Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 1.330 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (28. November 2022 um 11:28) ist von Nanook.

  • Vorwort

    Einen magischen Abend, wünsche ich euch. Der NaNoWriMo steht mehr oder weniger vor der Tür ( ... ich könnte schwören, der war doch erst ...) und ich stecke inzwischen all meine Freizeit in mein Großprojekt. Ernsthaft, Leute. Ich benutze sogar einen Kalender und bestech mich mit Sticker selbst. Zu meiner Verteidigung: Es sind Dino- und Kraken-Sticker, okay?

    (Mein Gehirn: Wow, zwei Stunden geschrieben? Hier, hast dir einen Sticker verdient! Was, du hast gegen den Drang angekämpft, der Gottheit der Prokrastination zu huldigen? STICKER TIME!)

    Mir liegt dieses Projekt am Herzen, daher bitte ich um ehrliche und auch sehr gern harte Kritik. Mein ganzer Kopf ist voll mit dieser Geschichte und ich ahne, bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich den Punkt erreicht habe, wo man für sein Werk komplett blind ist. Daher bin ich um jeden Hinweis, jeden Eindruck und Verbesserungsvorschlag sehr dankbar.

    Danke für eure Zeit und Hilfe,

    Octo

    Klappentext

    Romek und Os Ostrowski leben seit knapp drei Jahren bei ihrem Großvater, der hässliche Lampen sammelt und skurrile Geschichten über Welten unter dem Fußboden erzählt, wo all die vergessenen und verlorenen Dinge landen. Münzen, Murmeln und Menschen. Eines Abends müssen die Brüder feststellen, dass die Märchen des alten Spinners mehr sind als nur Unfug. Sie sind Warnungen vor einem Ort, wo man einmal verloren gegangen so schnell nicht wieder zurückfindet ...


    Vorspiel

    - Ein Junge und eine Kakerlake -

    Die Kakerlake war pünktlich. Überpünktlich sogar, wenn man es mit der Zeit genau nahm und der Junge nahm es außerordentlich genau. Er achtete stets auf die Minuten und Sekunden, auf den großen und den kleinen Zeiger. In der Nacht wurde die Einsamkeit messbar und Ungeziefer zu einem willkommenen Gast.

    »Guten Abend, Fräulein Kakerlake.«

    Die Schabe, welche höflich auf diese Begrüßung gewartet hatte, huschte über den alten Holzboden und verharrte vor dem Bettgestell, die Fühler zum Gegengruß erhoben.

    »Ich bin soweit.« Der Junge klopfte sich fest auf die Brust. »Wir können direkt aufbrechen.«

    Die Kakerlake dachte nach, endlos erscheinende Sekunden lang, ehe sich ihre Fühler bewegten; ihre Art der Kommunikation. Der Junge, welcher ein selbst ernannter Experte in Sachen Unterhaltungen mit Ungeziefer war, hatte jedes Fühlerzucken verstanden. Er wuchtete sich ächzend vom Bett hoch.

    »Ich will aber nicht mehr warten. Ich bin so weit, Hand auf’s Herz.«

    Der nächtliche Besucher bewegte erneut die Fühler. Die lautlose Antwort gefiel dem Jungen nicht, ganz und gar nicht. Geduld war nicht gerade seine Stärke, noch nie gewesen und würde sie auch nie sein. Er machte Anstalten aufzustehen, verhedderte sich jedoch mit seinen Beinen in der Bettdecke und fiel der Länge nach hin. Die Kakerlake tanzte vergnügt, ihre Fühler zuckten begeistert. Sie machte sich über den Jungen lustig, doch ihr Amüsement über die gelungene Schaueinlage fand ein jähes Ende, als ein lautes Knacken erklang.

    Geräusche jenseits der Tür.

    Der Junge setzte sich hektisch auf, wobei sich seine Glieder und Gelenke auf mysteriöse Weise zu vermehren schienen. Tausende Ellbogen und Knie waren sich spektakulär selbst im Weg. Die Bettdecke mischte eifrig mit, plötzlich hundert Meter lang und breit. Schließlich fand der Junge einen Ausweg aus all den Ecken und Winkeln seines eigenen Körpers und dem endlosen Stoff.

    »Nimm mich mit, Fräulein Kakerlake.« Sein Blick zuckte zu der geschlossenen Tür, hinter der Dinge lauerten, die niemals und drei Tage hereinkommen durften. »Bitte.«

    Aufgeblähte Holzdielen knackten und jammerten, ächzten und schrien, als die Schritte immer näher kamen. Es waren Schritte, die zu Füßen gehörten. Füße, die zu einem Ungeheuer gehörten. Ein Ungeheuer, das einen äußerst leichten Schlaf hatte.

    »Bittebittebitte–«

    Die Atmung des Jungen rasselte feucht. Er hatte seinen Stolz, sogar jede Menge davon und laut seiner Mutter sogar viel zu viel, aber hier und jetzt bettelte er und flehte. In Nächten wie diesen war sich der Junge nicht sicher, ob es wirklich die Luft war, die ihn krank machte, oder die Angst.

    Die Kakerlake zögerte, überlegte. Dreimalverflucht, was gab es da noch nachzudenken? Hörte sie nicht das Schreien vom Holzboden? Das Ungeheuer war fast da, fast bei der Tür und dem Jungen lief die Zeit davon. Die Zeit war ein mieser Feigling, ganz egal, wie sorgsam man sie auch im Auge behielt. Schlussendlich gab sie immer dann Fersengeld, wenn man sie dringend brauchte. Die Holzdielen jenseits der Tür brüllten nun so ohrenbetäubend laut, dass selbst das Ticken und Tacken der Standuhr darin unterging. Die Fühler der Kakerlake zuckten und tanzten wild, dann setzte sie sich endlich in Bewegung. Das Ungeziefer verschwand in einem Riss zwischen zwei von der Feuchtigkeit aufgeblähten Holzdielen.

    Der Junge ließ sich nicht zweimal bitten. Er schlang die Bettdecke um sich, als wäre sie ein hässlicher Mantel und sah sich rasch ein letztes Mal in seiner Festung um. Er würde das bunte Fenster und die dort in Glas verewigte Szene vermissen. Ein geflügelter Mann, der entweder in die Freiheit flog, oder aber dabei war jeden Moment abzustürzen und sich den Hals zu brechen. Flug oder Sturz? Auch nach all den Jahren, in denen der Junge in der Nacht wachgelegen und das bunte Glas angestarrt hatte, wusste er es nicht. Was er jedoch wusste, war, dass irgendwann, und zwar irgendwann sehr bald, das Moor auch dieses Kämmerchen verschlingen würde.

    Es fressen, wie all die anderen Räume.

    Die Tür erzitterte in ihren Angeln und der Junge stolperte zu dem Riss, in dem das Fräulein Kakerlake verschwunden war. Er griff erst zögerlich mit zwei Fingern, einen Herzschlag später mit der ganzen Hand in die Öffnung. Es fühlte sich merkwürdig an. Fremdartig und nackt, wie er so einer unbekannten Tiefe seine Hand darbot. Gänsehaut und das beunruhigende Gefühl, einen furchtbaren Fehler begangen zu haben, breitete sich prickelnd auf der Haut des Jungen aus. Doch dann verschwand das Gefühl des Grauens so jäh, wie es gekommen war. Die Dunkelheit war nicht feucht und kalt, sondern warm und trocken. Ein warmer Wüstenwind schien die Fingerspitzen des Jungen zu kitzeln. Ihn zum Fangenspielen aufzufordern, Barfuß an einer Oase. Der Junge sehnte sich nach Sonne. Wärme. Er wollte leben, ohne Feuchtigkeit in den Wänden und Wasser in seiner Lunge.

    Er wollte leben-leben-leben ...

    Gierig schob der Junge seinen restlichen Arm durch den Riss, der ihm auf phantastische Weise Platz machte.

    Es ging nach unten.

    Ganz.

    Tief.

    Runter.

  • Wow, das ist mal ein sehr seltsames Thema. Aber du fängst es hübsch an und es verspricht einige Überraschungen. Ich bleibe da mal dran.

    Die Zeit war ein mieser Feigling, ganz egal, wie sorgsam man sie auch im Auge behielt.

    Das gefällt mir!

    Sonst habe ich bis jetzt keine Einwendungen. Mal sehen, was sich daraus entwickelt!

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Octopoda

    Ich muss zugeben, dass es schon ein seltsamer Text ist und ich noch nicht genau weiß, ob er genial oder einfach nur eigenartig ist. ;)

    Aber eigentlich liebe ich abgefrahrenen und seltsame Geschichten, daher bin ich auf jeden Fall gespannt, wo das noch hinführt.

    Abseits davon ist dein Schreibstil hier wirklich großartig, ich weiß nur nicht, ob er sich so auch über mehrere Kapitel hinweg funktioniert. Noch ein Grund, um gespannt dran zu bleiben.

  • Kirisha

    Vielen lieben Dank für deinen ersten Eindruck.

    Wow, das ist mal ein sehr seltsames Thema. Aber du fängst es hübsch an und es verspricht einige Überraschungen. Ich bleibe da mal dran.

    Ja, da stimme ich absolut zu. Die Idee ist wirklich sehr schräg, aber ich mag schräge Geschichten. Tatsächlich schwebt mir diese Idee schon länger in meinem Kopf herum. Ich habe mir als Kind nämlich immer vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn man einfach durch einen Riss im Boden kriechen und verschwinden könnte. Manchmal habe ich mir sogar richtig gewünscht, dass es möglich sei. Meistens, wenn ich Mist gebaut habe und mich (natürlich) vor der Schimpfe drücken wollte :P


    Iskaral

    Danke dir von Herzen für deine Rückmeldung.

    Ich muss zugeben, dass es schon ein seltsamer Text ist und ich noch nicht genau weiß, ob er genial oder einfach nur eigenartig ist. ;)

    Aber eigentlich liebe ich abgefrahrenen und seltsame Geschichten, daher bin ich auf jeden Fall gespannt, wo das noch hinführt.

    Abseits davon ist dein Schreibstil hier wirklich großartig, ich weiß nur nicht, ob er sich so auch über mehrere Kapitel hinweg funktioniert. Noch ein Grund, um gespannt dran zu bleiben.

    Ja, seltsames Thema und einer alten Kindheitsfantasie entsprungen. Gerade alte Holzböden haben ja oft fast fingerdicke Risse, wo gern Dinge verloren gehen ( ... gefühlt hundert Murmeln und Legosteine habe ich so verloren *schnüff*) und ich dachte halt immer; wie cool wäre es bitte, wenn ich da jetzt einfach reinkriechen und meine Sachen zurückholen könnte? Oder einfach in einer anderen Welt lande? Quasi Peter Pan, nur halt ohne Nimmerland und Piraten.

    Der Schreibstil ... das ist so eine Sache. Du sprichst hier genau an, was mir etwas Bauchweh bereitet und worauf ich achten muss.

    Spoiler anzeigen

    Die Kapitel werden je nach Protagonist getrennt und ich passe mich der jeweiligen Stimme des Charakters an. Das funktioniert, aber ich sehe es schon kommen, dass der Prolog/Vorspiel sich nachher zu sehr abhebt. Andererseits ist ein Prolog nicht nötig, wenn er sich nicht irgendwie vom Rest absondert. Schwierig und ich hoffe, ich bin am Ende dieser Reise um einiges schlauer :D




    Hinweis: Die hier schriftlich dargestellte Gebärdensprache (kursiv) entspricht nicht exakt der Grammatik (Satzbau, Tempus etc ...) der Deutschen Gebärdensprache (DGS), sondern wurde für das Textverständnis angepasst.


    TEIL 1

    - DIE BRÜDER -


    Kapitel 1

    Romek


    Romek Ostrowski stieß sich den Kopf, mal wieder. Verärgert rieb er sich die Stirn und starrte zu dem Verursacher seines neusten Schädeltraumas hinauf. Im skurril langen und engen Flur der Altbauwohnung gab es drei Lampen in unterschiedlichen Längen, Farben und Formen. Die Kleinste von ihnen, ein hässlicher Kronleuchter aus rotem Kunststoff, schien immer genau dort zu hängen, wo eigentlich Romeks Kopf hingehörte.

    Seit er bei seinem Großvater lebte, stieß er sich jeden Tag und jede Nacht den Schädel an dem blöden Ding. Egal, ob er den Kopf einzog oder nicht. Diese Kabbelei mit einem leblosen Gegenstand wäre Romek vor drei Jahren noch lächerlich erschienen, immerhin waren Dinge nun einmal Dinge, leblose Gegenstände ohne Gefühle, doch heute wusste er es besser.

    Gegenstände hassten durchaus.

    Die Küchenschubladen, zum Beispiel. Die Dinger weigerten sich permanent, sich von Romek öffnen zu lassen. Die Waschmaschine ging immer genau dann kaputt, wenn er sie benutzen wollte. Es gab nie warmes Wasser, wenn er morgens aufstand, nebenbei bemerkt als erste Person in dieser Wohnung voller unzuverlässiger Langschläfer. Romek hatte diese Rebellion lebloser Gegenstände zuerst als Unfug abgetan, es als Einbildung katalogisiert, jedoch war ihm inzwischen klar, dass in dieser Wohnung Dinge passierten, die man sich nicht vernünftig erklären konnte. Und es machte ihn wahnsinnig.

    Die Sonderbarkeiten der Altbauwohnung, sowie die Sonderbarkeit seines Großvaters selbst waren unergründliches Chaos, welches keine Ordnung und erst recht keine Fragen duldete. Fragen verstießen im Hause Ostrowski gegen den Ehrenkodex, es sei denn, sie drehten sich um den gewünschten Pizzabelag der allwöchentlichen Bestellung bei Muratori.

    Was nicht hieß, dass Romek keine Fragen hatte. Oh, er hatte hunderte davon; er sammelte sie in seinem Kopf wie Dosensuppe in einer heillos überfüllten Vorratskammer. Doch ausgerechnet heute, an einem Sonntagabend, war Romek gezwungen den heiligen Kodex zu brechen: Er musste seinem Großvater eine Frage stellen. Eine, die tatsächlich eine Antwort verlangte.

    Wo steckt Os?, fragte Romek in Gebärdensprache. Nebenbei versuchte er mit seinem rechten Fuß einen Staubflusen in der Größe eines Wollknäuels aufzuhalten, welcher dreist über den Boden wehte. Wo kamen diese lästigen Dinger nur immer wieder her?

    Sein Großvater sah ihn zwar an, reagierte jedoch nicht. Nikodem Ostrowski lungerte wie jeden Abend in seinem abgewetzten Ledersessel und trank seinen Whiskey, mit E. Vor ein paar Monaten noch hätte Romek ihm den Whiskey weggenommen, jedoch hatte vor ein paar Monaten auch noch niemand gewusst, dass in Nikodem ein faustgroßer Tumor wucherte. Ein Tumor, der wie eine Pusteblume im Wind in sämtliche Richtungen streute. Nach zwei Untersuchungen war vieles ein Rätsel, aber eine Sache dafür nur allzu deutlich klar; auf das bisschen Whiskey kam es nun wirklich nicht mehr an.

    Wo ist Os? Romek wiederholte seine Frage, wieder erfolgte keine Reaktion und da drastische Situationen nun einmal drastische Maßnahme erforderten, stellte Romek seine Frage ein drittes Mal. Mit mehr Nachdruck, mehr Hartnäckigkeit. Er behalf sich zusätzlich mit seinen Stimmbändern, was er nur ungern tat, seit die Welt um ihn herum verstummt war.

    »Opa, wo steckt Os?«

    Romek wusste nicht, ob er zu laut oder zu leise sprach, ihm fehlte es an Übung und Gefühl, doch seine Frage schien endlich bei seinem Großvater angekommen zu sein. Nikodem leerte mit einem Zug seinen Whiskey und stellte das Glas auf den lädiert wirkenden Beistelltisch neben seinem Sessel. Der hässliche Tisch war nur eines von vielen "Os-Fundstücken". Es war unmöglich, all den kaputten Müll aufzuzählen, den Romeks jüngerer Bruder im Laufe der letzten Jahre angeschleppt hatte. Os fand Sperrmüll wie andere Leute 1-Cent-Stücke auf der Straße.

    Wo Os steckt? Nikodem hatte große und kräftige Hände und machte für »Os« die Namensgebärde, die Romek seinem jüngeren Bruder vor Jahren feierlich gegeben hatte; ein leicht auf die Nase gepresster Mittelfinger. Knietief in der Scheiße. Krawall und Anarchie.

    Romek sah unzufrieden zur alten Standuhr, von der er nie geglaubt hätte, dass er ihr nerviges Ticken und Tacken vermissen würde. Fast halb zwölf, Mitternacht. Keine gute Zeit für einen wütenden Systemsturz. Was auch immer Os gerade anzündete, Romek hoffte, dass es schnell ausbrannte. Um elf Uhr ging Romek normalerweise schlafen. Os wusste das, genauso wie er wusste, dass sie Nikodem nicht allzu lange unbeaufsichtigt lassen durften. Romek war tagsüber für ihn da und Os übernahm für die Nacht, sobald er von der Spätschicht kam. Kein Herumbummeln, kein um die Häuser ziehen und vor allem keine Eskapaden. Os wusste genau, dass er sofort nach Hause kommen musste. Es ging nicht anders. Nicht, wenn es jeden Moment so weit sein konnte.

    Romeks Augen brannten, wie immer, wenn er müde wurde. Er war seit heute Morgen um vier Uhr wach. Er hatte das Frühstück gemacht, die Einnahme der Schmerzmittel kontrolliert, die sein Großvater gern ausspuckte, wenn Romek nicht aufpasste, dann war er zur Post geeilt, anschließend einkaufen und hatte den Rest des Tages damit verbracht, die Wohnung aufzuräumen, was ein endloser Kampf war. Romek konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Nikodem zwischen Staubflusen und alten Pizzaschachteln starb. Und er würde sterben. Hier, in den eigenen vier Wänden. So, wie er es sich gewünscht hatte.

    Wenn die Polizei wieder anruft, sag ihnen, sie sollen Os erschießen, ließ Romek seinen Großvater wissen. Und er meinte es so. Jedes verdammte Wort.

    Nikodem zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Ein Enkel mehr oder weniger schien ihn nicht sonderlich zu kümmern. Keine Sorge, verkündete er feierlich, was Romeks Nerven dazu veranlasste, sich den Morgenmantel aus ausgefransten Sorgen abzustreifen und in einen schicken Anzug aus feinster Panik zu schlüpfen. Os kommt, wenn er kommt. Wir haben Zeit.

    Romek hätte sich vor lauter Frustration am liebsten die Haare ausgerissen. Wenn sie eine Sache nicht hatten, dann war es Zeit.

    Nein, erwiderte er knapp und rieb sich kurz über die müden Augen. Haben wir nicht, Opa.

    Unzufrieden sah er zum überquellenden Aschenbecher neben der Whiskeyflasche. Romek war sich ziemlich sicher, dass er das Ding vor nicht einmal einer Stunde geleert und säuberlich ausgewaschen hatte. Nun, er war sich aber auch ziemlich sicher, dass sich vor einer Stunde noch kein ausgefranster Winterschal wie eine Schlange um den Schallplattenspieler gewickelt hatte. Oder dass frisch gewaschene Unterhosen auf dem eingeschalteten Fernseher hingen zum Trocknen. Es gab so viel Chaos, aber nur einen Romek mit zwei Händen. Er brauchte ein Wunder. Nein, am besten gleich ein ganzes Dutzend davon im Sonderangebot.

    Nikodem schüttete sich noch etwas Whiskey ein, wobei seine Hände zitterten. Die Hälfte ging daneben.

    Hast du Schmerzen, Opa?

    Sein Großvater schüttelte den Kopf, doch Romek glaubte ihm nicht. Er hatte das Ding gesehen, das in seiner Lunge wucherte und sich durch sein Lymphsystem spannte wie ein Spinnennetz. Die Bilder hatten für sich gesprochen. Laut den Ärzten war es sehr wahrscheinlich, dass Nikodem im Schlaf aufhören würde zu atmen, was in den Augen der Mediziner scheinbar ein echter Segen war. Romek sah die Sache etwas anders.

    Ich bleibe wach, bis Os hier ist. Romek klopfte seinem Großvater kurz auf die Schulter. Sie waren keine Familie, in der man sich umarmte. Keine Angst.

    Nikodem grinste. Es war ein furchtloses, beinahe kampflustiges Grinsen, welches irgendwo zwischen Wahnsinn und Leichtsinnigkeit angesiedelt war. Sein Großvater schien überhaupt keine Angst zu haben, im Gegensatz zu ihm. In Nächten wie diesen war sich Romek nicht ganz sicher, ob sein Großvater einfach nur senil, oder endgültig übergeschnappt war. Wobei Nikodem schon immer die ein oder andere Schraube locker hatte.

    Ich behalte die Zeit im Auge. Die Zeiger fallen immer wieder auf den gleichen Trick rein. Nikodem stampfte mehrmals auf den Boden, dann nickte er in Richtung Fernseher, wo irgendein Schwarz-Weiß-Film lief. Romek verstand; ihre schräge Unterhaltung war hiermit vorbei. Die Aufmerksamkeit seines Großvaters war aufgebraucht und Romek für den Rest der Nacht abgeschrieben.

    Mit einem letzten unzufriedenen Blick zur Uhr gönnte er seinem Großvater die gewünschte Ruhe und huschte zurück in den Hausflur, wo er zur eigenen Beruhigung auf und ab tigerte. Die Wohnzimmertür stand weit offen und Romek spähte immer wieder hinein, immer nur kurz und wirklich nur, um sicher sein zu können, dass sein Großvater noch atmete. Nikodem saß in seinem Sessel, starrte auf den Fernseher und grinste dabei von einem Ohr zum anderen, als würde ihm irgendeine körperlose Stimme dreckige Witze ins Ohr flüstern. Vielleicht sollte Romek ihm doch lieber den Whiskey abholen?

    Schmerz explodierte hinter seiner Stirn, als sein Kopf geradewegs gegen den roten Kronleuchter krachte, der wie von Geisterhand in den letzten Minuten etwas nach links gewandert war.

    Vielleicht, nur vielleicht, war ja auch Romek selbst derjenige, der langsam aber sicher seinen Verstand verlor.

    2 Mal editiert, zuletzt von Octopoda (9. Oktober 2022 um 14:28) aus folgendem Grund: Ein Beitrag von Octopoda mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Hi Octopoda,

    ich hatte jetzt nur Zeit, mir den ersten Teil genauer anzuschauen, wollte dir aber dennoch meine Rückmeldung mitteilen.

    Grundsätzlich: Ich mag ungewöhnlich :) Ungewöhnlich ist aber nicht immer gut. Oft merkt man, dass Dinge kramphaft "anders" gemacht werden, ohne dass es sich harmonisch aus dem Text und Setting ergibt. Das ist aber bei dir zum Glück überhaupt nicht der Fall. Der Text hat sehr eigene, aber in sich schlüssige Logik und das finde ich sehr faszinierend. Hoffe, dass sich das in Kapitel 2 (also eigentlich ja dann Kapitel 1) so weiter fortsetzt. Ein paar Kleinigkeiten im Spoiler (da hats mir leider die Formatierung zerschossen, aber der obere Satz ist immer das Zitat von dir und drunter findet sich meine Anmerkung), lg

    Spoiler anzeigen

    Die Kakerlake war pünktlich. Überpünktlich sogar, wenn man es mit der Zeit genau nahm - und der Junge nahm es außerordentlich genau.

    Manchmal könnte man mit ganz kleinen Interpunktionstricks die Satzaussagen noch etwas hervorheben, ca so.

    Der Junge, welcher ein selbst ernannter Experte in Sachen Unterhaltungen mit Ungeziefer war, hatte jedes Fühlerzucken verstanden.

    Er versteht die Kakerlake, also ist ja ein Experte in Sachen Unterhaltung mit Ungeziefer, und nicht nur "selbst ernannt" ;) Ich würde das grundsätzlich sogar streichen - Es ist ja klar, dass er die Kakerlake versteht, wenn er sich mit ihr unterhält, die Betonung des Umstands nimmt eigentlich unnötig Wirkung raus.

    Er wuchtete sich ächzend vom Bett hoch.

    Ich hab dort und da das Gefühl, dass die Verben nicht 100%ig passen. Sich ächzend hochwuchten... Einerseits heißt wuchen ja etwas wie über- oder hochheben... das Ächtzende hat eher etwas von einem alten Mann oder einer sehr korpulenten Person, als von einem Jungen. Übrigens: Er steht danach noch zwei Mal auf: "Er machte Anstalten aufzustehen" und "Der Junge setzte sich hektisch auf", einmal aufsetzen, einmal aufstehen, mehr ist nicht drin, wenn man aus dem Bett hochkommt ;)

    Tausende Ellbogen und Knie waren sich spektakulär selbst im Weg

    Wie heißt es doch gleich bei Arno Schmidt? Ein dicker Kater klätterte im Geäst seiner eigenen Beine, oder so ähnlich :D

    Aufgeblähte Holzdielen

    "Aufgebählt" finde ich für Holzdielen deplaziert. Sie haben ja innen keinen Hohlraum. Verwunden, rissig, von Feuchtigkeit und Temperatur verzogen, etc. Lasse ich mir alles einreden, aber "aufgebläht" geht für mich geistig nicht.

    Die Atmung des Jungen rasselte feucht.

    Würd ich stilistisch aufteilen auf ein "Der Atem ging rasselnd" und "der Junge hustete feucht". Dann kann mans zweimal verwenden und es ist nicht ganz so komprimiert.

    Er hatte seinen Stolz, sogar jede Menge davon (und laut seiner Mutter sogar viel zu viel),

    Hier würd ich wieder Interpunktion nutzen

    Die Zeit war ein mieser Feigling, ganz egal, wie sorgsam man sie auch im Auge behielt. Schlussendlich gab sie immer dann Fersengeld, wenn man sie dringend brauchte.

    Wunderschön !

    Ein geflügelter Mann, der entweder in die Freiheit flog, oder aber dabei war jeden Moment abzustürzen und sich den Hals zu brechen

    Sehr gut das Bild der Kakerlake aufgegriffen :thumbsup:

    Die Dunkelheit war nicht feucht und kalt, sondern warm und trocken, fast behaglich.

    Das würde ich hier fast noch ein bisschen stärker positiv konnotieren .

    Gierig Entschlossen schob der Junge seinen restlichen Arm durch den Riss, der ihm auf phantastische Weise Platz machte

    Vielleicht eher entschlossen, gierig klingt, als wolle er aus dem Spalt etwas herausfischen.

  • Jota Vielen lieben Dank für deine Rückmeldung und deine fantastischen Hinweise und Vorschläge.

    "Aufgebählt" finde ich für Holzdielen deplaziert. Sie haben ja innen keinen Hohlraum. Verwunden, rissig, von Feuchtigkeit und Temperatur verzogen, etc. Lasse ich mir alles einreden, aber "aufgebläht" geht für mich geistig nicht.

    Tolle Anmerkung. Hier muss ich noch überlegen, wie ich das, was ich eigentlich ausdrücken möchte, in bessere Worte kleide. Tatsächlich wölbt sich seit einem kleinen Wasserschaden der uralte Holzboden in meiner Altbauwohnung an manchen Stellen leicht nach oben, als wäre das Holz aufgebläht. Daher habe ich dieses schräge Bild im Kopf. Die Stelle ist bereits im Dokument mit roter Markierung hervorgehoben und wird bei der Bearbeitung abgeändert :)


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    - Kapitel 2 -

    Os


    Os Ostrowski war vieles, nichts davon so richtig und im Endeffekt eigentlich gar nichts. Er sah aus wie ein Hooligan, war gefühlsmäßig Punk und musikalisch Metal-Head. Jedoch fand Os Hooligans ziemlich scheiße, die meisten Punks fanden ihn zum Kotzen und die Metal-Heads hielten ihn wegen seines Aussehens fälschlicherweise für einen unerwünschten Skinhead, der sich im Moshpit verlaufen hatte. Außerdem war er ihnen zu asozial.

    Je härter und brutaler die Musik, desto netter das Publikum. Os war nicht nett, zumindest nicht betrunken. Oder an Sonntagen. An Sonntagen fiel es ausgesprochen schwer, höflich zu sein.

    Wo steckst du? Es ist fast Mitternacht.

    Os starrte auf die Nachricht. Die Buchstaben waren durch den mit Rissen überzogenen Display kaum zu erkennen. Ganz zu schweigen von seinem Pegel. Er wusste nicht, wie viel er bereits getrunken hatte, aber das wusste er nie. Erneutes Vibrieren.

    Os, wo bleibst du? Melde dich!!!

    Drei Ausrufezeichen. So schrieben nur Psychopathen und ältere Brüder kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Wobei das eine das andere nicht ausschloß. Os musste zugeben, dass er von der Anzahl an Ausrufezeichen beeindruckt war. Leider weniger beeindruckend als die enttäuschte Ausrufezeichen-Eskalation seines Bruders war das Bier in seiner anderen Hand. Die Plörre schmeckte nicht, nichts schmeckte heute, also tat Os, was getan werden musste.

    Er zielte und warf.

    Es war ein guter Wurf. Die Flasche zerplatzte lärmend an der gegenüberliegenden Mauer des stillgelegten Kinos. Haargenau auf der Eichel des anatomisch nicht ganz korrekten Penis-Graffiti. Feuchtfröhlicher Höhepunkt vom Feinsten. Zehn von zehn. Tosender Applaus.

    »Respekt, man.«

    Jemand boxte Os anerkennend gegen den linken Oberarm. Jemand anderes reichte ihm eine zweite Bierflasche. Die gleiche Plörre. Niemand von der Spätschicht war ein Feinschmecker.

    »Zehn Euro«, sagte jemand von links, »Bar auf die Kralle, wenn du den rechten Sack triffst.«

    Der rechte Hoden war eine Herausforderung, selbst für einen Profi wie Os. Wer auch immer das männliche Geschlechtsorgan auf den Überresten des alten Kinos verewigt hatte, war entweder ultrabesoffen, bekifft oder in Eile gewesen. Der linke Sack war so groß wie eine Abrisskugel. Der Rechte so klein wie ein Fußball.

    Eine Hand klatschte auf seinen kurzgeschorenen Schädel.

    »Willst du rübergehen und dem Ding einen blasen, oder was? Wirf schon, ey!«

    Wäre Os ein Hund, hätte er der Arschgeige geradewegs in die Hand gebissen. Nur leider war er kein Hund, kein Pitbull, kein Rottweiler, sondern ein Mensch. Ein Kerl mit gefühlt 4 Promille im Blut und dem dringenden Bedürfnis sich zu übergeben. Nur leider musste Os nie kotzen. Der Alkohol verharrte stets mit gehässiger Bösartigkeit in seinem Magen und schwappte hin und her, während er alles verätzte.

    Alkohol war wie Feuer. Egal wie oft man sich auch daran verbrannte, man war beim nächsten Mal kein bisschen schlauer und glaubte, man hätte alles im Griff – bis die Hütte in Flammen stand. Alkohol war pure Wut und Wut war purer Alkohol.

    Und wie immer nichts gelernt.

    Os musste pissen. Seine Augen klebten auf dem Skrotum-Katastrophenbild des alten Kinos, während er sein Handy zur Seite legte, mit dem zerstörten Display nach unten und dem Fist-Fucking-Whatever-Aufkleber in Form einer Faust gen Nachthimmel. Er fühlte das Gewicht der Bierflasche, lernte sie kennen. Tauchte in sie hinab wie ein Olympia-Kugelstoßer in seine Kugel. Er wurde eins mit dem Gewicht. Eins mit der Plörre.

    Dann holte er aus und warf.

    Erneutes Knallen, erneut regnete es Scherben und das farblose Gemäuer wurde dunkelgrau beim verkümmerten rechten Sack. Applaus erklang. Der Pöbel beklatschte den Kaiser, der unter all dem scheißprunkvollen Stoff nichts weiter war als splitterfasernackt.

    Jemand trat Os in die Seite.

    »Du Saftsack, ey! Rotzevoll, aber treffsicher wie ein beschissener Sniper. Fuck. Viktor, wo ist mein Rucksack? Ich schulde dem Penner hier zehn Mücken.«

    Der Jemand namens Viktor hatte keine Ahnung, wo besagter Rucksack steckte.

    »Alter, willst du mich verarschen? Du solltest auf das Scheißding aufpassen. Da drin ist mein ganzes Gras.«

    Viktor beteuerte seine Ahnungslosigkeit über den Verbleib besagter Tasche und verkündete, dass er weder ein Rucksack-Sklave sei noch die Dope-Mutti von irgendwem.

    »Du Wichser, ey!«

    Hinter Os erklangen die unverkennbaren Geräusche von zwei Typen, die sich halb im Scherz, halb im betrunkenen Ernst gegenseitig in die Mangel nahmen. Os hatte keine Scheißahnung, wer dieser Viktor eigentlich war. Er kannte so gut wie von niemandem aus der Spätschicht den Namen. Zwischen lärmenden Maschinen und Fließbandarbeit blieb nicht viel Zeit für Teeklatsch und privaten Plausch. Vor allem nicht, wenn der beschissene Schraller jedem aus der Schicht auf die Finger schaute. Wehe einer lahmte, dann gab es Arschtritt.

    Irgendwo über den Dächern der Stadt bewegten sich zwei blickende Punkte über den Nachthimmel. Zwei Flugzeuge, die Os leider nicht den Gefallen taten und miteinander kollidierten. Er war in Laune für Flugzeugabstürze. Außerdem gehörten Menschen einfach nicht in die Luft. Os Ostrowski und Höhen vertrugen sich nicht sonderlich gut. Ebenso wie Os und Sonntage. Os und Brüder.

    Os und Os.

    Ein halbvolle Vodkaflasche landete wie aus dem Nichts in seinen Händen. Ebenfalls Plörre. Er öffnete die Flasche und trank. Jemand fragte Os irgendwas, aber er hörte nicht zu. Erneut vibrierte das Handy neben ihm. Romek, dieser Saftsack. Glaubte der Penner ernsthaft, Os käme auf Befehl herbeigeeilt, nur weil er wieder gestörte Panik schob?

    Es regnete leicht und die Kälte der Betonmauer kroch Os vom Arsch bis in jeden Winkel seines Körpers hinauf, dennoch saß er tausendmal lieber hier und verkühlte sich die Eier, als sich die Scheiße zu geben, die ihn zu Hause erwartete. Kaum gab es eine Krise, hatte sich die Welt nach Romeks Ansicht nach in eine andere, bessere und durchgeplante Richtung zu drehen – und Os gefälligst mit.

    Dabei war es überhaupt erst Romeks Schuld, dass sie in dieser Scheiße steckten. Er hatte einfach den Schwanz eingezogen und Opa nach Hause geholt, als diese eingebildeten Arschlöcher in weißen Kitteln nicht einmal eine Behandlung versuchen wollten. Es hätte keinen Zweck, am Arsch. Aber bitteschön, sollte Romek ruhig weiterhin rumspinnen und versuchen, einen Tumor wie einen lästigen Fleck wegzuputzen und zu schruppen. Wusste doch jeder, dass eine auf Hochglanz polierte Küche das neuste Scheißwunderheilmittel war.

    Irgendwer griff nach der Vodkaflasche und Os ließ sie nur widerwillig los. Sollte der Idiot doch daran ersticken. Aus unerfindlichen Gründen war eh nur noch ein trauriger Spuckschluck drin. Os hob das erneut vibrierende Handy auf, ohne auf das Display zu schauen. Er ließ das blöde Ding zwischen seinen Händen hin und her wandern, befühlte sein Gewicht wie das der Bierflasche zuvor. Dann schleuderte er das Scheißgerät von sich. Mit einem Knall explodierte es in tausend kleine Teile. Eine Ode an die Zerstörung.

    Os stieg ohne ein Wort des Abschieds von der kleinen Mauer, zog sich seine zerzauste Uschanka über beide Ohren und stolperte in die Nacht hinaus. Ein paar Straßen weiter fand er einen alten Holzstuhl, den jemand mit teilweise völlig kaputten Polstermöbeln auf die Straße gestellt hatte. Der Stuhl hatte drei lange und ein kurzes Bein und kippte besorgniserregend nach vorne, sobald man sich auf ihn setzte.

    Er war perfekt.

  • Octopoda

    Tolle Anmerkung. Hier muss ich noch überlegen, wie ich das, was ich eigentlich ausdrücken möchte, in bessere Worte kleide. Tatsächlich wölbt sich seit einem kleinen Wasserschaden der uralte Holzboden in meiner Altbauwohnung an manchen Stellen leicht nach oben, als wäre das Holz aufgebläht. Daher habe ich dieses schräge Bild im Kopf.

    Wie wäre "aufgeworfen" oder "verworfen" (im Sinne einer Verwerfung (geolog.), "von Feuchtigkeit verzogen" oder "aufgequollen"?

    Wenn die Polizei wieder anruft, sag ihnen, sie sollen Os erschießen, ließ Romek seinen Großvater wissen.

    Hier hab ich noch ein kleines Problem, mir vorzustellen, wie Nikodem das wohl machen soll, wenn die Polizei anruft. Hört er das Telefon klingeln? Hört er, was der Anrufer sagt? Kann er so antworten, dass der Anrufer es hört?

    Diese Kabbelei mit einem leblosen Gegenstand wäre Romek vor drei Jahren noch lächerlich erschienen, immerhin waren Dinge nun einmal Dinge, leblose Gegenstände ohne Gefühle, doch heute wusste er es besser.


    Gegenstände hassten durchaus.


    Die Küchenschubladen, zum Beispiel. Die Dinger weigerten sich permanent, sich von Romek öffnen zu lassen. Die Waschmaschine ging immer genau dann kaputt, wenn er sie benutzen wollte. Es gab nie warmes Wasser, wenn er morgens aufstand, nebenbei bemerkt als erste Person in dieser Wohnung voller unzuverlässiger Langschläfer. Romek hatte diese Rebellion lebloser Gegenstände zuerst als Unfug abgetan

    Dafür, dass ein Gegenstand i.d.R. leblos ist, wiederholst du diese Formulierung hier ziemlich oft für mein Empfinden. Vielleicht kannst du da noch bisschen was ... hm, ändern?

    Keine Sorge, verkündete er feierlich, was Romeks Nerven dazu veranlasste, sich den Morgenmantel aus ausgefransten Sorgen abzustreifen und in einen schicken Anzug aus feinster Panik zu schlüpfen.

    Ich habe inzwischen gemerkt, dass du gern in Bildern aus Worten schwelgst. Aber hier habe ich die Stirn gerunzelt. Das war für meine Begriffe etwas über das Ziel hinausgeschossen. Wie gesagt - sehr bildhafte Sprache, aber Romeks Panik-Reaktion ist für mich nicht nachvollziehbar. Ärger, Zorn, ja sogar Wut auf Os und/oder auf die Gleichgültigkeit des Großvaters, das könnte ich verstehen. Da wäre ich bei ihm. Aber Panik? :hmm:

    Os starrte auf die Nachricht. Die Buchstaben waren durch den mit Rissen überzogenen Display kaum zu erkennen. Ganz zu schweigen von seinem Pegel.

    Die Formulierung halte ich für etwas unglücklich. Denn so, wie es dasteht, sind nicht nur die Buchstaben durch das (nicht den) mit Rissen überzogene Display nicht zu erkennen, sondern auch sein Pegel nicht. :D

    Ansonsten habe ich jetzt mal aufgeholt und muss sage: Du servierst derbe Kost. Ist nicht so ganz mein Geschmack. Beonders der Os-Part ist mir ein bisschen ZU sehr Gosse. Trotzdem hab ich jetzt ein klares Bild von ihm vor Augen und zwar nicht nur von seiner optischen Erscheinung. Deine Schreibskills beeindrucken mich ungemein, genau wie deine Fähigkeit, die richtigen Worte zu finden, damit das, was du ausdrücken willst, auch wirklich am Ende dasteht.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

  • Hallo Octopoda

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    nun will ich auch mal versuchen, meine Eindrücke widerzugeben.

    Du bist eine sprachliche Meisterin und der Stil, in dem du schreibst, bereitet mir viel Freude. Das ist auch der Grund, warum ich diese Geschichte lese.

    Die Geschichte selbst bleibt bis jetzt noch etwas rätselhaft und ist auch etwas unangenehm - ich weiß bis jetzt nicht, wer eigentlich dein Protagonist ist, da in jedem Kapitel ein neuer auftaucht, ich weiß auch noch nicht, worum es gehen soll, da jedes Kapitel auch ein anderes Thema hat. Inhaltlich ist die Geschichte, bis jetzt, ziemlich deprimierend und wühlt genussvoll in Schichten, in denen ich mich eigentlich nicht so gerne aufhalte. Beispiel: Du beginnst im ersten Kapitel direkt mit einer Kakerlake. Die meisten von uns haben sicher nicht das Bedürfnis, mit so einem Tier nähere Bekanntschaft zu machen, daher kostet es (mich) ein wenig Überwindung, das Kapitel trotzdem zu lesen und zu hoffen, dass es unter dem Fussboden nicht so eklig sein könnte, wie ich mir gemeinhin vorstelle. Im zweiten Kapitel treffen wir einen schwer krebskranken alten Mann und dessen Enkel, die in tristem Elend leben, und im dritten ein versoffenes Ekelpaket.

    Ich finde, du hast Os perfekt beschrieben, ich kann ihn mir sehr genau vorstellen und glaube auch seine Gefühlswelt zu verstehen. Und ich glaube, es gibt genau solche Typen. Das Problem ist nur, ich will nicht wirklich was von so einem Kerl lesen. Es wäre schön, auch irgendwelche positiven Identifikationsmöglichkeiten zu bekommen, die ich bisher in dieser Geschichte nicht richtig finde.

    Nur leider war er kein Hund, kein Pitbull, kein Rottweiler, sondern ein Mensch. Ein Kerl mit gefühlt 4 Promille im Blut und dem dringenden Bedürfnis sich zu übergeben. Nur leider musste Os nie kotzen.

    Dies könntest du noch etwas ändern.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Nachdem ich gestern, beziehungsweise heute, kurz nach Mitternacht die komplette Überarbeitung des Erstentwurfs von "Die Schabentrickser" abgeschlossen habe, hat sich doch vieles seit dem ersten Update hier getan und noch viel mehr geändert.

    Geplantes wurde während des zweiten Durchgangs verworfen, Dinge, wo ich geglaubte habe, sie würden funktionieren, haben eben doch nicht funktioniert und haben es somit nicht in den Zweitentwurf geschafft. Ein Charakter hat mir gezeigt, dass er in Wahrheit nicht so, sondern viel mehr so ist. Der ein oder andere Charakter hat mich doch mehr als nur überrascht und manch anderer hatte so gar keine Lust, sich an das Drehbuch zu halten :D

    Vor allem aber hatte ich genug Abstand, um den Prolog frisch anzugehen und ihn besser aus den Augen eines Lesers zu betrachten. Ich danke hier vor allem Kirisha und Tariq für das super hilfreiche Feedback. Auch Jota danke ich von Herzen. Ihr habt mich auf tolle Sachen hingewiesen, für die ich im groben Erstentwurf völlig blind war.

    Die Geschichte soll schräg sein, aber dennoch logisch. Sie soll erstaunen, überraschen, mal gruseln und einen zum Lachen bringen. Sie soll aber vor allem in sich Sinn machen und den Leser in eine schräge Welt entführen, die mal schön, mal grausam und mal trist sein kann. In der man Freunde findet, sich Feinde macht, mal etwas findet und mal etwas verliert.

    Hier ist nun der überarbeitete Prolog. Den Prolog aus dem Erstentwurf lasse ich unbearbeitet als ersten Eintrag so stehen, damit ein besserer Vergleich mit der neuen und überarbeiteten Version möglich ist.


    ---


    P R O L O G

    (Überarbeitet)


    Fräulein Kakerlake war bereits eine halbe Stunde zu spät, als die Standuhr Mitternacht schlug.

    Der Junge machte sich jedoch keine Sorgen. Der Tag war für Sorgen da, die Nacht für die Träume. Tagsüber achtete er nahezu manisch auf die Stunden und Minuten, auf den kleinen und den großen Zeiger, doch in der Nacht gab die Unpünktlichkeit den Takt vor. Es störte den Jungen nicht, im Gegenteil. Die Verspätungen des Fräulein waren das Einzige, auf das er sich verlassen konnte.

    In einer Ecke der kleinen Kammer bewegte sich etwas.

    Der Junge grinste.

    »'n Abend, Fräulein.«

    Die Schabe, welche höflich auf diese Begrüßung gewartet hatte, huschte über den alten Holzboden und verharrte vor dem Bettgestell, die Fühler zum Gegengruß erhoben.

    »Hattest wohl keine Zeit dich umzuziehen, was?« Der Junge klopfte sich fest auf die Brust, als ihn ein kurzer Hustanfall durchschüttelte. »Als Mensch gefällst du mir besser, will nicht lügen.«

    Natürlich gefiel sie ihm als Nicht-Insekt besser. Welcher fünfzehnjährige Junge hatte schon lieber eine Kakerlake, als eine echte Frau in seiner Schlafkammer? Irgendwann würde er eine Fotografie von dem Fräulein machen, dann, wenn sie ein Mensch war und das Bild seinen Klassenkameraden zeigen. Die Jungs würden Augen machen.

    Vorausgesetzt, er konnte je wieder zur Schule gehen – oder er kam überhaupt jemals wieder zurück. Was wäre sein Abenteuer bitte für ein blödes Abenteuer, wenn es nur wenige Tage oder Wochen dauern würde? Der Junge war es leid, dass seine Lunge ihm alles ruinierte. Dass das Monster ihm Angst machte. Der Sumpf das Haus fraß. Er hatte somit ganze Jahre nachzuholen.

    Es war Zeit aufzubrechen.

    Grinsend zupfte der Junge an seinem Pullover, der er anstelle seines Schlafhemds trug.

    »Bin angezogen und parat. Kann direkt losgehen, Fräulein.«

    Die Kakerlake dachte nach, endlos erscheinende Sekunden lang, ehe sich ihre Fühler bewegten; ihre Art der Kommunikation. Der Junge, welcher ein Experte in Sachen Unterhaltungen mit Ungeziefer war, hatte jedes Fühlerzucken verstanden. Er verzog das Gesicht.

    »Ich will aber nicht mehr warten. Ich bin so weit, Hand auf’s Herz.«

    Das Fräulein bewegte erneut die Fühler. Die lautlose Antwort gefiel dem Jungen nicht, ganz und gar nicht. Geduld war nicht gerade seine Stärke. Noch nie gewesen und würde sie auch nie sein. Er machte Anstalten aufzustehen, verhedderte sich jedoch mit seinen Beinen in der Bettdecke und fiel der Länge nach hin. Die Kakerlake tanzte vergnügt, ihre Fühler zuckten begeistert; sie machte sich über ihn lustig. Doch ihr Amüsement über die gelungene Schaueinlage fand ein jähes Ende, als ein lautes Knacken erklang.

    Geräusche jenseits der Tür.

    Der Junge setzte sich hektisch auf, wobei sich seine Glieder und Gelenke, wie die aller jungen Männer, auf mysteriöse Weise zu vermehren schienen, kaum wurde die Stimme brüchig und das Gesicht ein Schlachtfeld aus Pickeln und Stoppeln. Tausende Ellbogen und Knie waren sich spektakulär selbst im Weg. Die Bettdecke mischte eifrig mit, plötzlich hundert Meter lang und breit. Schließlich fand der Junge einen Ausweg aus all den Ecken und Winkeln seines eigenen Körpers und dem endlosen Stoff.

    »Nimm mich mit, Fräulein Kakerlake. Noch heute Nacht.« Sein Blick zuckte zu der geschlossenen Tür, hinter der Dinge lauerten, die niemals und drei Tage hereinkommen durften. »Bitte.«

    Holzdielen knackten und jammerten, ächzten und schrien, als die Schritte immer näher kamen. Es waren Schritte, die zu Füßen gehörten. Füße, die zu einem Ungeheuer gehörten. Ein Ungeheuer, das einen äußerst leichten Schlaf hatte. Vor allem, wenn es gesoffen hatte.

    »Bittebittebitte–«

    Die Atmung des Jungen rasselte feucht. Er hatte seinen Stolz, sogar jede Menge davon, aber hier und jetzt bettelte er und flehte. In Nächten wie diesen war sich der Junge nicht sicher, ob es wirklich die Luft war, die seine Lunge krank machte, oder die Angst.

    Die Kakerlake zögerte, überlegte. Dreimalverflucht, was gab es da noch zu überlegen? Das Ungeheuer war fast da, fast bei der Tür und dem Jungen lief die Zeit davon. Die Zeit war ein mieser Feigling und gab immer dann Fersengeld, wenn man sie dringend brauchte.

    Die Holzdielen jenseits der Tür brüllten nun so ohrenbetäubend laut, dass selbst das Ticken und Tacken der Standuhr darin unterging. Die Fühler der Kakerlake zuckten und tanzten wild, dann setzte sie sich endlich in Bewegung. Das Ungeziefer verschwand in einem fingerbreiten Riss zwischen zwei alten Holzdielen.

    Der Junge ließ sich nicht zweimal bitten.

    Er schlang die Bettdecke um sich, als wäre sie ein hässlicher Mantel und zerrte sich rasch seine Schuhe über die bereits mehrfach gestopften Socken. Er erlaubte sich einen kurzen und letzten Blick auf das bunte Fenster über seinem Bett und die dort in Glas verewigte Szene. Er würde den geflügelten Mann vermissen, der entweder in die Freiheit flog, oder aber dabei war jeden Moment abzustürzen und sich den Hals zu brechen. Flug oder Sturz, beides war möglich. Auch nach all den Jahren, in denen der Junge in der Nacht wachgelegen und das bunte Fenster angestarrt hatte, wusste er es nicht.

    Was er jedoch wusste, war, dass irgendwann, und zwar irgendwann sehr bald, das Moor auch dieses Kämmerchen verschlingen würde. Es fressen, wie bereits all die anderen Räume.

    Die Tür erzitterte in ihren Angeln und der Junge stolperte zu dem Riss, in dem das Fräulein Kakerlake verschwunden war. Er griff erst zögerlich mit zwei Fingern, einen Herzschlag später mit der ganzen Hand in die Öffnung. Es fühlte sich merkwürdig an. Fremdartig und nackt, wie er so einer unbekannten Tiefe seine Hand darbot. Gänsehaut und das beunruhigende Gefühl, einen furchtbaren Fehler begangen zu haben, auf einen billigen Trick hereingefallen zu sein, breitete sich prickelnd auf der Haut des Jungen aus.

    Er rechnete jeden Moment damit, dass die Zimmertür aufgebrochen wurde, das Monster ihn am Nacken packte und ihn schüttelte, ihn anschrie, er wäre ein verrückter Nichtsnutz. Ein in Schüben wachsendes Elend, dass ihm die Haare vom Kopf fraß, anstatt endlich zu sterben.

    Doch dann verschwand das Gefühl des Grauens so jäh, wie es gekommen war. Die Dunkelheit unter dem alten Holzboden war nicht feucht und kalt, sondern warm und trocken. Ein warmer Wüstenwind schien die Fingerspitzen des Jungen zu kitzeln. Ihn zum Fangenspielen aufzufordern, Barfuß an einer Oase.

    Er dachte an die Geschichten, die ihm das Fräulein Kakerlake erzählt hatte. An die fantastischen Dinge, die sie beschrieben hatte. Karawanen aus bunten Zirkuswägen. Schlösser, die man aus Träumen und Silber erbaut hatte. Tempel, die aus Marmor und Licht bestanden. Nächte voller Musik und das beste Essen, dass man sich vorstellen konnte. Auf der anderen Seite des Bodens gingen niemals die Kekse, oder der süße Wein aus Heidelbeeren aus. Es gab keinen Krieg. Keine Monster, die in Gefangenschaft verrückt geworden waren und keine Schulen zwischen Trümmer und Gürtelschlägen.

    Der Junge sehnte sich nach diesen Dingen. Nach Wärme und Wunder. Er wollte leben, ohne Feuchtigkeit in den Wänden und Wasser in seiner Lunge.

    Er wollte leben-leben-leben ...

    Hals über Kopf schob sich der Junge durch den Riss, der ihm auf phantastische Weise Platz machte. Das Hämmern der Fäuste wurde zu einem schweren Körper, der sich mit voller Wucht gegen die Tür warf. Das Holz gab nach. Doch dem Jungen war es allerlei, denn er entschwand dem Monster auf Nimmerwiedersehen.

    Für ihn ging es nach unten.

    Ganz.

    Tief.

    Runter.

    Einmal editiert, zuletzt von Octopoda (30. November 2022 um 00:57)

  • Hallo Octopoda

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    Zuerst mal Respekt für deinen Willen und Elan, das Ganze nochmal neu anzupacken. Das ist schwer, da kann ich mitreden. ||

    Ich habe die neue Version gelesen und sage es gleich: Ich bin ein bisschen zwiegespalten. Manches halte ich für "gelungen verbessert", manches eher für "verschlimmbessert".

    Ein paar Kleinigkeiten:

    Der Junge setzte sich hektisch auf, wobei sich seine Glieder und Gelenke, wie die aller jungen Männer, auf mysteriöse Weise zu vermehren schienen, kaum wurde die Stimme brüchig und das Gesicht ein Schlachtfeld aus Pickeln und Stoppeln.

    Der Satz hört sich für mich ein bisschen holprig an. Wie wäre:

    "..., kaum dass die Stimme brüchig und das Gesicht ein Schlachtfeld aus Pickeln und Stoppeln wurde." ? Durch das kaum dass würde mMn das unmittelbar darauf/danach deutlicher werden.

    Sein Blick zuckte zu der geschlossenen Tür, hinter der Dinge lauerten, die niemals und drei Tage hereinkommen durften.

    Sind die drei Tage da reingerutscht? Oder soll das so? Ich habe diese Formulierung noch nie gehört. :hmm:

    Er schlang die Bettdecke um sich, als wäre sie ein hässlicher Mantel und zerrte sich rasch seine Schuhe über die bereits mehrfach gestopften Socken. Er erlaubte sich einen kurzen und letzten Blick auf das bunte Fenster über seinem Bett und die dort in Glas verewigte Szene. Er würde den geflügelten Mann vermissen

    Die drei gleichen Satzanfänge kann man evtl. etwas variieren?

    Gänsehaut und das beunruhigende Gefühl, einen furchtbaren Fehler begangen zu haben, auf einen billigen Trick hereingefallen zu sein, breitete sich prickelnd auf der Haut des Jungen aus.

    Bei der Gänsehaut geh ich mit. Aber dass sich das Gefühl, einen furchtbaren Fehler begangen zu haben, auf einen billigen Trick hereingefallen zu sein, auf der Haut ausbreitet kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht ergreift es von ihm Besitz? Oder es macht sich in ihm breit? Oder es löscht jegliches klare Denken aus?

    Ist aber nur mein Empfinden. Vielleicht stört es niemanden sonst, dann lass es ruhig so ^^

    Und jetzt der Abschnitt, der mMn nicht besser geworden ist, sondern durch die vielen Aufzählungen und Vergleiche kaum noch verständlich erscheint. Zum Vergleich zuerst die frühere Version (die ich voll okay fand):

    Der Junge setzte sich hektisch auf, wobei sich seine Glieder und Gelenke auf mysteriöse Weise zu vermehren schienen. Tausende Ellbogen und Knie waren sich spektakulär selbst im Weg. Die Bettdecke mischte eifrig mit, plötzlich hundert Meter lang und breit. Schließlich fand der Junge einen Ausweg aus all den Ecken und Winkeln seines eigenen Körpers und dem endlosen Stoff.

    Und das ist die neue Version.

    Der Junge setzte sich hektisch auf, wobei sich seine Glieder und Gelenke, wie die aller jungen Männer, auf mysteriöse Weise zu vermehren schienen, kaum wurde die Stimme brüchig und das Gesicht ein Schlachtfeld aus Pickeln und Stoppeln. Tausende Ellbogen und Knie waren sich spektakulär selbst im Weg. Die Bettdecke mischte eifrig mit, plötzlich hundert Meter lang und breit. Schließlich fand der Junge einen Ausweg aus all den Ecken und Winkeln seines eigenen Körpers und dem endlosen Stoff.

    Ich finde es gar nicht nötig, so detailliert erklärt zu bekommen, warum er sich in der Bettdecke verheddert und nicht gleich wieder auf die Füße kommt. Mein Kopfkino liefert die Bilder auch so.

    Aber vielleicht bin ich auch einfach nur pingelig. (Oder ich vergleiche die Stelle automatisch mit der, an der mein Prota auf diese Art aus dem Bett steigt). :rofl:

    So, ich hoffe, dass ich dich jetzt nicht demotiviert habe. Bin schon gespannt auf den nächsten Part. :thumbup:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Hallo Octopoda

    also ich finde, du hast zwei sehr wichtige Änderungen reingebracht, die mich viel näher an den Prota heranführen und ihn besser verstehen lassen, weshalb ich finde, dass sich der Prolog dadurch sehr verbessert hat.

    Das ist zum Einen die Erwähnung, dass die Kakerlake in ihrer anderen Gestalt eine Frau ist - dadurch verstehe ich viel besser, warum der Junge sie mag und ihr vertraut, außerdem ist das ein interessantes Detail, das neugierig macht auf die Welt.

    Außerdem hast du auch erwähnt, dass er offenbar einen gewalttätigen Vater hat und eine Lungenkrankheit, zwei Aspekte, die sehr gut erklären, warum er weg will.

    Die anderen Details, dass das Moor das Zimmer frisst, verstehe ich weiterhin nicht, was aber nicht so wichtig ist, weil ich denke, die Erklärung kommt wohl später und die anderen Erklärungen reichen zunächst völlig.

    Ansonsten schließe ich mich den Anmerkungen von Tariq an, meine aber dennoch, dass insgesamt die Verbesserungen sehr gut sind!

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince * No Way Out

  • Hallo Octopoda ,


    der Titel deiner Geschichte hat mich neugierig gemacht und deshalb bin ich hierhin abgebogen. Nachdem ich die erste Version deines Prologs gelesen habe, stand ich jedoch relativ ratlos da, ob es mir gefällt oder nicht. Neugierig war ich immer noch, aber noch nicht angefixt, eher ratlos und gespannt, was du mir noch so alles zeigen möchtest. Ich habe mich dann durch die Kommentare gescrollt, um zu sehen, wie es den anderen ging und habe mit Freude festgestellt, dass du eine überarbeitete Version des Prologs eingestellt hast (Vielleicht kannst du für weitere neue Leser oben einen Hinweis platzieren, dass sich weiter unten noch eine Version versteckt?). Die zweite Version hat dann viel eher das erreicht, was ein Prolog bei Leser:innen erreichen soll: Den Wunsch zu wecken in eine weitere phantastische Welt einzutauchen. Und der Wunsch ist bei mir jetzt auf jeden Fall da. Gestaltwandler finde ich immer cool, damit kriegt man mich quasi immer :D Aber jetzt weiß ich mehr darüber, was mich erwarten wird, habe eine stärkere Bindung zum Protagonisten aufgebaut, da ich mehr über ihn weiß. Im ersten Prolog dachte ich, der Prota wäre ein acht oder neun jähriger Junge und kein Jugendlicher. Die Info war für mein Verhältnis zu der Geschichte und mein Erleben davon also sehr wichtig.

    Nach dem allgemeinen Eindruck des Inhalts der beiden Teile, nun noch etwas Feedback zum textlichen des zweiten Entwurfs. Das sind natürlich alles nur Vorschläge, die stark vom eigenen Schreibstil abhängig sind.

    Irgendwann würde er eine Fotografie von dem Fräulein machen, dann, wenn sie ein Mensch war und das Bild seinen Klassenkameraden zeigen.

    Ich bin beim Lesen über diesen Satz gestolpert und würde ihn in zwei Teile aufteilen. Also: Irgendwann würde er eine Fotografie von dem Fräulein machen. Dann, wenn sie ein Mensch und das Bild seinen Klassenkameraden zeigen.

    Der Junge war es leid, dass seine Lunge ihm alles ruinierte. Dass das Monster ihm Angst machte. Der Sumpf das Haus fraß.

    Hier würde ich beim dritten Satz auch noch das "dass" ergänzen, damit ein einheitlicher Sprachfluss vorhanden ist. Also: Der Junge war es leid, dass seine Lunge ihm alles ruinierte. Dass das Monster ihm Angst machte. dass der Sumpf das Haus fraß. (Wird fraß noch mit scharfem S geschrieben oder nicht mit zwei S? Ich weiß es gerade nicht, nur so ein Gefühl.)

    Die Stelle mit der Bettdecke hat mir, wie Tariq auch schon erwähnte, in der ersten Version besser gefallen. Ich glaube, dass du an dieser Stelle eine Beschreibung des äußeren des Protas einbauen wolltest, doch der Satz ist etwas zu komplex geworden. Vielleicht lässt sich das lösen, indem du etwas schreibst wie "Seine schlaksigen Gliedmaßen verhedderten sich immer in der Bettdecke"? Das eine Adjektiv gibt direkt einen Eindruck vom Prota ohne weitere umständliche Beschreibung.

    Sein Blick zuckte zu der geschlossenen Tür, hinter der Dinge lauerten, die niemals und drei Tage hereinkommen durften.

    Diese Formulierung kenne ich nicht. Ist das vielleicht ein regionales Ding zu sagen "niemals und drei Tage"? Ich zumindest bin darüber gestolpert.

    Ein in Schüben wachsendes Elend, dass ihm die Haare vom Kopf fraß, anstatt endlich zu sterben.

    Bei dem "dass" in diesem Satz hat sich ein S zu viel eingeschlichen.


    Ansonsten kann ich zum Abschluss noch ein Lob da lassen: Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut, ich kann beim Lesen gut in die Geschichte eintauchen und habe das Gefühl mitten drin dabei zu sein. Ich freue mich schon darauf, die weiteren Kapitel zu lesen!

    Viele Grüße,

    Nanook :)

    Sei höflich und bescheiden,

    Sei geduldig und beherrscht,

    Vervollkommne deinen Charakter,

    Sei gerecht und hilfsbereit,

    Sei mutig!