Auf der Suche nach der Schatulle von Daris

Es gibt 509 Antworten in diesem Thema, welches 123.441 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. April 2018 um 04:25) ist von TiKa444.

    • Offizieller Beitrag

    Ein Lächeln eroberte sein Gesicht, als Daryk merkte, wie viel besser es seiner Prinzessin ging. Sanft nahm er ihre Hand und sah sie an.
    „Du bist erschöpft“, flüsterte sie. Es war keine Frage, mehr eine Feststellung.
    Erst jetzt, wo sie es sagte, spürte er, wie ausgelaugt er sich fühlte. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen und ihr Zustand hatte ihn kaum schlafen lassen. Auch jetzt saß er an ihrer Bettkante und war dort kurz eingenickt. Zögerlich nickte er.
    Sie setzte sich auf und legte ihre kleine Hand auf seine Wange. Sofort spürte er, wie die Erschöpfung schwand und neue Energie seinen Körper belebte.
    „Das bin ich dir wohl schuldig“, meinte sie leise. Dann umfasste sie auch seine andere Wange und zog ihn zu einem Kuss heran. Ohne zu zögern erwiderte er die Zuneigung und zog sie näher zu sich.
    Er musste nichts sagen, sie schien zu spüren, was er sagen wollte und was er für sie empfand. Für einen Moment ließen sie voneinander ab, was sie nutzte, um auf seinen Schoß zu klettern.
    Kurz lächelte sie ihn an, bevor sie sich an ihn drückte.
    „Ich kann alles kurieren, aber dein Herz schlägt immer noch, als seist du erschöpft“, stellte sie fest, als sie sich an seine Brust presste.
    „Das … liegt an dir“, gab er mit einem Lächeln zu.
    Sie sah zu ihm auf. Mit einem traurigen Ton in der Stimme sagte sie:
    „Es tut mir leid, wenn ich dir so viel Kummer bereite. Als sei das mit Calypso nicht genug gewesen, musste noch das mit dem Biss kommen. Wir haben kaum Zeit uns zu erholen, da ereilt uns die nächste …“
    Sanft legte er ihr den Finger auf die Lippen und unterbrach sie so.
    Dann nahm er ihre Hand und legte sie auf seine Brust. Er wusste, dass sie seinen Herzschlag spürte.
    „Das ist kein Kummer“, versicherte er ihr.
    Nun lächelte auch Daphne wieder und wurde rot.
    „Ich weiß“
    Erneut zog der Ritter die Prinzessin zu sich. Er wollte ihr sagen, was er fühlte. Er wollte, dass sie es wusste, es hörte.
    „Ich liebe dich“ flüsterte der Hüne der kleinen Frau in seinen Armen zu.
    Einen endlosen Moment war es still, als sie ihn überrascht ansah, als hätte sie nicht erwartet das zu hören. Dann brach sie das Schweigen:
    „Ich liebe dich auch!“
    Es folgte ein weiterer, inniger Kuss, bevor sie sich von ihm löste und ihn von unten anlächelte.
    „Was ist?“, fragte er, wohl wissend, dass es nichts wirklich Schlimmes sein konnte.
    Daphne deutete mit ihrem Kopf zum Eingang in ihre Kajüte.
    „Die Tür!“
    Grinsend erwiderte Daryk:
    „Bleibt zu.“
    Bereits während sie noch geschlafen hatte, hatte der Hüne die Tür abgeschlossen. Hauptsächlich, damit die Prinzessin ungestört schlafen konnte – redete er sich jedenfalls ein.
    Diese legte den Kopf schief und senkte kurz lachend den Kopf, bevor sie ihm ins Ohr flüsterte:
    „Nach all den Zerwürfnissen, den Kämpfen, Schlachten und dem Tod, sollten wir die Zeit nutzen, die uns dazwischen bleibt.“
    Leise stimmte er ihr zu, woraufhin sie sich aufrichtete und ihn –jetzt größer als er – von oben herab küsste. Erneut war der Kuss fordernder als die zuvor und er konnte spüren, wie sich ihr Atem beschleunigte. Wie in der Grotte öffnete sie sein Hemd und streifte es ihm über die Schultern. Einen Moment wanderten ihre Augen zu den Narben auf seinen Schultern. Schnell legte er ihr die Hand auf die Wange und drehte ihren Kopf zärtlich wieder zu sich und schüttelte den Kopf. Sie verstand es. Es war nicht ihre Schuld. Ihr Blick sagte ihm nun ganz klar, was sie wollte. Vorsichtig nahm sie seine Hände und führte sie zum Saum ihres Nachthemds. Vergessen waren seine Zweifel, sie wäre die Tochter eines Herzogs und er nur ein Ritter. Vergessen war die Tatsache, dass er sie eigentlich verteidigen sollte – vor fremden Männern.
    Sanft strich er über ihre Oberschenkel und sie ließ es zu. Er spürte ihre Wärme und ließ die Hände langsam nach oben wandern. Daphne zuckte unter seinen Berührungen zusammen und biss ihm liebevoll in die Lippe, was ihm ein Grinsen entlockte. Es machte nicht den Eindruck, als wollte sie, dass er aufhörte. Nur kurz lösten die Beiden den Kuss, sodass Daryk ihr das Nachthemd über den Kopf ziehen konnte. Achtlos warf er es zur Seite und nutzte den Augenblick, den sie so dasaß, um ihre Schönheit einmal zu bewundern. Sie war vollkommen. Mit einem schüchternen Lächeln presste sie ihren Körper an den seinen und behutsam fanden seine Hände ihre Taille. Sie kicherte leise, als er sie hochhob und neben sich auf das Bett legte. Schnell landete auch der Rest seiner Kleidung neben dem Bett, bevor er der Frau, die sein Leben so verändert hatte, endlich die Liebe schenkte, die sie verdiente.

    • Offizieller Beitrag

    Am nächsten Morgen wurde Daphne durch einen Kuss auf ihre rechte Schulter geweckt. Noch schläfrig wandte sie sich ihrem Ritter zu, der auf die Glocke aufmerksam machen wollte, welche das fertige Frühstück für die Gäste und Hoheiten ankündigte.
    „Ist es schon so spät?“, nuschelte die Prinzessin in ihr Federkissen und vergrub darin ihr Gesicht.
    „Leider ja“, gestand Daryk und richtete sich bereits angezogen auf.
    „Da draußen bin ich eine Prinzessin. Hier drin bin ich nur ich. Können wir nicht einfach hier in meiner Kajüte bleiben?“
    „Wegen mir gern“, antwortete der Hüne grinsend, „aber ich glaube, die anderen werden nach uns sehen, wenn wir nicht zum Essen kommen.“
    „Vor allem du nicht“, erwiderte Daphne ebenfalls grinsend und drehte ihr Gesicht Daryk zu. Dieser verschränkte schnaubend seine Arme vor sich und tat gespielt beleidigt.
    „Steh´ auf, Prinzessin“, mahnte er sie in einem ebenfalls nicht ernst gemeinten Tonfall, weshalb sich Daphne nun doch erhob. So wie Rhenus sie erneut erschaffen hatte, lief sie zu ihrem kirschhölzernen Kleiderschrank und öffnete diesen. Ohne groß zu suchen, warf sie ein violettes Kleid auf ihr Bett, samt der restlichen Wäsche und einem sandfarbenen Mantel, da der Wind auf See viel kälter war, als an Land.
    „Glaubt nicht, dass ich nicht merke, dass Ihr mich beobachtet, Ser Daryk Hylon“, tadelte Daphne ihren Auserwählten und schaute erst kurz nach ihrem Satz lächelnd an der Tür vorbei. Daryk erwiderte zuerst ihr Lächeln, räusperte dann ins seine rechte Faust und schaute weg. Ihr blieb aber nicht verborgen, dass er sie wieder ansah, nachdem sie sich wieder dem Schrank gewidmet hatte. Seufzend schloss sie die Türen, als sie glaubte alles zu haben und lief auf das Bett zu.
    „Ich sollte wirklich zeigen, dass es mir wieder gut geht. Die anderen so im Ungewissen zu lassen, möchte ich auch nicht. Selbst wenn das halbe Schiff einen Hofknicks macht.“
    „Wenn du länger krank bist, darfst du im Bett bleiben und benötigst Pflege.“
    Noch ein Seufzen folgte, während sich Daphne anzog.
    „Das schon“, erwiderte sie, „aber dann würde auch der Schiffsarzt ständig nach mir schauen und lügen liegt mir nicht in der Natur. Ich habe schon Gewissensbisse, weil ich meinen Bruder und meinen Vater so hinter das Licht geführt habe. Und da log ich nicht, sondern ließ einfach Dinge aus.“
    Als sie ihr Kleid übergestreift hatte, bemerkte sie, wie Daryk zu Boden sah und nur ein: „Verstehe“, herausbrachte.
    „Nein, nein“, warf sie eilig ein und stellte sich vor den Ritter, „verstehe das nicht falsch. Das alles ist jede Lüge wert, aber ich möchte es einfach herausposaunen dürfen wie glücklich ich bin, stattdessen muss ich es verheimlichen. Und das nur, weil irgendjemand sich Stände und Ränge einfallen ließ.“
    Leicht hob sich sein Blick wieder, bevor er sie in den Arm nahm und fest an sich drückte. Leicht betrübt lehnte sie ihren Kopf an seine Brust und atmete tief durch. Nach der vergangenen Nacht wusste sie ohnehin, dass nur noch schwieriger werden würde, ihre Gefühle zu verbergen.
    „Ich meine, wie soll das weitergehen? Sollen wir die nächsten paar Jahre so tun, als seist du nur meine Leibwache?“
    „Nein“, antwortete Daryk schlicht und hob ihr Gesicht leicht an, damit sie ihn ansah. Für einen Moment schwieg er und schaute ihr nur in die Augen, als wollte er aus ihnen lesen, was sie dachte. „Heirate mich!“, fuhr er fort, ohne seinen Blick abzuwenden und Daphne kam es vor, als hatte ihr Herz für einen Moment ausgesetzt.
    „Was?“, hauchte sie kaum hörbar, da ihre Stimme zu zittern begann.
    „Willst du mich heiraten?“, wiederholte er und sie hatte sich nicht verhört. Sie wusste die Antwort, dass hätte ihm die vergangenen Nacht bereits verraten müssen, aber natürlich wollte er eine Antwort auf seine Frage, nur war Daphne so überfordert damit, dass sie beinahe vergaß es über die Lippen zu bringen. Noch immer schaute sie ihn an und meinte, nicht einmal geblinzelt zu haben. Selbst das hatte sie vergessen. Tausende Dinge schossen ihr durch den Kopf.
    „Ja“, antwortete sie schließlich und verwarf durch ein leichtes Kopfschütteln die restlichen Gedanken, denn Zweifel waren keine darunter. „Wen, wenn nicht dich?!“
    Lächelnd packte Daryk sie und hob sie hoch, so dass er zu ihr aufsehen musste. Mit ihren Händen um seinen Hals, küssten sich beide, bevor er sie, nach ein paar Schritten, spielerisch auf das Bett warf.
    „Nein“, sprach Daphne lachend, als Daryk sich ihr näherte und sein Gesicht in ihrem Nacken vergrub. „Wir müssen zum Frühstück.“
    „Sicher?“, murmelte der Ritter an ihrer Schulter und lachend lehnte sie sich so weit zurück, dass Daryk sie ansehen musste.
    „Eine Frage habe ich aber. Wie willst du meinem Bruder erklären, dass du mich heiraten willst, wenn wir ihm nicht einmal etwas über unsere Gefühle zueinander erzählt haben?“
    Der Blick des Hünen wurde ernster.
    „Ich werde es ihm sagen, antwortete Daryk korrigierend und seine Mundwinkel verrieten, dass er trotz des Tonfalls, sich ein Grinsen verkneifen musste. „Wenn er etwas dagegen hat, kann er gern um dich kämpfen.“
    Daphne hätte klar sein müssen, dass der Ritter kein Mann war, der um die Erlaubnis für irgendetwas bat. Desto erleichterter war sie, dass er nun nicht damit anfing. Sie wusste, dass seine letzten Worte bloß scherzhaft gemeint waren, denn niemand hatte wirklich Lust, sich mit seinem Können zu messen, vor allem nicht, nachdem er die restlichen Brüder besiegt hatte. Der Kampf … Auch die anderen waren anwesend gewesen, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Frühstück lenkte.
    „Wir sollten zu den anderen gehen“, lenkte sie, zufrieden mit seiner Antwort, vom Thema und der Situation ab.„Deine zukünftige Frau bekommt allmählich doch Hunger.“
    Und als hatte ihr Magen die frohe Botschaft vernommen, begann er zu knurren. Lachend stieg Daryk vom Bett und half Daphne auf, die sich ihren Mantel überstreifte und die Tür zur Kajüte öffnete. Vor dem Gang hinunter in den Bereich des Schiffes, der für alle anderen offenstand, durchquerten sie noch das eigentliche Zimmer der Leibwache, welches sich direkt vor Daphnes befand. So musste jeder, der zu ihr wollte, zunächst an Daryk vorbei. Auch diese Tür hatte der Hüne in der Nacht verschlossen, was ihr ein Lächeln entlockte. Nach einem ausgiebigen Atemzug, schloss sie auch diese Tür auf und verließ die Räumlichkeiten. Noch einmal ertönte die Glocke, was die Prinzessin kurz zusammenzucken ließ, weil sie außerhalb ihres Zimmers viel lauter schien. Es dauerte nicht lange, da betrat sie einen großen Raum, in dem sie alle saßen. All ihre Freunde und der Kapitän, wie auch der Schiffsarzt, welcher sie erstaunt ansah.
    „Daphne ...“, stieß Thyra augenblicklich freudig aus.
    „Mir geht es gut, keine Sorge“, stellte Daphne umgehend für alle klar und setzte sich mit Daryk zusammen an den großen, rechteckigen Tisch.
    „Eure Wunde ist verheilt?“, versicherte sich der Arzt noch einmal und die Prinzessin nickte.
    „Wie das?“, hakte Aras nach, der um die These wusste, dass magische Verletzungen etwas anderes für die junge Frau waren, als Knochenbrüche und Schnittwunden.
    „Ich ...“, setzte die Prinzessin an, aber Daryk fiel ihr ins Wort.
    „Sie brauchte … Ruhe“, antwortete die Leibwache, woraufhin Theical seinen Tee in den angesetzten Becher zurück spuckte. Verwirrt schaute Daphne ihn an, so wie auch der Rest, als er mit roter Miene dasaß und mit dem Ellenbogen die heruntergefallenen Tropfen aufwischte.
    „Ja“, gestand der Taschendieb räuspernd.„Das brauchen wir doch alle mal … Also Ruhe!“
    Da saßen sie alle, wobei Daphne eines einfiel, auch um das seltsame Schweigen am Tisch zu unterbrechen.
    „Was ist eigentlich mit dem Fremden, der uns begleiten wollte?“
    „Dieser ist bei der Mannschaft untergebracht worden, Hoheit“, erklärte der ergraute Kapitän und verstehend nickte die Prinzessin. Wenn es sich ergab, wollte sie sichergehen, dass es dem jungen Mann gut ging. Aber alles nacheinander. Zuerst wollte sie hören, wie es weitergehen sollte und wie es allen auf dem Schiff gefiel. Ob es neue Ideen gab oder jemand etwas zu sagen hatte, was ihren Aufenthalt in Lyc anging.

  • Thyra betrachtete Daphne von der Seite.
    Die Zeichen waren unübersehbar. Gerötete Wangen, ein dünner, fast getrockneter Schweißfilm auf der Haut. Die Lippen voll und rot von seinen Küssen. Sie musste schmunzeln. Hatten die beiden es also endlich geschafft. Sie hatte ein bisschen ein schlechtes Gewissen gehabt, nachdem sie die beiden in der Grotte unterbrochen hatten, aber woher hätte sie es denn wissen sollen? Und dann hatte sie es nicht mal verstanden ...
    Sie biss in ein Stück Brot, das sie mit Käse belegt hatte. Es schmeckte ziemlich gut.
    "Wie wird der Verlauf der Reise eigentlich sein?", fragte sie zwischen zwei Bissen und wandte sich an den Kapitän.
    Der erwiderte ihren Blick freundlich. "Die Überfahrt dauert einige Tage. Zuerst aufs offene Meer hinaus Richtung Norden. Wenn wir die Küste erreichen machen wir ein oder zwei Tage Halt, um unsere Vorräte aufzufrischen. Dann geht's weiter an der Küste entlang bis nach Lyc."
    "Klingt langweilig", meinte Thyra und grinste in die Runde.
    "Also mir würde was einfallen, um die Langeweile zu vertreiben", grinste Jaris anzüglich. Thyra warf ihm einen überraschten Blick zu. So viel Zweideutigkeit war sie von ihm gar nicht gewohnt. Alle anderen fingen leise an zu kichern.
    "Ich wüsste da auch einige Sachen", warf der Kapitän ein. "Im Krähennest Wache halten, in der Küche helfen, Deck schrubben, Knoten lernen ..." Er begutachtete die Gruppe. Daphne lächelte unverbindlich und wirkte so ausnahmsweise ganz wie die Prinzessin, die sie war. "Wir sind jederzeit bereit zu helfen."

    Nach einer Weile standen sie auf und verließen den Tisch. Thyra beschloss Daphne zu begleiten, wenn sie nach dem jungen Soldaten sehen wollte. Gemeinsam schlenderten die beiden Frauen also durch einen langen, schmalen Gang unter Deck auf dem Weg zu den Kajüten der Matrosen.
    "Sag mal, wie ist das eigentlich auf einem Schiff?", fragte Thyra unverblümt.
    "Äh ... was?", stammelte Daphne.
    "Obwohl. Auf einem großen Schiff ist es sicher wie immer ... Auf einem kleinen müsste Daryk nur anstoßen und den Rest würde das Boot für euch erledigen." Thyra wackelte mit den Augenbrauen, während Daphne die Röte ins Gesicht schoss. Die Heilerin bedachte ihre Freundin mit einem Blick, der ihr bedeuten sollte endlich zu schweigen.
    Lachend betraten sie den Speiseraum der Matrosen und entdeckten tatsächlich den Neuen, der in der Gruppe bärtiger und rauer Männer irgendwie weiblich wirkte. Daphne winkte ihm zu und er gesellte sich zu ihnen.
    "Tristan, richtig?", fragte Daphne.
    Der Soldat nickte. "Und Ihr ...?"
    "Oh, ich bin Daphne. Lass das Förmliche. Mein Bruder heißt übrigens auch Tristan."
    "Dann nennen wir dich jetzt einfach Tris", mischte Thyra sich ein und lächelte freundlich.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Triss zuckte mit den Schultern. Der neue Spitzname war ihr genehm, kam ihr sogar entgegen. Unterschied er sich doch kaum vom Klang zu ihrem tatsächlichen Namen, würde es ihr um einiges leichter fallen, darauf zu reagieren – zumindest mehr als auf ‚Tristan‘.
    “Wie ist es dir in deiner ersten Nacht an Board ergangen?“, wollte die Prinzessin wissen. “Konntest du gut schlafen?“
    In Wahrheit hatte Triss ihre Augen nur für wenige Stunden zugetan, als ihre Müdigkeit größer war als die Geräuschkulisse aus Schnarch- und Furzkonzerten der Matrosen. Zum Glück kam sie schon immer mit wenig Schlaf aus und konnte auch nach einer kurzen Nacht frisch und erholt in den neuen Tag starten. Sie war ein Frühaufsteher, ein Morgenmensch, der den Tag gern zeitig begann. Auch wenn es auf dem Schiff nicht viel gab, wofür man diese Zeit nutzen konnte.
    “Ja, Herrin“, antwortete Triss höflich und bemerkte gar nicht, dass sie trotzdem wieder in Förmlichkeiten verfallen war. Sie wusste nicht genau, welche Titel Daphne innehatte. Theic hatte bei ihrer nächtlichen Unterhaltung nur wortkarg gemeint, dass sie eine Prinzessin sei und ihr Vater ein Herzog wäre. Insgesamt war das Gespräch mit Theic recht einsilbig und daher auch nicht besonders informativ verlaufen. Triss hatte deshalb schnell aufgehört, weitere Fragen zu stellen. Wie dem auch sei: Daphne stand so oder so weit über Triss. Zudem sie auch die Herrin dieses Schiffes war.
    “Ich bin anspruchslos und schlichte Unterkunft gewöhnt“, fügte Triss ihrer Antwort hinzu. “Man muss sich nur einmal an das hin und herschaukeln gewöhnen.“ Thyra kicherte kurz. Ein kurzer Blick von Daphne reichte jedoch, um das Kichern zu einem Schmunzeln abklingen zu lassen. Hatte Triss etwa einen Witz verpasst? Unschlüssig schaute sie zwischen den beiden Frauen hin und her. Ihre Augenbrauen zogen sich fragend nach oben, als sich Daphnes Aufmerksamkeit wieder auf sie selbst richtete.
    “Ist das so? Was hast du denn gemacht, bevor du zu uns gestoßen bist?“, interessierte sich Daphne für Triss‘ bescheidenen Lebensstil.
    “Ich war in der Miliz meines Herzoges während eines Feldzuges.“ De facto entsprach diese Antwort der vollen Wahrheit. Dass ihre Dienstzeit nicht länger als ein dreiviertel Jahr andauerte, behielt Triss zu diesem Zeitpunkt besser für sich. “Doch wir wurden geschlagen und versprengt.“
    Daphne nickte verstehend. “Und jetzt?“
    “… und jetzt? Triss blinzelte, weil sie die Frage nicht verstand.
    “Was du jetzt vorhast.“
    “Uhrm… Ich bin auf der Suche nach meinem Bruder.“ Unwillkürlich sah Triss zu Thyra, der sie ihr Vorhaben schon am Vortag verraten hatte. Die Jägerin lächelte wissend. “Er ist nach dem Krieg verschollen und ich will ihn wieder nach Hause bringen.“
    Einen Moment lang schien Daphne über das Gehörte nachzudenken. Musterte sie Triss etwa gerade? Ihre Geschichte entsprach den Tatsachen. Sie hatte nicht gelogen!
    “Dann hoffe ich, dass du ihn in Lyc finden wirst.“, meinte die Prinzessin schließlich lächelnd.
    “Ja, Herrin.
    “Und uns deine Pläne nicht in Schwierigkeiten bringen.“
    “Nein, Herrin.

  • Thyra saß auf dem Deck und langweilte sich zu Tode.
    Heute Morgen nach dem Frühstück waren alle voller Tatendrang aufgestanden, aber da sie so gut wie keine Ahnung von Schifffahrt hatten, waren ihre Aufgaben doch sehr begrenzt. Sie hatte zwischenzeitlich in der Küche geholfen, aber der Koch hatte seine Küchenjungen zum Rumschubsen. Jaris brutzelte gerade auf dem Krähennest in der Sonne. Theic ging schon zum gefühlten 100 Mal auf dem Deck auf und ab und spähte immer wieder aus sicherem Abstand über die Reling. Daphne und Daryk hatten sich in den Schatten des Großsegels gesetzt und unterhielten sich leise. Aras stand oben neben dem Steuermann und blickte aufs Meer hinaus.
    Der Einzige, der von dem ganzen nicht genug bekommen konnte, war der Junge Soldat, der zu ihnen gestoßen war. Er löcherte die Matrosen mit Fragen und ließ sich sogar zeigen, wie man den oder anderen knoten band oder wie der Mechanismus funktionierte, mit dem die Segen eingeholt oder gehisst wurden. Thyra hatte immerhin schon kapiert was Lee und Luv war. Luv war die windzugewandte Seite, Lee die abgewandte. Aber bis sie heraus gefunden hatte woher der Wind kam und wo jetzt Luv war, hatten die Matrosen schon entnervt ihre Arbeit übernommen.
    Ihr Blick wanderte wieder zum Ritter und seiner Prinzessin. Es gefiel Thyra die beiden so zu sehen und eigentlich wollte die Zweisamkeit nicht unterbrechen, aber ihr war soooooooo langweilig. Und das obwohl es erst der erste Tag auf dem Schiff war. Als sie die Beiden so beobachtete, fielen ihr lose herumliegende Holzklötze auf. Ein Geistesblitz, der Abwechslung versprach, zuckte durch ihren Kopf und sie lachte. mit steifen Gliedern stand sie auf und ging zu Daryk und Daphne: "Habt ihr Lust auf ein Spiel?"
    Die zwei schraken auf. Daryk schien erst ein wenig genervt, schon wieder in seiner Zweisamkeit gestört zu werden, aber Daphne lächelte sie an und nickte. Folgsam stand also auch Daryk auf und gab Daphne nur einen schnellen Kuss auf den Scheitel.
    "Was für eins?", fragte die Heilerin.
    "Ich nenne es ... Wikingerschach", strahlte Thyra.
    Genau in dem Moment kletterte auch Jaris die Takelage herunter - er war abgelöst worden - und gesellte sich zu ihnen.
    "Was heckst du wieder aus?", fragte er und legte der Jägerin einen Arm um die Taille. Sie schmunzelte zu ihm auf und stahl ihm einen Kuss.
    "Ein Spiel! Theic, Komm her!"
    Irritiert blickte Theic auf, stapfte dann aber auch zur kleinen Gruppe hinüber.
    "Aras?", rief Thyra nach oben. "Willst du mitmachen?"
    Schließlich hatten sie alle zusammen und Thyra begann zu erklären.
    "Es gibt einen König." Sie packte das größte der Holzstücke und stellte es in die Mitte. "Und jeweils sechs Soldaten." Diese platzierte sie in ungefähr sieben Metern Abstand gegenüber voneinander. "Jedes Team darf abwechselnd zwei Mal werfen. Wenn alle Soldaten gefallen sind, darf man den König angreifen. Wer zuerst den König zu Fall bringt, gewinnt."
    "Das klingt toll, kann ich mitspielen?", fragte da ein kleiner Schiffsjunge, der wohl Pause hatte. Thyra lächelte. "Ja natürlich. Dann spiele ich eben nicht mit."
    "Oder ...", begann Theic und drehte sich um. "Tris, hast du Lust mitzumachen?" Der Junge Soldat hatte schließlich auch nichts zu tun.
    Dieser nickte eifrig und kam auf die Gruppe zu.

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  • Nach dem Frühstück begab sich Aras über Deck und widmete sich wieder seinen Forschungen. Es gab viel zu entdecken, was auf dem ersten Blick vielleicht nur als Alltägliches wahrzunehmen war. Sicherlich war es weitehend genau das, aber für einen Gelehrten, Alchemisten und Zauberkundigen war es weitaus mehr. Viele Fragen stellte er sich. Wieso gibt es Wellen und warum schwimmt Holz eigentlich auf Wasser? Wie verhielt es sich mit seiner Theorie eines Unterseebootes? Sonne und Mond. Sternenbilder und deren Bedeutung für sie Seefahrt.
    Aber auch über andere Dinge machte er sich Gedanken. Dinge, die man vielleicht nicht jedem erzählen sollte. Gottheiten und jene, die sich welche nennen. Besonders hervor stachen für ihn dabei Liandra und Selchior. Da er mit diesen am direktesten Kontakt hatte. Und auch nicht sonderlich erfreulichen Kontakt, möchte man ungemein behaupten.
    Ob es dem Lord bewusst werden sollte oder nicht, dass seine Forschungen ihn vielleicht sogar gleichsam geisteskrank wie Selchior machen könnte, stand noch in den Sternen. Dies konnte wenn überhaupt nur der Wüstenkönig selbst beantworten, sofern er es begreifen würde.
    Der Kapitän der Calypso war dem Herzog als Zeitgenosse oder eher Nebendarsteller ganz recht. Auch wenn der Kapitän sich nicht wirklich mit Aras unterhielt, oder auf seine Grübeleien einging.
    Während der Magier mal wieder an der Reling stand und das blaue, weite Meer bestaunte, sich ab und an Notizen machte und heimlich ein neckisches Bildchen von Kuen zu zeichnen versuchte, geschah das, was einfach zu erwarten war. Jenen Wesen, welches sich nun ihm verschrieben hatte, offenbarte sich wieder und gesellte sich frohlockend mit zu ihm an die Reling. Jene Person, mit pechschwarzen Haar und dem zu groß geratenen silbernen Krönchen.
    Sie stellte sich neben ihn, ruckte sich ihren schiefen Gürtel wieder zurecht und machte dem Lord schöne Augen. Was nicht sonderlich schwer war, bei diesem knalligen Grasgrün, welches nahezu jeden schwachen Geist hypnotisieren konnte.
    Sehr vertieft war Aras in die Zeichnung, welche Kuen in einer gewagt pikanten Pose darstellte.
    Und frech, wie Liandra war, rutschte sie näher an ihn heran, stielte provokant auf die Zeichnung und sprach: "Du scheinst dich ja recht gut mit der weiblichen Anatomie auszukennen."
    Sich heftig erschreckend zuckte Aras zusammen, verkrampfte regelrecht und presste sich das Buch instinktiv fest an die Brust. Erst dann schweifte sein Blick zu Liandra rüber, versuchte das visuell Erkannte im Kopf abzurufen und verfiel dann in eine wütend, gar zornige Gefühlsregung. "Du schon wieder!"
    Sie nickte mit leichter Verbeugung und fuhr sich beim wieder Aufrichten des Kopfes angedeutet über die Krone, um die Hand im übertriebenen Bogen auschwingen zu lassen. "Ich könnte jetzt fragen, was du gerade machst, aber es interessiert mich eh nicht", sagte sie, drehte der Reling den Rücken zu und machte über diese ein weites Hohlkreuz, sodass sie beinahe mit dem Rücken darauf wippte. "Trotzdem bitte ich dich der Höflichkeit halber, diese für mich unwichtige Frage doch als geäußert wahrzunehmen."
    Völlig verwirrt starrte Aras sie daraufhin an. Aber sie grinste nur weiter und versuchte ihn somit zum Antworten zu provozieren.
    "Ist die Pose so richtig dargestellt?", fragte sie und versuchte nun noch ihren linken Arm um ihren Nacken zu winden.
    "Was willst du?", plauzte er raus und steckte sein Notizbuch weg, um sich folglich der selbsternannten Göttin zu widmen. "Liandra, was willst du schon wieder von mir?"
    Leicht die Augen verdrehend, nahm sie wieder bequemere Haltung an, machte ein grübelndes Gesicht und tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn. "Zwei sehr gute Fragen, Herzog..."
    "Zwei?", stutzte Aras.
    Doch prompt erklärte sie sich. "Naja du hast gefragt, was ich will und was ich von dir will. Erstens würde ich gern mehr Kleider haben wollen und zweitens will ich von dir nichts geringeres als deine Aufmerksamkeit."
    "Für was?", fragte er weiter und schaute sie interessiert, wenn auch skeptisch an.
    "Ich muss doch immer hübsch aussehen", erwiderte sie und fuhr sich dezent an der Schläfe entlang.
    Verwirrung zeigte Aras' Gesichtsausdruck.
    Liandra schreckte auf, hickste kurz und hielt sich dann verlegen die Hand vor den Mund, um ihr leises Kichern zu verbergen. "Achso, du meinst, warum ich dich brauche."
    Dann schaute sie sich verdächtig um und flüsterte: "Es befindet sich jemand an Bord, der nicht ist, was er vorgibt, zu sein."
    Entnervtes Stöhnen seinerseits. "Ach wirklich?", spöttelte er schiefen Blickes, wandte sich schließlich von ihr ab und öffnete wieder sein Buch.
    Liandra seufzte mit hängenden Schultern. "Zacharas, mein mir liebster Herzog, höre mir doch zu, wenn ich dir sage, dass wir einen blinden Passagier haben..."
    "Vermutlich bist du es ja selbst", konterte er.
    "Zacharas, du alter Charmeur." Amüsiert winkte sie ihm ab. "Ich bin natürlich nicht gemeint. Eine Gottheit ist nie unerwünscht."
    "Na wenn du das sagst", meinte er und wollte sich abermals seinem Buch widmen.
    "Hach", stöhnte sie verträumten Blickes, "wenn ich keine Gottheit wäre, würde ich dich sofort heiraten, Lieblingsherzog."
    Sehr skeptisch beäugte Aras sie eingehend. Wie sie sich leicht auf die Unterlippe biss, dabei ihren Blick über den Himmel wandern ließ und nebenbei schief hängenden Gürtel und verrutschte Bluse zurechtrückte. Sie säuselte und schniefte, als würde das Geäußerte sie tatsächlich beschäftigen.
    Doch Aras blieb misstrauisch. "Du meinst das nicht ernst, oder?"
    Aber sie reagierte nicht darauf und starrte weiter verträumt in den Himmel. Sie wippte auf und ab, summte vor sich hin und richtete die Krone neu, welche ihr weit in den Nacken gerutscht war.
    Dem Magier wurde es zu lästig. Er gab ihr einen sanften Schups gegen die Schulter, welcher sie endlich doch aus ihrer Träumerei riss.
    "Meinst du das ernst?", wiederholte er seine Worte an sie, folglich trafen sich ihre Blicke.
    Dann verzog sich ihr anfangs leicht geöffneter Mund zu einem mit Grübchen besetzten Schmunzeln. "Natürlich meine ich das nicht ernst. Da kenne ich deutlich adrettere Herzöge als dich, die mir das Wasser reichen könnten."
    "Darüber lässt sich streiten", konterte Aras augenrollend, "welche Partei hier wem nicht das Wasser reichen kann."
    "Das finde ich jetzt aber sehr gemein", seufzte sie gespielt traurig und wischte sich eine imaginäre Träne aus ihrem Auge. "Dabei habe ich so viel für dich getan, Zacharas."
    Verunsichert stand der Lord da und fühlte sich leicht beobachtet von den Matrosen. Ob Liandra für die anderen Leute hier vielleicht auch sichtbar war? Oder wirkte es wieder wie ein Selbstgespräch?
    "Bisher hast du nichts für mich getan. Zumindest fällt mir nichts ein..."
    Augenverdrehend jaulte sie: "Dann eben was ich für dich getan hätte, tun werde oder getan haben könnte, wäre es anders gekommen, was dir bisher widerfahren ist."
    "Dann bitte ich dich, Liandra, für die Zukunft solche nicht ernst gemeinten Behauptungen zu unterlassen."
    Sie nickte einvernehmlich und reichte ihm prompt die Hand. Perplex versuchte er diesen schnellen Gefühlswechsel zu begreifen, und ebenso diese entgegenkommende Geste.
    Er zögerte.
    Sie wartete weiter, sie provozierte weiter. Süßes Lächeln; Augenaufschlag; verlegene Körperhaltung.
    Bis er letztlich doch nachgab und unter Seufzen vorsichtig ihre Finger zum Handschlag ergriff.
    Kaum umgriffen beider Hände, murmelte sie beschwingt: "Wir machen eine Wette."
    Sofort schnippte seine Hand zurück und verschaffte sich zwischen ihnen beiden etwas mehr Abstand. Aras protestierte. "Mit dir werde ich niemals eine Wette eingehen!"
    "Papperlapapp", entgegnete sie abwinkend. "Wir machen es trotzdem."
    "Nein!", widersprach er.
    Und sie noch lauter: "Doch!"
    Er schüttelte den Kopf. "Ich, als Mensch, habe da auch ein Mitspracherecht..."
    "Ich bin eine Lady", konterte sie hochnäsig und mit rausgestreckter Brust. "Ich darf das... Außerdem hast du eh keine Wahl, weil ich es sowieso machen werde. Und du kannst dich nicht dagegen wehren."
    Entnervtes Stöhnen. "Dann unterbreite mir die Wette, wenn es dir so sehr am Herzen liegt, werte Lady."
    Selbstgefällig, schlussendlich doch gesiegt zu haben, verkündete sie ihm stolz den Wetteinsatz. "Wenn ich gewinne, was ohnehin außer Frage steht, schenkst du mir einen Tanz vor versammelter Mannschaft. Und wenn du gewinnst, was im Bereich des Möglichen liegt, dennoch unter den aktuell gegebenen Umständen nahezu an der Unwahrscheinlichkeit grenzt, werde ich dir ein Geheimnis bezüglich Kuen verraten."
    "Das ist inakzeptabel!", maulte er.
    "Warum?", fragte Liandra verwundert nach. "An sich ist doch beides gut für dich."
    "Was soll an solch einer Blamage, mit dir zu tanzen, positiv sein?"
    "Immerhin kannst du dann damit angeben, mit einer echten, berühmten und gut aussehenden, weiblichen Gottheit getanzt haben zu dürfen." Fröhlich grinste sie ihn an, rieb sich dann aber ganz verlegen über den Nacken und säuselte pfeifend: "Ich weiß, Bescheidenheit ist meine Stärke."
    "So etwas kann nur eine Gottheit glauben."
    Sie ging einen großen Schritt näher auf ihn zu, legte ihm eine Hand auf die Schulter und blickte tief in seine Augen. Gleichsam ließ auch er sich hinreißen und fixierte sich auf ihre, recht sonderbar grasgrünen Augen. Dann fragte sie, den Kopf dabei in leichte Schräglage gebracht: "Und du bist wirklich sicher, dass du Kuen heiraten willst?"
    Aras ging voll drauf ein, ließ sich nicht weiter von ihr einnehmen und antwortete: "Wenn du das schon hinterfragst, werde ich es erstrecht tun."
    "Auch wenn ich dir beweisen könnte", fuhr sie fort und rieb sich zärtlich die Nasenspitze, "dass sie dir nicht treu ist?"
    Beleidigt fühlte sich der Magier, dies zu Ohren zu bekommen. Und dann auch noch so dreist, als wäre es Gang und Gäbe, dass ihm die Frauen untreu wären.
    "Das werde ich nicht glauben, dass Kuen mir dies jemals antun würde!"
    "Kannst du es wissen?"
    "Es ist mir egal, ob ich es wissen kann", erwiderte er und riss sich von ihr los. "Ich muss sie lieben und daran glauben. Es erhält meine Magie aufrecht."
    Daraufhin winkte sie ihm ab. "Träumerei und Spinnerei waren dir schon immer eigen, Herzog... Ich bin ohnehin davon überzeugt, dass du auf deiner Reise nach und durch Lyc wieder eine Frau kennenlernen wirst, die dich gleichsam überraschen wird."
    "Ich bleibe bei Kuen und sie bei mir!", stellte er mit den Füßen stampfend klar. "Ich bin davon überzeugt!"
    "Es liegt nicht in meinem Interesse, dir deine Liebschaften mies zu machen", meinte sie weiter und wagte einen neuen Annäherungsversuch. Nun sehr offensiv und direkt. Sie schlang regelrecht ihren Arm um seinen Hals und presste ihre Hüfte fest an seine. "Kannst du mir nochmal genau schildern, wie ihr euch kennengelernt habt?"
    Perplex zuckte er zusammen und versuchte die Situation klarer zu deuten. Als er dann merkte, dass sie weitere Annäherungsversuche machte -warum auch immer sie dies tat, stand in den Sternen- zog er sofort einen Schlussstrich und windete sich mit gekonnter Drehung aus ihrem Arm heraus, welchen er dabei mit verdrehte, woraufhin sie sich auch verrenkte. Sie lösten sich wieder voneinander und standen sich erneut, aber diesmal neutraler gegenüber.
    "Ich bin nicht verpflichtet, dir das mitzuteilen", verkündete er sein vermutlich in den Augen eines Gottes wenig wirksames Recht. "Außerdem ist es meine Sache, in wen ich mich verlieben möchte..."
    Plötzlich hörte er Thyra nach ihm rufen. "Aras? Willst du mitmachen?"
    Wie ferngelenkt wich sein Blick von Liandra ab, rüber zur Jägerin. Sie versuchte ihn mit Winken zum kommen zu animieren.
    Darin sah Aras seine vorerste Rettung vor der nervtötenden Göttin und ihrer hirnrissigen Behauptungen.
    "Es tut mir leid, Liandra, aber Thyra verlangt nach mir", sagte er mit einem spöttischen Lächeln und begab sich langsamen Schrittes auf Thyra zu.
    "Denke an meine Worte", rief Liandra ihm noch hinterher. "Eine Person spielt hier ein falsches Spiel." Dann war sie mit einem Fingerschnips verschwunden.

  • Jaris blickte skeptisch auf das Spielfeld. Mitlerweile waren die Klötze wild über dem Spielfeld verteilt. Sie waren am gewinnen. Natürlich war es von Vorteil, dass sie Thyra in ihrem Team hatten, die am laufendem Band neue Regeln über dieses Spiel offenbarte, das so exotisch war, dass es nicht einmal in seinem reichen Fundus an fremden Erinnerungen vorhanden war. Als sie nach wenigen Zügen anfing die Klötze der anderen aufzustapeln, damit man sie mit einem Wurf treffen konnte, war ein kurzer Streit aufgeflammt, der jedoch schnell beendet wieder war. Er trat an die Wurflinie, die sie mit einem tau - von denen es hier an Bord reichlich gab - gekennzeichnet hatten und warf seine beiden Stöcke in kurzen Abständen. Immerhin. Einer traf einen der größeren Klötze, der sich langsam neigte und dann einen erschreckenden Moment stillstand, bevor er schlussendlich zur Seite kippte. Es brach nicht wirklich der frenetische Jubel aus, mit dem sie zu Beginn nach jedem Treffer die gesamte Besatzung unterhalten hatten, doch es brachte ihm einen schnellen Kuss von Thyra ein und was wollte er auch mehr. Inzwischen hatte sie eine richtiggehende Zuschauermenge gebildet, die einen Kreis um sie gebildet hatten. Die die frei hatten - und einige, die einfach nicht unter ausreichender Beobachtung standen, wie Jaris vermutete -, waren froh über den kurzweiligen Zeitvertreib und manche hatten sogar Wetten abgegeben. Die gelegentlichen Würfe, die schiefgingen und einen der Stöcke in die Menge schleuderten, waren wohl nicht genug Risiko um sie davon abzuhalten. Inzwischen war auch Tristan, der mit ihm und Thyra zusammenspielte, etwas aufgetaut und gab verhalten ein paar Dinge von sich preis. Nicht vielmehr, als das er nach seinem Bruder suchte, der in einem Krieg verschollen war, doch das war immerhin ein Ansatzpunkt. Jaris musste noch entscheiden, ob der fremde Mann etwas zu verbergen hatte oder einfach nur schüchtern war. Auf jeden Fall konnte es nicht schaden etwas Zeit mit ihm zu verbringen und auf der Hut zu sein. Plötzlich erfasste eine Böe das Schiff und stieß die wackligsten der aufgeschichteten Holzskulpturen in ihrer Mitte um. Im selben Moment ertönte ein scharfer Knall, der die Luft zerschnitt wie warme Butter. Ein Matrose brüllte Warnrufe und Jaris warf sich mit Thyra auf das Deck, während er sah, dass die anderen es ihnen gleich taten. Einer der schwenkbaren horizontalen Balken, die die Segel im Wind halten sollten, rauschte über ihren Köpfen hinweg und ein Lauter Schrei erklang, von einem Platschen gefolgt. Sofort sprangen die meisten der Matrosen um sie herum auf die Beine und machten sich daran, den Balken sowie das gerissene Tau zu sichern. Andere rannten zur Reling und riefen wild durcheinander.
    "Mann über Bord", brüllte ihn ein besonders Stimmgewaltiger Seemann an, als er sich an ihm vorbei schob. Das Meer war ruhig bis auf ein paar kleine Wellen, die das Schiff in ihrer sanften Umarmung wiegten. Und einer Stelle im Wasser, von der sich kleine Ringe zogen, wie bei einem Teich in den jemand einen Stein wirft.
    "Nach so einem Schlag ist er bestimmt bewusstlos", dachte Jaris ohne zu wissen, um wen es sich handelte. Schnell suchten seine Blicke seine Gefährten und dann fühlte er sich schuldig, weil er erst jetzt daran gedacht hatte. Und weil er erleichtert war, dass er sie gefunden hatte, denn immerhin versank dort jemand im Meer, für den es kaum einen Unterschied machte, ob seine Freunde wohlauf waren.
    Plötzlich bäumte sich die See an besagter Stelle auf und schraubte sich - einen dunklen Fleck in seiner Mitte - in der Himmel. Die Wassersäule neigte sich zum Schiff hin und brach über ihnen zusammen. Stimmen fluchten, als sie von dem kühlem Nass überspült wurde, doch ein paar waren so geistesgegenwärtig den Fleck, der sich als lebloser Körper herausgestellt hatte, aufzufangen und sanft auf das Bett gleiten zu lassen. Daphne offenbar nicht sehr erschöpft von dem was sie getan hatte - sie war wirklich wieder genesen - eilte sogleich zu dem reglosen Mann und legte ihm eine Hand auf die Brust. Er krümmte sich zusammen und spuckte in hohem Bogen Wasser auf das Deck und die Umstehenden. Einen Moment lang war das Gemurmel verstummt. Dann klatschte ein einzelner und sofort fielen weiter ein und bejubelten Daphne. Jaris Blick suchte wieder, doch diesmal fand er den Kapitän, der mit zwei weiteren Männern abseits vom Geschehen bei dem Tau stand, das wohl gerissen war. Der Söldner schob sich erneut durch die Menge und gesellte sich zu der kleinen Gemeinschaft.
    "Wie konnte so etwas passieren", blaffte er den Kapitän an, der überrascht den Kopf hob. Auf seinem Gesicht war durchaus Zorn über seinen harschen Ton zu sehen, aber auch Ratlosigkeit.
    "Gar nicht", entgegnete er direkt. "Alle Taue sind neu und werden von meinen Männern täglich kontrolliert."
    "Und trotzdem ist eins gerissen", konterte Jaris und verschränkte die Arme vor der Brust.
    "Ist es nicht, das ist es ja gerade", antwortete der Kapitän und die Wut war nun deutlich in seiner Stimme zu vernehmen. Allerdings nicht auf ihn. "Es wurde durchgeschnitten."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Theic traute seinen Ohren nicht, als Jaris ihnen verkündete, dass der Kapitän davon ausging, dass eines der tragenden Seile durchgeschnitten wurde. Das hieß, sie saßen irgendwo mitten auf dem Meer, auf einem Schiff von dem es kein Entkommen gab, zusammen mit einem Verräter. Großartig. Als hätte es in letzter Zeit nicht schon genug Intrigen und Verrat gegeben. Nicht einmal hier waren sie sicher.
    „Das heißt aber auch, dass wer auch immer das Seil durchtrennt hat, noch irgendwo auf dem Schiff sein muss“, folgerte Aras. „Er kann ja nicht einfach weg.“ Der Herzog wirkte nachdenklich.
    „Und was sollen wir deiner Meinung nach machen?“, fragte Thyra. Sie klang genervt. „Ist ja nicht so, als hätten wir irgendwelche Hinweise. Das Seil könnte jeder durchtrennt haben. So ziemlich jeder Matrose hier an Bord trägt ein Messer oder etwas Ähnliches bei sich.“
    Mit einem Nicken stimmte Theical der Jägerin zu. Die Wahrscheinlichkeit, den Verursacher zu finden, glich der Zahl Null.
    „Aber es muss jemandem aufgefallen sein“, warf Tristan in die Runde. Er stand etwas abseits ihrer Gruppe und hatte die ganze Zeit ihr Spielfeld angestarrt, aber offenbar hatte er ebenso versucht, dem Gespräch zu folgen. Als er sich der Blicke der Freunde bewusst wurde, fügte er etwas leiser, wenn nicht sogar ertappt hinzu: „Wenn man die Leute fragt, findet sich vielleicht jemand, der etwas Ungewöhnliches gesehen hat.“
    „Wir können es jedenfalls nicht einfach so stehen lassen. Wenn wir einen Verräter an Bord haben, müssen wir ihn finden.“ Jaris sah sich suchend um. „Am besten trennen wir uns, dann können wir umso mehr Leute befragen.“
    Thyra und Jaris liefen davon und ließen Tristan, Aras und Theic zurück. Daphne hatte den verletzten Matrosen ins Krankenzimmer gebracht und Daryk war ihr gefolgt, weshalb ihnen deren Hilfe bei der Suche nach dem Schuldigen nicht zur Verfügung stand.

    Gemeinsam mit Aras lief Theical in die andere Richtung. Wenn Thyra und Jaris die auf Deck befragten, übernahmen sie eben die unter Deck. Vielleicht waren welche nach unten gerannt, um es den anderen zu erzählen, oder derjenige, der das Seil durchschnitten hatte, war ebenfalls nach unten gerannt.
    „Braucht ihr Hilfe?“ Tristan kam hinter ihnen hergelaufen. Theic blieb stehen, um auf ihn zu warten, während Aras weiterlief. Bei der Tür zu den Kajüten blieb er schließlich ebenfalls stehen und geduldete sich bis sie wieder zu ihm kamen. Immerhin etwas.
    „Ich würde gern etwas machen und nicht nur nutzlos herumstehen“, sprach Tristan. Er sah sich auf dem Deck um und beobachtete für einen Moment die geschäftigen Matrosen, die alle ihre Arbeit verfolgten, um das Segel wieder in den Griff zu bekommen. Theic konnte ihn verstehen, seit er auf dem Schiff war, kam er sich noch nutzloser vor als sonst.
    „Tu' dir keinen Zwang an. Wir können Hilfe sicher gut gebrauchen.“ Theical lächelte dem Neuen aufmunternd zu, dann holte er zu Zacharas aus und gemeinsam betraten sie die Mannschaftskajüten. Vielleicht fand sich hier jemand, der entweder etwas gesehen hatte, oder sich komisch verhielt. Einige Männer kamen ihnen entgegen, die scheinbar wissen wollten, was auf Deck aufregendes passiert war. Einige sprachen sie an, aber keiner wusste etwas, hatten sie auf Schiff die Nachtschicht übernommen und müssten über den Tag eigentlich schlafen.
    Die Räumlichkeiten der Mannschaft waren stickig und rochen nach Schweiß, Algen und nassem Holz. Kein angenehmer Geruch, aber es gab deutlich schlimmeres.
    „Fragen wir die“, meinte Aras. Der Herzog deutete auf eine Gruppe Matrosen, die sich um einen Tisch versammelt hatten. Einige saßen oder lehnten an den Wänden, während sie den Worten eines älteren Mannes lauschten, der wild gestikulierend auf sie einprasselte.
    „… und ich bin mir sicher, dass er es war. Ihr hättet es sehen sollen, es war so auffällig.“
    Die Freunde wurden hellhörig und warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe sie auf die Mannschaft zuliefen.
    „Ihr habt es also gesehen?“, fragte Zacharas, als sie hinter ihnen standen.
    Der Mann wandte sich um und musterte sie durch den dichten grauen Bart mit dunklen Augen.
    „Ja“, behauptete er.
    „Ihr habt gesehen, wie jemand das Seil der Segel durchschnitten hat?“, bohrte der Herzog weiter.
    „Nein“, meinte der Alte, „das nicht, aber ich habe gesehen, wie jemand die Seile die ganze Zeit angestarrt hat.“
    „Immerhin etwas“, gab Theic mit zuckenden Schultern von sich.
    „Wisst Ihr, wo der Mann ist?“, fragte Tristan gewohnt höflich.
    Der alte Seebär schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn davon laufen sehen, aber ihn aus den Augen verloren, als das Durcheinander anfing.“
    „Wie sah derjenige aus?“
    Der Alte überlege, schilderte dann aber in wenigen Worten, wie der Mann ausgesehen hatte. Normale und einfache Kleidung, dunkle Haare, schon älter und vom Wetter gezeichnet. Sicherlich selbst seit vielen Jahren ein Matrose.
    „Wenn ich ein Seil durchtrennt hätte, und nicht wöllte, dass mich jemand sieht, wo würde ich mich verstecken?“, überlegte Tristan laut.
    „Irgendwo, wo keine Leute sind“, mischte sich Theic in die Überlegungen ein.
    „Das Schiff ist riesig, es gibt hier sicherlich einige stille Orte“, meinte Zacharas überzeugt. „Aber ich glaube nicht, dass er sich in einem der privateren Räumlichkeiten verkrochen hat. Es muss etwas sein, wo jeder Zugang hat.“
    Gemeinsam mit den Matrosen überlegten sie und dachten über einige Orte nach, an denen man sich unauffällig verstecken konnte. Zwei verschwanden schließlich Richtung Krähennest und zwei andere beschlossen doch die Privatzimmer zu durchsuchen. Aufgrund der Beschreibung meinte der Alte, er wollte das Deck absuchen. Manchmal war die Masse doch das beste Versteck.
    Aufgrund von Tristans Vorschlag machte sich ihre kleine Gruppe auf den Weg in den Lagerraum des Schiffes.

    In den Lagerräumen angekommen, spürte Theic die Anwesenheit eines einzelnen Schattens. Aber sonderlich leise verhielt sich die Person nicht. Sie schien mit sich selbst zu sprechen, sich Vorwürfe zu machen und Fluchte als ginge es um ihr Leben.
    „Komm raus, wir wissen, dass du hier bist!“, rief Zacharas in den Raum. Die Geräusche von Schritten verhallten und plötzlich legte sich eine Ruhe über die vielen Kisten und Fässer, als wäre nie etwas gewesen. Doch sie wussten, dass sehr wohl jemand hier war.
    „Du brauchst dich nicht verstecken, wir finden dich sowieso!“, setzte Theic den Worten des Herzoges nach. Er spürte den Schatten der Person noch immer. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren und schob sich langsam an den Kisten vorbei, auf ihn zu.
    Die anderen folgten.
    Hinter zwei Fässern kam schließlich ein Mann zum Vorschein. Erhielt ein Messer in den Händen, hob dieses aber nicht zum Angriff, sondern wendete es zwischen den Fingern, als wüsste er nicht, was er damit anfangen sollte. Er schien nervös und aufgelöst. Die Verzweiflung war ihm jedenfalls deutlich ins Gesicht geschrieben.
    Nur zur Sicherheit lenkte Theic den Schatten und verdrehte die Hand des Matrosen, so dass er das Messer fallen ließ und vor Schmerz aufkeuchte.
    „Bitte, ich ergebe mich!“, rief dieser und ging in die Knie. „Ich wollte das alles nicht. Ich hatte nicht vor jemanden zu verletzten, oder gar zu töten.“
    „Ihr habt niemanden getötet.“ Tristan hob das Messer auf. „Dem Mann geht es gut.“
    „Daphne hat ihm geholfen“, fügte Theical hinzu. Er ließ von dem Matrosen ab, der augenblicklich erleichtert in sich zusammensackte.
    „Den Göttern sei Dank“, murmelte er. „Ich wusste doch nicht, dass der Balken der Segel derart ausschwenkt, wenn ich eines der Seile löse. Das hätte nicht passieren dürfen. Normalerweise ist mehr als ein Seil für die Stabilität solcher Segel notwendig.“
    Theical warf Tristan einen Blick zu. Er hatte keine Ahnung von Schiffen, oder deren Aufbau, um sagen zu können, ob der Mann die Wahrheit sprach, oder einfach nur ein guter Lügner war.
    „Götter?“, murmelte Zacharas in seinen nicht vorhandenen Bart. Er schien wieder über etwas nachzudenken, und dabei weit weg.
    „Was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Tristan. Sein Blick glitt zwischen den drei Männern.
    „Zu Daphne bringen“, überlegte Theical. „Immerhin ist es ihr Schiff.“

  • Der arme, arme Mann! Triss hatte unendlich viel Mitgefühl mit dem Matrosen. Er schien ihm wirklich Leid zu tun, was er getan hatte und dass einer seiner Kameraden seinetwegen über Board gegangen war. In seinen Augen konnte Triss so viel Verzweiflung lesen und so viel Angst vor der Bestrafung, die ihn nun erwartete. Nur zu gern hätte sie ihm geglaubt, wenn er alles abgestritten hätte. Aber er hatte seine Untat bereits gestanden. In ihrer naiven Art hoffte Triss, dass Daphne und der Kapitän dieselbe ehrliche Reue erkennen würden und dass die Strafe deswegen... nunja. Weniger hart ausfallen würde.
    Theic und der Herzog führten den Matrosen an Deck. Triss hatte sich ein Stück zurückfallen lassen, doch kaum hatte sie ein paar Schritte getan, hörte sie ein heiteres Kichern. „Hihihi! Hahaha! Huhuhu!“, gackerte es und Triss wandte sich um. Es kam aus demselben Lagerraum, in dem sie eben erst den Matrosen gefunden hatten. Die anderen schienen die Geräusche allerdings nicht zu hören, denn keiner von den beiden Männern reagierte darauf. Ob sie sie darauf aufmerksam machen sollte? Für Triss gab es nicht mehr viel zu tun; Sicher war Daphne nicht auf den Rat eines vermeintlichen Knaben angewiesen, um über den Matrosen zu urteilen. So siegte also ihre Neugierde und ohne dass ihre Begleiter es bemerkten, ging Triss noch einmal zurück. Immer dem Kichern hinterher: „Hihihi! Hahaha! Huhuhu!“
    Sie betrat den Lagerraum und traute ihren Augen nicht. Auf dem Boden, genau dort wo der Matrose gekauert hatte, wälzte sich ein kleines Männchen herum! Es mochte nicht einmal einen halben Meter groß gewesen sein, mit zauseligen Bart und einem runden Bäuchlein, welches sich das Männchen vor Lauchen hielt. Es wälzte sich in so vielen Seilen herum, genug um damit ein ganzes Rah zu halten. Und es kicherte vergnügt. „Hihihi! Hahaha! Huhuhu!“
    Schlagartig wurde Triss blass um die Nase. In ihrem ganzen bisherigen Leben war sie noch nie mit Magie oder magischen Wesen in Berührung gekommen. Der Anblick des Männleins brachte sie deshalb aus der Fassung. Sie stieß einen erschrocken Laut aus und fiel rücklings auf ihren Hintern. Genau so erschrak sich das Männlein dabei, nur dass es im Gegensatz zu Triss alarmiert auf die Beine sprang. „Seeigelkacke, wo kommst du denn her?“, geiferte es und zeigte anklagend mit dem ausgestreckten Finger auf Triss. „Und wieso kannst du mich überhaupt sehen, bei allen verfluchten Miesmuscheln?!“ Natürlich hatte Triss keine Antwort auf diese Frage. Sie hörte sie nicht einmal. Zu sehr war sie vom Anblick des kleinen Mannes entsetzt. Herr im Himmel, dieses Wesen war nicht ansatzweise so groß wie ein Kind und trotzdem sah es aus und klang es wie ein erwachsener Mann. Unweigerlich mussten Triss' Augen den bizarren Körper taxieren, mit der kurzen Flickenhose und dem Hemdchen, das ihm trotz der geringen Körpergröße ein Stück zu kurz war. Dann endlich konnte sie ihren Blick lösen und beäugte stattdessen kritisch die vielen Seile, die das Männlein umgaben.
    „Hast du etwa die Seile gelöst?“, fragte sie und ignorierte völlig die vorangegangene Frage. Plötzlich wirkte das Männlein weniger wütend, als stolz. Es reckte die Brust heraus und prahlte: „Ha! Nein, aber ich habe den Matrosen verzaubert, damit er es macht. Der Trottel wusste nicht einmal, was er da tut. Was für ein Spaß! All die entsetzten Gesichter. Und weißt du, was du gleich tun wirst?“ Der Schalk blitzte in seinen Augen auf. Triss schüttelte den Kopf. Du wirst zur Reling am Bug gehen und sie ansägen. So fällt der nächste, der sich dagegen lehnt, mit einem großen Platscher ins Meer. Ai, was für ein Spaß! Also, du weißt, was du zu tun hast, beim Klabautermann! Seine letzten Worte betonte er melodisch, als würde es sich dabei um einen Zauberspruch handeln. Anschließend rührte er mit dem Finger in der Luft herum und schnipste einmal. Triss meinte, tatsächlich so etwas wie kleine Funken während dieser Geste aufblitzen zu sehen. Aber irgendwie... passierte nichts.
    Triss blinzelte verdutzt. Das Männchen ebenfalls.
    „Ich sagte...“, wiederholte es und vollführte seine Bewegung noch einmal, „du weißt, was du zu tun hast. Beim Klabautermann! Und wieder geschah nichts. Das ganze versuchte es noch ein drittes Mal. Und ein viertes. Bei keinem seiner Versuche passierte das, was auch immer passieren sollte. Schließlich stapfte das Männlein verärgert mit dem Fuß auf den Boden auf. „Was ist das für eine Teufelei? Quallenwichse! Verdammte Haifischflosse! Wieso wirkt dieser dumme Zauberspruch nicht?“
    Inzwischen hatte sich Triss' erster Schock über diese Begegnung gelegt und sie richtete sich auf. Neugierig kniete sie sich vor das Männchen hin und legte die Hände in den Schoß. Sie hätte es auch gern gegen das kugelrunde Bäuchlein mit dem hervorstehenden Bauchnabel gestupst. Allerdings wäre es dann sicher noch wütender geworden. „Das war ganz und gar nicht gut, was du da getan hast!“, tadelte Triss, wie sie es genauso mit ihren jüngeren Geschwistern tat, wenn sie den Hühnern des Nachbarn wieder einmal gegorene Kirschen zu fressen gegeben hatten. Das Männchen gähnte nur, als würde ihn der Tadel überhaupt nicht interessieren. Wahrscheinlich tat es das auch wirklich nicht. „Jemand hätte ernsthaft verletzt werden können. Außerdem hast du den verzauberten Matrosen damit in Schwierigkeiten gebracht. Du solltest die ganze Sache aufklären.“
    Das Männlein winkte nur ab. Ihm war alles offensichtlich egal, solange er seinen Spaß hatte. „Du langweilst mich, Bub“, blaffte es Triss an. „Ich befehle dir, mich nicht mehr zu sehen! Beim Klabautermann!
    Fragend hoben sich Triss' Augenbrauen, während das Männlein auch diesen Zauber wiederholte: Beim Klabautermann!
    „Soll ich mir die Augen zuhalten?“, bot Triss hilfsbereit an. Ihr Gegenüber fand das aber ganz und gar nicht komisch. „Mach dich bloß nicht über mich lustig, du Grünschnabel! Wieso, dreimal verfluchtes Korallenriff, geht das einfach nicht?“
    Als schließlich unzweifelhaft klar war, dass keiner seiner Zauber auch nur ansatzweise funktionierte, ballte das Männchen wütend die Fäuste. „Nagut...“, knurrte es, „dann muss ich dich wohl auf eine andere Weise loswerden.“ Und kaum hatte es ausgesprochen, drehte es sich um und nahm die Beine in die Hand! So flink seine kurzen Beine es tragen konnten, hastete es davon. Triss versuchte noch, es an seinem Hosenlatz zu erwischen. Doch das einzige was sie schnappen konnte, war ein kleines, spielzeugroßes Pfeifchen von seinem Gürtel. Das Männlein floh in eine Ritze in der Wand, während es kichernd ein Märchen rezitierte: „Dies war nur der erste Streich! Hihihi! Hahaha! Huhuhu!“

    Triss ließ die Schultern sinken. Was sollte sie nun tun? Den Matrosen traf offenkundig keine Schuld; das merkwürdige Männchen hatte ihn gezwungen – das hatte es selbst zugegeben. Mit diesem Wissen konnte Triss unmöglich zulassen, dass man den Matrosen bestrafte. Aber wer sollte ihr schon glauben? Nichts, außer dem kleinen Pfeifchen in ihren Händen, erinnerte an ihre Begegnung.
    Der alte Geschichtenerzähler..., schoss es Triss mit einmal durch den Kopf. Vielleicht schenkte er ja ihrer Geschichte Glauben und einen Ratschlag, was sie nun tun sollte, gleich dazu. Vorher wollte sie aber noch zu einer anderen Person: Thyra. Sie schien Triss von allen an Board am meisten aufgeschlossen zu sein. Womöglich ließ sie sich von dem Pfeifchen überzeugen... .
    Triss eilte los.

  • Thyra lief gerade über das Deck. Jaris und sie hatten sich getrennt, um in kürzerer Zeit mehr Leute befragen zu könne, aber niemand hatte etwas gesehen .... oder gehört ... oder sonst irgendwas ... Innerlich verdrehte sie die Augen. Alle waren so sehr vom Spiel abgelenkt gewesen. Selbst die Matrosen, die eigentlich hätten was schaffen sollen.
    Notiz an mich selbst: Keine Spiele mehr, dachte sie mit Bedauern. Dann musste sie sich wohl was anderes einfallen lassen, um die Langeweile zu vertreiben. Aber immerhin hatte sie jetzt erstmal was zu tun. Und zum Glück war nichts passiert.
    "He, du", sprach sie einen Matrosen an, der gerade dabei war sich in die Takelage zu schwingen. Der Mann hielt und inne und betrachtete sie abschätzig von oben bis unten. "Ich wusste, dass Frauen an Bord Unglück bringen", war sein Kommentar zu der Sache. Das hörte sie heute nicht zum ersten Mal. "Jaja, blabla. Wenn die Männer zu blöd sind, dann warens wieder die Frauen. Hast du wenigstens was gesehen oder gehört, was deine These unterstützt?" "Te .. was?" Thyra starrte den Mann genervt an. Er war abergläubisch und offensichtlich nicht der Hellste. Die öffnete den Mund, um zu einer Erklärung anzusetzen, schloss ihn dann aber wieder, schüttelte den Kopf und drehte sich um, um zu gehen.
    "Genau. Scher dich zum Teufel." Der Matrose war offensichtlich eingeschnappt. Thyra hielt inne, ging zum dem Matrosen zurück und baute sich vor ihm auf. Er war nicht sonderlich groß, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte. Ihre Nasenspitzen trennte vielleicht noch ein Finger. Sie setzte ein fieses Grinsen auf und hauchte: "Ich bin der Teufel." Lachend stieß sie ihn vor die Brust. Der Mann taumelte zurück und bekreuzigte sich. "Nie wieder Frauen an Bord", murmelte er und ergriff die Flucht nach oben.
    Sie lachte immer noch, als sie spürte, wie ihr jemand auf die Schulter tippe.
    "Ja? Oh hey, Tris. Hast du was rausgefunden?"
    Der Jüngling nickte, wirkte aber ein wenig durch den Wind. "Kann ich mit dir sprechen? Unter vier Augen."
    Thyra merkte, dass es Tristan ernst war, also nickte sie. Außerdem wollte sie wissen, was er Spannendes herausgefunden hatte. Sie suchten sich eine wenig belebte Ecke auf Deck, die zu einer Seite von Fässern und zur anderen von der Reling begrenzt war.
    "Also was ist?", fragte Thyra und blickte den Soldaten fragend an. Er druckste eine Weile herum und begann dann: "Wir haben unter Deck einen aufgelösten Matrosen gefunden. Er sagte immer wieder, dass er nicht wollte, dass jemand verletzt wurde."
    "Das ist doch super!", unterbrach Thyra Tris. "Wo ist er jetzt?"
    "Theical und Herzog Zacharas bringen ihn zu Daphne, aber das ist nicht der Punkt."
    "Sondern?"
    "Er war es nicht ..."
    Thyra blickte den jungen Mann misstrauisch an. "Was macht dich da so sicher?"
    "Er ist von einem Klabautermann verzaubert worden."
    Thyra blinzelte ein paar ungläubig und brach dann in schallendes Gelächter aus, doch als Tris nicht mit einstimmte, sondern sie eindringlich, wütend und gekränkt zugleich ansah, brach ihr Lachen ab. Fragend sah ihn an. Tristan schien seinen ganzen Mut aufbringen zu müssen, um fortzufahren. "Ich konnte ihn nicht fangen, aber ..." Er zog eine Pfeife aus der Hosentasche und reichte sie Thyra. Die Jägerin nahm sie in die Hand und betrachtete sie. Sie schien für ein Kind gefertigt worden zu sein.
    "Er ist ganz klein. Geflickte Hose, dick, zu kurzes Hemdchen, langer, ungepflegter Bart. Er hatte sie in der hinteren Hosentasche ..."
    Thyra blickte die Pfeife, Tristan, die Pfeife und wieder Tristan an. Warum sollte er sich sowas ausdenken? Zumal er von dem Klabautermann wirklich ein Bild vor Augen zu haben schien. Trotzdem war Thyra immer noch skeptisch, aber warum sollte man alten Legenden nicht glauben? Selchior war eine einzige Legende gewesen. Ein Versuch war es wert. Was, wenn der Mann wirklich unschuldig war? Andererseits würden sie sich zum Gespött machen, wenn sich ihre Behauptung am Ende als falsch herausstellte...
    "Was schlägst du vor?", fragte sie zaghaft.
    "Hier gibt es einen alten Seebär. Er hat schon Geschichten erzählt. Vielleicht kann er uns helfen ..."
    Thyra nickte langsam. Das war eine gute Idee. Sie würden erst zu dem Seebären gehen und keine Pferde scheu machen. Danach konnten sie immer noch sehen, was sie tun würden.

    Sie fanden besagten Matrosen an der Reling lehnend und in die Ferne starrend. Eine Pfeife hing aus seinem Mundwinkel, die der des Klabautermanns ähnelte. Aufmerksam hatte er Tristans Erzählungen gelauscht und sich die kleine Pfeife genau angesehen.
    "Nun es ist nicht so schwer einen Klabautermann zu fangen", antwortete er schließlich. Zu Thyras Verwunderung stellte er die Geschichte nicht ein einziges Mal in Frage.
    "Was müssen wir tun?", wollte Tristan wissen.
    "Zucker. Klabautermänner lieben Zucker. Findet Süßkram, damit könnt ihr ihn anlocken. Allerdings kann man ihn in der Regel nicht sehen. Warum du", er deutete auf den Soldaten, "ihn sehen konntest, ohne, dass er sich dir gezeigt hat, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls müsst ihr ihn dazu bringen sich sichtbar zu machen. Dafür reicht es in der Regel ihm einen Kübel eiskaltes Wasser überzuschütten. Aber es muss wirklich kalt sein. So kalt, dass er erschrickt und seine Tarnung vergisst."
    Thyra und Tris nickten synchron. "Und dann?"
    "Nun, ein Klabautermann sagt nie die Wahrheit. Er verzaubert die Menschen um ihn herum einfach."
    "Hat bei mir auch nicht geklappt", warf Tristan ein. Thyra blickte ihn erstaunt an. Davon hatte er gar nichts erzählt. Wie auch immer ...
    Der Seebär drehte sich erstaunt zu Tristan. "Du bist aber was ganz Besonderes. Dann wird es an dir sein den Klabautermann zum reden zu bringen. Es gibt da einen Vers, der ihn für kurze Zeit zwingt die Wahrheit zu sagen:

    Tintenfischtinte, Quallenschleim
    und Klabautermannsfinte,
    sag die Wahrheit oder lüg dir die Beine kurz.
    Bei Rhenus, sag die Wahrheit oder lüg dir die Beine kurz."

    "Rhenus?", fragte Thyra.
    Der Seebär grinste. "Ja, Rhenus der alte Schelm. Er hielt die Klabautermänner für witzig. In der Regel stiften sie nur Chaos. Selten stirbt bei ihre Streichen jemand oder wird ernsthaft verletzt."
    "Dann war heute wohl eine Ausnahme...", murmelte Thyra sarkatisch. Aber wenn Rhenus dabei eine Rolle spielte, würde Daphne vielleicht nicht gleich alles abtun und sie konnten wenigstens versuchen den Klabautermann aus der Reserve zu locken. Langsam glaubte sie Tristan wirklich. Auch wenn die Ratschläge des alten Matrosen wirklich ... absurd wirkten ...

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

    • Offizieller Beitrag

    "Ein Klabautermann?", fragte Daphne und sah in die ratlosen Gesichter von Thyra, Theical und Tristan. Die drei waren sich auf dem Weg zu ihrer Kajüte begegnet und Theical war seine Skepsis gegenüber der Geschichte anzusehen. Aber wie gewohnt, versuchte er höflich zu bleiben und nach all ihren Begegnungen; wie unwahrscheinlich war da noch ein Klabautermann?! Daphne versicherte ihm, dass damit nicht zu spaßen war, denn sie, als Nordfrau, wusste um die Sagen, aber nicht, wie man denen entgegenwirken konnte. "Den wir mit Süßigkeiten anlocken sollen?", fügte sie hinzu und saß leicht zusammengesunken in ihrem Sessel. Sie war nicht begeistert davon, dass ihr neues Schiff gleich von solch einem Plagegeist heimgesucht wurde. Wobei diese eigentlich die Seemänner warnen sollten, falls Gefahr drohte. Allerdings schienen diese Wesen irgendwann gelangweilt von ihrer Aufgabe und vertrieben sich diese, indem sie Streich spielten, wie kleine Kinder.
    "Und was machen wir mit ihm, wenn wir ihn haben?", verlangte Daryk zu wissen, der zur Rechten von Daphne stand. "Auf einer Insel aussetzen?"

    "Nein, das bringt Unglück", überlegte die Prinzessin laut. "Man kann ihn in einen Käfig sperren und auf einem anderen Schiff aussetzen."

    "Dazu müssen wir ihn aber erstmal einfangen!", stellte der junge Solat vor Daphne richtig fest, dem die anderen beiden nur beipflichteten.

    "Wenn wir ihn haben, könnten wir irgendwo anlegen und ihn so auf einem anderen Schiff aussetzen, aber wie behält man ihn so lange gefangen? Wenn das so einfach wäre, dann ..."

    Thyra hatte recht. Es waren magische Wesen. So einfach konnte man die kleinen Kerle nicht am Hosenboden schnappen und einfach festhalten. Sie waren zudem auch sehr flink.

    "Vielleicht kann ...", erwiderte der Hüne, sprach aber nicht weiter. Es schien ihm immer noch, nach allem was geschehen war, seinen Namen auszusprechen, auch wenn mittlerweile keine Wut mehr mitschwang.

    Daphne verstand, worauf der Hüne hinauswollte und nickte.

    "Vielleicht kann Aras uns helfen. Er kennt nicht Magie aus, wie man einen Bann oder Zauber wirkt. Vielleicht kann er einen Käfig so verzaubern, dass der Klabautermann nicht heraus kann."
    "Fragen kann man ihn ja mal", entgegnete der blonde Soldat erneut.
    "Theical kann vielleicht seinen Schatten ausfindig machen", schlug Daphne erneut vor. "Jaris, Daryk und ich kümmern uns um die Süßigkeiten, ihr versucht diesen Klabautermann zu finden und redet mit Aras. Dann treffen wir uns an Deck und schauen, was wir tun können. Wer doch gelacht, wenn wir diesen kleinen Gnom nicht von Bord bekommen, ehe es wirklich noch Verletzte gibt."

  • Nachdenklich stand Aras wiedermal an der Reling und blickte aufs Meer hinaus. "Ob Liandra etwas damit zu tun hatte? Was es Teil ihrer Wette? Aber warum sollte sie von einem blinden Passagier gesprochen haben, wenn sie selbst nicht gemeint war..?"
    Thyra riss ihn aus seinen Gedanken. "Es war ein Klabautermann!"
    Aras schwenkte um und sah Tristan an ihrer Seite. Er stimmte nickend zu.
    Nur kurz war der Lord von diesen Worten verwirrt, schien dann aber verstanden zu haben, was genau sie meinte. "Sehr schön!"
    Verwunderte Blicke ihrerseits.
    Aras klärte sofort auf. "Also ich meine, dass es nur ein Klabautermann ist..."
    "Nur ein Klabautermann?", brachte sie skeptisch entgegen. "Was hast du dir denn Schreckliches vorgestellt, was es sein soll?"
    "Äh... Ich meine, natürlich es schlecht, dass hier ein Klabautermann herumschleicht, aber es ist schön, dass ich mal einem begegnen darf."
    "Aber du kannst ihn doch gar nicht sehen", konterte Thyra, während Tristan folgend fragte: "Oder könnt Ihr etwa doch?"
    "Keine Ahnung..." Tiefe Denkfalten auf Aras' Stirn. "Die sind doch normalerweise für uns unsichtbar."
    "Eben drum haben wir dich aufgesucht", entgegnete die Jägerin.
    "Aber wie kommt ihr denn überhaupt darauf, dass es ein Klabautermann war?", hinterfragte der Lord deren Anliegen. "Schließlich sind diese Wesen unsichtbar für uns. Also woher wollt ihr wissen, dass es einer ist."
    "Er hat ihn gesehen", meinte Thyra mit Fingerdeut zum Soldaten, wirkte dann aber etwas unsicher. "Stimmt doch, oder?"
    Nachdenklich beäugte der Magier ihn von oben bis unten. Aber er konnte nichts an ihm entdecken, was auf Zauberei oder Hexerei hindeutete.
    "Ich weiß nicht viel über Klabautermänner oder ähnliche Wesen, obwohl ich mal einen Kobold in meiner Burg hatte. Aber solltest du, Tristan, nicht eigentlich von ihm verzaubert worden sein, damit du ihn vergisst?"
    "Er hat es versucht, glaube ich..."
    Kurz lachte Aras auf. "Man möge fast glauben, du seist gegen solche Magie immun. Was aber töricht wäre..."
    "Wie sieht es nun aus?", unterbrach Thyra seine lauten Gedanken. "Gibt es einen Zauberspruch oder ähnliches, um den Wicht zu fangen."
    Aras nickte. "Es gibt Magie, die solche Wesen gefangen halten kann."
    Beinahe hätte Thyra einen leisen Jubelschrei ausgestoßen, da sprach Aras weiter: "Aber leider beherrsche ich diese Art von Magie nicht."
    Und dann kam wieder dieses enttäuschte Stöhnen, welches er schon zu oft vernehmen musste. Doch wusste er sich und den anderen trotzdem zu helfen.
    Mit erhobenem Finger sprach er weiter: "Aber ich könnte einen Trank herstellen, welcher ihn zeitweise daran hindern kann, Zauberei zu wirken."
    "Dann macht das..."
    "Das wiederum könnte sich als leicht knifflig erweisen", unterbrach sie nur ungern, jedoch erforderlich. "Einige der Ingredienzien sind leicht zu besorgen, andere wiederum nicht."
    Grübelnd versuchte er, die Rezeptur in seinem Gedächtnis abzurufen. "Salz, Elfenbein und Nickelspan braucht man. Tinte vom Tintenfisch, dann noch Korallenkalk, Schneckenschleim und Schuppen einer Meerjungfrau."

  • Thyra überlegte. Ein Trank, den sie auf ein Seil kippen mussten, damit es den Klabautermann halten konnte.
    Das klang leicht.
    Als Triss, Theic, Aras und Thyra ihren Plan, nämlich den Klabautermann anlocken, dann mit kalten Wasser übergießen und fesseln (das war Triss' Aufgabe) und dann mit dem Reim zwingen zuzugeben, dass er den Matrosen verzaubert hatte, mitgeteilt hatten, überlegten sie gemeinsam, wie sie an die Zutaten für den Trank kommen könnten.
    Thyra überlegte laut: "Also Salz ist leicht. Das gibt es in der Küche. Da müssen wir sowieso hin, um ein bisschen Süßkram zu besorgen ..." Sie tippte sich ans Kinn. "Tinte vom Tintenfisch. Den können wir bestimmt angeln ..."
    Der Kapitän warf ein: "Hier in der Nähe ist auch ein Korallenriff. Dort kriegen wir den Kalk und ein wenig Schneckenschleim von Seeschnecken."
    "Dann bleiben noch Elfenbein, Nickelspan und die Schuppen einer Meerjungfrau", ergänzte Aras die Liste und fügte sogleich hinzu: "Nickelspan habe ich vorne an der Galleonsfigur schon gesehen. Den könnte ich abkratzen."
    "Elfenbein ...", brummte Jaris und kramte in den Taschen seiner Hose herum. "Wusste doch, dass ich es noch hab." Er zog eine kleine kunstvoll geschnitzte Statue hervor. insgesamt mochte sie do groß sein, wie Thyras kleiner Finger. Dennoch konnte man erstaunlich viele Details erkennen.
    "Hey ... die ist von mir", rief Aras erstaunt.
    Jaris zuckte verlegen mit den Schultern. "Damit hast du mich für meine Dienste bezahlt ... Jetzt nehmen wir sie eben für den Trank."
    Theic grinste erfreut. "Ich dachte schon, wir müssen irgendjemand das Erbstück seiner toten Mutter klauen und uns unbeliebt machen ..."
    Thyra stieß ihren Kumpel lachend in die Seite, dann wanderte ihr Blick zu Daphne.
    "Was?", fragte die Heilerin.
    "Äh ... naja ... du bist doch sowas wie Calypso 2.0, oder? Könntest du nicht ein paar Meerjungfrauen rufen?"
    Daphne schmunzelte. "ich fürchte damit kann ich nicht dienen."
    "Schade. Was nun?"

    Wieder hatte der Käptn eine Idee: "Ich hab da einen Matrosen an Bord. Er kann wunderschön Flöte spielen. Die Nixen sind ganz verrückt nach ihm. Wenn er spielt vergessen sie und mit ihrem Gesang zu verführen. Vielleicht kann er eine dazu bewegen uns einige ihrer Schuppen abzugeben...?"
    "Ernsthaft?", platzte es aus Daryk hinaus.
    Der Käptn nickte und grinste. "Sie lieben ihn." Dann zwinkerte er dem Hünen verschmitzt zu.

    Es dauerte den ganzen restlichen Tag alle Zutaten für den Trank zusammen zu kratzen. Alle waren über das Schiff gehuscht, die Matrosen hatten fleißig geholfen. Besonders der, der unter dem Zauber des Klabautermanns das Tau durchtrennt hatte. Er war, na unzähligen vergeblichen versuchen einen blöden Tintenfisch zu fangen, kopfüber ins Meer gesprungen und hatte ein kleines Exemplar am Tentakel gepackt. Mit Daphnes Unterstützung, die ihm das Wasser aus der Lunge fernhielt und den Tintenfisch mit Hilfe der Fluten davon abhielt sich am Kopf des Matrosen festzusaugen, hatte er schließlich die Tinte bekommen. Zurück waren Saugnapfabdrücke auf deinem rechten Arm geblieben.
    Nun standen sie auf dem Deck und betrachteten sie violette Flüssigkeit, die in der Phiole schwappte, die Aras gegen das Licht hielt. Andächtig senkte und entleerte er sie auf ein Tau, dass Thyra ihm hinhielt. Das Material nahm die Flüssigkeit restlos auf und ein dünner, goldener Glanz umspielte das Seil nun.
    "Na dann", sagte Triss und platzierte einen mit Marmelade gefüllten, mit Zuckerguss bestrichenen und mit Puderzucker bestäubten Teigball in der Mitte. Der Küchenchef hatte ihn aus seinem privaten Vorrat geopfert ...
    "Jetzt heißt es warten."

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Sie warteten.
    Und sie warteten… .
    Und sie warteten. Aus dem Tag wurde der Abend und als es dämmerte, saßen sie nur noch zu siebent in Sichtweite ihrer Falle. Die Besatzung des Schiffs ging schon längst wieder ihren eigenen Aufgaben nach. Schließlich hatten sie ein Schiff wieder in Fahrt zu setzen.
    Triss hockte neben Theic auf dem Deck, nur ein paar Schritte von ihren ausgelegten Köder entfernt. Sie hatte die Knie zur Nase herangezogen und umschlang ihre Beine mit ihren Armen. Langsam begann Triss daran zu zweifeln, dass der Klabautermann tatsächlich auftauchen würde. Ob sich der alte Seebär geirrt hatte? Vielleicht hatte der Klabautermann aber auch ihre Falle durchschaut. Triss seufzte leise. Wenn sich das Männlein nicht endlich zeigen würde, dann würde man sie sicher als Lügnerin beschimpfen und den armen, unschuldigen Matrosen doch noch bestrafen. Sie hatte die Skepsis in den Augen der anderen gesehen… .
    Plötzlich hörte sie ein bekanntes Kichern. Blinzelnd hob sie die Augen und sah sich um, doch außer ihr schien niemand darauf zu regieren. Bevor sich Triss aber einreden konnte, sich das Geräusch nur eingebildet zu haben, sprang der Klabautermann aus dem Nichts hervor. Weder die Matrosen, noch ihre Begleiter schenkten dem Geschöpf die geringste Aufmerksamkeit. Dabei stand es direkt vor ihnen, die Arme herausfordernd in die Seiten gestemmt. In diesem Augenblick war Triss viel zu abgelenkt, um sich darüber zu wundern. Sie zupfte leicht an Theics Hemdärmel. Er schlug nur vage die Augen auf.
    Gespannt beobachtete Triss, wie sich der Klabautermann dem Marmeladengebäck näherte. Scheinbar fühlte es sich so sicher, dass es sich nicht die geringste Vorsicht walten ließ oder sich das Gebäck zumindest erst einmal misstrauisch ansah. Wie ein zu klein geratener Rüpel ließ es sich auf den Hosenboden fallen, schnappte sich die Leckerei und schob es sich in den Mund.
    „Jetzt, Theic!“, rief Triss ihm zu, wie sie es zuvor ausgemacht hatten. Durch das Zupfen an seiner Kleidung hatte er wissend den Eimer mit dem Wasser gegriffen und ergoss nun den eiskalten Inhalt über die Stelle mit dem Köder. Der Klabautermann kreischte erschrocken auf und auch wenn Triss es nicht einschätzen konnte, war er in diesem Augenblick wirklich für alle sichtbar geworden – patschnass, vor Kälte erstarrt und fürchterlich erschrocken.
    Im selben Augenblick war Triss vor lauter Entschlossenheit beinahe direkt in den Stand hinein aufgesprungen. Mit wenigen leichtfüßigen Schritten stürmte sie auf den Klabautermann zu und schaffte es, ihn an den kleinen Händchen zu erwischen. „Auaaa!“, schrie er auf, als Triss ihn die Arme auf den Rücken drehte und geschwind das Seil erst um seine Handgelenke und dann um seinen Oberkörper schlang. Dann zurrte sie es hinter seinem Rücken ordentlich fest (den Knoten hatten ihr die Matrosen erst am selben Vormittag gezeigt) und schloss das ganze Bündel mit einer netten Schürzenschleife.
    „Lass mich sofort runter, du dreimal verteufelter Grünschnabel! Beim Klabautermann!, zeterte das Männchen. Beim Klabautermann!Doch wie schon zuvor erreichte es damit überhaupt nichts bei Triss. „Nein, das werde ich nicht.“ Nun musste Triss mahnend die Stimme erheben. Sie hielt den gefesselten Klabautermann mit der Länge ihres ganzen Armes vor sich in der Luft. Wie eine nasse Katze, die wild fauchend in alle Richtungen kratzte, strampelte er mit den Beinen und versuchte sich zu befreien – vergebens. Aras‘ magisches Seil funktionierte tadellos.
    Inzwischen war jede einzelne Menschenseele an Bord heran geeilt gekommen. Triss sah sich umringt von dutzenden Augenpaaren, die sich alle ungläubig oder neugierig auf das Wesen in ihren Händen hefteten. „Jetzt gib es zu. Du bist Schuld am Unfall mit dem Mast!“ „Scher dich zum Teufel!“
    Triss zog tadelnd die Augenbrauen zusammen. Sie hatte gehofft, dass der Klabautermann von selbst die Wahrheit sagen würde, wenn er einmal gefangen war. Doch nun blieb ihr nichts übrig, als ihn dazu zu zwingen. Ihr gutes Herz hatte das verhindern wollen. Sie holte Luft und betete die Zauberworte herunter:

    „Tintenfischtinte, Quallenschleim
    und Klabautermannsfinte,
    sag die Wahrheit oder lüg dir die Beine kurz.
    Bei Rhenus, sag die Wahrheit oder lüg dir die Beine kurz.“

    Ob es wirkte? Der Klabautermann hörte jedenfalls nicht mit seiner Gegenwehr auf. Er sagte auch nichts; Nicht mal ein kleines Zucken durchfuhr seinen Körper. Triss stellte ihre Frage noch einmal: „Bist du für den Unfall heute Vormittag verantwortlich?“
    Der Klabautermann fletschte die Zähne und Triss rechnete damit, dass seine Antwort wieder nur eine wüste Beschimpfung sein würde. Als er den Mund öffnete drang ein einzelnes Wort hinaus: „Ja.“
    Triss blinzelte, die Matrosen blinzelten, alle blinzelten. Nur der Klabautermann nicht. Dafür schien er über sich selbst und sein Geständnis erschrocken zu sein. Schnell sprach Triss weiter, bevor die Wirkung des Spruchs verfliegen würde: „Also hast du ihn verzaubert, damit er das Seil durchschneidet?“ „Ja.“
    „Er kann also überhaupt nichts dafür und ist völlig unschuldig?“
    „Ja.“
    „Und mich hast du versucht dazu zu bringen, die Reling anzusägen?“
    „Ja.“
    Damit fiel Triss ein Stein vom Herzen. Erleichtert atmete sie durch.

  • Zweifelnd blickte Jaris auf das kleine Wesen, dass immer noch an Tristans Hand in der Luft baumelte. Die Gegenwehr hatte aufgehört, doch sein Gesicht wirkte verkniffen und seine Lippen hatte er fest zusammengepresst. Er schien sich krampfhaft davon abhalten zu wollen, etwas zu sagen, auch wenn das gar nicht mehr nötig war, da Tristan alle wichtigen Fragen gestellt hatte.

    Schnell wurde ein kleiner Käfig gebracht, der einem Vogelkäfig ähnelte und die Abscheu und das Entsetzen, dass sich auf dem Gesicht des kleinen Männchens zeigte, machte klar was er darüber dachte.
    "Bitte... b-bitte nicht", stotterte es nun doch und vergaß dabei völlig zu fluchen.
    "Liebe Menschen, gute Menschen. Ihr müsst mich doch nicht einsperren. Ich werde euch auch nichts tun. Versprochen." Seine Stimme war nun zu einem schrillem Säuseln geworden und er hatte den Kopf seltsam schief gelegt, wohl in der Hoffnung den flehenden Ausdruck eines Hundes zu imitieren. Jedoch war dieser Versuch nicht von außergewöhnlichem Erfolg geprägt. Tristan blickte zwar zweifelnd auf ihn herab und zögerte, doch schließlich übergab er ihn dem stämmigen Matrosen, der ihn ohne viel Federlesens am Hemdsaum packte. Der Klabautermann hatte nun offenbar seine beschwichtigende Haltung aufgegeben und tobte umso mehr.
    "Oh verfluchte Robbenspucke, lass mich los", krakeelte er, während er von dem Matrosen wie ein Stoffknäul durch die schmale Käfigöffnung gestopft wurde.
    "Öffne die Tür und spring über die Reling, beim Klabautermann. Springt alle über die Reling, beim Klabautermann. Seid verdammt nochmal Haifischfutter, beim Klabautermann." Das kleine Kerlchen hämmerte vergeblich mit seinen Fäustchen gegen die Gitterstäbe und heulte wild auf, als seine Flüche nicht die gewünschte Beachtung fanden. Zum Glück wirkte Zacharas Trank. Sie hatten sich überlegt, dass ein Matrose alle paar Stunden einen Eimer Wasser über dem Käfig ausleeren und dem Männchen eine neue Dosis Zaubertrank - von dem zum Glück reichlich vorhanden war - verpassen sollte. Jaris nahm sich vor persönlich darauf Acht zu geben. Die Worte des Klabautermanns hatte deutlich gezeigt, was ihnen blühte, wenn sie ihn entkommen ließen.

    Später war die Stimmung an Deck deutlich ausgelassener. Die Matrosen arbeiteten zwar weiter, immerhin musste so ein großes Schiff gesegelt werden, jedoch riefen sie sich dabei ständig Bemerkungen zu, die sie zum Lachen brachten und standen wann immer es ging in kleinen Gruppen herum. Der Bootsmann musste sie immer wieder antreiben, sonst wäre die Arbeit wohl vollkommen zum Erliegen gekommen, doch der Kapitän hatte offenbar beschlossen diesen Mangel an Disziplin für den Augenblick zu tolerieren. Immerhin war der Klabautermann die erste echte Bewährungsprobe für das junge Schiff gewesen. Tristan dagegen schien die Situation weniger zu Behagen. Seine Taten hatten ihm zwar eine Art Heldenstatus verpasst und unzählige Matrosen klopften ihm wohlwollend auf den Rücken, wo er auch vorbei kam, oder riefen ihm Glückwünsche zu, doch der junge Mann warf ständig niedergeschlagene Blicke auf die Bodenluke, die zu dem Raum führte, in den man den Klabautermann gebracht hatte. Sein Gesicht zeigte die Anflüge eines schlechten Gewissens.
    Jaris hoffte, dass er sich die Sache nicht zu sehr zu Herzen nahm. Immerhin hatte er die gesamte Mannschaft vor möglichen Verletzungen und sogar dem Tod bewahrt.
    Er selbst jedoch beteiligte sich ebenfalls nicht an der ausgelassenen Stimmung, wenn auch aus anderen Gründen. Der Klabautermann hatte keine losen Fetzen von Erinnerungen hervorgerissen, die nicht die seinen waren, und das war angesichts der letzten Wochen eine beinahe angenehme Überraschung. Dennoch beunruhigte ihn der Gedanke an ein magisches Wesen, dass er nicht einschätzen konnte und dass ihm und dem ganzem Schiff so eindeutig Schlechtes wünschte. Seine Sorgen wurden auch nicht beschwichtigt, als er den Raum betrat, in dem der Käfig des Klabautermanns auf einem Tisch trohnte. Die Kleidung und die Haare des kleinen Kerls waren immer noch tropfnass von der letzten Salzwasserdusche und sein Gesicht war weiterhin voller Abscheu verzogen.
    "Vergorene Algenfischsuppe, lass mich hier raus", bellte es ihn an, verzichtete jedoch auf die Formel, die die Worte unter gewöhnlichen Umständen in einen Zauberspruch verwandelt hätten. Ihm schien wohl klar geworden zu sein, dass dies zwecklos war. Beleidigt schob er die Unterlippe hervor, als er sah, dass seine Worte wieder keinerlei Reaktion hervorriefen. Stattdessen starrte Jaris das Wesen interessiert an.
    "Wie bist du an Bord gekommen", fragte er es, doch der Klabautermann schien immer noch schmollen zu wollen. Hätte er nur bei diesem Gedicht, dass Tristan aufgesagt hatte, besser aufgepasst. Vielleicht sollte er ihn später danach fragen. So verging gut eine Minute und als ihm klar wurde, dass er auf diese Art und Weise keine Antwort von dem Männchen erhalten würde, verließ er den Raum, nicht weniger beunruhigt als beim Betreten.

    Abends waren sie alle in der Offiziersmesse eingeladen. Eigentlich waren sie das jeden Abend, immerhin gehörte das gesamte Schiff Daphne, doch die Seemänner beharrten auf ihren Traditionen und sprachen jedesmal eine förmliche Einladung aus oder überbrachten diese als versiegelten Brief.
    Aus dem förmlichen Beisammensein wurde alsbald ein ausgelassenes Gelage, denn der Koch hatte den Sieg über den Klabautermann - ebenso wie die Besatzung - als Grund für eine Feier erkannt. Während die Matrosen eine doppelte Ration Rum genossen, bekamen sie und die Offiziere ein frisch geschlachtetes Spanferkel, garniert mit dem obligatorischem rotem Apfel im Maul, vorgesetzt. Dazu gab es reichlich Wein und als alle satt waren, kramten einige der Männe verschiedene Musikinstrumente hervor. Man schob die Tische auf Daphnes Bitte hin an die Seiten des Raums, sodass in der Mitte eine für ein Schiff geräumige Fläche entstand. Nicht einmal Jaris konnte Thyras ausgestreckter Hand widerstehen und kurz darauf wirbelten sie gemeinsam über die provisorische Tanzfläche. Keiner von ihnen war besonders anmutig, da sie beide bisher nicht gerade oft auf irgendwelchen Bällen oder ähnlichem gewesen waren, doch das spielte im Moment keine Rolle. Stattdessen wurden sie alle von der Stimmung und Jaris vor allem von Thyras bezauberndem Lächeln mitgerissen und er ließ es sich nicht nehmen sich jedesmal, wenn sie nahe genug beieinander waren, mit einem flüchtigem Kuss zu bedanken. Thyra und Daphne waren dank einiger unsinniger Vorurteile die einzigen Frauen auf dem Schiff und so blieb die Tanzfläche bis auf die beiden ihn und Daryk leer. Der Hüne protestierte erst, jedoch vergeblich, da er Daphne einfach nichts abschlagen konnte. Die meisten der Offiziere beobachten das Paar mit zusammengekniffenen Augen, doch niemand nahm öffentlich Anstoß daran und der Wein und die Musik taten ihr übriges. Am Ende waren alle auf den Beinen, wenn sich die meisten auch darauf beschränkten im Takt mitzuklatschen oder mit den Beinen aufzustampfen, sodass der Lärm ihrer kleinen Feier im ganzem Schiff zu hören sein musste. Aber ein Schiff war nicht gerade der richtige Ort für ausgedehnte Nächte, da man doch am Morgen wieder ausgeruht zum Dienst antreten musste. Dies galt besonders für die Offiziere und so beendete der Kapitän das Treiben schließlich, obwohl er dies bereits über die gewöhnlichen Maßen herausgezögert hatte. Sie alle taumelten mehr aufs Deck, als dass sie gingen, doch die kalte Luft draußen weckte ihre benommenen Lebensgeister. Das Deck war dunkel, bis auf die einsame Achterlaterne. Feuer war auf einem Schiff stets bedenklich und so mussten die wenigen unglücklichen Offiziere und Matrosen, die zur Wache eingeteilt waren, in nicht vielmehr als dem Mondschein arbeiten. Immerhin war davon reichlich vorhanden, da es eine klare, wolkenlose Nacht war, und der Steuermann würde nicht viel Schwierigkeiten haben ihren Kurs anhand der Sternenbilder zu halten. Solchermaßen wachgerüttelt von der kühlen Luft, besann sich Jaris und bat Thyra schon einmal vorzugehen, damit er nach dem Klabautermann sehen konnte. Sie gab ihm als Antwort einen verführerischen Kuss.
    "Bleib nicht zulange weg", flüsterte sie in sein Ohr und zwinkerte ihm zu. Dann folgte sie den anderen unter Deck und Jaris starrte ihr einen Moment lang glückselig hinterher. Dann besann er sich und ging zu der anderen Lucke, die ihn in das provisorische Gefängnis führen würde. Er war sich nicht sicher, ob der zuständige Matrose seine Aufgabe nicht in der allgemeinen Hochstimmung vergessen haben könnte, doch zu seiner Erleichterung stand ein Seemann vor der Tür Wache. Die nasse Kleidung und der verdrießliche Blick ließen keinen Zweifel daran, dass auch die übrigen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden waren.
    "Ha", stieß der Klabautermann zu Jaris Überraschung jedoch plötzlich aus, als dieser den Raum schon wieder verlassen wollte. "Dieses Schiff schwebt in einer großen Gefahr, immerhin bin ich hier." Jaris brauchte einen Moment um zu ergründen, ob der kleine Mann nun meinte, dass er die Gefahr für das Schiff darstellte, oder ob er hier war, weil das Schiff in Gefahr war. Dann erinnerte er sich daran, dass Daphne erzählt hatte, dass Klabautermänner ursprünglich vor Gefahr auf hoher See warnen sollten. Jaris konnte in dem bisherigem Treiben dieses Exemplars nicht wirklich eine Warnung erkennen, doch vielleicht konnten diese Wesen nur auf Schiffen erscheinen, die in Gefahr schwebten. Oder aber es war einfach nur ein hinterhältiger Plan, um ihn zum Zweifeln zu bringen.
    "Welche Gefahr droht uns", fragte Jaris dennoch und trat näher an die Gitterstäbe. Das Männchen setzte sich jedoch nur auf dem Käfigboden in einen Schneidersitz, verschränkte die Arme und verzog die Lippen zu einem gemeinem Lächeln. Er würde ihm nicht mehr erzählen.

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley

    • Offizieller Beitrag

    Theical ließ sich am Inneren des Krähennestes zu Boden sinken. Seit Tagen sah er nichts anderes als Wasser, Wasser und noch mehr Wasser. Selbst zum Trinken gab es Wasser. Langsam hatte er die Schnauze voll von dem Nass. Auch, wenn Daphnes Schiff groß genug war, um sich abzulenken, das Wissen blieb immer.
    Sari schien es nicht anders zu gehen. Zu Beginn der Reise war er noch fröhlich um den Mast gekreist und hatte voller Freude einen Fisch nach dem anderen aus dem Meer geangelt und Theic vor die Füße geworfen. Die Matrosen hatten sich darüber gefreut, waren ihm sogar die erste Zeit nachgelaufen, nur, um die Fische, denen er immer ausweichen musste, in die Küche zu tragen. Mittlerweile hockte jedoch auch der bunte Donnervogel nur noch beleidigt auf dem Rand des Krähennestes und blickte starr in die Ferne. Hoffentlich wurde das Tier nicht krank.
    Besorgt musterte Theic seinen alten Freund. Auch er wünschte sich das Land sehnlichst herbei. Wieder festen Boden unter den Füßen und ohne Sorge, dass er jämmerlich ersaufen würde, würde das Schiff sinken. Nicht umsonst hatte er sich für eine kurze Atempause den höchsten Punkt auf dieser schwimmenden Festung gesucht.
    Genervt blies Theical die Luft aus, lehnte sich zurück und blickte in den wolkenlosen Himmel. Auf dem Deck huschten die Männer umher, doch die beschäftigten Geräusche und geschrienen Befehle rückten langsam in den Hintergrund. Müde schloss Theic die Augen, nur, um sie direkt wieder zu öffnen. Er runzelte die Stirn und erhob sich verwirrt. Irgendwas hatte sich verändert. Da war der Schatten, die Präsenz ihres eigenen Schiffes auf dem Meer, aber nun konnte er deutlich einen weiteren Schatten ertasten. Ganz schwach und durch das Wasser kaum spürbar, aber da waren eindeutig Menschen, die sich darauf bewegten. Und es näherte sich ihnen.
    Der Schattenmagier lunzte neben Sari über den Rand des Krähennestes, in die Richtung, in der er den Schatten ausmachen konnte. Und tatsächlich. In weiter Ferne war ein kleiner Punkt zu erkennen, der stetig größer wurde.
    Theic kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können, aber es bewirkte nur, dass ihm das Bild noch weiter verschwamm. Er stieß einen lauten Fluch aus, als ihm klar wurde, dass der Matrose, der zuvor hier Wache gehalten hatte und den er in seinem Tun abgelöst hatte, um seine Ruhe zu haben, das Fernglas mit sich genommen hatte.
    "Etwas nähert sich uns", brüllte er nach unten, in der Hoffnung, dass ihn jemand hören würde. Tatsächlich blickten einige zu ihm nach oben und folgten seinem herumfuchtelnden Arm in die gezeigte Richtung. "Wir fahren direkt darauf zu. Und ich glaube, es ist ein anderes Schiff."
    Sofort setzten sich einige der Männer in Bewegung, ebenso der Kapitän, der aus seiner Kajüte kam, um ebenfalls zum Bug seines Schiffes zu rennen.
    Neben Theic krächzte unterdessen Sari auf und ehe der Mann reagieren konnte, erhob sich der Vogel in die Luft. Wohl froh, endlich etwas Neues zu sehen, als immer nur Wasser, schwebte er auf das fremde Schiff zu, bis er zu klein war, um ihn noch als Vogel zu erkennen. Es dauerte nicht lang und Sari tauchte wieder auf. In einem Affenzahn kam er zurückgeflogen, umkreiste den Mast einige Male, bis er sich vor Theical hockte und diesem einen Fetzen Stoff in die Hand drückte. Entsetzt nahm dieser ihn entgegen. Er entfaltete ihn und musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass sich seine Vermutung bestätigte. Der Stoff war Schwarz mit einem weißen Kreuz und in dessen Mitte eine kleine Krone. Ohne Zweifel die Flagge des anderen Schiffes. Mit zuckendem Auge glitt sein Blick zwischen dem Stoff und Sari hin und her.
    "Spinnst du?!", zischte er den Vogel sauer an. "Du kannst denen doch nicht die Flagge klauen!" Der Donnervogel legte seinen Kopf schief und krächzte einige Male, als würde er zu widersprechen versuchen.
    "Kannst du erkennen, was es für ein Schiff ist?", hörte Theical die Stimme des Käptens zu ihm nach oben plärren.
    Mit einem letzten bösen Blick auf den Vogel, beugte er sich wieder über den Rand des Nestes und sah nach unten.
    "Es sind schon mal keine Piraten!", gab er zurück und beäugte kritisch die Flagge, bevor er sie ausbreitete und so zeigte, dass man sie von unten erkennen konnte. "Aber ich kenne mich mit Flaggen sowieso nicht so aus."

    • Offizieller Beitrag

    Tief atmete Daryk durch, als er die Flagge in den Händen des Schattenmagiers erkannte. Er kannte sie. Es war die Flagge des Mannes, der ihm seine Familie einst genommen hatte. Das weiße Kreuz stand für den Schnee, der über Lyc herrschte, während der schwarze Hintergrund für die Erze stand, die das Land am Leben hielten. Der Handel mit ihnen erlaubte, die benötigten Rohstoffe und Nahrungsmittel einzukaufen, die das karge Land so dringend benötigte. Die goldene Krone im Zentrum der weißen Balken wiesen aber noch auf etwas Anderes hin.
    „Du hältst sie verkehrt herum!“, rief er Theical zu. „Der lange Balken des Kreuzes gehört nach rechts!“
    „Du kennst die Flagge?“, fragte Aras neben ihm, während der Mann im Krähennest den Stoff umdrehte.
    Er nickte nur und sah dann zu Aras hinab.
    „Das ist die Flagge meiner Heimat.“
    „Lyc?“
    Wieder nickte er.
    „Es ist keine Überraschung, die hier zu sehen“, merkte der Magier an. „Immerhin sind wir auf dem Weg dorthin.“
    Der Ritter lachte und stimmte seinem Gesprächspartner zu. Es war auch mehr die Krone, die ihn überraschte.
    „Er ist hier“, murmelte er vor sich hin, wandte sich ab und lies den fragend dreinblickenden Herzog stehen.
    „Wer ist hier?“, rief er ihm nach, aber bekam keine Antwort.
    Daryk eilte zurück in die Kabine, wo Daphne an ihrem Tisch saß und ein Buch las.
    „Er ist hier“, wiederholte er seine Worte von eben.
    Überrascht hob die junge Frau ihren Kopf und blinzelte ihn fragend an.
    „König Cecil. Der Mann, wegen dem ich hier bin“, erklärte er. „Sein Schiff kommt uns entgegen.“
    Ungläubig riss sie die Augen auf. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und kam zu ihm herübergelaufen.
    „Mit einem Schiff? Wie ... Was hast du jetzt vor?“, wollte sie wissen.
    Was sollte er vorhaben? Es gab nur eine Sache, die dieser Mann verdient hatte.
    „Ich werde ihn töten“, verkündete er bestimmt, woraufhin Daphne sofort den Kopf schüttelte.
    Du bist meine Leibwache, also ein Mann Delyveihs!“ erinnerte sie ihn. „Das wäre ein Kriegsakt!“
    Er brummte verärgert. Daphne hatte recht und er wollte keinen Krieg auslösen, nur um seine persönliche Rache zu haben. Mit gesenkten Blick nickte er, ehe er sie wieder ansah und meinte:
    „Er wird sich ohnehin auf dieses Schiff einladen. Dieses Recht hat der König von Lyc in seinen Gewässern. Er wird erwarten, bewirtet zu werden und mit der ranghöchsten Person zu speisen.“
    Er nahm die Hand seiner Verlobten und sah ihr in die Augen.
    „Das bist du. Er wird mit dir an einem Tisch sitzen und wenn er irgendetwas tut, was dich bedroht …“
    „… geben wir Aras als Ranghöchsten aus?“, fragte sie scherzhaft und umarmte ihn. „Keine Sorge ... dann essen wir eben alle mit ihm. Mein Schiff, meine Regeln. Tristan sollte auch dabei sein. Ein Schwertarm mehr kann nicht schaden!“
    Ihre Worte beruhigten ihn etwas, aber da war noch eine Sache.
    „Er kennt mein Gesicht“, erzählte er. „Ich kann nicht mit euch essen. Ich werde die Leibwache spielen.“
    „Du bist die Leibwache“, lächelte Daphne von unten. „Aber nicht nur.“
    Mit diesen Worten streckte sie sich nach oben, um ihm einen Kuss zu geben. Anschließend beschlossen die beiden, dem Rest Bescheid zu sagen und machten sich auf den Weg.

  • „Oho! Vielen Dank, Junge. Jetzt zieht es mir gleich nicht mehr so elend in die Hosen.“ Zufrieden sah der Matrose an sich hinab und zupfte an seinen Beinlingen. Die Knie waren von zwei farblich überhaupt nicht passenden Flicken bedeckt und verschlossen die großen Löcher im Stoff. Triss lächelte sanft, musste allerdings gleichzeitig den Kopf schütteln. „Ihr verbringt so viel Zeit damit, die Segel zu flicken. Es ist eine Schande, dass Ihr dasselbe nicht mit Eurer Kleidung tut.“ Ihr Gegenüber lachte darüber, bedankte sich und ging dann wieder seiner Arbeit nach. Triss legte das ausgeliehene Stopfzeug bei Seite. Es war nicht das erste Kleidungsstück, das sie in den letzten Tagen ausgebessert hatten. Diese Matrosen liefen teilweise herum wie dahergelaufene Straßenkinder! Das war kein annehmbarer Zustand. Und bevor Triss vor Langeweile noch zu schreien begann, hatte sie den Löchern den Kampf angesagt.
    Wie lange war sie jetzt schon auf diesem Schiff? Triss hatte anfangs die Nächte gezählt. Dann hatte allerdings einer der Matrosen eine Diskussion darüber angefangen, ob man einen angebrochenen Tag mitzählen dürfte, oder nicht. Seiner Ansicht nach war dieser Tag weg; Triss hingegen beharrte darauf, dass der Tag trotzdem noch vor einem liege, wenn nur wenige Stunden vergangen waren. In diese Debatte hatten sich schließlich noch andere Männer eingemischt. Irgendwann erklärte einer von ihnen, dass es in manchen Regionen alle paar Jahre einen zusätzlichen Tag gäbe – und zwar im Monat Februar! Er wisse allerdings nicht, ob sie sich gerade in einem solchen Jahr befanden oder nicht. Jedenfalls wäre es aus diesem Grund möglich, dass heute sowieso schon gestern war und man einen Tag abziehen müsste. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Er war sich da nicht so recht sicher. Und als der alte Geschichtenerzähler von seinen Reisen in Richtung Osten erzählte, und dass dort das Jahr gleich ein paar Wochen später beginnen würde und man daher sowieso nicht genau sagen könnte, welcher Monat gerade tatsächlich sei, war Triss vollends verwirrt. Der langen Rede kurzer Sinn: Triss hatte keine Ahnung, wie lange ihre Reise bereits andauerte. Noch weniger wusste sie, wann sie endlich wieder das Festland erreichten.
    Sie schwang sich von der Kiste, auf der sie die ganze Zeit über gesessen hatte, und streckte sich in alle Richtungen. Dann ließ sie ihren Blick blinzelnd über das Deck wandern. Scheinbar tat sich gerade was. Triss konnte Daphnes hünenhaften Beschützer Daryk über das Deck spurten sehen. Was für ein düsterer Gesichtsausdruck, dachte Triss mit gerunzelter Stirn. Sie verfolgte mit den Augen seinen Weg zurück und entdeckte Theical und den Herzog. Das Stopfzeug hatte sie völlig aus ihrem Kopf verdrängt, als sie zu den beiden Männern hinüber ging.
    „Was ist los? Ist etwas passiert?“
    „Scheinbar kommt ein Schiff direkt auf uns zu.“
    Erstaunt weiteten sich ihre Augen. „Waaas?“ , trillerte sie und stürzte sich augenblicklich an die Reling, um sich darüber zu beugen. Tatsächlich konnte man in der Ferne bereits Segel erkennen. „Soll ich mein Schwert holen?!“

  • Daryk klärte sie mit kurzen Sätzen auf, was es mit dem Schiff auf sich hatte - und auch wer an Bord war. Warum der Hüne den König tot sehen wollte erklärte er nur in groben Zügen. Die Jägerin verstand, dass sie besser nicht nachbohrte, sah aber den Schmerz des Kriegers und begann seine Wut zu teilen.
    "Den würde ich am liebsten gleich ertränken!", brauste sie auf.
    "Er gehört mir", sagte Daryk ruhig, aber in seinem Blick schwang ein Hass und eine Ernsthaftigkeit mit, die Thyra einen Schritt zurück weichen ließen. Sie nickte ernst, sagte aber trotzdem: "Dann lass mich wenigstens Fenrir mit zum Essen bringen. Er wird dir den Rücken freihalten."
    Daryk grinste und die Jägerin nahm es als "Ja". Thyra teilte seine Vorfreude. Ohne manch Menschen war die Welt auf jeden Fall besser.

    Nun stand sie an der Reling zwischen Jaris und Theic, der mittlerweile vom Mast geklettert war, und beobachtete das Schiff, das langsam immer größer wurde. Eigentlich hätte sie das Schiff als bedrohlich empfinden müssen, aber Daryk Zorn hatte sie angesteckt.
    Daphne stand ein paar Meter weiter. Ihre Haare ordentlich zu einem langen, dicken Zopf geflochten, neben ihrem Bruder. Daryk stand in voller Montur hinter ihr. So wirkte er nicht nur bedrohlich, sondern man erkannte ihn auch nicht.
    Das Schiff des Königs von Lyc kam immer näher, bis es schließlich direkt neben ihrem trieb.
    "Seid gegrüßt", hallte es vom Schiff herunter.
    Jaris lächelte und winkte rüber. Er stieß ihr mit dem Ellbogen in die Seite, weil sie es ihm nicht gleich tat und bei einem aufmerksamen Betrachter Verdacht geweckt hätte, also kleisterte sie sich ein Lächeln ins Gesicht, das strahlend aber genauso falsch war.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • Das Licht der Laternen warf ein flackerndes Licht auf die Gäste. Man hatte Laternen genommen und keine Kerzen. Für offenes Feuer sei die See zu rau, hatte zumindest der Kapitän gesagt. Doch um nicht den Eindruck zu erwecken, dass man einfach zu knausrig sei, wurde eben gleich ein Dutzend der Glasbehälter aufgestellt. Auch dies konnte jedoch nichts gegen die Kälte, die sich über den Tisch hinweg ausgebreitet hatte, ändern. Dabei waren die Blicke voll brennenden Hass. Eigentlich, das ging Jaris zumindest durch den Kopf, hätte man vielmehr die Gäste dieser Abendgesellschaft in kleine Glasbehältnisse stecken sollen, als die Flammen. Oder wenigstens einen.
    Der König saß am Gegenüberliegendem Tischende von Daphne und sein geräuschvolles Schmatzen erfüllte die Kajüte. Den Vogel, den er sich zwischen die Zähne schob, hatten man extra für diesen Anlass schlachten lassen.
    "Ein zähes Tier", brach der König plötzlich das schweigen. "Es ist bemerkenswert was ihr eurem Gaumen zumuten könnt, Mylady." Ungeachtet seiner Worte riss er einen weiteren Knochen aus dem ausgeweideten Kadaver vor ihm.
    "Nun mit zähen Dingen kennt ihr in Lyc euch ja aus, nach allem was man hört", entgegnete Zacharas höflich. "Immerhin muss ein Volk zäh sein, dass so hoch im Norden überlebt." Der König winkte jedoch nur ab.
    "Nicht in meinem Schloss. Da gibt es Feuer und das beste Essen, was unsere Händler im Süden auftreiben können. Immerhin brauche ich etwas im Magen, wenn ich mir das Jammern des Pöbels über ihren Hunger anhöre. Man könnte meinen ich hätte keine anderen Sorgen." Die Begleiter des Herrschers, die seine Tischhälfte säumten, brachen augenblicklich in schallendes Gelächter aus, sobald er seinen Satz beendet hatte. Sie warfen sich dabei böse Blicke zu und bemühten sich die anderen noch zu übertönen. Maden die gefallen wollten. Fenrir, aufgeschreckt von dem Lärm hob den Kopf und jaulte fragend. Sofort verstummte der Lärm.
    Der Wolf war kein offizieller Teil der Tischgesellschaft, jedoch hatte er sich so platziert, das er im Grunde zwischen Daphne und Thyra auf dem Teppich lag und scheinbar friedvoll döste. Am Anfang hatte ihn kaum einer der Fremden überhaupt bemerkt. Dann hatten sie einen Blick auf seine funkelnden Augen oder seine spitzen Zähne erhascht.
    "Ihr im Süden scheint auch kein Problem mit dem Essen zu haben, wenn ihr schon eure Hunde an den Tisch lasst", behauptete der König nur ungerührt. Jaris spürte wie sich Thyra neben ihm bei dem Wort Hund verkrampfte und legte ihr beruhigend eine Hand auf ihre zusammengeballten Fäuste. Er wollte dieses Schwein ebenso tot sehen, wie jeder seiner Gefährten, doch sie alle hatten auch bereits den Krieg gesehen.
    "Andererseits scheint ihr ohnehin nicht viel von einer sittsamen Gesellschaft zu halten", fuhr der König fort und ließ den Blick über die Gruppe schweifen. Zusätzlich zu ihnen hatte Daphne auch den Kapitän, einige seiner Offiziere, sowie den jungen Soldaten eingeladen. "Seid ihr einfach in eine beliebige Hafentaverne gegangen und habt euch eure Gefährten nach Geruch ausgesucht?" Augenblicklich rückten seine Anhänger von ihnen weg und machten angewiderte Gesichter.
    "Nun, ich speise auch mit euch", entgegnete Daphne spitz.
    "Immerhin das macht ihr richtig", behauptete der König, der entweder nicht gewillt oder einfach nur zu dumm war um die Beleidigung zu erkennen, und streckte seinen Krug hinter sich aus, damit ihm nachgeschenkt wurde. Als nichts geschah - was auch daran lag, dass die wenigen Matrosen, die als Diener ausgesucht worden waren, nach dem hereinbringen des Essens gleich wieder verschwunden waren - taxierte er seinen nächsten Speichellecker so lange mit einem bösen Blick, bis dieser schamvoll seinen vollen Krug, mit dem Leeren des Königs tauschte.
    "Ihr tut gut daran, Lyc besuchen zu wollen", sagte er dann und blickte wieder Daphne an. "Ich bin mir sicher ihr könnt noch viel von uns über die Führung seiner Untergebenen lernen. Jedoch fürchte ich ihr hättet euren Besuch vorher ankündigen müssen." Er lehnte sich genussvoll zurück und leerte den neuen Krug in einem Zug. Dieses mal musste er niemanden anstarren um einen neuen zu bekommen.
    "Das haben wir", antwortete Daphne sofort. "Wir haben extra eine Kogge vorausgeschickt." Der König sah seine Begleiter an, die sofort eifrig die Köpfe schüttelten.
    "Tut mir leid", verkündete er dann ohne jede Spur von Bedauern in der Stimme. "Die Kogge muss wohl verloren gegangen sein. Auf dem Weg über das Meer liegen viele Gefahren bereit." Daphne starrte ihn funkelnd an.
    "Na und? Dann kündige ich mich eben jetzt an. Oder wollt ihr deswegen einen Krieg vom Zaun brechen."
    "Aber, aber", entgegnete der König und machte eine beruhigende Handbewegung. "Wer spricht denn gleich vom Krieg. Ich bin mir sicher niemand will etwas dergleichen." Daphne verschränkte die Arme vor der Brust und Jaris sah, wie sich Daryk neben ihr etwas aufrichtete. Er selbst griff nach seinem Schwertgriff, während Thyra neben ihm die Finger in Fenrirs Fell grub.
    "Was wollt ihr dann", fragte Daphne unumwunden.
    "Nichts was ihr besitzt", entgegnete ihr Gegenüber, "Jedoch kann niemand bestreiten, dass das was durch des Königs Gewässer fährt auch des Königs ist, sofern keine Besuch angekündigt ist. Also möchte ich euch bitten mein Schiff zu verlassen. In meiner Großzügigkeit werde ich euch und meiner Mannschaft gerne eines meiner anderen Schiffe zur Verfügung stellen, dass euch den Rest des Weges bis nach Lyc und zur gegebenen Zeit zurück nach Delyveih bringt." Er setzte sein triumphierendes Lächeln auf und lehnte sich zurück.
    "Ich frage mich wie ihr das anstellen wollt", entgegnete Daphne. "Immerhin ist mein Schiff größer als das mit dem ihr hierhergekommen seid und ihr seid umgeben von meinen Leuten."
    "Und ich frage mich, was der Herzog von Delyveih", diese Worte betonte er besonders, "wohl dazu sagt, dass ihr es seid die einen Krieg beginnt und das nur wegen eines Schiffes."

    Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.

    Aldous Huxley