Nun wäre es soweit. Ich freue mich hier im Forum meine erste Geschichte vorstellen zu dürfen.
Feedback jeglicher Art ist ausdrücklich erwünscht. Die Geschichte ist etwas länger und kann am Anfang vielleicht etwas langatmig sein.
Auch habe ich sie in mehrere kleinere Abschnitte geteilt, um niemanden direkt erschlagen zu wollen.
Ich werde jedes Feedback lesen und auch darauf reagieren, vielleicht nur nicht sofort. Momentan bin ich in einer sehr stressigen Phase, da ich neben meiner beruflichen Tätigkeit auch noch an weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen arbeite(n muss). Daher seht mir es etwas nach wenn eine Antwort verzögert eintrifft.
Vielen lieben Dank an alle. Ich fühle mich hier sehr wohl.
Viel Spass beim lesen.
Die Blutweberin
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Kapitel I: Wasser
Arnelia öffnete langsam die Augen und blickte unter die einfach gezimmerte Holzdecke der Hütte. Sie beobachtete ein Rinnsal der langsam, aber stetig an einem der Holzbalken entlang kroch und zielgenau über ihr stoppte. Es bildete sich ein Tropfen, der zunehmend wuchs um sich schlussendlich vom Rinnsal zu lösen. Beim Aufprall auf ihrer Stirn schloss sie kurz instinktiv die Augen. Sie fühlte wie der Tropfen an der linken Seite ihrer Stirn entlang floss, um dann an ihrem Ohr vorbei in ihrem langen roten Haaren zu versiegen. Mit der linken Hand wischte sie sich die zurückgebliebene Nässe von der Stirn. "Nicht schon wieder" stöhnend begab sie sich in eine aufrechte Haltung. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte ihre Vermutung, es regnete schon wieder. Seit Tagen war das kleine Fischerdorf von immer wiederkehrenden Regenströmen heimgesucht worden. Der Boden war vom Wasser gesättigt, sodass sich in kürzester Zeit kleine Wasserrinnen auf den Straßen bildeten, die stetig wuchsen. Die Holzhütte die sie bewohnte lag seitlich an einem abfallenden Weg. Das wiederum lenkte die kleinen Regenbäche zielstrebig auf die Hütte. Das Wasser kroch unter der Tür hindurch und verursachte einen feuchten Boden. Es würde Tage, wenn nicht Wochen dauern das Holz zu trocknen und den ungewollten neuen Mitbewohner in Form eines muffigen, modrigen Geruches los zu werden. Ihre wenigen Besitztümer hatte Arnelia auf dem Tisch und in die Regale gerettet, jedoch reichte dieser Platz nicht aus und so musste sie ihr Bett mit einigen Rollen Pergament, einer Hand voll Äpfeln und einem Laib Brot teilen. Damit büßte sie einiges an Komfort ein, jedoch war sie recht zierlich und kam daher auch mit weniger Platz aus.
Als sie erneut aus dem Fenster sah, erblickte sie den kleinen provisorischen Staudamm, den sie um das Haus notdürftig aus Holz, Steinen und Erde errichtet hatte. Der ansteigenden Belastung war dieser jedoch nicht gewachsen und schon nach kürzester Zeit bildeten sich durchlässige Stellen. Arnelia seufzte: „Wird dieser Regen den niemals aufhören“. Sie würde den Damm ausbessern müssen. Ihr Hab und Gut gänzlich den sich stetig wachsenden Bächen aussetzen, konnte sie sich nicht vorstellen, denn schlechter als eine undichte Hütte war gar keine Hütte. Schließlich wäre das die Folge sollte weiteres Wasser in ihr Heim eindringen. Das Holz würde irgendwann anfangen zu gammeln und es langfristig unbewohnbar machen.
Sie stand auf, rückte ihr graues Gewand zurecht, Band sich einen notdürftigen Zopf und begab sich Richtung Tür. Nach zwei Schritten ertasteten die nackten Füße erste feuchte Stellen auf dem Boden. „Verflucht“ stöhnte Arnelia. Sie dachte an Ostura, die Stadt in dessen Schatten sich das Fischerdorf befand. Wie schön wäre es dort zu leben, in einem stabilen Steinhaus, mit trockenem Boden, einem dichtem Dach. Einem Dach welches jeglichem Wetter trotzte und einem prasselnden, wärmenden Feuer im Kamin. Gerade ein Feuer war in diesem Moment ein verlockender Gedanke, trockene Kleidung, warmes Essen. Bevor sie sich weiteren quälenden Träumereien widmen konnte, riss ein Ruf sie aus ihren Gedanken. „Arnelia, komm raus, sofort.“ Sie erkannte die tiefe, kernige Stimme ihres langjährigen Freundes. Sie öffnete die Tür, welches direkt ein Schwall Wasser den Einlass ins Innere gewährte.
Ruven stand breitbeinig auf dem von ihr errichteten Damm und schaute sie gespielt verärgert an. „Du weißt schon, dass dein Damm nicht ewig halten wird. Wenn dein Heim dir egal ist, dann überlass es mir.“
Ein kurzer Moment verstrich, dann begann er zu grinsen und sprang mit einem Satz vom Damm auf sie zu. „Das du noch nicht weggespült worden bist, wundert mich“. Arnelia war nicht nach Albereien zu Mute. „Bist du hier um zu quatschen oder willst du nützlich sein und helfen.“ entgegnete sie emotionslos. Sie ärgerte sich innerlich über ihre Reaktion, so war die Unterstützung des blonden Hünen sicherlich von Vorteil und würde die Erledigungen der Reparaturen um einiges beschleunigen. Sie hoffte inständig ihn mit ihrer barschen Antwort verärgert zu haben. Ruven schaute ernst: „Leider nein, ich muss zum Ufer und neue Stützbalken einpfählen. Der Regen hat das alles unterspült und es bricht immer mehr vom Ufer weg.“ Arnelia hatte bereits die ersten Steine angehoben und versuchte diese unter großen Anstrengungen zurecht zu rücken. Die anstrengende Arbeit, der andauernde Regen, der Umstand das sie bereits jetzt wieder komplett durchnässt war und die Abfuhr ihres Freundes brachten das Fass zum Überlaufen. „Dann verschwinde und beraube mich nicht weiter meinen Nerven. Bist du gekommen um dich über mich zu amüsieren“ rief sie ihm impulsiv entgegen. Ruven war von der Heftigkeit ihrer Reaktion überrascht „Was habe ich getan, dass du mich so anfährst, nicht nur deine Hütte wird nass, alle leiden unter dem Regen. Ganz ehrlich ich habe überlegt dir zu helfen und die Pfähle im Anschluss zu setzen, aber ich werde auf keinen Fall neben einem kochenden Kessel arbeiten wollen“. Er wandte sich um, winkte ab und ging den Weg weiter Richtung Ufer. „Ja verschwinde ruhig, ein ganzer Kerl bist du der ein Mädchen alleine im Regen schuften lässt“ Sie trat vor Wut gegen einen Stein. Der explosionsartige Schmerz im Fuß erinnerte sie an den Umstand das sie barfuß war. „Verdammt, verdammt verdammt“. Es reichte ihr, sie drehte sich um, trat in die Hütte und schlug die Tür zu.
Durchnässt, jeglicher Nerven entbehrt ließ sie sich auf das Bett fallen. Die Mischung aus Wut, Verzweiflung und Resignation ließen ihre Augen feucht werden. Aus dem Strudel an Emotionen trat ein ihr zu gute bekanntes Gefühl hervor, welches sie oft so erfolgreich hatte verdrängen können, doch sich jetzt wie eine Decke über sie legte: Einsamkeit. Ihre Sicht verschwamm zunehmend bis sich die ersten Tränen lösten und ihr über die Wangen ins rote Haar rannen. Erinnerungen an ihre Eltern schossen ihr durch den Kopf.
Allein
Das Winken des Vaters, als er mit dem Boot zum Fischen aufbrach.
Allein
Das endlose Warten der Mutter am Steg
Allein
Die Gewissheit in der Ungewissheit den Vater niemals wiederzusehen
Allein
Die Mutter die an der Trauer zerbrach
Allein
Die Beerdigung der Mutter
Allein
Die Gedanken im Kopf kreisten und hämmerten ihr die Tatsache ein, das sie alleine war. Sie verlor die Kontrolle und versank in ihrem Schmerz. Schluchzend zog sie die Beine an sich heran. Nichts ist ihr geblieben. Einzig die Hütte und das Lesen einfacher Schriften hatten ihre Eltern ihr vermacht. Sie hatte versucht nach dem Verschwinden des Vaters auf See ihre Mutter durch das Vorlesen kleiner Geschichten aufzumuntern. Irgendwann hat sie begonnen selber kleine Notizen zu erfinden, von Wundern über zurückgekehrter Vermisster oder verschollen gegoltener Personen. All das war vergebens. Ihre Mutter gab erst das Sprechen auf, dann blieb sie nur noch im Bett liegen, bald darauf aß sie nichts mehr. Es kam der Tag, da stellte sie auch das Atmen ein. Arnelia sah das Leben der Mutter wie Wasser durch ihre Finger rinnen und es gab nichts was sie tun konnte.
Zwar hatte sich das Leben für sie bereits schlagartig mit der Ausbleibenden Rückkehr ihres Vaters verändert, jedoch hatte sie ab diesem Zeitpunkt die Aufgabe sich um ihre Mutter zu kümmern. Die blinde Hoffnung, dass es ihrer Mutter wieder besser gehen würde, das es trotzdem möglich war ihre Mutter wieder Lachen zu sehen, sie zum Umarmen, ihr sagen zu können wie sehr sie sie liebte, verschaffte ihr Ablenkung und Antrieb. Sie wurde auch dessen beraubt und es blieb ihr nichts als endlose Leere, als hätte sie das tiefste und schwärzeste Meer verschluckt. Tage, Wochen verstrichen in denen Arnelia stumpf, die Außenwelt wie einen Traum, unwirklich wahrnahm und irgendwie überlebte.
Um die Ohnmacht der Trauer zu verhindern wurde sie zornig, zornig auf das Meer welches ihren Vater verschlang, zornig auf die Geschichten die ihre Mutter nicht trösteten, aber vor allem war sie zornig auf sich selbst. Sie war es die den Vater hatte an diesem stürmischen Tag hat aufs Meer fahren lassen, sie war es die es nicht schaffte ihre Mutter zu trösten. Oft bestrafte sie sich, in dem sie sich selber mit einem Messer in den Oberschenkel schnitt. Sich darauf zu konzentrieren wie das Messer über die Haut glitt, die Spitze sich langsam in die Haut arbeitete und zu beobachten wie das Blut aus dem Körper floh, sich wie ein roter Garn an ihrem Bein abseilte und der einsetzende körperliche Schmerz beruhigte sie. Der Zorn wurde ein tröstender Begleiter und schützte sie all zu oft vor der mahlenden Trauer der sie zu zerreiben drohte. Monate vergingen, bis sie allmählich verstand und akzeptieren konnte. Sie hatte gelernt, dass sie eine Mauer bauen musste, einen Damm der ihr Inneres beschützt. Es half ihr oft, nicht in der schmerzlichen Erinnerung an die Vergangenheit zu ertrinken. Diese Art der Akzeptanz hatte ihren Preis, denn nicht nur schlimme Erinnerungen wurden ausgeschlossen, auch die schönen, in denen sie sich geborgen und geliebt gefühlt hatte. All diese Erinnerungen warteten wie ein unheilvolles dunkles Meer vor einem Deich, lauerte auf eine Gelegenheit in das Innere vorzudringen. Manchmal bildeten sich kleine Risse und es überkam Arnelia.
So wie in diesem Moment in dem sie es wieder bemerkte. Wie ein morgendlicher Nebeldunst nahm die Einsamkeit die Trauer bei der Hand und verblasste, aber nur um der aufkommenden Wut Platz zu machen, die ihr wie ein alter Freund tröstend die Hand auf die Schulter legte. Arnelia griff nach einem Apfel der auf dem Bett lag und schleuderte diesen an die hölzerne Vertäfelung an der Wand. Platzend fiel dieser zu Boden. Schwer atmend stand sie auf, schloss ihre Augen und versuchte die Kontrolle über die Wut zu erhalten. Einen Moment lang stand sie einfach still da, dann allmählich spürte sie wie sich erst ihre geballten Fäuste entspannten und nach und nach der Rest ihres Körpers. Die kochende Wut hatte sich beruhigt und sich langsam wie die Ebbe zurückgezogen. Ihr schneller Atem beruhigte sich, sie öffnete die Augen und kehrte im hier und jetzt zurück.
Sie hob den Apfel auf, biss hinein und sortierte ihre Gedanken. Kauend wandte sie sich an das Fenster und beobachtete den Regen, der in der Zwischenzeit an Kraft eingebüßt hatte. Wollte sie noch den Damm reparieren, so sollte sie es jetzt tun. Der emotionale Zwischenfall hatte ihr Zeit geraubt die sie eigentlich nicht hatte. In einem Anflug von Trotz nahm sie einen weiteren Bissen, legte den Apfel beiseite und öffnete die Tür erneut, um sich den Ausbesserungen ihres Wasserschutzes zu widmen. „Ich brauche niemanden, ich habe es bis hier her geschafft und schaffe es auch weiter“. Ihr Kopf streckte sich gen Himmel: „Da muss du schon mehr schicken um mich aufzuhalten“. Die störrische Art gefiel ihr, es verlieh ihr Energie und ließ sie schmunzeln. Mit neu gefundener Kraft schob sie ein paar Steine zurecht, legte Hölzer wieder an passende Stellen und verdichtete kleinere Löcher mit Erde.
Zufrieden mit sich lehnte sie sich erschöpft an die Hütte unter einem Dachvorsprung. „Das dürfte fürs erste Halten“. Nach dem kurzen Verweilen, wusch sie sich Hände und das Gesicht an einem Wasserkübel. Die Kühle des Wassers erfrischte sie und reinigtesie vom Dreck und ließ die letzten Fetzen übler Gedanken verschwinden. Aus dem Regal griff sie eine lederne Umhängetasche, packte das Pergament, sowie eine einfache Schreibfeder ein, schlüpfte geübt in ihre einfachen Bundschuhe und sprang mit einem Satz über den Damm auf den Weg. Schlendernd zog sie Richtung Stadttor und versuchte dabei größeren Wasseransammlungen aus dem Weg zu gehen.