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So, mal wieder etwas von meiner Seite. Diese Geschichte hatte ich anlässlich des Geschichtenwettbewerbs mit gleich lautendem Thema angefangen, dann aber wegen mangelnder Zeit und allgemeiner Schreibunlust nicht fortgeführt gehabt. Heute bin ich dann endlich dazu gekommen sie zu beenden. Ja mir ist bewusst, dass das ein sehr offenes Ende ist, aber zum einen möchte ich gerne jedem selbst überlassen wie das Ganze ausgeht (auch wenn ich einen bestimmten Ausgang im Kopf habe), zum anderen wollte ich es nicht zu sehr in die Länge ziehen, da sonst die Gefahr bestanden hätte, dass mich die Lust wieder verlässt. Wie auch immer, ich hoffe es gefällt.
Langsam verging die Sonne am Horizont und tränkte mit den letzten Strahlen dieses Tages die weiße Ebene mit blutrotem Licht. Leichter Schneefall hatte eingesetzt und trieb die meisten Lebewesen dazu, die Wärme ihres Unterschlupfes der eisigen Weite vorzuziehen. Lediglich ein junger Fuchs strich auf der Suche nach Nahrung zwischen den wenigen aus dem Schnee ragenden Grashalmen umher. In dem frisch gefallenen Weiß blieben die Spuren der kleinen Tatzen als gut sichtbare Spur zurück.
Bedächtig fuhr sich Vyraon mit der Zunge über die spitzen Zähne während er den umherstreifenden Fuchs aus dem Schatten der kahlen Bäume, die sich am Rande der verschneiten Ebene drängten, heraus betrachtete. Die langgliedrigen Finger des Alben schlossen sich fester um das Eibenholz seines Bogens. Ein einfacher Schuss, schlicht und schnell, war alles, dessen es bedurfte. Gleichgültig wandte der Alb die geschlitzten Pupillen von dem ahnungslosen Geschöpf. Ein Abschuss ohne Jagd war bedeutungslos. Die Eleganz der Pirsch war alles was zählte. Ein Wettkampf der Geschicklichkeit, ein lebensgefährlicher Tanz zweier Gegenspieler, gekrönt von einem letzten ekstatischen Kuss im Ringen zwischen Leben und Tod. Heute war er auf der Jagd nach größerer Beute; und nach fähigerer.
Zwei Jahre lang hatte Vyraon seine Beute auf diesen ihren großen Tag vorbereitet. Hatte sich des Nächtens in ihr Haus und ihre Träume geschlichen, sie mit dunklen Visionen geplagt und in die Wildnis getrieben. Der Alb verzog die schmalen Lippen zu einem seligen Lächeln. Die Wildnis hatte seine Beute hart und vorsichtig gemacht. Es würde eine schwierige Jagd werden, eine gute Jagd.
Vyraon hob den Kopf und witterte. Ja, seine Beute war vor nicht allzu langer Zeit hier gewesen. Der Wind trug noch immer die Erinnerung an sie mit sich. Mit langen geschmeidigen Bewegungen trat der Alb aus dem Schatten der Bäume hinein in das Licht der untergehenden Sonne. Sollte sie nur laufen, seine Beute. Sollte sie nur um sich schlagen und sich wehren. Das war es, was er brauchte um sich lebendig zu fühlen. Schnell aber ohne Hast durchquerte Vyraon die verschneite Ebene und betrat den Wald, dessen Rand sich auf der anderen Seite eröffnete. Der kalte Biss des Winters hatte den Bäumen ihre Blätter und ihre Farben geraubt, und dennoch standen sie hier, stemmten sich trotzig gegen Wind und Wetter. Oh diese Bäume wären gute Gegner, wären sie nur etwas beweglicher, doch so würden sie diese Jagd als stumme Beobachter bezeugen, ganz so wie sie es taten seit sich ihre jungen grünen Sprosse aus dem Erdreich erhoben hatten.
Leif Ulfson blickte sich gehetzt um. Er wusste, was in den Schatten lauerte. Er hatte die Wahrheit in seinen Träumen gesehen.
Sollten sie ihn doch auslachen diese Narren in ihren Hütten und an ihren warmen Feuern.
Sie würden ihnen keinen Schutz bieten.
Nein, er alleine hatte die Wahrheit erkannt, wusste um die unmenschlichen Jäger.
Märchen hatten sie es genannt, hatten gesagt er trinke zu viel. Sie hatten ihn geschlagen und eingesperrt, aber er würde überleben.
Sollten sie doch alle verrecken in ihrer Blindheit.
Leifs verfilzter Bart verfing sich in einem Ast. Einige Strähnen wurden ausgerissen. Der Mann schenkte dem Schmerz keine Beachtung, sondern packte die hängengebliebenen Bartsträhnen.
Bloß keine Spuren hinterlassen.
Der Schattenjäger würde kommen.
Heute, morgen, in drei Jahren, völlig egal, er würde kommen.
Und er, Leif Ulfson, würde sich wehren. Er würde sich nicht abschlachten lassen wie ein ahnungsloses Ferkel, das an der Zitze seiner Mutter nuckelte.
Ein blasser Vollmond hatte den Himmel erklommen. Leichtfüßig durchquerte Vyraon das inzwischen dichte Unterholz während er in der Ferne das durchdringende Heulen eines Wolfrudels vernahm. Wie immer überfiel den Alben ein kurzer Stich des Bedauerns, während er dem Geräusch lauschte. Auch er hatte einst Gefährten gehabt. Treue Jagdgefährten und Freunde. Nun waren sie alle fort. Er alleine hatte die Äonen in dieser Welt überdauert. Einer nach dem anderen waren seine Begleiter gefallen, bis ihm schließlich nur noch die Einsamkeit Gesellschaft leistete. Und die Erinnerungen an unzählige glorreiche Jagdzüge. Seinen Gefährten zu Ehren würde er heute Nacht über seine Beute triumphieren. Vyraons Blick blieb an einem kahlen Baum hängen. Doch es war nicht das Holz, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern ein einzelnes Barthaar, das an einem der Äste im Wind wehte. Diese Spur als Einverständnis des Schicksals zu seinem Vorhaben deutend, nahm der Alb das Haar vorsichtig ab. Bedächtig sog er die Luft ein und witterte nach seiner Beute, die nur wenig Vorsprung haben konnte. Mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen schritt der Alb voran, das vertraute Gewicht des Bogens fest in der Hand.