Wer meine Lektuereliste so verfolgt ahnt wahrscheinlich woher das Thema kommt Anyway, es hat mich mal gereizt das Thema zu bearbeiten und zu versuchen was plausibles draus zu machen, hier also der Anfang:
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"Wenn du ein Buch schreiben müsstest, das einen beim Lesen verrückt macht - wie würdest du das anstellen?"
Jennifer Tye schüttelte ärgerlich den Kopf als die Stimme von Geoffrey Norton ihren Gedankengang unterbrach, starrte noch einen Moment lang auf den Bildschirm wo die Zeilen die sie gelesen hatte zu einem sinnlosen Gewirr verschwammen und seufzte dann. Aus den Antworten auf einen Fragebogen Persönlichkeitsprofile von Probanden der Studie zu erstellen war nicht ihre liebste Tätigkeit, aber es gehörte zu einer Promotion in Psychologie eben dazu. Sie griff nach ihrem Kaffee, verzog erneut das Gesicht als sie merkte daß er schon kalt war und blickte dann zu Geoff der ihr im Büro gegenüber saß.
"Wie kommst du denn auf sowas?", fragte sie, halb genervt und halb neugierig.
Geoff zuckte mit den Schultern.
"Kommt zum Beispiel bei Chambers vor - The King in Yellow ist so ein Text. Oder bei Lovecraft... Ich frag' mich halt wie man es machen müßte. Oder ob es überhaupt geht."
Jennifer schüttelte den Kopf. Das war typisch für ihren Mitdoktoranden - immer mal wieder eine schräge Idee und Lust auf eine Diskussion dazu. Aber warum nicht - das Assessment der 'Big Five' nach Gebauer hatte es nicht eilig... Sie schloß die Augen und versuchte sich an die Vorlesungen zu Psychopathologie zu erinnern.
"Also, verrückt ist kein besonders wissenschaftlicher Begriff...", begann sie langsam. "Wenn es um Wahnideen gehen soll, dann ist das eine Störung des Salienznetzwerks - die fixe Idee setzt sich im Kopf fest weil die Bewertungssysteme im Kortex nicht korrekt die Wahrnehmung mit der bekannten Information was real ist zusammenbringen. Das kann durch Demenz passieren, oder durch eine Verletzung, oder durch eine psychoaktive Substanz - aber es ist in aller Regel eine physische Veränderung des Gehirns involviert. Und ich sehe nicht wie ein Text den man liest - egal wie eindringlich oder unheimlich - sowas bewirken sollte."
Geoff nickte und strich sich eine wirre Strähne seines roten Haars aus der Stirn.
"So weit war ich auch - durch Lesen kann man vielleicht auf eine komische Idee kommen, aber sie wird nicht im klinischen Sinn zu einer Wahnidee, weil sie eben mit dem Rest der Realität abgeglichen wird", stellte er fest. "Man müßte diesen Mechanismus irgendwie aussschalten..."
"Und was eine Halluzination angeht, das ist vermutlich eine Überfunktion in den sensorischen Systemen...", fuhr Jennifer fort ihre Kenntnisse der Vorlesung zu reproduzieren. "Auch entweder eine Veränderung des Gehirns, oder eine Aktivitätsveränderung die durch eine Substanz hervorgerufen wird. Sorry - kann ich auch nicht sehen wie ein Text das anrichten sollte. Oder wie du die Bewertungssysteme einfach ausschalten willst. Man baut als normaler Mensch nicht einfach irgend eine Idee in seine Welt ein wenn sie nicht ausreichend real ist."
Vom dritten Arbeitsplatz im Büro kam ein amüsiertes Lachen.
"Ein Text der die Realität wie sie ist beschreibt würde schon reichen", kommentierte Joshuah White, der älteste der drei Doktoranden spöttisch. "Falls man den Leser dazu bekommt ihn wirklich zu glauben."
"Und was genau soll das heißen?", fragte Jennifer genervt.
Josh brachte sie verläßlich auf die Palme, und allein das reichte daß sie sich über sich selbst ärgerte. Es war nicht nur die Art wie er mit seinen Kollegen redete - im Tonfall absoluter Selbstgewißheit und Überlegenheit. Es war auch die Art wie seine blasse Augen einen ansahen, und wie er seinen hellen Teint noch unterstreichen mußte indem er sich dunkel kleidete. Die Art wie er sich fast unsichtbar machen konnte um dann plötzlich in eine Konversation zu kommen wenn jeder schon vergessen hatte daß er im Raum war. Normalerweise konnte sie den Witz, daß Leute Psychologie studierten weil sie psychologische Hilfe brauchten nicht ausstehen - aber auf Josh traf er zu. Er war mehr als nur komisch...
"Was du 'Selbst' nennst ist in Wirklichkeit eine Illusion - ganz unterschiedliche mentale Subsysteme erscheinen dir als ein Ganzes", dozierte Josh "Wenn Menschen alleine das begreifen würden - daß sie nur eine Kakophonie von mentalen Netzwerken sind - wenn sie hinter diese Illusion schauen würden - das würde für 'verrückt' reichen. Sie würden zumindest Stimmen hören, jemand anderem in ihrem Kopf spüren, Befehle wahrnehmen die jemand ihnen gibt..."
"Na und?", warf Geoff ein. "Gleiches Problem wie vorher - wir alle haben das in der Vorlesung gehört. Hat nichts bewirkt, wir sind noch so normal wie vorher. Es passt nicht zur alltäglichen Erfahrung, und deswegen wird es vom Bewertungssystem aussortiert und bleibt abstrakte Erkenntnis."
"Käme auf den Text an, oder?", fragte Josh provozierend. "Wenn er so geschrieben wäre daß er dir erst lächerlich vorkommt, dann aber ein Hauch von Zweifel kommt daß es tatsächlich so sein könnte, dann eine innere Stimme mehr und mehr an dir nagt so daß du ins Grübeln kommst und dann plötzlich die Möglichkeit vor dir siehst daß das alles wirklich so sein könnte... Es ist ja keine kontrafaktische Suggestion die hier vermittelt werden soll - die Dinge liegen wirklich so. Man baut vielleicht keine Idee in seine Welt ein die nicht ausreichend real ist - aber was wenn diese Idee tatsächlich real ist?"
Josh's farblose Augen durchbohrten sie, und sie schüttelte den leichten Schauder ab, den seine Worte hervorgerufen hatten.
"Mag sein daß das Selbst eine Illusion dieser Art ist", sagte sie mit einem Hauch von Unsicherheit in der Stimme. "Aber die ist sehr stabil - Experimente haben gezeigt daß selbst eine Holzhand die gestreichelt wird in die bewusste taktile Wahrnehmung eingebaut wird wenn die visuelle Illusion geschaffen wird daß diese Hand am Körper ist. Die Art wie das Bewußtsein zu einem Ganzen zusammengebunden ist, kann man nicht so ohne Weiteres auftrennen."
Es war kein besonders starkes Argument, und sie wußte es selbst.
"Denkst du?", fragte Josh ein wenig spöttisch.
Für einen Moment herrschte unbehagliches Schweigen im Büro, und Geoff und Jennifer sahen sich unsicher an. Was Geoff als Spielerei in den Raum geworfen hatte, schien bei Josh irgendwie etwas ganz anderes geworden zu sein. War es ernsthaft möglich so einen Text zu verfassen?
"Du verarscht uns doch!", schnaubte Geoff schließlich.
Jennifer lachte auf, und auch um Josh's Lippen huschte der Geist eines Lächelns.
"Randall Carter, Doktorarbeit in experimenteller Psychologie von 1973", warf Josh in den Raum. "Wenn ihr wirklich eine Antwort auf die Frage wollt..."