Hallo, liebe Gemeinde,
habe hier einen Leckerbissen für Hexenfreunde und solche, die es werden wollen. Eine Frau bringt eine Katze zur Welt, und für eine andere Frau bricht die Hölle los... Dazwischen viel mittelalterlich anmutendes Drumherum. Die Geschichte hat nur einen Haken, sie ist ziemlich lang... Ich wag´s trotzdem.
Die Hexe von Roden auf dem Berge
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Am dritten August des Jahres Sechzehnhundertneunundfünfzig kam in Bovenden, einem Dörfchen gegenüber Roden auf dem Berge, ein Mädchen zur Welt, das zunächst die Hebamme, dann aber auch die Eltern in helles Entsetzten stürzte. Die rosige Haut des Kindes, das sich in schlechter körperlicher Verfassung zeigte, war mit einer Vielzahl dunkler Flecken und Streifen überzogen, nur das Gesichtchen war verschont geblieben.
Und die Kopfform! Die Hebemutter sah es, und ihr grauste. Das war kein Kinderkopf, das war ein Katzenkopf! Das Kind hatte eine Schnauze!
Mit der Zeit wurden die Streifen und Flecken dunkler, und nach einer Woche sah das Kind aus wie eine Katze mit glattem Fell. Ein Katzenkind also. Die Hebamme hatte schon viel gesehen und hielt sich für eine vernünftige Frau. Sie glaubte zwar an die Existenz des Teufels, aber nicht an Inkubi und Sukkubi, die nachts mit wehrlosen Frauen verkehren und ihnen missgebildete Kinder in den Leib hexen.
Die Hebamme nahm die Gulden, die ihr der Mann in die Hand drückte und versprach, zu schweigen.
Nachdem sich die Frau einigermaßen vom Kindbett erholt hatte, nahm sie der Mann scharf ins Gebet. Auch er glaubte an den Teufel – ihm und den anderen Kirchgängern wäre es nie in den Sinn gekommen, die Höllenvision anzuzweifeln, die in der Vorhalle der Kirche hing und in drastischer Weise die Qualen der Hölle veranschaulichte. Und: Waren nicht immer noch Gutachten der obersten Inquisitionsbehörde in Umlauf, welche die Möglichkeit von Teufelsmagie und -buhlschaft ausdrücklich bestätigten?
Doch mochte er der Frau keine Teufelsbuhlschaft anhängen, dagegen stand ihre schlichte Frömmigkeit. Allerdings, ein Restverdacht blieb. Denn der Teufel ist listig und verschlagen! Nicht einmal vor frommen Frauen schreckt er zurück, hatte der Pfarrer noch letzten Sonntag lauthals von der Kanzel verkündet! Schließlich musste dieses Kind ja irgend einen Grund haben.
Er stellte die Befragung jedoch bald ein. Die Frau war am Ende ihrer Kräfte. Sie fühlte sich schuldig, aber sie fand keine Schuld. Immer wieder durchforschte sie ihr Gewissen nach eine schweren Sünde, doch sie fand keine. Zermürbt von qualvollen Selbstvorwürfen und einer Reihe schlafloser Nächte, brach sie in verzweifeltes Schluchzen aus und brachte kein Wort mehr hervor.
Die Zeit drängte. Schon wunderten sich die Nachbarn, warum sich die Frau nicht mehr außer Haus zeigte. Und das Kind, musste es nicht schon lange zur Welt gekommen sein? Zunächst waren die Fragen noch harmlos-neugierig, sie nahmen aber immer mehr an frech-fordernder Schärfe zu. Der Mann wurde auf offener Straße zur Rede gestellt; seine ausweichenden Antworten schürten das Misstrauen noch weiter an. Es war der Zeitpunkt abzusehen, an dem die Obrigkeit Auskunft haben wollte.
Das Ehepaar steckte die Köpfe zusammen und beratschlagte. Die Möglichkeit, sich einem Geistlichen anzuvertrauen, wurde kurz erwähnt und rasch verworfen. Es wäre einer Selbstanzeige beim Heiligen Offizium gleichgekommen. Der Pfarrer war ein aufrechter, aber auch selbstgerechter Mann, dem die Macht der Kirche mehr am Herzen lag als die Nöte der Gläubigen. Dem wäre ein inquisitorisches Tribunal gerade recht gewesen!
So beschlossen sie, erst einmal gar nichts zu unternehmen. Wenn die Hebamme dicht hielt, bestand ja fürs erste auch keine Gefahr. Die kleine Josephine, bis zum Hals in Tücher gewickelt, die Händchen in Handschuhen, auf dem Köpfchen eine lustige Mütze, glich den anderen Wickelkindern fast wie ein Ei dem anderen. Wer sollte da Verdacht schöpfen, dass mit dem herzigen Kind etwas nicht stimmte?
Nur, was war, wenn sie älter wurde und frei herumlaufen wollte? Einsperren wie den Kaspar Hauser, der zehn Jahre und mehr in einem finsteren Verschlag zubringen musste, von eine Wölfin gesäugt, wie man wissen wollte?
Aber noch lag das Kind schlaff in seinem Bettchen und bewegte sich kaum. Und aufrecht sitzen – das klappte auch nach einem halben Jahr noch nicht.
Eines Abends im Bett rief die Frau: „De Burgemeester! Sonnleitner!“, und als ihr Mann sie fragend ansah: „Ja! Hubertus Sonnleitner, der kann helfen!“
Bei näherer Betrachtung erwies sich dieser Vorschlag als gar nicht so übel. Hubertus Sonnleitner, der Bürgermeister von Roden auf dem Berge, galt weit und breit als ehrlicher und unbestechlicher Mann. Auch seine recht fortschrittliche Gesinnung stand außer Frage. Um das Geschwätz der Leute schien er sich einen Fliegendreck zu kümmern. Hätte er sonst diesen Hirschkäfer von Frau geheiratet?
Hinzu kam noch ein weiterer, hoffnungsvoller Lichtblick: Zwar wurden Inquisitions-Prozesse durch Gutachten kirchlicher Instanzen in Gang gesetzt, jedoch Urteilsfindung sowie Vollstreckung des Urteils oblagen der weltlichen Gerichtsbarkeit. Immer seltener kam in letzter Zeit der Scheiterhaufen dabei heraus – es sei den, das Vergehen war schwere Ketzerei. Und davon konnte nun wirklich nicht die Rede sein. Also, gesetzt, es käme überhaupt zu einem Prozess und einer Verurteilung, womit wäre zu rechnen? Vielleicht mit einer milden Kirchenstrafe wie Fasten, Almosen geben, Wallfahren? Vielleicht, vielleicht... Und auch nur, wenn der Bürgermeister mitspielte.
Sie kannten ja Sonnleitners abgründigen Charakter noch nicht.
Gleich am nächsten Vormittag ging Erwin Mooshard aufs Rathaus und bat um eine Audienz beim Burgemeester.