Hallo zusammen!
Hiermit starte ich einen neuen Versuch, diesmal mit einer Idee, die nicht schon 10 Jahre auf dem Buckel hat und in der Zeit kaum vorangekommen ist. Ich habe für diese Geschichte keinen großartigen Plan, ich weiß nicht genau, wo sie hinführen wird und welche Wendungen es geben wird. Normalerweise bin ich ein Freund von mehr Struktur, nur leider führt das bei mir gerne zu Schreibblockaden, weil ich ja schon weiß was passiert, warum sollte ich es dann noch aufschreiben Jedenfalls wird das hier ein Experiment und ich hoffe, es kommt was gutes dabei heraus.
Viel Spaß!
Kapitel 1
»Bitte, hereinspaziert, immer herein! Es ist mir eine Freude, Sie im Kasatschok begrüßen zu dürfen!«, quäkte eine Stimme und ihr Nachhall vibrierte höhnisch in der schmutzigen, verlassenen Gasse.
»Ernsthaft?«, stöhnte eine zweite. »Immer das gleiche. Ist mir scheißegal, wer du bist, geh rein, oder lass es bleiben, aber hör auf zu gaffen.«
Ihr zweiter Satz war an den Besucher gerichtet, der, eingepackt in eine knielange, graue Jacke und einem vor Schlamm starren Paar Stiefel, unter dem niedrigen Vorsprung Schutz vor dem Regen gesucht hatte, in dem sich der Eingang zum Kasatschok befand.
»Jungs, bitte, müsst ihr jeden Gast mit dieser Diskussion nerven? Wir vertreiben ihn noch!«, versuchte eine dritte Stimme zu schlichten.
Henry zog sich die Kapuze vom Kopf und starrte irritiert auf die geschlossene Tür der Bar, in deren schmutzigen Fenster drei unförmige Gesichtsfratzen nebeneinander hingen. Die beiden, die zuerst gesprochen hatten, hingen links und rechts oben, die letzte mittig darunter.
Mit der behandschuhten Hand strich Henry sich den Regen aus dem knallroten Haar. Die Feuchtigkeit kroch trotz des kleinen Vorsprungs über ihm in jede Ritze seiner Kleidung. Es musste ein gewaltiger Sturm in der Oberstadt toben, dass so viel Regen hier unten ankam. Andererseits lag die Bar schon auf Ebene acht, also schon recht weit oben an der Grenze und normalerweise würde er sich nicht hier aufhalten. An guten Tagen konnten die Fratzen vielleicht sogar ein Fleckchen vom Himmel erhaschen.
»Oh, wow, seht euch diese Haare an! Der neuste Schrei in der Oberstadt?«, fragte die erste Fratze mit viel mehr Begeisterung, als angebracht war.
Die zweite Fratze rollte genervt mit den Augen. Es waren ausgesprochen tote Augen. Henry trat noch einen Schritt näher, beugte sich hinunter zur Mitte der Tür und musterte alle drei. Eine war hässlicher als die andere. Lange, unförmige Gesichter mit eigenwilligen Nasenformen und hin und her huschenden Augen starrten zurück. Die drei konnten nicht anders, immerhin hingen sie wie kaputte Uhren an großen, verrosteten Nägeln, die jemand ins Holz des Querbalkens in der Tür getrieben hatte. Über ihnen leuchtete ein Schild, das gleichgültig mitteilte, dass die Bar geöffnet war.
Die erste der drei hing mit Dauergrinsen in der Tür. Furchtbare Lachfalten zogen sich über ihr runzeliges Gesicht, sodass sogar der tote Blick eine gewisse Lebensfreude ausstrahlte.
»Hör auf so zu starren! Gehst du rein, oder nicht?«, knurrte die zweite Fratze verärgert. Ihre Mundwinkel hingen schlaff nach unten, sie hatte Tränensäcke vom Ausmaß kleiner Kartoffeln und alle Falten, die ihren Nachbarn fröhlich erscheinen ließen, waren bei ihr eine Manifestation des Grauens.
»Kannst du dich nicht einmal freuen, dass jemand stehen bleibt und Interesse an uns zeigt? Normalerweise sind wir nur das sprechende Türschild.«
»Normalerweise kommt niemand in diese Bar«, giftete die zweite Fratze die dritte an, die schräg unter ihr hing. Sie war noch unförmiger, als ihre beiden Kollegen, was an sich schon als Kunst durchging. Die Augen saßen nicht auf einer Höhe, ihre Nase ragte schief aus den schmalen Gesicht heraus und der Mund klaffte über die gesamte Breite der Erscheinung.
»Wie immer eine maßlose Untertreibung«, motzte die dritte Fratze zurück.
»Kommen Sie rein, die Party findet drinnen statt!«, rief die erste Fratze und wieder hallte die knatschige Stimme unangenehm in der Gasse wider. Angespannt sah Henry sich um. Aufmerksamkeit war etwas, das er lieber vermied, wenn er in dieser Gegend der Unterstadt unterwegs war. Aber normalerweise war niemand dumm genug, sich bei Regen aus dem Haus zu trauen. Er spürte bereits seit einigen Minuten, wie die durch die dicken, schmutzigen Tropfen vergiftete Luft in seinen Atemwegen kratzte. Er musste dringend nach drinnen, in einen klimatisierten Raum.
»Sieht mir nicht nach Party aus«, erklärte er der ersten Fratze, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich ein Bewusstsein besaß, dass seine Worte verstehen konnte, oder ob sie nur programmiert war, durch die Gasse zu schreien. Er wusste nicht einmal, ob es sich hier um Lebewesen, oder eine Art von künstlicher Lebensform handelte.
Entschlossen griff er nach der Türklinge, lehnte sich mit seinem Gewicht dagegen und betrat die Bar. Dabei kam er den Fratzen noch einmal näher als beabsichtigt und sah aus dem Augenwinkel, wie sie ihn alle drei kritisch beäugten. Er ignorierte sie auch, als sich die Tür wieder schloss und die drei begannen, darüber zu lamentieren, dass er sich nicht weiter mit ihnen unterhalten wollte. Er war nicht zum Vergnügen hier. Nachdem er sich einen kurzen Überblick über den Raum geschaffen hatte, konnte er sich auch nicht vorstellen, dass irgendjemand aus diesem Grund ins Kasatschok kam. Die Inneneinrichtung wirkte genauso traurig und heruntergekommen wie der Eingang. Eine handvoll Tische mit zusammengewürfelten Stühlen standen schmucklos an der rechten langen Wand des schmalen Raums. Ihnen gegenüber erstreckte sich die Bar. Drei klapprige Plastikhocker standen davor, einer war besetzt von einer Gestalt, die ebenso in einen langen schmutzigen Mantel gehüllt war, wie Henry selbst.
Beleuchtet wurde der Barbereich und so auch der Mann hinter der Theke von flackernden Neonröhren in verschiedenen Farben. Er schenkte Henry einen flüchtigen Blick und hielt kurz in seiner Bewegung inne. Als er sah, dass der neue Gast sich bereits seiner Kapuze entledigt hatte und einen ungefährlichen Eindruck machte, fuhr er fort, mit einem Lappen Gläser zu polieren. Am liebsten hätte Henry ihn gefragt, was es mit dem sprechenden Türschild auf sich hatte, aber er wusste es besser. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass die drei Fratzen ein unauffälliger Teil des Sicherheitssystems der Bar waren und ungebetene Gäste aussiebten.
Außer dem Kerl an der Bar saßen noch drei weitere Leute im Raum. Zwei Frauen besetzten den Tisch neben der Tür, beide unter ihren schützenden Mänteln, die sie nicht abgelegt, aber geöffnet hatten, auffällig bunt bekleidet. Die übertrieben geschminkten, teils verschmierten Gesichter und der hohle Blick ließ Henry vermuten, dass die beiden Prostituierten eine lange Nachtschicht hinter sich hatten. Er schenkte ihnen einen weiteren musternden Blick, aber sie schienen nichts weiter im Schilde zu führen, als ihr schwer verdientes Geld für Shots auszugeben.
Auch der Kerl auf dem Barhocker wurde einer kurzen Musterung unterzogen. Viel konnte er unter der grauen Jacke nicht erkennen, was grundsätzlich kein gutes Zeichen war. Zumindest fühlte Henry sich dabei weniger wohl. Er ging ein paar Schritte in den Raum hinein. Der Kerl hatte ein großes Glas mit einer goldenen Flüssigkeit vor sich stehen, beide Hände darum gelegt. Der Teil des Gesichts, der aus der Kapuze herausschaute war bedeckt von vielen dunkelbraunen, krausen Barthaaren.
Henry nickte dem Barkeeper zu, während er weiter in den Raum hinein Richtung des letzten Tisches ging. Obwohl er nicht wusste, wie sein Auftraggeber aussah, war er sich zu neunundneunzig Prozent sicher, dass es die Person an diesem Tisch war. Der Mann passte als einziger nicht in die Szenerie, obwohl er sich offensichtlich Mühe gegeben hatte auszusehen wie jemand aus der Unterstadt. Sein erster Fehler war gewesen, den Mantel abzulegen. Fein säuberlich zusammengefaltet lag er auf dem Stuhl neben ihm. Eine Garderobe gab es fast nirgendwo im öffentlichen Raum der Unterstadt. Niemand, der hier lebte, würde auf die Idee kommen, das eine Kleidungsstück abzulegen, das ihn vor der Kälte, dem giftigen Regen oder neugierigen Augen schützte.
Der Rest seiner Kleidung verriet ihn ebenso. Zwar trug er einfache, grobe Teile, sogar mit Löchern und Flicken darin, aber sie strahlten eine unnatürliche Sauberkeit aus. Sein Haar war trotz des fortgeschrittenen Alters noch sehr dicht, wenn auch fast gänzlich ergraut. Jemand hatte sich große Mühe gegeben, es ungepflegt aussehen zu lassen, aber es verhielt sich wie frisch gewaschen. Darunter blickte Henry ein rundes, nervöses, aber nicht ängstliches Gesicht entgegen.