Unterschiedliche Erzählperspektiven

Es gibt 49 Antworten in diesem Thema, welches 6.785 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (10. November 2024 um 16:01) ist von ofinkandpaper.

    • Offizieller Beitrag

    Und manchmal ist es einfach toll, nicht alles nur aus einer Seite zu sehen, sondern eben wie mehrere Leute darüber denken. Auch ganz besonders wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht.

    Ich glaube hier verwechselst du zwei Dinge :hmm: Die Perspektive (1. oder 3. Person) hat (ganz grundsätzlich) nichts damit zu tun, ob es noch andere Perspektiven (POV-Charaktere) gibt :hmm: Ich habe auch nicht von mehreren POVs abgeraten xD
    Wenn ich die Geschichte aus mehreren Perspektiven zeigen will ist imo 3. Person wie oben erläutert deutlich besser geeignet.
    Wie gesagt: Verboten ist es natürlich nicht, es kann auch gut sein, wenn der Autor weiß was er tut. Die Erfahrung hat mir aber gezeigt, dass die meisten das eben nicht wissen, wenn sie solche Experimente machen.

    Zum anderen finde ich es vollkommen in Ordnung ein bisschen zu experimentieren.

    Ja, auch dem habe ich nicht widersprochen, sondern es eigentlich genau so gesagt xD:

    (außer es ist explizit ein Experiment in die Richtung natürlich)

    Zum einen habe ich besonders im YA Bereich schon häufig zwei bis drei Char in der Ich Perspektive gelesen und fand das sehr gut.

    Ja, das kann schon sein - ich habe ja gesagt, dass es auch gut sein kann. Aber es ist vermutlich nciht optimal. YA verzeiht sowieso viel, weil der Fokus da selten auf der Geschichte liegt.

    Zudem ist das auch ein klassisches SP Genre, was ich wie gesagt nicht als Argument zählen lasse, weil da einfach alles veröffentlicht werden kann, egal ob es Sinn und Verstand hat
    (Zur klarstellung: Ich will damit nicht sagen, dass alles SP scheiße ist, sondern nur, dass "Das ist bei voll vielen Büchern im SP so" kein Argument dafür ist, dass irgend eine seltsame Idee gut ist. Es gibt keine Kontrollinstanz und schlechte Rechtschreibung und Grammatik wird auch nicht auf einmal gut, nur weil es bei vielen SP Romanen vorkommt :pardon: )

    Mal davon abgesehen, dass er weniger um YA sondern um (epische) Fantasy ging^^

    Ob man hier wirklich zwangsläufig näher an der Person und am Geschehen ist? Ich bin mir nicht sicher.

    Also beim Geschehen kann man sicher Diskutieren, aber an der Person? Wenn jemand etwas über sich selbst erzählt ist es doch automatisch näher an der Person als wenn es ÜBER die Person erzählt wird oder? :hmm:

  • Also beim Geschehen kann man sicher Diskutieren, aber an der Person? Wenn jemand etwas über sich selbst erzählt ist es doch automatisch näher an der Person als wenn es ÜBER die Person erzählt wird oder?

    "Die Faust trifft mich am Kinn, ich werde halb ohnmächtig und bekomme einen weiteren Treffer in der Nierengegend ab. Der Schmerz reißt mich ins Dunkle."

    Hier wird jemand zusammengeschlagen und erzählt davon. Das wirkt dann beinahe so als würde sich die Person von aussen betrachten und analysieren was grade passiert. Das ist in dieser Situation seltsam distanziert und niemand würde sich in der Realität so verhalten. In der dritten Person kannst du das Elend des Opfers genau beschreiben und auch die Blutlache und die Schreie und die Reaktion anderer Personen… Du kannst in dieser Perspektive trotzdem schildern, was die Person denkt und fühlt. Du hast das Innen und das Aussen.

    • Offizieller Beitrag

    "Die Faust trifft mich am Kinn, ich werde halb ohnmächtig und bekomme einen weiteren Treffer in der Nierengegend ab. Der Schmerz reißt mich ins Dunkle."

    Hier wird jemand zusammengeschlagen und erzählt davon. Das wirkt dann beinahe so als würde sich die Person von aussen betrachten und analysieren was grade passiert. Das ist in dieser Situation seltsam distanziert und niemand würde sich in der Realität so verhalten. In der dritten Person kannst du das Elend des Opfers genau beschreiben und auch die Blutlache und die Schreie und die Reaktion anderer Personen… Du kannst in dieser Perspektive trotzdem schildern, was die Person denkt und fühlt. Du hast das Innen und das Aussen.

    Ja gut, aber dein Beispiel ist halt auch eine schlecht umgesetzte 1. Person :rofl:
    Wenn ich die dann so schreibe wie aus der 3. Person ... klar, bin ich dann distanziert.
    Wenn es aber in Richtung:

    "Etwas trifft mich am Kinn. Alles dreht sich ... Wo bin ich? Ein stechender Schmerz in der Nierengegend. Ich pralle hart auf, sehe verschwommen. Die Welt wird dunkel."

    (verzeih meinen etwas hölzernen Versuch, 1. Person kann ich nicht besonders gut, aber ich hoffe man sieht was ich meine) geht, bin ich eben schon sehr nah am Charakter, weil ich genau erlebe was er erlebt und es eben NICHT von außen beschrieben wird.

    Und in der dritten Person kann ich das auch nicht immer so machen wie du sagst - wenn ich eine sehr Nahe und strenge 3. Person wähle, kann ich nur beschreiben was die Person mitbekommt - also im wesentlichen das gleiche wie bei der 1. Person, nur dass ich da ein bisschen freier bin. Etwa:
    "Der Schlag traf ihn am Kinn. Er taumelte zurück und verlor die Orientierung, als ein weiterer Hieb ihn in die Seite traf. Keuchend fiel er zu Boden" (oder so, das wäre jetzt eher mittlere Distanz. Man bekommt im Wesentlichen mit, was der Charakter mitbekommt, aber nicht "gefiltert" durch seine Empfindungen/Einschränkungen (z.B. wird der Charakter ja nicht denken "ich verliere die Orientierung" etc.)

    wirkliche Außenansicht kann ich bei sehr hoher narrativer Distanz oder Allwissendem Erzähler machen - aber eben nicht immer in der 3. Person.

  • Vielleicht nochmal als Ergänzung, bevor der Teil des Gesprächs ganz vorbei ist.

    Also ganz ehrlich gesagt verstehe ich diese Diskussion hier überhaupt nicht :rofl:

    Jede Perspektive hat ihre Anwendung, die eigentlich recht deutlich ist, wenn man darüber nachdenkt. Natürlich KANN man sie anders verwenden, aber imo muss man dann sehr genau wissen was man tut. (Wie immer - man muss die "Regeln" kennen, um sie zu brechen)

    Meine Wahrnehmung war, dass es genau darum geht. Was wären die Gründe, warum jemand doch vom Regelheft abweichen würde? Was könnte es bringen? Bringt es überhaupt einen Mehrwert? Angenommen jemand wäre daran interessiert, wie könnte man das angehen? Da hatten wir dann Beispiele verglichen, die wir in veröffentlichten Werken gelesen haben.

    Bei meinem Beitrag ging es dann nicht nur Fantasy bzw. auch den Kontrast zwischen dem, was man in Fantasy wahrscheinlich bringen kann und dem, was in der ... nennen wir sie mal "Hochliteratur" so geht und warum. Was kommerziell jetzt sinnvoll ist, ist natürlich nochmal was anderes.

    Ich weiß nicht, ob andere das auch so wahrgenommen haben, aber ich denke das wird in etwa der Grund gewesen sein, warum wir hier über die Perspektiven reden. Aufhänger war ja, dass sophia_me mich gefragt hat, welche guten Gründe es geben könnte, andere Perspektiven anzuwenden. :) Ich denke, niemand hier will die Grundlagen aus dem Fenster werfen.

    So generell werden mir übrigens mit jedem experimentellen Werk, das ich lese, die simplen Grundlagen immer wichtiger und das abgefahrene Zeug verliert seinen Reiz. ^^ Die Traditionen haben sich aus guten Gründen etabliert.

    (Dass ich in meiner Langzeitgeschichte dann von den formalen Fantasykonventionen abweiche hat dann nochmal andere Gründe für mich ... Das soll kein kommerzieller Erfolg werden, sondern eher ein Gesellenstück, wenn man so will.)


    Aber, ganz wichtig:

    Ich würde generell davon abraten, sowas zu machen, nur weil man es spontan cool findet (außer es ist explizit ein Experiment in die Richtung natürlich), sondern würde mir sehr genau überlegen, welche Perspektive(n) am besten dazu geeignet sind die Geschichte, die ich erzählen will zu erzählen. Und die dann auch zu wählen. Sonst kommt man auch ganz schnell in eine "Gimmik"-Ecke, wo die Geschichte dann (zumindest scheinbar) NUR die seltsamen Perspektiven zu bieten hat.

    Als jemand, der selbst in dieser künstlerischen Falle drin saß, kann ich das gar nicht genug unterschreiben.

    Niemand mag reine Formkünstler, abgesehen von ihnen selbst.

    Häupter auf meine Asche!

  • Anfängern, zu denen ich ja auch zähle, würde ich zu einem Ich-Erzähler raten. Dabei sollte man einen auswählen, der von der Welt, in der er lebt, wenig Ahnung hat. Das erspart einem die Mühe, sich zuerst einmal eine ganze Welt auszudenken und womöglich lange Listen von Völkern, Reichen, magischen Fähigkeiten und Ähnlichem anzulegen, vielleicht sogar Karten zu zeichnen.

    Man legt einfach los.

    Zum Beispiel:

    "Als es an der Tür klopfte, griff Joe nach seinem Schwert. In dieser Gegend konnte man nicht vorsichtig genug sein."

    Vor der Tür stehen dann Soldaten, die nach einem flüchtigen Rebellen suchen und ihn fragen, ob er sachdienliche Hinweise geben könnte. Kann er nicht. Wer gerade König ist, weiß er auch nicht. Von einer Rebellion hat er zwar schon mal gehört, aber das alles interessiert ihn nicht. Er ist ein Hillbilly-Hinterwäldner und kümmert sich nur um seinen eigenen Kram.

    Dann geht er vorsichtshalber in den Stall und stellt fest, dass ein Pferd fehlt. Wurde es von dem Rebellen gestohlen? Er schwingt sich auf den anderen Gaul und folgt der Fährte, die in den Wald führt.

    Für diese erste Szene brauche ich noch keinen Weltentwurf. Hat er den Wald erreicht, kann ich entscheiden, wem er da begegnen soll. Vielleicht Hexen? Sind die gut oder böse, was können sie, wie wehrt man sich gegen sie?

    Ist die Sache mit den Hexen erledigt, kann die Handlung weiter gehen, wobei diese Welt schon ein wenig Gestalt angenommen hat. Womöglich trifft er dann den Rebellen, unterhält sich mit dem, oder kämpft mit ihm, schon wieder weiß er mehr, und man kann das alles Schritt für Schritt aufbauen.

    Man muss kein Schema abarbeiten.

    Problem allerdings: Man muss ständig zurückskrollen, um zu sehen, was man vorher geschrieben hat. Damit man sich nicht widerspricht oder unnötig wiederholt.

    Und natürlich kann man sich auch in der erzählerischen Walachei wiederfinden, ohne einen Schimmer, wo das Ganze hingehen soll.

    Aber man hat wenigstens mal angefangen. Denn man kann in Vorbereitungen auch versacken.

  • Ja gut, aber dein Beispiel ist halt auch eine schlecht umgesetzte 1. Person :rofl:
    Wenn ich die dann so schreibe wie aus der 3. Person ... klar, bin ich dann distanziert.
    Wenn es aber in Richtung:

    Wenn ich mir schon ein passendes Beispiel konstruieren darf.:)

    Du hast aber natürlich recht mit der grundsätzlich stärkeren Nähe in 1PS Präsens. Worauf ich eigentlich hinaus wollte. Wir wollen ja etwas beim Leser auslösen und ihn am besten emotional packen. Da finde ich einige Autoren auch in 3PS Vergangenheit ziemlich stark. Bei dem Shani Abschnitt in deiner Geschichte hat dies zum Beispiel gut funktioniert.

  • Wenn ich die dann so schreibe wie aus der 3. Person ... klar, bin ich dann distanziert.
    Wenn es aber in Richtung:

    "Etwas trifft mich am Kinn. Alles dreht sich ... Wo bin ich? Ein stechender Schmerz in der Nierengegend. Ich pralle hart auf, sehe verschwommen. Die Welt wird dunkel."

    (verzeih meinen etwas hölzernen Versuch, 1. Person kann ich nicht besonders gut, aber ich hoffe man sieht was ich meine) geht, bin ich eben schon sehr nah am Charakter, weil ich genau erlebe was er erlebt und es eben NICHT von außen beschrieben wird.

    Und in der dritten Person kann ich das auch nicht immer so machen wie du sagst - wenn ich eine sehr Nahe und strenge 3. Person wähle, kann ich nur beschreiben was die Person mitbekommt

    Dies ist ein Problem, das mir beim 3. Person-Erzähler häufig passiert. Ich möchte die größtmögliche Nähe erzeugen, wähle aber trotzdem ohne es zu merken eine Erzählform, die etwas distanziert ist. Der personale Erzähler lässt halt viele Varianten zu - die nähere und die weitere Entfernung. Das passiert dem Ich-Erzähler nicht. Der ist ganz automatisch dicht dran.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

    • Offizieller Beitrag

    Hier wird jemand zusammengeschlagen und erzählt davon. Das wirkt dann beinahe so als würde sich die Person von aussen betrachten und analysieren was grade passiert. Das ist in dieser Situation seltsam distanziert und niemand würde sich in der Realität so verhalten

    Das ist btw der Grund warum ich mich im Normalfall gegen firstperson entscheide.
    Es mag ein vollkommen dummer Grund sein, aber ... Nur ein kleiner Teil meiner Chars fühlt sich so an, als würden sie dir ihre Geschichte erzählen. Und wenn ich mir meinen Prota vorstelle, wie er etwas aus der Ich Perspektive erzählt ist das für mich irgendwie Off. Das ist einfach nicht seine Erzählweise.
    Und das zwickt dann immer in meinem Kopf.

  • Es stimmt schon, dass allwissende Erzähler und Ich-Erzähler einem im Prinzip gegenüber sitzen und einem ihre Geschichte vertellen, während der personale Erzähler meist als 'im Kopf der Figur' wahrgenommen wird. :) Das macht mMn einen wichtigen Unterschied und das sollte man beim Schreiben dann beachten.

    Häupter auf meine Asche!

  • Jede Perspektive hat ihre Anwendung, die eigentlich recht deutlich ist, wenn man darüber nachdenkt. Natürlich KANN man sie anders verwenden, aber imo muss man dann sehr genau wissen was man tut. (Wie immer - man muss die "Regeln" kennen, um sie zu brechen)

    Um die Regeln zu brechen, aber auch um den größten Vorteil für die Geschichte rauszuziehen :D

    (ja, ich nutze jetzt das Zitat als Aufhänger für meinen Punkt :P)

    Bestimmte Effekte lassen sich sehr gut mit der ersten Person im Präsens erzielen. Gerade bei einigen Thrillern kann man das gut sehen (z.B. Girl on the Train). Eine YA-Dystopie, die das auch sehr gut macht ist die Divergent-Reihe. Vor allem das Ende der kompletten Reihe funktioniert nur mit dieser Perspektive und trägt dazu bei, dass man als Leser:in das Ende nicht so schnell wieder vergisst.

    Wie so oft muss man sich mit dem Handwerk auseinandersetzen und die beste Entscheidung für die eigene Geschichte treffen, denke ich. Meistens hat man ja auch ein gewisses Bauchgefühl, darauf sollte man dann hören.