Es war das 13. Jahr der Kerea etl uneth.
Dieser elfische Begriff ließ sich ganz grob übersetzen mit: Freundschaftliche Übernahme zum Schutz und zur Weiterentwicklung.
Der augenscheinliche Anlass war der Orksturm gewesen, der über die drei menschlichen Reiche hinweg gefegt war und dabei eine Schneise von Leid und Zerstörung geschlagen hatte. Erst an der Grenze zum Elfenreich war der Sturm an den Phalangen der Tausendjährigen Legion gebrochen worden.
Natürlich hatten die Menschen zuvor schon heftigen Widerstand geleistet, doch laut der offiziellen Sprechart waren es selbstverständlich die Elfischen Elitetruppen gewesen, welche den ersten zugleich einzigen erwähnenswerten Beitrag zum Sieg über die blutgierigen Monster geleistet hatten.
Um die geschwächten Reiche der Menschen vor weiteren Invasionen zu schützen, beschloss das Elfische Großreich, Truppen in den wichtigsten Städten und Garnisonen, an den wichtigsten Verkehrswegen in den Menschenreichen zu stationieren.
Königen, Ministern und Generälen wurden Berater zur Seite gestellt, deren Rat jedoch schwer, wenn nicht gar unmöglich, ignoriert werden konnte.
Das große Geschenk der Elfen an die Menschen war die Magie, welche zugleich einen tiefgreifenden Wandel in Kultur und Handwerk einleitete, aber auch die Abhängigkeit vom Elfischen Zauberpulver so sehr vergrößerte, dass auch nur die leise Andeutung einer Verknappung des Zugangssogar die sehr reale Möglichkeit beinhaltete, dass eine ganze Regierung deswegen gestürzt werden konnte.
Schon seit dem ersten Tag der "Freundschaftlichen Besetzung" gab es Stimmen, die dagegen Einspruch erhoben. Zuerst wurden die Stimmen großzügig überhört, schließlich als fortschrittfeindlich oder gar gefährlich nationalistisch eingestuft.
Immerhin ging es allen besser. Man hatte die Magie, die das Leben vereinfachte, den Schutz der tausendjährigen Legion, welche die Orks in Schach hielt und die Vorgaben des weisen Elfenkönigs ließen sogar lokale Unterschiede und damit auch lokale Konflikte gar nicht erst zu.
Dennoch gab es immer wieder Unverbesserliche, welche die Wohltaten der Elfen nicht zu schätzen wussten. Ewig Unzufriedene, die von Freiheit und Selbstbestimmung träumten und dabei vergessen hatten, in welcher ständigen Gefahr vor den räuberischen Orks, die Menschen vor der Hilfe ihrer Elfischen Freunde gelebt hatten.
Manche gingen sogar soweit, dass sie mit unsichtbaren, magischen Bomben bestückt, Mord und Terror in die Häuser des Elfischen Hochadel brachten.
»Wer bist Du denn?« Der Elf in der nicht mehr ganz sauberen Uniform eines grünen Grenadier trat an die Gitterstäbe seiner Zelle. Den Neuen, den man gerade herein geschleift hatte, hatte er noch nie gesehen.
Man hatte ihn hart angefasst und er sah so aus, als ob er unter notpeinlicher magischer Befragung gestanden hatte. Der Elf nickte anerkennend, dass der Mensch sich danach sogar noch halbwegs auf den Beinen halten konnte. Nicht vielen Menschen gelang das, nicht einmal allen Elfen.
Schwer fiel die Zellentür ins Schloss und der Mensch blieb noch, stur oder stolz, solange stehen, bis die Wärter außer Sicht waren. Dann fiel er schwer auf seine Liege.
»Was geht es Dich an?«, kam mit einiger Verspätung, als der Elf schon gar keine Antwort mehr erwartet hätte.
»Nur Konversation. Ich bin Jaanan. Sitze hier, weil sie mich erwischt haben, wie ich mich von der Truppe abgesetzt habe.« Der Elf gab sich betont lässig.
»Ein Deserteur also.« Die Antwort kam müde. »Dann ist das hier wohl der Zellentrakt für die Todeskandidaten.«
»Schon möglich, obwohl ich glaube, mit Straflager davonzukommen. Habe immerhin keinen umgebracht oder Geheimnisse verraten.« Der Elf betrachtete den Menschen näher.
Er war wohl jünger als er unter seinem zerschlagenen Äußeren vermuten ließ. Die langen wirren Haare und der struppige Bart taten ihr Übriges dazu, den Menschen nur schwer einschätzen zu können. »Und weswegen sitzt Du hier?«
Der Mensch schwieg eine Weile, setzte sich schließlich unter leisem Stöhnen auf. »Mord in acht Fällen.«
»Mord?«, fragte Jaanan entsetzt. »Wen hast Du denn ermordet, das Du in einem Elfenknast sitzt?«
»Acht Elfen, und noch ein halbes Dutzend verletzt«, erwiderte der Mensch ohne erkennbare Emotion in der Stimme.
»Wie, warum ... oh, Du bist der Attentäter, der mit dieser magischen Bombe in diese Abendgesellschaft geplatzt ist. Wie durch ein Wunder bist Du dabei nicht selbst umgekommen! Sogar hier habe ich davon gehört.«
»Genau. Keine Ahnung, warum die Elfenheiler mich zusammengeflickt haben. War so von mir jedenfalls nicht geplant.«
Eine Weile herrschte Schweigen und der Mensch legte sich wieder hin. Nur ruhige, wenngleich schwere Atemgeräusche, waren aus seiner Zell zu hören.
»Ein Selbstmordattentäter also. Wieso hast Du das gemacht. Glaubst Du nach dem Tod in ein Paradies zu kommen?« Der Elf war erschüttert und neugierig zugleich.
»Ich habe vorsätzlich einen Haufen Leute umgebracht. Keine Ahnung, wie das bei Euch Elfen ist, bei uns Menschen gibt's keinen Gott zu dem ich ins Paradies wollte, der sowas gutheißt.«
Janaan war verwirrt. »Dann gehörst Du zu diesen verblendeten Fanatikern?«
Der Mensch lachte leise: »Zu welchen genau? Gibt ein paar davon. Schätze aber eher nicht.«
»Also keiner dieser idiotischen Freiheitskämpfer, die stur behaupten, wir Elfen würden die Menschen unterdrücken?«
Ein Schnauben kam vom Liegenden. »Doch, genau einer dieser Idioten bin ich wohl.«
»Warum?« Der Elf konnte es nicht fassen. Der Mensch hörte sich gar nicht nach diesen durchgeknallten Typen an, von denen man überall Horrorgeschichten hörte.
»Warum was?«
»Warum glaubst Du, wir Elfen unterdrücken die Menschen? Wir haben Euch die Magie gebracht, zeigten Euch, wie ihr damit alle Bereiche von der Kunst bis zum Handwerk bereichern könnt. Und unsere Legion bewacht Eure Grenzen und schützte Eure Freiheit? Was wollt Ihr denn noch mehr?« Jaanan war fassungslos.
Der Mensch setzte sich wieder auf. Die kurze Pause schien ihm gut getan zu haben. Er schüttelte wohl gerade die Wirkung der notpeinlichen Befragung Stück um Stück ab. Das musste wirklich ein sturer, zäher Hundesohn sein. »Schon mal geschaut, wie viele Menschen wirklich von der Magie profitieren? Das Zauberpulver ist teuer und nur die Wohlhabenden können es sich leisten. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Arm und Reich nie deutlicher gewesen als jetzt, wo die Begüterten auf ihren magischen Teppichen reißen, während die Armen nicht einmal Reittiere oder Kutschen haben.«
»Und das soll jetzt unsre Schuld sein?« Der Elf war aufgebracht.
»Ihr kontrolliert der Zauberpulverfluss und die Preise. Glaub' nicht, dass nicht jeder Menschen weiß, dass das Pulver für jeden Elfen kostenlos und in jeder gewünschten Menge zur Verfügung steht.«
»Was willst Du damit sagen?«
Der Mensch seufzte leise: »Ihr habt Euch einen Markt geschaffen. Zuerst ein Bedürfnis erzeugt, was vorher nicht da war und nun verdient ihr daran.«
»Das ist doch kein Verbrechen!« Jaanan war wütend.
»Nicht dem Buchstaben des Gesetzes nach, jener Gesetze, die Ihr durch die sogenannten politischen Berater beharrlich auf diesem Stand haltet. Aber Du kannst mir nicht ernsthaft erzählen, dass es moralisch in Ordnung ist, jemand zuerst abhängig zu machen und ihn dann auszubeuten.«
»Du bist Doch verrückt«, schimpfte der Elf, aber es fehlte ihm an wirklich tiefer Entrüstung.
Wieder herrschte eine ganze Weile Stille, der Mensch schlief sogar ein paar Minuten.
»Ok, angenommen«, setzte Jaanan das Gespräch fort, als er merkte, dass sein Zellennachbar wieder wach war, »das ist alles so, warum hast Du dann ausgerechnet die Familie angegriffen, die am liberalsten ist und Euch Menschen am meisten fördert und Euer größter Fürsprecher ist? Das ist doch einfach nur dumm!«
»Sollte man denken, aber sehen wir uns einmal die Alternativen an. Hätte ich irgend eine der konservativen und den Menschen ohnehin ablehnend gegenüberstehenden Familien angegriffen, was glaubst Du, hätte das deren Denkart zu meinem Gunsten geändert?«
Der Elf legte seine Stirn in tiefe Falten: »Die wären noch viel mehr überzeugt gewesen von ihrem Standunkt!«
»Ganz genau. Es hätte überhaupt keinen Sinn gemacht. Diese Parteien kann ich nicht aufrütteln.«
»Aber ... warum dann ausgerechnet die Wenigen, die Euch halbwegs gewogen sind?«
Wieder kam leises Seufzen, als würde der Mensch es langsam müde werden, diesem begriffsstutzigen Elfen seine seltsame Logik nahezubringen: »Weil die sich am ehesten bewegen. Man muss bei einem blockierten Weg den Felsblock bewegen, den man bewegen kann. An einem, bei dem es nicht geht, seine Kraft zu vergeuden, das wäre wirklich dumm.«
Aufgeregt schlug Jaanan gegen die Gitterstäbe:»Ja, aber so bringst Du nur auch noch sie gegen Euch auf. Willst Du das?«
»Nein«, erneutes Seufzen, »aber diese Familie stellt sich vielleicht die richtigen Fragen. Ich meine, sie stellt sich überhaupt Fragen. So ähnlich wie Du gerade. Die anderen Familien würden sich gar nicht fragen, warum ich das gemacht habe, was die Menschen dazu treibt solche verzweifelten Maßnahmen zu ergreifen.«
»Nichts rechtfertigt Terror gegen Unschuldige. Wenn Du kämpfen willst, dann gefälligst ehrenhaft!«
»Du meinst, Auge in Auge mit einem Elfischen Legionär zum Beispiel. Einem Krieger der tausend Jahre damit verbracht hat, seine Kunst zu vervollkommnen, dessen Ausrüstung der meinen haushochüberlegen ist und der mehr Magie mit einem Fingerschnipsen bewirken kann, als ich mit einem tagelangen Ritus?«
Der Elf schwieg kurz, setzte aber trotzig nach: »Wenigstens wäre es ein ehrenhafter Tod!«
Zu seinem Entsetzen lachte der Mensch nun. »Ich habe mal eine Frage: Wenn jemand sein Leben satt hat und sich das Leben nimmt indem er von einer Brücke stürzt, ist das ehrenhaft?«
»So eine dumme Frage, natürlich nicht! Ein sinnloser Tod ist niemals ehrenhaft!«
»Verstehe. Und ein Offizier, der durch Fehlentscheidungen den Tod vieler Soldaten zu verantworten hat und sich deswegen in sein Schwert stürzt, handelt der ehrenhaft?«
»Ja, natürlich. Er steht zu seinem Fehler. Das ist ehrenhaft.«
Der Mensch stand auf und trat ebenfalls zu seinen Gitterstäben, so dass er den Elfen und der ihn genau betrachten konnte. »Du findest also einen Mann, der sich einem Kriegsgericht entzieht, der es vermeidet den Eltern der Soldaten, die er in den Tod geschickt hat, in die Augen zu sehen, der lieber stirbt als seine Schande wie ein Mann zu ertragen und sich einem Urteil zu stellen, so ein Mann handelt ehrenvoll?«
Janaan schluckte betroffen.
»Ich nenne so jemand einen Feigling. Jemand, der aber keinen Sinn mehr in seinem Leben sieht, der vermutlich allein gelassen, aus Verzweiflung sein Leben beendet, der tut durchaus etwas Sinnvolles. Was für einen Sinn würde eine Existenz ohne Sinn machen?«
Jaanan schnaufte: »Du könntest Ihn aber mit demselben Recht einen Feigling nennen.«
Der Mensch nickte: »Stimmt. Was ich Dir zeigen will ist, dass es absolut nicht ehrenhaft ist, sich sinnlos umzubringen. Und nichts Anderes wäre es, wenn ich mich "ehrenhaft" einem überlegenen Gegner zum Duell stellen würde. Im Gegenteil. Ich würde meinen Gegner entehren.«
»Wie bitte?«
»Sieh es mal so: Wenn ein Legionär mich tötet, ist er entehrt, weil er einen völlig unterlegenen Gegner abgeschlachtet hat. Töte ich ihn aber durch einen dummen Zufall, wird er dadurch entehrt, weil ihn ein völlig unterlegener Gegner bezwungen hat ...«
Der Mensch trat wieder vom Gitter weg und ließ den nachdenklichen Elfen stehen.
»Und«, fuhr der Elf nach einer erneuten Pause fort, »Denkst Du also, Du hättest Gnade verdient, weil Du im Recht bist?«
Wieder auf seiner Liege mit geschlossenen Augen antwortete dieser: »Bist Du irre? Ich habe acht Leute umgebracht, vorsätzlich und heimtückisch. Würde man mich begnadigen, wäre das ein übles Beispiel für andere meines Schlages, zumal ich es wieder tun würde, solange die Umstände sich nicht ändern. Leute wie mich kann keine gesunde Gesellschaft frei herumlaufen lassen. Ich habe nichts anderes als die Todesstrafe verdient.«
Der Elf konnte nur den Kopf schütteln. »Warum versuchst Du es nicht mit reden? Du bist offensichtlich ein gelehrter Mann, einer der sich vernünftige Gedanken macht. Die Leute würden Dir zuhören?«
Ganz leise kam die Antwort: »Welche Leute? Leute wie Du? Einfach Soldaten, Händler, Handwerker? Sogar ihr Elfen habt einen König und den Rat der Adligen vor der Nase. Wie viele von Deinem Volk haben wirklich etwas zu sagen in Eurer Regierung? Zehn, zwanzig? Und glaubst Du, nur ein Einziger würde mich wirklich anhören? Sie hören ja nicht einmal Dich für so einen einfachen Wunsch an, kein Soldat mehr sein zu wollen. Was denkst Du? Würden sie auch nur einen Gedanken an den Menschen verschwenden, der gerne hätte, dass die Elfen mit all ihrer Magie, ihrer Kultur und ihren guten Absichten wieder verschwinden und nur dann zurückzukommen, wenn man sie auch einlädt?«