Was lest ihr gerade? (Non-Fantasy)

Es gibt 729 Antworten in diesem Thema, welches 136.448 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (24. April 2024 um 19:33) ist von Thorsten.

  • Nachdem Thorsten mir die Feinheiten hinter den Übersetzungen von Der Herr der Ringe erläutert hat, habe ich die Trilogie bestellt (Ich hatte in der Krege-Übersetzung eh nur den ersten Band zur Hand.) und das Projekt erstmal pausiert.

    Gerade lese ich stattdessen ein Buch, das ich neulich als verspätetes Geburtstagsgeschenk bekommen habe: ella minnow pea - A novel without letters von Mark Dunn.

    Der Titel ist der Name der Hauptfigur, der Titelzusatz ist mehrdeutig: Einerseits ist das Buch ein Briefroman, andererseits handelt die Geschichte von einem fiktiven Inselstaat, in dem nach und nach Buchstaben des Alphabets verboten werden. Da auf der Insel Nollop dem Dichter Nollop gehuldigt wird (Darum hat man auch die Nation nach ihm benannt, wie Bolivien das mit Bolivar gemacht hat), versteht man es als sein göttliches Zeichen, wenn von seinem Monument ein Buchstabe herunterfällt. Und an diesem Monument ist das legendäre nollop'sche Pangramm angebracht: "The quick brown fox jumps over the lazy dog.", das alle 26 Buchstaben des Alphabets mit möglichst wenig Wiederholung enthält. Es könnte also jedem Buchstaben an den Kragen gehen ...

    Die Menschen sind gezwungen, ihre Sprache und ihre Schriften anzupassen, damit sie nicht erst verwarnt, dann öffentlich bestraft oder schließlich verbannt werden.

    Und so schrumpft das Alphabet im Buch immer weiter. Als "D" verschwand, wurde plötzlich mehr present tense verwendet. Manche Figuren schaffen es trotz Limitierungen flüssige Texte zu schreiben, manche haben damit mehr Probleme. Den Nollopianern kommt zugute, dass sie kulturell bedingt alle sehr formal und eloquent sprechen und das Land technologisch etwas unterentwickelt ist, warum es normal ist, sich Briefe zu schreiben.

    Dieses sprachliche Korsett, dass der Geschichte da angezogen wird, wird bisher sehr sehr schön umgesetzt. Damit hat die Geschichte wieder mehr so einen dichterischen Charakter, wenn das Sinn ergibt. Bisher ist es eine Geschichte über Redefreiheit, ein autokratisches Regime und wie die Leute unter diesem Umständen zueinander stehen oder eben nicht.

    Wie elegant oder plakativ das am Ende dann eigentlich ist, dass kann ich wohl erst nach der anderen Hälfte beurteilen. :D Aber interessant ist es schonmal.

    Häupter auf meine Asche!

  • Yo, gestern beendet. Ich hätte mir zwar eine etwas tiefere Auseinandersetzung mit autoritären Regimes gewünscht, in der Hinsicht wird leider nur an der Oberfläche gekratzt, aber das Buch erfüllt zwei Dinge, mit denen bei mir wahrscheinlich mit fast allem durchkommt: 1) es ist toll geschrieben und 2) die Charaktere sind mir sympathisch. :pardon: Damit hat ein Buch idR schon fast bei mir gewonnen.

    Was dagegen gut dargestellt wurde mMn war die Menschlichkeit der Figuren. Befürworter und Gegner der Buchstabenverbannungspolitik, wie sie sich entwickeln und wie sie lernen, was wirklich wichtig für sie ist. Auch das Konzept der zunehmend limitierten Sprache wurde toll umgesetzt; allein das muss eine große Herausforderung gewesen sein.

    Ach, am Ende ist das einfach ein schönes, liebenswürdiges, kleines Büchlein. ^^ Das war ein schönes Geburtstagsgeschenk.

    Häupter auf meine Asche!

  • To the Ends of the Earth von Jeremy Harwood

    Ein Buch ueber Kartographie im Wandel der Zeiten mit vielen illustrationen von historischen Kartenwerken. Wer sich dafuer interessiert wie Menschen historisch die Welt so gesehen haben, oder wie mittelalterliche Karten eigentlich wirklich aussahen wird da fuendig werden.

    Interessant finde ich zum Beispiel, einige markante Punkte durch die Jahrhunderte zu verfolgen. Schon die Griechen wussten um die Existenz von Sri Lanka - nur war das auf den Karten viel groesser als in echt, groesser als der ganze indische Subkontinent. Das blieb dann bis 1500+ so - da wurde einfach aus den alten Werken kopiert - erst nach Vasco da Gama erschien Indien als prominenter auf den Karten (und ebenso erst ab dann erscheint Afrika in seiner heutigen Gestalt).

    Eine andere Erkenntnis war, dass die antiken Griechen schon alles ausgearbeitet hatten - in theoretischen Werken wird beschrieben wie man eine Kugel auf die Ebene projiziert, und von 7000 Orten werden Laenge und Breite aus astronomischen Messungen angegeben (die konnten also Orte absolut auf der Karte platzieren und mussten nicht 'Tagesreisen' und 'Himmelsrichtungen' aus Reiseberichten nehmen). Aber... nachdem sie keine Karten brauchten, hatten sie es bei den Demoversionen belassen, das Problem war ja geloest.

    Alles in allem, eine ziemlich interessante Lektuere fuer jeden, der gerne Fantasy-Karten zeichnet.

  • Es ist schon ein paar Wochen her dass ich es beendet habe, aber jetzt habe ich endlich meinen Leserbrief an die Zeitschrift wo es empfohlen wurde und an den Autor geschrieben und abgeschickt!

    Und zwar geht es um den Thriller "Das Grüne Öl" von Ben Rifko, erschienen im Heyne Verlag.

    Das Buch handelt von zwei belgischen Gründern, die aus Algen und Abwasser Treibstoff gewinnen können. Diese Entwicklung würde die bestehenden Öl-Monopole über den Haufen werfen, was einige Zwielichtige Gestalten auf den Plan ruft. Die Situation wird immer bedrohlicher, zumal es auch immer wieder um (Öko) Terrorismus, Flüchtlinge, Wasserknappheit und die finsteren Machenschaften der CIA geht. Eigentlich ein brandaktuelles Buch. ABER:

    Ich kann euch das Buch sehr empfehlen, wenn ihr lernen wollt, wie man vor allem seine weiblichen Charaktere NICHT gestaltet. Wirklich, es ist super. Ein intensiver Einblick in die Welt eines stereotypischen weißen alten Mannes.

    Alle Frauen, die das Glück haben, ein paar Zeilen Text zu erhalten, werden ausnahmslos sexualisisert und stigmatisiert.

    Hier geht es zu einer Übersicht aller(!) imBuch vorkommender weiblichen Charaktere die ein klein wenig Bedeutung haben (enthält Spoiler):

    Spoiler anzeigen

    Da gibt es Ellen, die attraktive Flugbegleiterin, deren Universum sich um ihre Katze zu drehen scheint.

    Natürlich Angelique, die Sekretärin mit der "aufregenden Figur" deren einziger Lebensinhalt scheinbar Telefon-Sex und Sich-Am-Strand-Räkeln ist.

    Dann Camille Mertens, die "nicht mehr ganz so junge" aber "durchaus attraktive" Polizistin aus Charleroi die natürlich nicht mit dem Drucker umgehen kann (ist ja auch eine Frau, stimmts?), aber Dank ihrer Notgeilheit trotzdem immer mal für ein paar Infos gut ist.

    Da ist die Frau unseres britischen Agenten, deren Lebensinhalt es ist, ihren Mann zu terrorisieren.

    Und dann gibt es natürlich Lucy. Ja, sie könnte interessant sein, wenn nicht ihr Handlungsmotiv im Endeffekt Rache an ihrem Ex wäre und auch sie als ausgebildete Agentin der CIA scheinbar als einziges Mittel ihre Weiblichkeit und Sexuallität einsetzen kann, um an Informationen (oder halt Ebola-Kampfstoffe) zu gelangen.

    Natürlich ist es kein Problem, wenn weiblichen Charaktere attraktiv sind. Aber es ist ein Problem, wenn sie nur dazu dienen die Szenerie ein wenig erotischer zu gestalten und die Figuren ansonsten auf platten Vorurteilen beruhen. Außerdem haben die Frauen in diesem Buch, bis auf Lucy vielleicht, so viel Einfuss auf den Plott, wie vielleicht eine attraktive Zimmerpflanze. Dabei ist auch Lucys Motiv zweifelhaft, ihr Einfluss letztendlich nicht atemberaubend und auch sie wird eindeutlig sexualisiert! -> "Gerne hätte sie ihm jetzt einen geblasen, aber dafür war gerade nicht der richtige Zeitpunkt"(S.134) Im Ernst? Leider ist das nur ein Beispiel von vielen. :dash:

    Spring - und lass dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen ~R.B

    Sometimes you have to be your own hero.

  • Das Buch der Koenige 1 und 2 aus der hebraeischen Bibel

    So langsam arbeite ich mich also da auch durch. So richtig attraktiv ist der Text nicht gehalten, vieles wird in formalen Wendungen abgehandet. Die Highlights sind die Taten der Propheten Eliah und Elisha die da mal Abwechslung reinbringen. Ansonsten... kann man es ja nach Veranlagung als Komoedie oder Tragoedie lesen...

    DER HERR: Also, dass der Salomo sich da eine aegyptische Prinzessin als Frau genommen hat gefaellt mir gar nicht. Auf der anderen Seite kann ich ihn gut leiden, also... bestrafe ich einfach seinen Sohn Rehabeam.

    DER HERR: Jerobeam, ich habe entschieden dass der Rehobeam als Koenig des Reiches ungeeignet ist, sein Vater hat zu viel mit fremden Goettern und Frauen rumgemacht. Also - du wirst jetzt Koenig von Israel, und dem Rehabeam bleibt nur Juda.

    Jerobeam: Danke, HERR!

    Jerobeam: Hm, ich bin jetzt zwar Koenig von Israel, aber der Tempel des HERRN steht immer noch in Jerusalem in Juda. Das ist schlecht, da koennten die Leute ja denken dass ich gar nicht der wichtigste Koenig bin... Vielleicht gruende ich meine eigenen Tempel und stell' ein paar Goetzenbilder auf...

    DER HERR: :patsch: Das darf nicht wahr sein - da muss jetzt ein neuer Koenig fuer Israel her!

    Neuer Koenig: Cool, ein paar Baal-Tempel wuerden sich gut machen...

    DER HERR: :patsch: Das darf nicht wahr sein - da muss jetzt ein neuer Koenig fuer Israel her!

    (und so weiter...)

    Die Tragoedie ist, dass wenn man zwischen den Zeilen liest ein Schurke wie z.B. Ahab eigentlich eine ganz vernuentige Politik betrieben haben - um gute Beziehungen zu den Nachbarn zu haben hat er eine phoenizische Prinzessin (Isebel) geheiratet und eben Handel ermoeglicht, und religioese Pluralitaet zugelassen - nur die Fanatiker DES HERRN haben die durch Terroranschlaege und Pogrome aus dem Land vertrieben, so dass die ganze Diplomatie am Ende nicht so richtig funktioniert hat und Israel bei praktisch allen Nachbarn verhasst war (wer mag schon religioese Fanatiker die alle anders denkenden abschlachten?). Die Geschichte des Koenigreichs Israel ist reich an Puschversuchen, Attentaten etc. ich glaube nur grob die Haelfe der Koenige ist eines natuerlichen Todes gestorben. Wenig neues im nahen Osten also, vor 2000 Jahren war's ungefaehr so friedlich wie heute...

  • "Zwölf" von Nick McDonell.

    Die zweihundert Seiten Taschenbuch hat er mit 17 Jahren im Jahre 2002 zur Tür rausgehauen.

    Ein ziemlich eindringliches Portrait einer Jugend in Upperclass America, die sich mangels besseren Ideen und finanziell wohlversorgt von Eltern, die mit ihren Sprößlingen nichts anzufangen wissen, permanent zudröhnt.

    Und White Mike ist derjenige, der den Kids besorgt, was sie haben wollen. Er dealt den Stoff, ist dabei selbst aber abstinent, ein Beobachter, der sich so seine Gedanken macht.

    Fünf Tage dauert diese Geschichte, erzählt in 98 Kapiteln, von denen manche nur aus einem Satz bestehen. Die Sylvesterparty, auf die alles hinausläuft, schafft es zwar nicht bis zum Jahreswechel.

    Aber das ist auch gar nicht notwendig. Eruptionen sind nicht an feste Termine gebunden...

    Intensiver Text...ich hab den in zwei Stunden weggesaugt.

  • Die Logik der Unvernunft von László Merö

    Eine altes Buch aus meinem Regal - eine kurze Einfuehrung in die Spieltheorie und was die mit menschlichem Verhalten zu tun hat.

    Ich weiss, Mathematik findet nicht viele Freunde, aber wenn man ein Teilgebiet der Mathematik halbwegs verstehen wollte - dann wuerde ich einen Einblick in die Spieltheorie vorschlagen. So viele der Probleme die Gesellschaften mteinander haben und die am Ende den Planeten gefaehrden lassen sich in ihrer Essenz mit der Spieltheorie verstehen, und zu verstehen welche Loesung optimal ist hilft einem meistens die Realitaet auch etwas klarer zu sehen.

    Das Buch macht einen fulminanten Einstieg damit, dass es beschreibt wie man bei einem Partyspiel einen Dolllarschein fuer... nun, im Schnitt 7 Dollar versteigern kann. Warum nur bietet irgendwer mehr als einen Dollar fuer einen Dollarschein? Sobald man die Spielregeln analysiert hat, wird es fast unausweichlich - und der Grund ist der gleiche warum man jahrelang einem nicht-funktionsfaehigen Berliner Flughafen noch mehr Geld hinterherschiebt in der Hoffnung dass er jetzt irgendwann doch noch...

    Es geht dann weiter mit einer Analyse verschiedener Dilemmata - das sind Situationen in denen die rationale Wahl (wenn der andere A waehlt, bin ich besser dran wenn ich auch A waehle, und wenn der andere B waehlt bin ich auch besser dran wenn ich A waehle) verlaesslich in eine Katastrophe fuehrt - und irrationales Verhalten (blindes Vertrauen, Unzurechungsfaehigkeit oder einfach den Zufall entscheiden lassen) zu guten Ergebnissen.

    Im Endeffekt sagt der Titel die Stossrichtung - die mathematische Analyse zeigt, dass 'Unvernunft' statt 'Rationalitaet' oefter als man denkt die Loesung und nicht das Problem ist.

    (Was ist dann Rationalitaet eigentlich, warum geht die so daneben - und wie koennen wir das danebengehen eigentlich mathematisch analysieren - Mathematik ist doch auch rational - wer das wissen will, soll Doug Hofstaedter lesen und was er ueber Goedel's Theorem zu sagen hat...:))

  • Das Buch Hiob

    Moeglicherweise etwas mehr abgebissen als ich bequem kauen kann, der Text ist poetisch und richtig schwer zu uebersetzen, voll von bildhafter Sprache... aber irgendwann muss ich auch mal mit poetischen Texten anfangen...

    Hiob ist ein Text den ich schon lange mal lesen wollte - einer der tiefen philosophischen Probleme des Altertums. Hiob ist ein gottesfuerchtiger Mann der alles hat - eine grosse Familie, Herden von Schafen und Kamelen, viele Diener... Und Satan (ein Titel, kein Name) kommt zu Gott und meint: 'Gott zu lieben ist leicht wenn man alles hat - das bedeutet nichts.' Also erhaelt Satan die Erlaubnis, Hiob seinen Besitz und seine Familie zu nehmen, ihn selbst aber muss er schonen. Hiob kontert den Schicksalsschlag mit den Worten 'Nackt bin ich aus dem Bauch meiner Mutter gekommen, nackt werde ich wieder unter die Erde gehen, Gott hat gegeben, Gott hat genommen' Satan argumentiert dass jeder bereitwillig seinen Besitz geben wuerde um seine Gesundheit zu retten - also erhaelt er die Erlaubnis, Hiob auch das zu nehmen. Nun verzweifelt er wirklich und verflucht den Tag seiner Geburt, und ausgehend von diesem Punkt kommen jetzt Dialoge mit drei seiner Freunde die verschiedene philosophische Ansaetze vorschlagen, und ultimativ Gott der Hiob antwortet.

    Einer der grossen Texte, weil er aufzeigt dass Gott keine Wunscherfuellungsmaschine ist mit der man Geschaefte wie 'Froemmigkeit gegen Erfolg im Leben' macht, und weil er wieder und wieder die Frage nach Gerechtigkeit aufwirft.

  • Kommt daher auch die "Hiobsbotschaft" hängt sie damit zusammen was ihm genommen wurde oder wie hat sich das gebildet?

    Ja, die kommt daher - im Prolog des Textes kommen hintereinander Boten die sich die Klinke in die Hand geben und mitteilen wie seine Herden von Raeubern weggetrieben wurden, seine Dienerschaft verschleppt und seine Familie getoetet - da wird eine Katastrophe nach der anderen vermeldet, und so ist das das Bild dafuer geworden.

  • Zum zweiten Mal gelesen:

    "Möbelhaus" von Robert Kisch (Guido Eckert)

    Ein ziemlich authentischer Tatsachenroman von 2015. Die beschriebenen Zustände kann ich insofern bestätigen als daß ich seit genau diesem Jahr ebenfalls in der Branche als Verkäufer arbeite. Daß es heute noch so ist wie vor sieben Jahren - das kann ich zumindest für mein Haus verneinen.

    Ändert jedoch nichts am Grundtenor.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Guido_Eckert

  • Ich habe mich entschieden, an einem Buchclub teilzunehmen. Kommenden Monat lesen wir dort Der Meister des Jüngsten Tages von Leo Perutz.

    Laut Buchrücken hat jemand die Geschichte als das Ergebnis einer Affäre von Franz Kafka mit Agatha Christie bezeichnet - da ich beide nicht gelesen habe (Gut, Kafka zumindest nicht mehr seit dem letzten Deutschunterricht), habe ich nur eine vage Vorstellung, was das bedeuten könnte.

    Es handelt sich hier wohl um einen Krimi bzw. einen Thriller, der in Wien spielt. Es kam zu einer Reihe rätselhafter Selbstmorde ohne jedes Motiv, und schließlich gerät auch der Ich-Erzähler, Baron von Yosch, in den Kreis der Verdächtigen.

    Was mir bisher auffiel: Scheinbar ohne Ankündigung wechselt der Text zwischen Präsenz und Präteritum hin und her. Zuerst ist mir das gar nicht aufgefallen, nun kann ich es nicht mehr übersehen. Nur die Absicht dahinter ist nur noch nicht klar ... :hmm:

    Ich habe noch nicht viel gelesen, aber man spürt sehr schnell, dass zwischen den Figuren Verstrickungen herrschen, die sich noch offenbaren werden. Das Buch saugt einen sehr schnell in die Seiten, und es verliert keine Zeit mit plot-irrelevanten Details. Hier will man nicht das Vorkriegs-Danzig rekonstruieren, sondern eine Geschichte vertellen. Ich habe bisher das Gefühl, dass da etwas bereits falsch läuft und möchte natürlich wissen, was da los ist. Das ist sehr gut gemacht.

    Die Prosa ist auch sowohl schon und elegant, als auch effizient und einfach lesbar. Im Prinzip das ideal. :) Nur diese Zeitformen sind mir (noch) ein Rätsel.

    Häupter auf meine Asche!

  • Als Hörbuch in zwei Tagen angehört: Der Mittagstisch von Ingrid Noll, gelesen von Anna Schudt.

    Man kann das Buch sicher als einen Krimi sehen, denn es gibt Tote, aber das hier ist keine Detektivgeschichte in dem Sinne. Mehr sag ich nicht, das wäre sonst gespoilert. :P

    Die Geschichte handelt von Ich-Erzähler Nelly, einer alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern, die sich mit einem illegalen Gastronomiegewerbe gerade so über Wasser hält. Andere Leute Zahlen, um bei ihr zu Mittag zu essen. Doch nicht alle Kunden sind ihr freundlich gesinnt, und Nellys Bemühungen um neue Liebe gehen furchtbar schief ...

    Ja, ein heiteres Buch mit liebenswürdigen Figuren (Kinder und eine Katze und auch ein Hund!), das einem nicht wehtut und das man sicher gut in einem Urlaub lesen kann. :) Schöne Unterhaltung, leichte Lektüre.

    Das Ende war aber unerhört!

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    Alle kommen mit ihren Morden durch. Es ist doch einfach unglaublich, dass niemand dafür gestraft wird. :D Das gefällt mir tatsächlich sehr gut. Nur - was sagt das über meinel Gefühl von Moral aus? :D

    Und schön geschrieben ist es eben auch. Handwerklich gibt es wirklich nichts zu meckern.

    Vorgelesen wurde es auch sehr kompetent.

    Damit kann ich es einfach grundsätzlich empfehlen, wenn man mit Krimis etwas anfangen kann.

    Häupter auf meine Asche!

  • Wieder ein Hörbuch, dieses Mal:

    Effi Briest von Theodor Fontane, gelesen von Karlheinz Gabor.

    Als nächstes brauche ich 1) eine Pause von Hörbüchern und 2) dringend mal wieder etwas modernes. :S

    In dem Buch steht jedenfalls sehr viel zwischen den Zeilen und man merkt Fontane an, dass er ein sehr intelligenter Erzähler ist. Grundsätzlich ist die Geschichte von Effi Briest auch interessant und hat ihren Wert. Man kann es recht schnell zusammenfassen: Effi Briest wird mit siebzehn Jahren an einen zwanzig Jahre älteren Mann verheiratet, der aber so auf seine Karriere fixiert ist, dass er sich nicht recht um sie kümmert und sie lieber "erziehen" will, zu einer Dame. Trotz aller Höflichkeiten und netter Worte zwischen den Figuren ist Effi unzufrieden und einsam und gibt sich - nicht aus Liebe, sondern Bedürfnis - einer Affäre hin. Nach sechs weiteren Ehejahren findet ihr Mann die Briefe, die Effis damaliger Verehrer ihr schrieb und tötet diesen dann im Duell. Effi wird verstoßen und von ihrem Kind getrennt. Sie stirbt bald, in Versöhnung mit ihren Eltern, im Haus ihrer Kindheitstage.

    Tja, eine sehr klassische Geschichte eigentlich. Die Figuren begreifen zum Großteil, dass Effi hier unrecht widerfährt, dass nach sechs Jahren glücklicher Ehe die Affäre verjährt sei etc., aber trotzdem unterwerfen sie sich dem gesellschaftlichen Druck und befinden ihn für notwendig. Man darf nicht vergessen, dass die Figuren Adelige sind, die sind davon abhängig. Aber keiner ist damit glücklich.

    Ja, es steckt doch noch so einiges in dem Büchlein drin. Aber ob ich es mir ohne Hörbuch gegeben hätte, das kann ich nicht so recht sagen. Fontane war neben der eigentlichen Geschichte eben auch die Zeichnung von Pommern und dem Havelland sehr wichtig und das ist eben auch recht langatmig - obwohl ich das als jemand, der in der Gegend aufgewachsen ist, durchaus zu schätzen weiß.

    Obwohl man zwischen den Zeilen viel lesen kann, haben mich die Höflichkeiten der Adeligen doch oft gelangweilt. Ich weiß nicht, ob ich wirklich mehr Fontane brauche. "Irrungen, Wirrungen" habe ich noch hier, es ist kürzer, und Spotify hat auch Hörbücher dazu zur Verfügung, also vielleicht gebe ich mir das auch. Aber "Effi Briest" hätte ich mir wahrscheinlich nicht gegeben, wenn es nicht quasi notwendig wäre, um Günter Grass' "Ein weites Feld" begreifen zu können. :hmm: Am Ende bin ich wohl froh, dass ich doch etwas davon mitnehmen konnte.

    Häupter auf meine Asche!

  • So, dass ich das beendet habe, ist nun bestimmt schon eine Woche her. ^^'

    Also, gutes Buch! Ein Page Turner, muss ich schon sagen. Das mit den Zeitformen ist tatsächlich nur in einem einzigen Kapitel passiert und die genaue Bedeutung davon habe ich noch nicht erkannt. Vielleicht sollte ich es ein zweites Mal lesen?

    Perutz selbst meinte wohl, er habe noch nie einen Kriminalroman geschrieben, also auch mit diesem Buch eingeschlossen. Der Ich-Erzähler Baron von Yosch widerspricht sich immer wieder und bis zum Nachwort wird dem Leser ein ziemlich unglaubwürdiger Krimi vorgesetzt, finde ich. Am Ende wird alles nochmal in einen neuen Kontext gesetzt und plötzlich ergibt es alles mehr Sinn. Im Prinzip teilt dieser Roman einen ganz wesentlichen Punkt mit Günter Grass' Novelle "Katz und Maus":

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    Der Ich-Erzähler ist schuld, will gestehen und gleichzeitig nicht gestehen. Im Versuch, sich schriftlich zu rechtfertigen und seine Schuld von sich zu weisen, sabotiert er sich immer wieder selbst.

    Man sollte dieses Buch nicht als Kriminalroman lesen, sonst wird man enttäuscht! Ohne so eine Erwartung allerdings gibt es hier viel zu mögen. Es soll ja sogar einer von Pertz' erfolgreichsten Romanen sein; Perutz selber soll es aber nicht gemocht haben. Nun, da wird es sicher Gründe für geben, aber ich bin auf Seiten der Liebhaber. :)

    Eine Empfehlung an alle, die für solche mehrdeutigen Geschichten offen sind.

    Häupter auf meine Asche!

  • In Cold Blood von Truman Capote

    Nachdem wir den Film 'Capote' gesehen hatten wo's um die Entstehung dieses Buches geht, hatte ich beschlossen dass ich irgendwie ohne das Buch gelesen zu haben mit dem Film nicht genug anfangen kann, also... den Klassiker organisiert und angefangen.

    Das Buch muss eine der ersten 'True Crime' stories sein, es geht um einen Kriminalfall in Holcomb, Kansas, bei dem zwei Ex-Gefangene in das Haus eines Farmers eingedrungen sind und die Familie getoetet haben. Capote beleuchtet das ganze Milieu - die Farmer, die Bewohner der Kleinstadt, genauso wie den Hintergrund und die Psychologie der beiden Taeter... Es muss damals ziemlich revolutionaer gewesen sein, anscheinend hat das Buch 6 Millionen US$ eingebracht - inzwischen ist das Genre wohl bekannter... Waehrend ich es leidlich spannend finde, ist es, verglichen mit anderen True Crime Werken die ich kenne (von Philipp Sugden etwa gibt's ein sehr lesenswertes Werk ueber die 'Jack the Ripper' Morde in Whitechapel) nichts was mich aus den Latschen fegen wuerde. Mal sehen, vielleicht steigert es sich noch...

  • Irrungen, Wirrungen von Theodor Fontane.

    Ich glaube, bei Fontane und diesem Romanzen-Genre muss man wirklich für die Dialoge und die Figuren dabei sein. Das ist nämlich wunderbar lebhaft und man hat wirklich das Gefühl, man wäre dabei gewesen. So ein bisschen ist Fontane als Hörbuch wie eine traurige warme Decke. Ich habe nicht immer voll konzentriert zugehört, und trotzdem bekommt man all die Motive mit, die etabliert und später wieder aufgegriffen werden. Wunderbar rund ist es - nur auf lange sicht wohl nicht mein Genre.

    Häupter auf meine Asche!

  • Aus purer Langeweile habe ich aus einem Billigladen ein Softcover mitgenommen, weil ich mich mal wieder schlau fühlen wollte: James Hawes' "Die kürzeste Geschichte Deutschlands". Was soll ich sagen, schlau fühl ich mich jetzt nicht, aber... erleuchtet!

    Der Mann ist ein Genie. Ein Frevler. Ein Revolutionär. Ein Possenreißer. Und weil das wohl keinem wirklich was sagen wird, hier vielleicht in der prägnanten Kürze, die das Buch auszeichnet, die Kernaussagen:

    Ost- und Westdeutschland gehören, dem Autor zufolge, nicht zusammen. Nicht wegen einer vierzigjährigen Teilung durch die innerdeutsche Grenze, sondern weil schon damals ein großer Teil des Westens römisiert war, während der Osten zunächst das wilde, ungeeinte Germanien darstellte, später vom Deutschritterorden kolonialisiert wurde und man sich nie sicher war, wie weit dieser ungezähmte Osten geht.

    Die Reichseinigung von "oben" im Jahr 1871 war, glaubt man dem Autor, ein kolossaler Fehler. Alles wurde preußianisiert, was es nie hätte sein sollen. Preußen als "ostelbischer" Junkerstaat wäre völlig anders gewesen als all die deutschen Fürstentümer.

    Eine Person, die im Jahr 1931 die NSDAP wählte, konnte man anhand einer einfachen Frage zu 80% ermitteln: Nämlich, ob sie protestantischen Glaubens sei. Protestanten wählten in diesem Jahr mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit NSDAP. Katholiken hatten eine sehr viel niedrigere Wahrscheinlichkeit für dieses Wahlverhalten.

    Ohne das ostelbische, prostestantische Junkertum wäre die NSDAP nie an die Macht gekommen. Erscheint recht logisch, wenn man bedenkt, dass auch die heutige Neue Rechte besonders in den neuen Bundesländern - wo sie sich schon historisch gesehen heimisch fühlt - zuerst erstarkte.

    Hawes provoziert natürlich. Sein Buch hat auch für ziemlich viel Furore gesorgt, immerhin fasst er 2000 Jahre auf 200 Seiten zusammen und stellt sich konsequent die Frage, ob der Osten Deutschlands zum Westen gehört. Auch, wer keine Ahnung von Historie hat, kann sich das Büchlein dennoch sehr unerschwinglich zu Gemüte führen, hören, staunen und dann mal bisschen drüber nach- und weiterdenken.

    Was ich schreibe: Eden

  • Ich habe mich nun gewagt, mit Ein weites Feld von Günter Grass zu beginnen.

    Bevor ich in diesen Schinken hineinging, wusste ich ein paar Dinge:

    1) Das Buch wurde mehrfach verrissen

    2) Es setzt, warum auch immer man so sollte ..., ein umfangreiches Grundwissen zur gesamtdeutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts voraus ...

    3) ... und auch zu Theodor Fontanes Werk

    4) Es ist wahrscheinlich Grass' längster Roman und soll überwiegend aus Gesprächsprosa bestehen.

    Ich mache mich also dazu bereit, ein Buch zu lesen, das ich in Teilen nicht verstehen werde, das Grass' eigensinnige und manchmal schwerfällige Prosa weit ausdehnt, und das nur wenig von den unterhaltsamen Episoden enthält, die ein Buch wie Die Blechtrommel eben zu einem guten Buch machen.

    Darum habe ich mir einen Audible-Probemonat geholt, um irgendwie meine Hände an ein Hörbuch zu bekommen und das Buch vielleicht ja doch zu schaffen (leider hatte meine Hochschulbibliothek das nicht).

    Eigentlich ist das Leben ja zu kurz für schlechte Bücher. Aber hier will ich es einfach irgendwie wissen ...

    Gideon The Ninth von Tasmyn Muir unterhält mich derweil wunderbar, solange meine Konzentration für das Englisch reicht.

    Häupter auf meine Asche!

  • So, Hörbuch sei Dank ging das verhältnismäßig schnell. ^^

    Worum geht's?

    Fonty, eigentlich Theo Wuttke, feiert seinen 70sten Geburtstag, als die Mauer fällt. Seinen Spitznamen hat er daher, dass er genau 100 Jahre nach Theodor Fontane geboren ist, im gleichen Ort. Er hat eine Frau mit ähnlichem Namen, Kinder mit ähnlichen Namen, hat Ähnliches erlebt und kennt Fontanes Werk in und auswendig. Er ist ein Wiedergänger (das Buch hat also Fantasyelemente, wie so viel von Grass) und hat in beiden Leben einen deutschen Einheitsprozess miterlebt (Reichsgründung unter Bismarck und die Wiedervereinigung 1989), die er beide misslungen findet. Immer an seiner Seite ist der unsterbliche Spion Hoftaller, der der Protagonist des Buchs "Tallhover" von Hans Joachim Schädlich ist, und denn Grass vorher um Erlaubnis bat.

    Die beiden führen viele Gespräche, schwelgen viel in Erinnerungen vom 19. und 20. Jahrhundert, und es wird klar, dass Hoftaller Fonty mit ein paar Dingen in der Hand hat. Und das immer, wenn Fonty sich endlich aus dem Staub machen will ...

    Das Buch ist eine Fontane-Biographie, aber auch eine Fonty-Biographie, die die beiden Einheitsprozesse diskutiert und nebenher Fontanes ikonisches Bild komplett dekonstruiert und in Fonty menschlich werden lässt.

    Als Erzählansatz hat Grass ein unbestimmtes "Wir" gewählt ("Wir vom Archiv nannten ihn Fonty"), manchmal, wenn nur einer vom Archiv auftritt, gibt es auch ein "Ich". Die Archivleute erzählen, zeigen Briefe vor, beziehen sich auf Quellen etc. Das ist eine Lehrstunde in Sachen Intertextualität. Grass beherrscht das wunderbar.

    Große Kunst ist das. Aber leider kein gutes Buch.

    Zwar macht Grass das alles stimmig, aber die Geschichte voller Spaziergänge, Plauderei, Briefen, etc. ist fast so, als hätte man Fontanes Bücher auf die Spitze getrieben. Ich habe bei Fontanes Hörbüchern schon manchmal nicht so genau hingehört, und hier nun auch. Ich glaube nicht, dass ich so viel verpasst habe.

    Einen Plot gibt es an sich schon, aber er ist sehr dünn. Die biographischen Teile nennen wir im Forum Info-Dumps. Wenn man sich nicht total für Fontane interessiert, dann kommen die immer wieder. Und oben drauf kommt noch, dass Grass quasi voraussetzt, dass man mit Fontanes Lebenslauf schon etwas vertraut ist und "Irrungen, Wirrungen", "Effi Briest", "Der Stechlin" und seine anderen Bücher alle gelesen hat. Bei mir trifft das nur auf Effi Briest und Irrungen, Wirrungen zu. Grass ist das Publikum wirklich total egal gewesen, als er das geschrieben hat.

    Tja, ja. Ich habe großen Respekt davor, dass Grass den Einheitsprozess aus DDR-Perspektive schildert. Die Leute unterschätzen, wie viel Unmut die Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern hinterlassen hat. Es war eben keine Vereinigung auf Augenhöhe. Der Feind war besiegt, er wurde abgeschafft und gelootet, wie ein Kumpel sagen würde. Das sitzt noch tief bei einigen. Sowas wie: "Damals, als der Westen uns geschluckt hat", habe ich schon von Leuten aus dem Dorf gehört. Die Nachwirkungen treiben heute noch Leute in die Hände von Extremisten.

    Naja ...

    Respekt jedenfalls. Grass hat ja ordentlich Kloppe für das Buch bezogen. Leider ist es nicht sehr unterhaltsam.

    Häupter auf meine Asche!