kinder galten als besonders verbunden.«
    Die Wanderin seufzte. »Doch diese Gabe verlangte einen hohen Preis, heißt es. Ein Teil der Kinder erlebte nur wenige Sommer. Viele erreichten kaum das Mannesalter und starben meist jung. Einige erkrankten, andere stürzten sich wiederum in den eigenen Tod. Die meisten verloren den Verstand, sofern sie je einen besessen hatten. Wahn und Sehen geht auch heute oft Hand in Hand. Nicht zwangsweise, wohlgemerkt. Einzig in den kurzen Stunden nach ihren Träumen sollen sie klar gesprochen haben.«
    Elins Blick glitt über das Feuer hinweg in die Ferne. »Manchmal war es nicht ihr Schicksal selbst, dass sie vor ihrer Zeit abholte. Mit der Zeit erschreckte der Wahn. Es war nicht leicht mit ihnen. Und die Nomaden waren auch damals nicht zimperlich. Ein blinder Nachkomme, so heilig er auch sein mochte, war ein Hindernis. Noch mehr, wenn er die meiste Zeit apathisch vor sich hinstarrte.«
    »Die eigenen Eltern haben ihre Kinder ...« Musafir getraute sich nicht, den Satz zu vollenden und schluckte die Worte herunter.
    Die Wanderin nickte. »Sie wurden erstickt. Man erachtete es als gnädig.«
    Der jüngere Mann erschauderte und rieb sich die Oberarme. Mit einem Mal war es bitter kalt um ihn herum geworden.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (25. Juli 2016 um 17:58)

    • Offizieller Beitrag

    Das Gespräch der beiden ist auf jeden Fall leseswert. Interessant und vor allem macht es neugierig, was das alles mit der Geschichte zu tun hat. Ob Elin das alles zu Musafir sagt, weil sie glaubt, er wäre ein Seher? :hmm: Warum sonst, hätte sie von den blinden Kindern anfangen sollen? :huh:
    Sehr schön geschrieben wie immer und ich frage mich, was Musafirs Traum zu bedeuten hat. Das uminöse Klingeln ist ja schon seltsam. :hmm:

    LG,Kyelia

  • Elins Wissen um die alten Sagen und die Pfeife macht sie zu einer Art weiblichen Gandalf 8o . Sehr gelungen ^^ . Endlich spielt diesen Part mal eine Frau :thumbsup: .
    Wieder ein interessanter Teil (und ich glaube immer noch, dass Kadirs Truppe bei Elin einlaufen wird) :thumbsup: .

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

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    Okay, vielleicht sollte ich nicht so rasch hintereinander, aber meh.

    »Dann sind da die Sternenkinder«, fuhr Elin unbeirrt fort. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit erneut gen Himmel, verlor sich im Anblick der unzähligen, funkelnden Punkte.
    »Sternenkinder?«, fragte Musafir irritiert und versuchte auf dem weichen Untergrund eine bessere Sitzposition zu finden. Schlussendlich zog er die Beine zu einem Schneidersitz heran.
    »Jene, die tot geboren wurden. Einige Wanderer erzählen, dass manchmal, wenn die Götter besonders gnädig schienen, sie einem dieser Säuglinge Leben einhauchten und somit einen Atem gaben, den sie zuvor nicht besaßen.«
    Musafir hing an den Lippen der älteren Frau und bemerkte, das er nicht der Einzige war. Obwohl er meinte, dass die Frauen Elins Geschichten bereits unzählige Male gehört haben mussten, war das stete Flüstern und Raunen um das Feuer verstummt.
    »Ein weiterer Segen«, raunte er, doch Elin schüttelte leicht den Kopf.
    »Diese Kinder sind rastlos. Die Güte der Götter verlangte einen Preis, fernab ihrer Sehnsucht und dem Drang, zu wandeln wie einst die Himmelswesen selbst«, erklärte sie weiter.
    »Hört sich für mich nicht nach Güte an, sobald ein Preis zu zahlen ist«, brummte Musafir und erntete einen undurchdringlichen Seitenblick dafür.
    »Ihr versucht das Handeln der Götter mit menschlichem Verstand zu ergründen, Safir. Wir mögen ein Abbild Sakans sein, doch am Ende des Tages sind wir lediglich sterbliche Seelen.«
    Der jüngere Mann schwieg, ließ ihre Worte sinken. »Und was verlangte man von ihnen?«, fragte er schließlich und nippte an seinem Becher.
    »Es war eher die Mutter, die den Preis dafür zahlte. Ihr Kind gehörte fortan nicht mehr ihr, sondern Sakan, seinem Bruder oder in seltenen Fällen einer anderen Gottheit. Manche sagen, dass es der Wunsch der Götter sei, dadurch erneut ein Teil dieser Welt zu werden.«
    Musafir hielt inne, bis ihm einfiel, dass es besser wäre, die Milch herunterzuschlucken. »Wieso sollten sie ihr Heil erst woanders suchen, um dann zurückzukehren?«
    »Es soll nicht ganz freiwillig geschehen sein«, sagte Elin seufzend und rieb die Hände aneinander. »Es ist nicht überliefert, was sie dazu brachte, zu gehen, doch einige Menschen sind sich sicher, dass sie nur auf die Zeit warten, wieder zu wandeln. Manch einer scheint sich diesen Wunsch zu sehr zu Herzen zu nehmen.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Manche Nomadenpriester behaupten, Sternenstaub eingefangen zu haben. Seelenstücke, eingesperrt in kleine Schmuckstücke.«
    Nachdenklich schüttelte Musafir den Kopf. »Was hat das mit den Kindern zu tun?«
    Ein schwaches Lächeln huschte über Elins Lippen, doch es erreichte ihre Augen nicht. »Bruchstücke der Götter sollen auch in ihnen hausen.« Sie zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich wollen oder sollen sie sich in ihnen manifestieren, aber bisher ist es ihnen nie wirklich gelungen.«
    »Wie könnt Ihr Euch da sicher sein?«
    »Oh, ich bin es nicht, doch wenn die Götter in fester Gestalt wieder unter uns umherspazieren würden, meint Ihr nicht auch, dass man bereits davon gehört hätte?«
    »Vielleicht sind sie bescheiden?«, schlug Musafir vor und erkannte selbst, wie einfältig das klang. Übernatürliche Wesen, die für ihre Güte etwas verlangten, waren selten zurückhaltend. Andererseits ließ ihn der Gedanke nicht los.
    Schweigen legte sich über sie, bis die Wanderin schwer die Luft ausstieß. »Seher und Sternenkinder sind selten geworden dieser Tage. Es scheint fast, als schwinde die Kraft der Götter. Dennoch hört man immer wieder von Menschen, die behaupten, von etwas beobachtet zu werden. Besonders Kinder tun dies. Es lauert in Spiegeln, in Fensterscheiben, Schatten, im Staub, Wasser oder einer Windböe.«
    Musafir schauderte. »Geister?«
    Elin versetzte ihm einen Stoß mit der Pfeife. »Ihr hört zu und doch wieder nicht.« Sie nahm ihren eigenen Becher auf und trank einen großen Schluck, bevor sie weitersprach. »Nicht jeder sieht etwas. Manch einer riecht es, ein anderer hört.«
    Auf seiner Unterlippe nagend, versuchte er ihren Worten zu folgen. »Die Fragmente, welche die Himmelswesen von sich zurückließen? Durch die vom Himmel gefallenen Sterne?«
    Die Wanderin nickte nur und sah ins Innere ihres Bechers. Dann schüttete sie den Rest Milch ins Feuer und Musafir sprang halb auf, als die Flammen in ihre Richtung züngelten.
    »Erzählt mit mehr von Euren Träumen, Safir.«
    Mit schneller schlagendem Herzen setzte er sich wieder, rückte jedoch etwas von Elin fort, starrte zu ihr. Der plötzliche Themenwechsel missfiel ihm, doch er wusste es besser, als seinen Unmut zu äußern. Es würde nichts ändern und sie würde ihm auf keine seiner Fragen eine genaue Antwort geben. Zu oft hatten sie dieses Spiel bereits gespielt.
    Also fügte er sich. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ihr wisst alles.«
    »Schildert sie erneut, so gut ihr könnt.«
    Musafir runzelte die Stirn. Stockend berichtete er ihr von seinem letzten Traum - zumindest das, woran er sich erinnern konnte. Elin hörte ihm aufmerksam zu, die Lider gesenkt, und nickte gelegentlich.
    »Ihr sucht etwas, das Ihr nicht findet«, stellte sie schließlich leise fest.
    Er schluckte die Worte zurück, die er beinahe pampig erwidert hätte. Sie sagte ihm nichts, das er nicht schon ansatzweise geahnt hätte. Er wusste nicht, warum ihre Worte ihn so enttäuschten. Wahrscheinlich hatte er auf eine andere Erklärung gehofft.
    »Was ist mit dieser Frau? Ihr sagtet, Ihr hättet ein genaues Bild vor Augen, an das Ihr Euch stets entsinnt. Würdet Ihr es mir noch einmal zeigen?« Sie musterte ihn nun eingehend.
    Ein Großteil der Frauen hatte sich wieder den eigenen Gesprächen zugewandt, als Elin aufgehört hatte, Geschichten aufzuzählen. Musafir verlor sich einen Moment in ihrem Raunen, bevor er sich seufzend erhob und der Wanderin winkte, ihm in sein Zelt zu folgen.
    »Ich verstehe nicht, was Euch das Bild anderes sagen sollte als mir«, murmelte er und reichte der Wanderin eines der dünnen Büchlein, aufgeschlagen bei einem der Portraits, die er von dieser rätselhaften Frau angefertigt hatte. Eine Weile musterte Elin das Abbild schweigend, dann reichte sie es ihm wortlos zurück. »Und?«, fragte er und spürte ein altbekanntes Kribbeln in den Fingern.
    Sein Gegenüber betrachtete ihn eingehend, schien in seinen Augen etwas zu suchen, das sie jedoch nicht zu finden schien. »Ihr seid ein rastloser Sucher, Safir. Und ein Günstling des Schicksals. Geht weise damit um.« Damit wandte sie sich zum Gehen, hielt an der Zeltplane jedoch noch einmal inne. »Ihr solltet Euch ausruhen.«
    Ungläubig starrte Musafir zu ihr, bis sie nach draußen verschwunden war. Mit einem Grummeln fuhr er sich durch das Haar, fühlte sich unsagbar müde. Doch an Schlaf wollte er noch nicht denken. Stattdessen hockte er sich an den kleinen Reiseschreibtisch, kramte ein unbeschriebenes Büchlein aus einem Stapel hervor und begann im Schein der Öllampe, die Erzählungen des Abends niederzuschreiben, bemüht, vorerst nicht an die rätselhaften Worte der Frau zu denken.

    Einmal editiert, zuletzt von Kitsune (25. Juli 2016 um 19:58)

  • Zwei sehr gut geschriebene Teile, die mir ausgesprochen gut gefallen. :D Habe nichts dran auszusetzen außer das ich (vielleicht als einzige) momentan noch ein bisschen im dunklen tappe. Ich habe nämlich keinen wirklichen Plan wie die Teile mit Kadir mit denen von Safir zusammenpassen sollen oder wie du sie später einmal zusammenfügen wirst, aber ich denke einfach mal, dass ich mich da überraschen lassen muss wie du das anstellst. :stick:

    xoxo
    Kisa

  • »Manche Nomadenpriester behaupten, Sternenstaub eingefangen zu haben. Seelenstücke, eingesperrt in kleine Schmuckstücke.«

    8o Oder auch Glasphiolen?? :D
    So langsam jedenfalls eröffnen sich mögliche Hintergründe :thumbsup: . Sehr schön gemacht und auch stimmungsvoll erzählt. ^^
    :stick:

    Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.
    Albert Camus (1913-1960), frz. Erzähler u. Dramatiker

    • Offizieller Beitrag

    Als von dem Sternenstaub die Rede war, galt mein erster Gedanke - genau wie der von melli - der Phiole (von Galib). XD Wäre zumindest eine logische Erklärung für die Sache im Palast. Wenn das dann auch ein ziemlich fieser Gott sein muss... :|
    Ich werde das Gefühl nicht los, Elin weiß etwas. Die Reaktion auf das Bild war jedenfalls merkwürdig :hmm: Würde mich fast nicht wundern, wenn sie schon weiß, was er sucht, oder die Frau erkannt hat.
    Nun mal sehen, wie die Stränge zusammenlaufen. ^^

    LG, Kyelia

  • Die Geschichten über die alten Götter gefallen mir so gut^^ Das habe ich schon einmal geschrieben, aber es ist eben immer noch so. Wie spekuliert wird, welche Gründe es geben könnte und so, da steckt viel dahinter (vielleicht auch nicht, aber es liest sich auf jeden Fall so). Zusammenfassend zu den letzten Teilen kann ich sagen, dass mir die Szenen mit Musafir und Co. fast besser gefallen, als der spannende Abschluss mit der Flucht aus dem Palast. Es ist schon ein paar Tage her, aber irgendwie bin ich nicht ganz damit warm geworden xD
    Egal, die Hintergründe, die langsam zum Vorschein kommen, sind so interessant, dass ich auf das bisschen "Unzufriedenheit", wenn man es überhaupt so nennen kann, gar nicht weiter eingehen will. Also nur weiter so!

    Zitat von Kitsune

    Okay, vielleicht sollte ich nicht so rasch hintereinander, aber meh.

    Warum nicht, nur zu^^ Was geschrieben ist, kann auch gepostet werden.

    "Sehe ich aus wie einer, der Geld für einen Blumentopf ausgibt, in den schon die Pharaonen gepisst haben?"