Der Dunkle, der Helle und ich
»Wenn er nicht überlebt …«, ich vernehme Galinas drohende Stimme selbst an dem weiten, ruhigen Ort an dem ich mich gerade befinde.
»Die Geister heilen sein Fleisch, dumme Glatthaut. Er wird überleben. Aber sein Inneres ist nicht eins. Das muss sich selbst heilen.« Ich erkenne die junge Orkschamanin und bin beruhigt.
Galina antwortet noch etwas, aber das verstehe ich nicht mehr, mein Interesse lässt sowieso nach. Sie ist offensichtlich nicht in Gefahr. Kein Grund, hier wegzugehen.
Zumal ich auf jemand warte.
***
Um mich herum ist die endlose Weite einer Heidenlandschaft. Die Sterne über mir wirken bekannt und unbekannt zugleich und das kleine Lagerfeuer knistert freundlich vor sich hin. Eigentlich ist es zu klein, um so eine Wärme auszustrahlen und ich habe auch kein Holz zum Nachschieben, aber es brennt sparsam genug, wie es scheint.
Ich sitze, ein Bein angezogen und den Arm aufs Knie gelehnt und lausche in die Weite hinein. Vögel, Rinder, ein Fluss in der Ferne ein Wolf, nicht dass ich weiter als ein paar Schritt in die Nacht hinaussehen könnte. Dass ich wie Lederstrumpf aussehe, eine Tasse echten guten Kaffee in meiner Hand halte, ist zwar nicht völlig erwartet, aber ich sehe keinen Grund, mir deswegen einen Kopf zu machen. Alles ist so, wie es sein soll. Alles ist gut.
Ich vernehme Schritte und ein weiterer Kerl im Stil von Old Shatterhand tritt an Feuer. Seine Hautfarbe ist so dunkel, dass ich am deutlichsten die bernsteinfarbenen Augen bemerke, die das Feuer ungewöhnlich gut widerspiegeln. Etwas nervös zeige ich auf die Kanne im Feuer.
»Kaffee?«, biete ich ihm an. »Der ist echt gut. So einen hatten wir lange nicht mehr.«
Der Dunkle setzt sich und nimmt sich eine Tasse von irgendwoher. »Hm«, brummt er und schenkt sich ein. Die Hitze des Feuers lässt ihn nicht einen Moment zögern, nach der Kanne zu greifen.
»Servus!«, erklingt es etwas übermütig als der letzte erwartete Besucher aus der Dunkelheit tritt. Auch ein Lederstrumpf, aber sein Aufzug ist hellgegerbt, wirkt fast weiß. Er ist von ähnlicher Statur wie der Dunkle und ich, vielleicht etwas schlanker, oder erscheint so, weil er wesentlich jugendlicher wirkt.
»Ich bin mal so frei?« Er zaubert ebenfalls eine Tasse hervor, zuckt aber vor der Kanne zurück und benutzt im zweiten Versuch seinen Ärmel als Topflappen. »Wird ja auch mal Zeit, dass wir uns unterhalten. Dieses ewige umeinander herumschleichen und wegschubsen ist ja keine Art.«
Seine helle, fast faltenlose Haut bildet winzige Krähenfüsschen, als er lächelt.
»Hm«, brummt den Dunkle.
»Schön, dass du auch gekommen bist«, füge ich freundlicher hinzu. Ich habe die Ahnung, dass mir die Rolle des Schiedsrichters oder Mediators zugedacht ist, denn der Dunkle und der Helle sind zwar keine Feinde, aber beileibe auch keine Freunde.
»Da wären wir mal wieder. Ausgeschaltet, kommen gerade vom Rand des Todes zurück. Mal wieder. Hätten wir nicht Glück, mit den progressiven Orkin …«
»Kein Glück!«, unterbricht mich der Helle. »Begegne der Welt mit Freundlichkeit und sie wird dir auf dieselbe Weise ebenfalls begegnen.«
»Blödsinn.« Nur dieses eine Wort, aber der Dunkle hat genug gesagt. Ein Mann der vielen Worte ist er ohnehin nicht.
»Ich weiß nicht recht.« Weiß ich wirklich nicht. »Sowohl im Tubran als auch bei den Zwergen und jetzt hier bei einem Stamm, der sogar seine Agenda auf die Rache an mir und meinen Kameraden ausgerichtet hat, war Nettigkeit am Ende unser Gewinn.«
»Wie man an den toten Arschgeigen sieht, die man uns in Tubran nachgeschickt hat. Ohne die Amazone wäre es das gewesen.« Der Dunkle klingt nicht einmal vorwurfsvoll. Eher wie ein Mann, der jede Hoffnung auf kluges Handeln bei seinen Kameraden schon lange begraben hat.
»Da hat er einen Punkt. Und ohne das harte Vorgehen gegen die Warden, wären die Zwerge jetzt überrannt.« Ich schaue zum Hellen, dem eine Antwort offensichtlich auf den Lippen brennt.
Und er antwortet sofort, sehr überzeugt und beinahe beschwörend. »Das wisst ihr doch gar nicht? Immerhin haben wir Lupina dort gefunden. Die ist total in Ordnung. Vielleicht hätte man mit dem Wardenboss auch reden können?«
Der Dunkle und ich tauschen einen Blick. Der Helle ist eindeutig enthusiastisch und kontaktfreudig, aber nicht der Allerhellste, wenn er das wirklich glaubt.
»Bei den Orks haben wir nichts als Glück gehabt, Kleiner. Ich erkenne an, dass du den richtigen Instinkt hattest, aber wären wir meiner Führung gefolgt, hätten wir den Schamanen kaltgemacht, bevor er Schaden anrichten kann. Mit den Kriegern hättest du auch dann Kumbaya singen können, ohne dass man uns mit einem Zauber in hundert Einzelteile sprengt. Und was sollte diese blödsinnige Rettungsaktion? Wir können nicht alle retten. Wenn wir dabei umkommen, nicht einmal noch einen. Du musst damit aufhören.«
So eine lange Ansprache, ganz ohne Kraftausdrücke und Knurren habe ich von ihm noch nie gehört. In mir keimt Hoffnung auf.
»Sorry, Dunkler, aber das kommt vielleicht von mir. Der Reflex zu helfen, wenn ich kann, das ist nicht allein seine Schuld.«
Ich werde von den gelben Augen angestarrt. Wäre es nicht eine Version von mir, würde ich ängstlich zurückweichen.
»Dann«, überrascht mich der Dunkle, »lass mich wenigstens helfen. Jedesmal, wenn du mich aussperrst, kann ich nur zuschauen und mich ärgern. Ich kann mehr als nur töten. Viel mehr.«
Der Helle und ich sind nun dran mit starren. Tatsächlich ist es genau das, was ich erwarte, wenn ich den Dunklen rufe. Mord, Grausamkeit und kein Bedauern.
»Aber ist das nicht deine Natur? Du bist der Dunkle!« Vielleicht klinge ich eine Spur vorwurfsvoll.
»Habt ihr zwei Pappnasen euch jemals gefragt, warum ich ohne Zögern und Gnade agiere?«
Ich und der Helle schauen uns betreten an. »Nein …?«, meint er unsicher. Auch ich fühle mich in meinem Weltbild erschüttert. Bisher war die Rollenverteilung doch ganz klar? Der Helle ist unsere Version der weiten Arme und offenen Tür, ich verwalte unsere Erfahrungen, analysiere und koordiniere. Der Dunkle ist dafür zuständig, wenn es blutig wird.
»Pah. Natur. Eine billige Ausrede von euch Moralaposteln, um Notwendigkeiten, die euch nicht passen zu rechtfertigen. Ich überlebe. In einem Übungskampf halte ich mich raus. Keine Todesgefahr. Aber wenn ihr Schwachmaten mal wieder Einer gegen Alle spielen müsst, um eure überlegene Lebensart auch physisch zu beweisen, dass holt ihr mich. Schon mal überlegt, mich vorher zu holen?«
»Vorher?«
»Vorher?«
Der Helle und ich wissen gar nicht, was wir dazu sagen sollen, weil es doch so offensichtlich ist.
»Mann, wenn wir dich schon vorher hohlen, dann endet es doch in jedem Fall in einem Gemetzel!«
Der Dunkle spuckt aus. »Narren. Alle beide.«
Wir anderen schweigen. Alle beide.
Der Dunkle stöhnt auf. Es muss ihm körperliches Unbehagen bereiten, so viele Worte aufzuwenden.
»Überleben bedeutet auch, sich aus einem Kampf heraushalten. Nur die Schlachten zu schlagen, die man schlagen muss. Eine Demonstration der Stärke und Dominanz verweist viele Gegner schon im Vorfeld auf ihre Plätze. Und Überleben bedeutet auch, die Heilkräfte und Resistenzen des Körpers zu aktvieren. Das bringt alles aber nicht mehr viel, wenn ihr mich erst ranlasst, wenn wir uns schon eines Angriffs erwehren müssen.«
Der Helle schüttelt ungläubig den Kopf. Präventive Gewalt oder Gewaltandrohung gefällt ihm gar nicht. Ich hingegen erkenne die Möglichkeiten.
»Du hättest uns gegen den Schamanen schützen können? Wie?«
Der Dunkle knurrt und erhebt sich. »Herkommen, ihr Idioten. Klappe halten, Sehen und Lernen!«
Wir drei erheben uns. Je näher wir uns kommen, desto fassbarer wird die Welt um uns herum.
Die Nacht weicht zurück und auch die Heide macht einem kühlen Morgen, viel Fels und dem Geruch von verbranntem Fell Platz.
***
»Er erwacht. Weicht zurück. Macht ihm Platz!« Die Schamanin wirkt alarmiert.
»Oh, große Löwin. Was ist das? Was hast du mit ihm gemacht?« Galina klingt sogar ein wenig panisch, so kenne ich sie gar nicht.
»Zurück! Waffen senken. Wer seine Waffe erhebt, den erschlage ich persönlich!« Mein neuster, bester Freund, der Orkhäuptling. Nur warum dieses ganze Geschrei?
Ich öffne meine Augen. Mir war gar nicht bewusst, dass ich sie geschlossen hatte. Die Eindrücke um mich herum sind so klar und deutlich. Ich weiß genau wo jeder im Umkreis um mich herum steht. Auf dem Boden hat es wohl keinen gehalten.
Ich wittere Furcht, den Wunsch zu jagen, Wissen und fassungsloses Erstaunen.
Als ich aufstehe, geschieht das auf alle Vieren. Ich fühle mich gewaltig, wuchtig, mächtig. Unwillkürlich reiße ich meinen Kopf in den Nacken und brülle der Welt meine Anwesenheit entgegen.
Einige Orks lassen ihre Waffen fallen und fliehen in die Felsen. Obwohl ich auf allen Vieren bin, habe ich eher den Eindruck, die Leute um mich herum sind geschrumpft.
Die Schamanin vor mir, die als einzige noch in der Hocke kauert, mustert mich mit einem eher wissenschaftlichen Interesse. Starrt sie mir in den Mund?!
»Bruder, gib mir eine der Bronzescheiben. Ja die da hinten. Nein, reich sie mir rüber, komm nicht näher.«
Ich wundere mich, beobachte aber, wie er die Scheibe am langen Arm seiner Schwester reicht.
Galina schleicht sich am Rand meines Sichtfelds näher. Sie glaubt wohl, ich würde es nicht bemerken. Also tue ich so, als wäre das der Fall. Von ihr geht keine Bedrohung, nur dieses fassungslose Staunen aus. Was haben die nur alle? Noch nie einen nackten Kerl im Liegestütz gesehen?
Die Schamanin hält die polierte Scheibe wie einen Spiegel vor mein Gesicht.
Ich habe Schwierigkeiten zu erkennen, was sich darin spiegelt. Überhaupt triggern mich Bewegungen, selbst langsame, viel mehr. Irgendwas stimmt auch mit dem Licht heute Morgen nicht. Alles wirkt rötlich und viel kontrastreicher als sonst.
»Schau in den Spiegel, Säbelzahn. Sieh, wer du bist, wenn du Eins bist.«
Ich konzentriere mich auf das Spiegelbild. Wenn ich mich etwas bewege, erkenne ich es leichter. Dann macht es Klick und ich setze mich schwer auf den Hosenboden. Meine Arme, nein Vorderbeine, krallen sich in den felsigen Untergrund.
Galinas Gesicht taucht zwischen meinem und dem Spiegelbild auf.
»Tormen, bist du das?«
Der Dunkle grinst dunkel vor Befriedigung, der Helle lacht hell vor Begeisterung und ich bin ratlos.
Ja, ich bin hier, will ich sagen, aber es löst sich nur ein freundliches Grollen aus meiner Kehle. So freundlich ein Grollen sein kann, wenn es aus dem Hals einer dreiviertel Tonne schweren Riesenkatze kommt, mit Zähnen, lang wie Säbel und der sicheren Gewissheit im Hinterkopf, dass im Zweifel alles um mich herum Beute ist. Der Schamanin, Beute. Der Orkhäuptling, zuerst Herausforderung, dann Beute, die vielen anderen Orks, Beute.
Galina, Beu … nein, keine Beute. Ich zucke zurück. Äußerlich wie innerlich.
Es ist, als ob ich einen schweren Mantel abschüttle.
Nun ist es wirklich kalt. Verdammt kalt. Ich habe beinahe vergessen, wie kalt die Nächte hier werden, besonders, wenn man im Adamskostüm auf dem nackten Fels sitzt.
Trotzdem lächle ich Galina erleichtert an. »Ja, Galina, das bin wohl ich.«