Ob der Liebe Stephan ein gutes Herz hat, lassen wir mal dahin gestellt, Kyelia. Auf jeden Fall hat er Lunte gerochen und langsam wird es eng für Casey.
Stephan erkannte das leise Lachen sofort. „So schreckhaft Herr Kollege?“ Steif richtete er sich auf und drehte sich zu dem Mann in grüner OP Kleidung um. „Ich habe zufällig mitbekommen, dass du noch im Haus bist, Stephan. Wann war deine letzte Schicht zu Ende?“ Er fühlte wie sich der Ärger in ihm zu einem heißen Klumpen zusammen ballte. Was geht es dich an? Misch dich hier nicht ein!
Der große hagere Mann Ende Vierzig grinste breit und sah in diesem Moment um Jahre jünger aus. Sein Onkel Mütterlicherseits Dr. Michael Miller war ebenfalls Chefarzt in diesem Krankenhaus, allerdings war er Leiter der Chirurgie. Seine eisblauen Augen blitzten in dem Sonnengebräunten Gesicht.
„Um Sechs, aber du kennst das ja.“ Vierundzwanzig Stunden Dienste waren keine Seltenheit in ihrem Beruf. Er hatte eine vergleichsweise kurze Schicht hinter sich gehabt, als er den Anruf erhielt. „Doppelte Schichten, Notfälle die keinen Aufschub dulden, man wird angeklingelt… Michael, dass gehört zu unserem Alltag.“ Schlagartig verschwand das verschmitzte Grinsen. „Und gerade weil ich es kenne Stephan, bin ich hier. Es ist Fünf Uhr morgens, Stephan. Zeit Kraft zu tanken. Ich übernehme!“ Was bildest du dir eigentlich ein? Meinst du, du kannst mich so ohne weiteres ersetzten?
„Was liegt an?“ Sein Onkel deutete auf die Behandlungsliege. Nichts was dich angeht! Er atmete tief durch und unterdrückte den Wunsch ihn zum Teufel zu wünschen. „Patientin mit starken Vergiftungssymptomen ungeklärten Ursprungs. Blut und Urin Werte innerhalb des Toleranzbereichs. Magen und Darm Spiegelung weitgehend unauffällig. Vergiftungssymtome ungeklärt. Habe eine Nierenbiopsie angeordnet. Die Proben werden Aufschluss bringen.“ Sein Onkel hatte bisher langsam die Behandlungsliege umrundet, jetzt bleib abrupt stehen und musterte Stephan mit nachdenklich gerunzelter Stirn.
„Ist das nicht etwas drastisch? Andere Methoden würden genauso Aufschluss bringen. Meinst du nicht, Stephan?“ Und sie würden mich zu viel Zeit kosten! Zeit, die ich nicht habe! Er unterdrückte den Wunsch seine Faust du ballen. Bleib ruhig!
„Meine Patientin! Meine Entscheidung!“ Ruhig begegnete Stephan dem forschenden Blick seines Onkels. Es war wie ein Kräftemessen, wer als erstes Nachgab. Ich nicht! Dr. Michael schaute ihn so intensiv an als versuche er seine Gedanken zu lesen. Vergiss es! Nach endlosen Minuten, so fühlte es sich jedenfalls an, gab sein Onkel nach. „Deine Patientin, deine Entscheidung!“
„Dr. Stephan, Dr. Michael? Wir wären soweit.“ Schwester Doreen schob ein Tischchen zur Behandlungstisch. Darauf lag alles was man für die Nierenpunktion benötigte. Einer Eingebung folgend blickte Stephan seinen Onkel an. „Wie wär´s? Willst du mir bei der Punktion assistieren?“ Er sah wie es in dem Gesicht seines Gegenübers zuckte, kurz darauf grinste er ihm zu. „Aber sicher doch Neffe. Vielleicht kann ich ja noch etwas bei dir lernen?“ Beide lachten, doch Stephan ahnte, dass sein Onkel sich nur nicht die Blöße vor den Schwestern geben wollte. Er hatte im Laufe der Jahre vieles über seinen Onkel gelernt. Unter anderem, das ihm sein Ruf sehr wichtig war. Wichtiger, als die eigentliche Aufgabe eines Arztes, Menschen zu helfen.