Es gibt 21 Antworten in diesem Thema, welches 1.169 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (23. März 2024 um 12:38) ist von Thorsten.

  • Huhu Thorsten,

    danke Dir vielmals für Deinen Beitrag! Was Du da schreibst, ist eigentlich ganz genau das, auf was ich bei der Szene mit Bella hinauswill: Ihre Gedanken bzw. ihr innerer Monolog wirken für mich nicht natürlich, sondern – ich leihe mal bei Dir – druckreif. Auch nicht allein in der Beispielszene, sondern in der ganzen Reihe.

    Diese Indexnatur der Erinnerungen verschweigen wir allerdings wenn wir Texte schreiben - dann tun wir so als waere denken und erinnern primaer ein in Worte fassen von dem was einem durch den Kopf geht - was irgendwie geschummelt ist, aber im Text geht's halt nicht anders.

    Genau. Wir müssen uns zwangsläufig irgendwie behelfen, weil wir auf der schriftlichen/textbasierten Ebene ja eben nur Wörter zur Verfügung haben, mit denen wir den Lesern die Gedanken und Erinnerungen der Charaktere vermitteln können.

    Mein Vater ist ein notorischer Lügner, der die wildesten Geschichten erfindet, um Drama und emotionale Resonanz zu erzeugen. kommt mir primaer deshalb falsch vor, weil das eben zu verbalisiert fuer eine spontane Erinnerung wirkt - hier ist das Schummeln uebertrieben, niemand spricht in druckreifen Saetzen, und schon gar niemand denkt so (man kann mal beobachten wie Leute reden wenn sie ganz entspannt sind - gerne auch etwas enthemmt - und einfach so Sachen von sich geben die ihnen durch den Kopf gehen - Denken ist mit einiger Sicherheit nicht verbal aufformulierter als das).

    Und genau so wie dieser Beispielsatz wirken Bellas innere Monologe auf mich, weswegen ich mich mit denen einfach nicht anfreunden kann.

    Ich habe jetzt mal wirklich intensiv darauf geachtet, wie ich nach Gesprächen mit meinem Vater reflektiere, wenn ich Ruhe und Zeit habe. Das läuft dann ungefähr so:

    Lüge so-und-so. Wie damals. Darauf folgen Bilder und Erinnerungen an Emotionen von besagtem Zeitpunkt damals, als mein Vater dieselbe Lüge schon einmal erzählt hat. Solche Bilder müsste ich in einem Text dann natürlich als gedachte Worte "präsentieren", obwohl sie in meinem Kopf keine verbale Komponente haben.

    Oder ich visualisiere Widersprüche, in die sich mein Vater beim Lügen verstrickt hat. Die haben auch kaum eine verbale Komponente. Viel eher stelle ich mir das, was er angeblich tut oder getan hat, in Bildern vor und gleiche sie mit konzeptuell gedachten Fakten ab, die eben nicht zu dem passen, was mein Vater im Gespräch gesagt hat.

    Insofern sind meine Reflexionen nach den Telefonaten schon irgendwie komplexer als die eher verbalen Gedankenfetzen, die mir während des Telefonierens durch den Kopf gehen, aber eben auch nicht ausformuliert :hmm: Die nicht-verbalen Komponenten bei den Reflexionen würde ich dann aber im Text selbst auch ein bisschen "zurechtstutzen", damit der Leser zwar schon versteht, um was es da eigentlich geht, aber es sich dennoch nicht wie eine Außenperspektive liest, sofern ich einen personalen Erzähler mit möglichst geringer narrativer Distanz zum PoV-Charakter einsetzen möchte.

    Ich bleibe mal kurz bei der Reflexion über Widersprüche, in die sich mein Vater im Telefonat ggf. verstrickt hat. Nehmen wir für einen Moment an, ich wollte so ein Gespräch mit ihm als Geschichte verschriftlichen. Der Leser hat das Gespräch am Telefon per Dialog zwischen mir als Ich-Erzählerin und meinem Vater mitverfolgen können. In diesem Gespräch hat mein Vater zum Beispiel eine Lüge über seine neue Anstellung gezimmert. Edit: Während des Gesprächs fallen dann Gedankenfetzen wie etwa Derselbe Mist wie immer. Nehmen wir weiterhin an, das Telefonat wäre nun beendet und ich würde mit dem (ausführlicheren) Reflektieren beginnen. In einem Text würde ich dann vielleicht so etwas schreiben:

    Ich legte auf. Sein neuer Job in Firma XY gefiel ihm also. Und natürlich hatte er bereits alle Kollegen mit seinem unermesslichen know-how beeindruckt. Soso. Hatte er nicht letzte Woche noch gesagt, er wäre bei Firma AB angestellt? Mein Blick fiel auf den Kalender. Vielleicht sollte ich anfangen, die Tage, an denen er mir mal keine neue Lüge auftischte, rot anzukreuzen.

    Ich glaube, dieses Vorgehen deckt sich mit dem, was Du vorschlägst:

    Mir scheint es wirklich die sinnvollste Loesung dieser Uebersetzung von der Index-Natur der Erinnerung zu Text dass man dem Leser irgendwie elegant das Wissen gibt um zumindest die wichtigsten Referenzen der ausgeschriebenen Gedankenfetzen zu geben - also eher Derselbe Mist wie immer wo der Leser aber vorher eine Ahnung bekommt was genau dieser Mist ist als ein druckreifer Gedanke.

  • Aber die Ahnung bekommt man doch durch das Gespräch. Sie meinte ja, dass sie diesen fetzen mitten im Gespräch droppen will.

    Also, im Beispiel geht's ja um einen notorischen Luegner. Wenn ein Buch damit anfaengt dass jemand am Telefon ist und der andere erzaehlt was, und der Protagonist denkt sich 'Immer der gleiche Mist' dann weiss der Leser eben nicht was der Mist ist, i.e. dass der andere luegt. Diese Info braucht er irgendwie um die Szene richtig zu verstehen.

    Ich glaube, dieses Vorgehen deckt sich mit dem, was Du vorschlägst:

    Ja, ich denke da haben wir einen sehr aehnlichen Blick drauf (mein Post war mehr um Begrifflichkeiten zu sortieren, nicht weil ich so sehr anderer Meinung waere).