Zum Geleit
Diese Geschichte ist nicht von mir, sondern von einem mir sehr lieben Menschen, der auch heute noch auf Computer und Smartphone verzichtet. Er holte sie aus seinem Schrank, nachdem ich ihm über dieses Forum erzählt hatte. Mit seiner Erlaubnis darf ich sie jetzt posten. Ich wünsche viel Lesevergnügen...
ANMERKUNG: Da der Autor mangels Internetzugang nicht sofort auf Eure Reaktionen/Anmerkungen/Verbesserungsvorschläge etc. antworten kann, mach ich den Postmeister.
Bedeutet: Ich drucke das ganz altmodisch aus, lasse es ihm zukommen und poste dann etwaige Antworten. Ebenfalls werden Vorschläge zur Verbesserung des Textes berücksichtigt.
Das Ganze kann dann nur ca. drei Wochen dauern.
Geduld ist eine Tugend.
TOP - TOWN
1. KRISENSITZUNG
Wieder einmal waren sie zur Krisensitzung zusammengekommen:
Regierungschefs, Minister, Wissenschaftler und Industriebosse. Je schlimmer und je öfter nun die Hiobsbotschaften eintrafen, umso öfter fanden nun auch diese Krisensitzungen statt.
Die zunehmende Vergiftung von Luft und Wasser und somit auch von Lebensmitteln war anfangs ihr Thema gewesen. Sie sahen sich bereits zu diesem Zeitpunkt ausserstande, etwas dagegen zu unternehmen. Etwas später kamen noch erschreckendere Meldungen hinzu.
Von gelbem Regen war hier die Rede; und von entsetzlich entstellten Fehlgeburten bei Mensch und Tier. Zuletzt bestätigte sich der schrecklichste Verdacht: Ein mutiertes Aidsvirus war in Umlauf geraten. Für eine Infektion genügte Hautkontakt beziehungsweise der Austausch von Atemluft, zum Beispiel bei einem Gespräch.
Der Führungsstab der Europäischen Union hatte sich in Brüssel luftdicht isolieren lassen. Schließlich kam es ja dieser Führungsschicht am ehesten zu, von der Seuche unbehelligt zu bleiben. Nur wenn sie am Leben blieben, konnten sie Auswege aus der Krise finden.
In der Tat, sie arbeiteten fieberhaft an "ihrem" Ausweg.
In den letzten Monaten war gleich neben dem Regierungsgebäude ein Startplatz für zwei Raumfahrzeuge aus dem Boden gestampft worden. Ebenso ein dazu gehöriges Kontrollzentrum. Eine viele hundert Personen starke Belegschaft aus ganz Europa war seit Wochen damit beschäftigt, die Raumschiffe umzubauen. Jedes sollte sechs Besatzungsmitglieder und achtzig Passagiere befördern.
Hätten diese Schiffe nur einige Male die Erde umkreisen sollen, jedes hätte Platz für mehrere hundert Menschen gehabt.
Doch ie sollten viel weiter fliegen.
4,3 Lichtjahre weit, bis zur Sonne Alpha Centauri. Niemand wusste, ob diese Sonne über Planeten verfügte, geschweige denn ob auf diesen eventuell Leben möglich sei.
Es war ein Sprung in die Dunkelheit für die Passagiere und das Personal der Schiffe.
Ebenso, was das Tiefschlafsystem betraf. Es war noch nie getestet worden. Sobald die Schiffe maximale Beschleunigung erreicht haben würden, sollten die Triebwerke abgeschaltet werden und die Insassen der Schiffe auf -130 Grad Celsius unterkühlt und schlafend die Jahrhunderte üerstehen, ohne dabei zu altern.
Der Bordcomputer sollte den Kälteschlaf beenden, sobald bewohnbare Planeten geortet wurden.
Die Kälteschlafanlage, die Unmengen an Treibstoff sowie Ausrüstung und Haustiere nahmen über 50% des Platzes weg und bildeten sogar über 90% der Masse, die aus der Schwerkraft der sterbenden Erde entkommen musste.
Die immer respekloser werdenden Fragen der Opposition und der Bevölkerung nach dem Zweck der Raumschiffe wurden lapidar mit dem Begriff "Forschungsprojekt" beantwortet.
Nun, es war ja auch ein Forschungsprojekt. Es würde der Versuch sein, ob Menschen auf fremden Welten überleben konnten.
Daß man für dieses Projekt nicht irgend jemanden schicken konnte, war klar.
Es musste schon eine Elite sein: Regierungschefs, Minister für Wirtschaft, Forschung, Landwirtschaft, Verteidigung sowie Wirtschaftsbosse und einige zwar lästige aber zuverlässige Personen.
Dies waren Ärzte, Leibwächter und verschiedene Chefs der ESA.
Man hatte sie nur zur Mitarbeit überreden können, indem man ihnen einige Plätze in den Raumschiffen versprochen hatte.
Aber auch hier liess sich vielleicht in letzter Minute noch eine Lösung finden.
Dem Chef des Bodenpersonals und einigen leitenden Direktoren waren ebenfalls Plätze in den Raumschiffen versprochen worden - doch das wusste kaum jemand.
Die einhundertsechzig Plätze der beiden Raumschiffe waren also bereits an zweihundertfünfzehn Personen versprochen worden.
Sieben Tage vor dem Start durfte niemand mehr das Parlamentsgebäude verlassen.
Die nächsten Angehörigen der Parlamentarier waren bereits eingetroffen. Auch das Kontrollzentrum war schon seit Wochen von der Aussenwelt abgeriegelt.
Wieder und wieder wurde da Personal bis hin zur Putzfrau Gesundheitstests unterzogen. Schliesslich wollte ja niemand, daß eventuell das Bodenpersonal den Virus in die Schffe schleppte.
Drei Tage vor dem Start kam es in fast allen europäischen Hauptstädten zu inneren Unruhen. Dies erschreckte ie Parlamentarier so sehr, dass der start um sechunddreissig Stunden vorverlegt wurde. Dies wiederum erschreckte die Leute mit der Mitnahmegarantie.
Sie mussten misstrauisch gewordenen Kollegen ebenfalls eine Mitnahmegarantie aussprechen, damit diese Stillschweigen bewahrten.
Zwölf Stunden vor dem Start wurden die Haustiere verladen und niemand von der Besatzung durfte mehr die Schiffe verlassen.
Sechs Stunden vor dem Start rollten vier Busse mit einhundertsechzig Insassen - ausschliesslich Parlamentarier und deren Angehörige - zu den Raumschiffen.
Man liebte es als Parlamentarier nicht, so direkte Konflikte auszutragen, wie sie mit den Inhabern der Mitreisegarantien bevorstanden.
Die offizielle Startzeit war ja erst in sechs Stunden.
Niemand würde Verdacht schöpfen. In wenigen Minuten würden alle, die es verdient hatten, in den Raumschiffen sitzen und kurz darauf die Erde verlassen. Es konnte nichts mehr schiefgehen. Nur noch um diesen Hangar mussten sie herum und dann nur noch zweihundert Meter bis zu den Schiffen.
Doch es ging noch eine ganze Menge schief.
Als die Schiffe iin Sicht kamen, standen mehrere hundert aufgebrachte Menschen um sie herum.
"Das kriegen wir schon hin," sagte der Verteidigungsminister. "Es sind ja auch Wachmannschaften darunter."
Die Busse hielten an. Die einhundertsechzig Bevorzugten stiegen aus. Doch man liess sie nicht an die Schife heran.
Der Chef des Kontrollzentrums, Dr. Jareau, trat vor und sagte:
"Warum denn so eilig, meine Herren? Denken Sie, ich habe Ihnen geglaubt, dass Sie mich mitnehmen? Spätestens vorhin, als Sie die Busse anforderten, war mir klar, dass Sie nur Ihre eigene Haut retten wollen! Ich habe mir erlaubt, das gesamte Bodenpersonal darüber zu informieren. Und jetzt werden wir ja sehen, wer hier noch wegkommt und wer nicht!"
Seine letzten Worte waren zitterig geworden und verrieten die Panik, die ihn gepackt hatte.
So, als habe er das Gefühl, je länger er noch reden würde, umso kleiner würde seine Chance auf einen Platz in einem der Schiffe.
Er drehte sich um und rempelte seine eigenen Leute zur Seite. Kopflos versuchte er in das vordere Schiff zu gelangen.
Das war der Startschuss zur vollkommenen Panik.
Im Nu war das Gelände gefüllt mit kämpfenden Menschen. Jeder kämpfte gegen jeden. Politiker gegen Mechaniker, Computerfachleute gegen Putzkolonnen, Konstrukteure gegen Wachleute. Sogar Wachleute gegen Wachleute.
Zum Teil sogar mit Schusswaffen aus nächster Nähe.
Doch so verbissen der Kampf auch tobte, es gelang kaum jemandem auf die Rampen der Schiffe zu gelangen.
So dicht drängten sich die Kämpfenden dort, dass es kein Weiterkommen gab.
Nun kamen sogar noch einige Lastwagen der Armee auf den Startplatz gefahren. Die Soldaten hatten keine Ahnung davon, was hier vor sich ging. Sie sahen nur kämpfende Menschenknäule und schossen mit Tränengasgranaten. In Sekunden war der Startplatz in beissendes weisses Gas gehüllt. Sogar die vordersten auf den Rampen wichen nun zurück. Kaum jemand konnte mehr als fünf Meter weit sehen.
Immer noch knallten einzelne gewehrschüsse über den Platz.
Jon war Mitarbeiter in der Konstruktionsabteilung.
Er war eigentlich nur aus Neugierde mitgekommen und wurde nun von den sich überschlagenden Ereignissen total überrumpelt. Er drückte krampfhaft sein Taschentuch auf Mund und Nase und solperte die Rampe hinauf.
'Immer weiter,' dachte er, 'solange es aufwärts geht ist noch alles möglich.'
Er stieg über Leute, die auf dem Boden hockten und sich übergaben.
Da - verschwommen sah er nun die Einstiegsluke. In der Tür standen zwei Roboter.
Jon war überrascht - bei dem ganzen Projekt war nie zuvor von Robotern die Rede gewesen.
Da tauchte neben ihm aus dem Nebel eine Frauengestalt auf.
"Helfen Sie mir!" rief sie.
Ihre Augen waren zugeschwollen und sie hatte sich blind am Geländer der Rampe entlang aufwärts getastet.
Jon überlegte nicht lange.
Er nahm sie bei der Hand und ging, halb entschlossen - halb resignierend, auf die Roboter zu. Zu seiner Überraschung liessen sie ihn durch.
Aus einem Lautsprecher quakte eine Stimme: "Neunundsiebzig...Achtzig!"
Sofort hinter Jon und der Frau schloss sich die Luke selbsttätig und wurde nochmals durch ein Stahlschott verdoppelt.
Die Triebwerke begannen zu laufen.
Sie begannen, den gesamten Startplatz in ein Flammenmeer zu hüllen.
Den meisten der Umstehenden gelang die Flucht. Nur einige Schwerverletzte bleiben legen und kamen so ums Leben. Kein Mensch kam auf die Idee, nun. da die Rettungsschiffe vor seinen Augen starteten auch noch einen Verletzten mit sich zu schleppen.
Jon und die Frau wurden hustend und fast blind in einen grossen Raum geführt und auf Sitzen angeschnallt.
"Ihre Augen werden wir später behandeln. Jetzt ist das wichtigste der Start."
Die Person, die das gesagt hatte, blieb beiden unbekannt, denn auch Jon konnte nun nichts mehr sehen. Erhörte nur nch das Hten und Würgen von vielen Menschen.
Dann begann der Start und die Fliehkraft der aufsteigenden Rakete drückte ihn tief in seinen Sitz.
PETZI