Wortgefechte - Ein Schwert und sein Held

Es gibt 426 Antworten in diesem Thema, welches 109.790 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (21. August 2023 um 00:03) ist von bigbadwolf.

  • Die ganze Szene ist eine Anspielung auf den Nintendo-Klassiker Zelda.

    Ah! Hab ich doch richtig gelegen! Ich war mir nicht ganz sicher, weil ich auch nie eine Konsole hatte, aber meine Freundin das damals manchmal gezockt hat XD
    Obwohl mein erster Impuls sogar Mine Craft gewesen ist, wegen der Verpixelung, aber dann fiel mir Zelda wieder ein.

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald

  • 61

    Sag ihm bitte nochmal, dass er mein Heft nicht zu dick machen soll.

    „Wenn ich es ihm jetzt zum vierten Mal sage, lässt er es vermutlich komplett weg“, gab der junge Held murmelnd zu bedenken.

    „Nicht so viel reden, bitte!“, erinnerte ihn der Künstler und lugte hinter seiner Leinwand hervor, um den jungen Helden abermals von oben bis unten zu betrachten. „Bedenkt: Des Wortes Diffusität raubt die Inspiration und lässt den Pinsel taumeln.“

    Der junge Held schwieg gehorsam angesichts einer solch beeindruckenden Wörteranhäufung.

    Künstler, rollte die Stimme mit den Augen. Sie… sie… ach, ich hab nicht mal Lust, mich darüber lustig zu machen.

    Lassen wir ihn einfach in Ruhe an unserem Porträt zeichnen… mir schläft langsam der Arm ein.

    Dass du mir ja aufpasst, dass ich hübsch heldenhaft aussehe!, verlangte die magische Waffe prompt.

    Eine meiner Vorbesitzerinnen hat sich auch mal porträtieren lassen, fuhr die Stimme eine Weile später fort, allerdings ohne mich –

    Oh nein! Wieso denn nur?, grinste er in sich hinein.

    Das Schwert räusperte sich. Jedenfalls… hat sie dem Zeichner auch mehrmals gesagt, dass er ihre untere Hälfte »nicht zu dick« darstellen soll.

    Ach, da hast du das her… warte mal. Wenn du nicht mitgezeichnet wurdest, woher weißt du dann, dass…

    »…sie das gesagt hat?«, ergänzte das Schwert beflissentlich.

    „Ach ja, ich Idiot“, scholt sich der junge Held für seine Vergesslichkeit.

    Bursche, seufzte die Stimme. Es ist echt ein Wunder, dass du den Typen hier unbeschadet retten konntest.

    „Warte mal... deine Vorbesitzerin? War das die mit dem Läusekot?“

    Der Porträtzeichner schaute mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck unter seiner Leinwand hindurch und verschwand dann rasch wieder.

    Ach, aber sowas merkst du dir, ja?

    „Kann der Herr bitte seinen Schwertarm wieder in die korrekte Höhe bringen?“, erklang die leicht tadelnde Stimme des Malers erneut, diesmal von hinter der Leinwand.

    Der junge Held leistete der Anweisung Folge.

    Du hattest doch mal von anderen sprechenden Waffen erzählt…, überlegte er. War der Bogen ein Schmuckstück?

    Stille, schaudernd und abweisend.

    …Darüber… möchte ich nicht sprechen.

    Oder die Axt, überlegte der junge Held nach der plötzlichen Wortkargheit seiner Waffe weiter, so eine Axt würde auf der Leinwand sicher auch was hermachen…

    Ach, Torgar war ziemlich klobig. Den hätte dir der Typ mit drei Pinselstrichen gemalt, versicherte ihm das Schwert.

    Bei dir braucht er doch auch nur einen Pinselstrich für die Klinge und einen fürs Heft.

    Aus dir macht er sicher auch bloß ein adipöses Strichmännchen!, schoss die Stimme böse zurück.

    Gut, entschuldige. Das war fies…, aber mal ernsthaft: Was soll man denn bei einem Schwert groß falsch zeichnen?

    Na zum Beispiel könnte er mein Heft zu dick darstellen!

  • Sehr cool, bigbadwolf ! Ich hab mich am Anfang gefragt, was du wohl noch an neuen Situationen bringen kannst. Auf DIESE wäre ich vermutlich nie gekommen xD Gefällt mir richtig gut!

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • 62 a

    „Warum hast du mir nur ausgerechnet zu DIESEM Auftrag geraten?!“, hallte seine Stimme durch die beengenden Gänge.

    Du wolltest doch Erfahrungen sammeln, erinnerte ihn das Schwert fröhlich.

    „Aber doch nicht solche…“, klagte der junge Held und stützte sich auf die kleine Holzkeule, um seinen klammen Stiefel mit einem Schmatzen aus einem undefinierbaren Brei herauszuziehen. „Kann man denn nicht auf sowas verzichten und trotzdem ein Held werden?“

    Hättest du echt lieber den Auftrag mit den Ogerschwestern übernommen?, fragte die Stimme erstaunt.

    „Na, den nun gerade nicht. Aber der Eskorten-Auftrag klang simpel“, entgegnete er und hielt den magischen Leuchtkristall etwas tiefer, um die glitschigen Steine und die neben ihm träge dahinfließende Kanalflüssigkeit besser sehen zu können. Bei der Vorstellung, wie es wohl unter der Wasseroberfläche aussehen musste, verkrampfte sich sein Gesicht unwillkürlich.

    Du hast aber schon den ganzen Tand an seiner Kleidung und seinen Fingern gesehen, oder?, ignorierte das Schwert seine Zuckungen. So einer zieht Hinterhalte an wie ein Misthaufen die Fliegen! Glaub mir doch einfach mal, wenn ich dir schon helfe…, wobei… dann wäre ich jetzt vielleicht schon bei jemandem, der nicht so viel lament –

    „Warte mal! Riechst du das?“, unterbrach er unruhig.

    Nein.

    „Aber es riecht nach verfaul–“

    Ich will gar nicht wissen, wonach es in einer Kanalisation riecht, schnitt ihm diesmal das Schwert das Wort ab.

    „Ich dachte, du hast an meinen Sinnen teil?“, wunderte sich der junge Held.

    Der Vorteil daran, dass ich beliebig an deinen Sinnen teilhaben kann, erklärte die magische Waffe bestimmt, ist, dass ich auch nicht daran teilhaben kann.

    „Das ist jetzt nicht hilfreich.“

    Den modrigen Mief der Menschen zu riechen auch nicht.

    „Wenn du mir nicht sofort hilfst, lasse ich jede Katze dieser Stadt mit dir spielen.“

    Der junge Held glaubte zu spüren, wie sich das Schwert an seiner Hüfte schüttelte und windete.

    Fäulnis voraus, bestätigte die Stimme nach einer Weile knapp.

    „Ich dachte immer, Ratten lassen nichts übrig, was noch faulen könnte“, dachte er laut.

    Noch nie von adeligen Ratten gehört? Die fressen nur die feinen Stücke.

    „Ähm… nein, aber dann werden das wohl welche sein.“

    Echt?! Vorhin bei dem Auftrag hast du mir misstraut, aber DEN Mist glaubst du mir jetzt?, echauffierte sich die Stimme.

    Zornig ließ der junge Held die Keule fallen und zog sein Schwert aus der Scheide, um es gegen eine der feuchten Wände zu donnern.

    NICHT!

    „Na, Angst?“

    Davor, hier unten jahrelang festzusitzen? Ja.

    Der junge Held blieb grübelnd stehen. Die ekelhaften Dämpfe ließen ihm mittlerweile die Augen tränen.

    Bursche! Schon mal was von Staub- oder Gasexplosionen gehört?, belehrte ihn die Stimme ungehalten. Wenn du hier auch nur einen Funken verursachst…; das Flussbett war ja wenigstens bewohnt, aber DAS HIER?! Nein, nein und nochmals Nein.

    „Oh.“

    Ja, »Oh« trifft es in etwa… deswegen hast du doch diese hässliche Keule, also lass mich am besten gleich in der Scheide.

    Der junge Held vernahm ein leises Geräusch, welches allmählich lauter wurde.

    „Was ist das da vorn?“, fragte er seine magische Waffe, den Leuchtkristall mit ausgestrecktem Arm vor sich haltend, während er die Keule wieder aufsammelte.

    Du meinst wohl eher »um dich herum«. Du bist umstellt. Klingt übrigens wie ein Schlurfen.

    Am äußeren Rand des erleuchteten Bereichs sah der junge Held mit Schaudern ein buchstäblich halbes Gesicht, welches auf ihn zuwankte. Das Schwert bemerkte die aufkeimende Panik.

    Wenn du keine Fragen stellst und sofort tust, was ich dir sage, überlebst du das hier. Verstanden?

    Als Antwort schluckte der junge Held geräuschvoll.

  • Ein Schwert, eine Holzkeule und ein Leuchtkristall... irgendwie kommt mir das so vor, als wäre das ein Gegenstand zu viel für zwei Hände. :hmm:

    Abgesehen davon wieder ein schöner Part! Ich kann mittlerweile gar nicht mehr anders als Thorsten vor meinem geistigen Auge durch eine finnische Kanalisation waten zu sehen :D In der Rolle des Schwertes wäre ich dann auch darüber sehr froh:

    Der Vorteil daran, dass ich beliebig an deinen Sinnen teilhaben kann, erklärte die magische Waffe bestimmt, ist, dass ich auch nicht daran teilhaben kann.

    ^^

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Ein Schwert, eine Holzkeule und ein Leuchtkristall... irgendwie kommt mir das so vor, als wäre das ein Gegenstand zu viel für zwei Hände.

    Daran sind wir schuld:D - bei bigbadwolf ist das Schwert normalerweise in einer Schwertscheide. Wir wollten das aber fuer den Film nicht, weil wir eine recht grosse Waffe wollten die visuell auch ein 'Gegenueber' des Helden darstellt - die dann aber nicht so ohne weiteres verstaut werden kann.

    Ich kann mittlerweile gar nicht mehr anders als Thorsten vor meinem geistigen Auge durch eine finnische Kanalisation waten zu sehen

    Meh...:/

  • Daran sind wir schuld :D - bei bigbadwolf ist das Schwert normalerweise in einer Schwertscheide.

    Ne, ne, ich meine schon nur hier im Text. Vielleicht hab ich's überlesen, dass an einer Stelle mal etwas fallen gelassen wird. Am Anfang stützt sich der Held auf die Keule, dann zieht er mal sein Schwert und dann hält er mal seinen Leuchtkristall von sich gestreckt weg. Mir fällt sowas irgendwie immer auf und dann denke ich: Moment, der hat doch schon beide Hände voll. :hmm:

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • 62 b

    „Ich wette, der alte Bandelbold hat wieder zu viel mit seinen Elixieren herumgetüftelt!“, beteuerte eine vorbeiflanierende Dame mittleren Alters.

    Der wohlgekleidete Knabe neben ihr nickte zustimmend und ahmte mit den Händen eine gigantische Explosion nach.

    Wenn es doch nur ein Elixier gewesen wäre, fuhr die Stimme mit ihrem Jammerlied fort.

    „Es war immer noch DEINE Idee!“, merkte der junge Held zum wiederholten Male an, als ein neuerlicher Schub heftiger Schmerzen ihn durchfuhr.

    Du hast mir ja auch keine Wahl gelassen… dich einfach so von diesem fauligen Fußvolk festsetzen zu lassen. Ts!

    „Deinen Vorbesitzern ist sowas wohl nie passiert, hm?“, fragte er halb provokativ halb interessiert und hielt erneut seinen verbrannten Schwertarm in das angenehm kühlende Wasser des kleinen Springbrunnens.

    Klar haben die auch mal die Nerven verloren, aber da standen uns Bergtrolle, ein Gruppe Assassinen oder missgünstige Verwandte gegenüb –

    „Welche Schwächen hast du eigentlich?“

    Welche… ich… also… »WAS«?!, fragte das Schwert völlig entgeistert.

    „Na, gibt es nicht bestimmte Waffenarten die allgemein gegen Schwerter effektiv sind und solche, die gegen dich ohnehin nicht bestehen würden?“

    Was ist das denn für ein Unsinn?! Ist mir doch egal, womit du kalt gemacht wirst.

    „Gibt es Waffen, die ich nicht mit dir blocken sollte?“

    Mir doch egal. Benutz deinen Kopf!

    „Ähm, wie meinst du das jetzt genau?“, fragte der junge Held zögerlich.

    Ach, Bursche, seufzte die magische Waffe genervt.

    „Aber du eignest dich doch zum Ablenken einer Waffe, oder?“

    Hey, ich bin KEIN Schild!

    „Kann ich mit dir Zaubersprüche abfangen?“

    Sicher… ich klau dir dann die nächste Heilmagie!, versprach das Schwert.

    Ein Bataillon harnischbewehrter Stadtwachen eilte an ihm vorbei. Vermutlich war die ganze Stadt in heller Aufruhr ob der anscheinend gewaltigen Explosion, die er dort unten verursacht hatte.

    „Also ich finde es in Ordnung, vor einer Horde von Untoten zurückzuschrecken“, befand der junge Held schlussendlich, während er sich seinen arg mitgenommenen Arm vors Gesicht hielt. Selbst der inzwischen nur noch schwache Geruch brachte seine Gedärme in Wallung. Die wieder aufflammende Erinnerung an seinen gewagten Sprung in die modrige Kanalbrühe ließ ihn beinahe erneut würgen.

    Den Gestank werden wir nie wieder los, versicherte ihm das Schwert immer noch etwas trotzig.

    „Naja… da unten sollte jetzt jedenfalls alles tot sein…“

    Sogar die Untoten…

    „Also kann ich zumindest meine Belohnung einstreichen“, konstatierte der junge Held und schaffte sogar ein schwaches Lächeln.

    Mit der kannst du gleich zum nächsten Heiler gehen. Dein Arm erinnert mich an eine gut geröstete Lammkeule… und wenn du in dieser Suppe nicht wenigstens ein halbes Dutzend Krankheiten eingesammelt hast, bin ich ein verbogener Krummsäbel!

    „Aber dann hab ich ja gar nichts von dem Auftrag gehabt!“

    Doch, du hast wertvolle Erfahrung gesammelt, grinste die Stimme.

  • bigbadwolf

    Bei den ersten vier Sätzen hab ich echt gedacht, dass mir ein Teil fehlt. Ich konnte einfach keinen Zusammenhang zu Teil a) feststellen. Erst dann hat's gezündet. :patsch:

    Naja, bei manchen dauert's halt etwas länger, bis der Groschen fällt. :blush:

    Haben mir beide gefallen, die letzten Teile. Ich fühlte mich ein klein wenig an "die dritte Ebene" von Der Wanderer erinnert am Ende des ersten und am Beginn des zweiten Teils. Eine Explosion ist effizient, um in den Tunneln für Ruhe zu sorgen. :rofl:

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Spoiler anzeigen

    Mal wieder etwas Längeres. Eigentlich sollten es zwei Geschichten werden, aber was soll's...

    63

    „Ganz schön unbequem“, versuchte der Held den lautstark pfeifenden Wind zu übertönen.

    Aber es geht fix, merkte die Stimme schlau an.

    „Warum nutzen Sie eigentlich nicht etwas Komfortableres zum Fliegen?“

    Sein Führer, ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Magier, schaute mit einem verächtlichen, aber auch etwas ratlosen Blick über die Schulter. Er schien jedoch wenig gewillt zu sein, die Frage irgendeiner Antwort zu würdigen und frischte stattdessen den Zauber auf.

    Die teuer wirkende Marmorplatte, auf welcher die drei ihrem Ziel entgegenflogen, behinderte die Sicht nach unten nur geringfügig. Insofern hatte der Held bereits wiederholt den Göttern dafür gedankt, dass ihn die enorme Höhe nicht belastete. Neben der unter ihnen dahinziehenden, üppig bewaldeten Landschaft fiel dem Helden nun ein sonderbares Detail ins Auge: Er hatte die wundervolle Formation einer Schar Zugvögel noch nie von oben gesehen.

    Manchmal wirken sie richtig intelligent, dachte er fasziniert.

    Ja, das denke ich auch oft von dir…

    Warum sie die Bulle nicht gleich von einem Magier haben teleportieren lassen?, überging der Held die Aussage beflissentlich.

    Beschwerst du dich jetzt allen Ernstes über diesen stinkeinfachen Botenauftrag?

    Tatsächlich diente ihre Reise einzig dem Zweck einer Dokumentenübergabe. Warum genau der Magier die Papiere nicht auf sich allein gestellt transportieren konnte, war ein Mysterium. Der Held rechnete inzwischen nicht mehr mit irgendwelchen Überfällen genoss schlicht die atemberaubende Reise. Diese schien sich jedoch dem Ende zu nähern, da das Marmorgeschoss in einen leichten Sinkflug übergegangen war. Am Horizont vor ihm ragten unzählige Türme in den Himmel, an deren Fundament sich eine kreisrunde Stadt in den umliegenden Wald gefressen hatte. Die Landung erfolgte unweit einer mittelgroßen Arena auf einer kleinen unbebauten Fläche in Sichtweite des scheinbar zurückweichenden Waldrandes. Von hier aus wirkten die Türme noch imposanter, ließen sie doch die umliegenden, zumeist zweistöckigen Ziegelhäuser eher winzig erscheinen.

    Während sein Führer ihn anwies, nun von der Platte zu steigen, drang lautstarker, rhythmischer Lärm zu ihm durch.

    „Rettet die Magie!“, hörte der Held ein knappes Dutzend Leute zu ihm herüberrufen. In den Händen hielten sie große hölzerne Schilde, auf welchen in großen Lettern kurze Sätze wie etwa „Spart euch eure Magie!“ geschrieben standen.

    Also ich hab ja schon viel erlebt, aber…, ließ die Stimme den Gedanken unvollendet.

    Da ihr Weg sie an den Demonstrierenden vorbeiführte, konnte der Held erkennen, dass es sich ihrer Bekleidung nach überwiegend um einfache Bedienstete handelte. Vorsichtshalber festigte er seinen Griff um die Tasche mit den Schriftstücken und tatsächlich stellte sich ihm eine junge Frau in Zofenkleidung direkt in den Weg. Der Held blieb stehen und sah sie erwartungsvoll an. Auch sein Führer blieb stehen, wandte den Blick jedoch entschieden ab.

    Oh ja, das wird bestimmt interessant!, frohlockte die Stimme aufgeregt.

    „Alles muss irgendwo herkommen, alles wird verbraucht und muss erst nachwachsen“, erklärte die Frau klug. „Es gibt keinerlei gesichertes Wissen über die Erholung natürlicher Magiebestände. Vermutlich ist Magie eine endliche Ressource.“

    Wahnsinn!, applaudierte das Schwert beinahe. Los! Jetzt du!, forderte es.

    „Werte Frau, Ihr seht mir nicht wie eine Magiebewanderte aus… woher nehmt Ihr das Selbstbewusstsein, den Zauberern ihre vermeintlichen Fehler vorzuwerfen?“, formulierte der Held im Gegenzug.

    „Also…! Also das gebietet ja wohl der gesunde Menschenverstand!“

    Da hat wohl jemand seine Argumentation bloß auswendig gelernt…, grinste das Schwert.

    „Sie hätten also nicht mit einem Pferd hierher reisen können?“, fügte die Frau an.

    „Nun, theoretisch schon…, a-aber…“, geriet er etwas ins Stottern.

    „Und besonders bequem war die Reise auf einer Marmorplatte gewiss auch nicht, oder?“, setzte sie sofort nach.

    „Aber es geht fix“, entgegnete der Held rasch.

    Hey, das ist geistiger Diebstahl!

    Die junge Frau schüttelte ungehalten den Kopf.

    „Magiewirker verschwenden wertvolle Magie für Dinge, welche die eigenen Füße oder ein paar Dutzend kräftige Hände auch in ein paar Stunden erledigt hätten. Das ist Arbeitsdiebstahl!“

    „Dann können diese kräftigen Hände doch in dieser Zeit andere nutzbringende Dinge verrichten“, schlug der Held vor und kam sich sogar ein bisschen schlau vor.

    „Also Sie denken aber auch nicht besonders weit, hm? Irgendwann werden keine solchen Dinge mehr übrig bleiben. Die Menschen verlernen alles, was die Magier für sie tun und wenn dann keine Magie mehr übrig ist…!“, endete sie mit einer bedeutungsschweren, ausladenden Handbewegung.

    Manchmal wirken sie richtig intelligent, wiederholte das Schwert spitz.

    „Aber sie wollten euch doch nur helfen!“, platzte es aus dem Helden heraus.

    „Wir haben NICHT darum gebeten, dass DIE sich einmis-!“, wollte die Frau weiterwettern, doch abrupt versagte ihr die Stimme.

    Das war aber nicht besonders respektvoll, gab das Schwert zu bedenken, als der Held plötzlich von seinem Führer weitergeschubst wurde. Er hatte die Handbewegungen des Magiers aus dem Augenwinkel gesehen und war sich ebenfalls ziemlich sicher, dass der Frosch im Hals der jungen Frau magischen Ursprungs war.

    Nachdem sie einige Schritte zwischen sich und die aufgebrachten Demonstranten gebracht hatten, bemerkte der Held ungewöhnliche Säulen an den Straßenkreuzungen. An ihrer Spitze tanzten in scheinbar regelmäßigen zeitlichen Abständen rote und grüne Flammen. Einen Augenblick später hatte er den Sinn dahinter an den jeweils stehenden oder vorbeiratternden Kutschen und Fuhrwerken erkannt.

    „Können sich die Einwohner denn nicht selbstständig einigen?“, fragte er den vor ihm laufenden Magier etwas resigniert.

    So ganz unrecht scheint die Furie von vorhin nicht zu haben, überlegte das Schwert.

    „In unserer wunderbaren Stadt wird es nun einmal so gehandhabt und wie Sie sehen können, sind die Vorteile unverkennbar“, ließ sich der Mann zu einer Art Erklärung herab.

    Was sind das denn da für helle Streifen?, fragte die Stimme interessiert und der Held gab die Frage weiter.

    „Diese Markierung – die unbedarfteren Einwohner nennen sie wohl »Tigerstreifen« - gilt nur für unsere hochrangigen Einwohner“, erklärte der Führer, als eine herannahende Kutsche scharf abbremste, um einen fetten, reichlich geschmückten Mann vorbeiwatscheln zu lassen.

    „Woran erkennen die Kutscher denn, für wen sie bremsen müssen und welche Einwohner die Fuhrwerke passieren lassen müssen?!“, fragte der Held ehrlich interessiert.

    An Tand und Übergewicht natürlich, ahmte das Schwert den Tonfall des Magiers nach.

    „Allen unbegleiteten Personen wird beim Einlass in unsere großartige Stadt eine Erkennungsmagie verliehen. Vor allem darf kein niederer Bürger im Umkreis eines Einwohners weilen, welcher seinen eigenen Rang um wenigstens fünf übertrifft.“

    „Wie viele Ränge gibt es denn?“, wagte er es zu fragen.

    „17 natürlich.“

    Uff, machte die Stimme.

    „Und welcher Rang gilt für mich?“

    „Für Sie gilt der Sonderstatus 1c >Ortsfremder in ortskundiger Begleitung<.“

    Für wen gilt denn dann 1b?, dachte die Stimme.

    „Und für wen gilt 1b?“, fragte der Held folgsam.

    „Für Leichen.“

    Du kommst sogar noch NACH den Toten…, staunte das Schwert amüsiert.

    Inzwischen passierte der Held den Eingang zu der Arena, welche er bei der Landung gesehen hatte. Auf seine Bitte hin betraten sie das Gebäude.

    Dies ist die städtische Ertüchtigungsbühne“, erklärte der Führer, als sie am Rand der ovalen Fläche im himmelsichtigen Zentrum des gewaltigen Baus ankamen.

    „Sieht verdammt nach einer Arena aus…“, stutzte der Held zurecht, „… und das da oben ist doch die Tribüne!“

    „Sie meinen den Publikumsbereich?“

    Nein, er meint die Gaffer!, äffte das Schwert den Tonfall des Führers erneut nach.

    Erst jetzt bemerkte der Held ein gutes Dutzend schwer gerüsteter Personen, welche eine Art kantige Kugel mit ihren stumpfen Waffen – Hämmer und Eisenstangen – vor sich her trieben.

    „Bei dieser sportlichen Ertüchtigung“, nahm der Magier die aufkeimende nächste Frage vorweg, „versuchen zwei Personengruppen eine mit Leder umwickelte Holzkugel in den Schutzkreis der jeweils anderen Gruppe zu bewegen. Das Berühren der Kugel mit den Händen ist erlaubt“, ergänzte er, während ein Hammer mit brachialer Gewalt gegen die Kugel donnerte, „allerdings wird davon abgeraten.“

    Eine Weile verfolgten der Held und sein Führer das zutiefst befremdlich anmutende Spektakel.

    „Ist das nicht ziemlich dämlich?“, entfuhr es ihm.

    Kannst du jetzt etwa auch Gedanken lesen?, fragte das Schwert überrascht.

    Der Magier antwortete nicht. Die wilde Szenerie sprach ohnehin für sich.

    Ich glaube, ich werde alt, dachte der Held beschämt.

    Lass uns schnell etwas niedermetzeln, damit wir dieses entsetzliche Bild verdrängen können, schlug die Stimme hoffnungsvoll vor.

    „Nur zu gern.“

    „Wie bitte?“, fragte der Führer verwirrt und wandte sich zu ihm um.

    Los, knöpf dir den Knilch vor!

    Bedaure, dachte der Held seufzend und schüttelte den Kopf.

  • bigbadwolf

    Sehr unterhaltsam, wie immer! :thumbsup: Verkehrsampeln, die ohne Strom auskommen, und ein umbenannter Zebrastreifen in der Fantasywelt. Klasse. :D

    Bin nur an einer Stelle gestolpert:

    „Woher wissen die Kutscher denn, für wen sie bremsen müssen und welche Einwohner die Fuhrwerke passieren lassen müssen?!“, fragte der Held ehrlich interessiert.

    An Tand und Übergewicht natürlich, ahmte das Schwert den Tonfall des Magiers nach.

    Ich würde den Held die Frage "Woran erkennen die Kutscher denn, ..." stellen lassen. Ich denke, das passt irgendwie besser zur Antwort des Schwertes, weil diese mit "An ..." beginnt?

    Ist aber nur so ein Gedanke.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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