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Diese Erzählung sollte eigentlich am aktuellen Schreibwettbewerb zum Thema "(Nicht) um jeden Preis" teilnehmen. Aus irgendwelchen Gründen habe ich sie aber nach dem Schreiben nicht gespeichert und konnte sie daher nicht rechtzeitig einsenden. Also mußte ich sie erneut schreiben, habe dadurch aber den Abgabetermin verpasst. Doppelt angeschissen...
Trotzdem würde ich mich über Eure Kommentare zur Geschichte freuen.
Um Alles oder Nichts
Zum wiederholten Male überprüfte Henno den Sitz von Bauchgurt und Zaumzeug und schalt sich gleichzeitig dafür einen Narren.
Aber er war nervös.
Zum ersten Mal seit drei Zyklen gab es wieder eine gute Chance, dem Haus Tarilon das königliche Siegel abzujagen.
Sein Blick schweifte hinüber zu dem kleinen Biwak auf der gegenüber liegenden Seite der Lichtung. Bis auf einen kleinen, aber bedeutsamen Unterschied sah es genau so aus wie sein eigenes und wie die Biwaks der anderen drei Gestüte ringsum, die in diesem Jahr am Rennen teilnahmen:
Ein nur von einem Seil abgegrenztes Areal, darauf ein hohes, geräumiges Zelt. Groß genug, um Pferd und Reiter zu beherbergen bei vielleicht widrigem Wetter während der Vorbereitungen auf das alle drei Jahre stattfindende Rennen der Pferdezüchter des Herzogtums, dessen Sieger die Ehre zuteil wurde, dem königlichen Hof in dieser Zeit die benötigten Reittiere zu liefern.
Ein Privileg, das Macht und Einfluß in Canandir bedeutete, einem der vier Herzogtümern des Königreiches – dem Land der berglosen Steppen und Ebenen, geeignet zu wenig anderem als der Vieh- und Pferdezucht. Aber nicht zuletzt bedeutete dieses Privileg auch Reichtum.
Sichtbares Zeichen der königlichen Gunst war das Siegel drüben am Mast vor dem Zelt des Hauses Tarilon: Ein polierter silberner Schild mit dem eingravierten königlichen Wappen, glitzernd im Schein der Morgensonne.
„Könntest du vielleicht mal damit aufhören?“ riß ihn die tiefe Stimme seines Vaters aus seinen Gedanken.
„Was...?“ Hennos Hände lösten sich von Shamtars Zaumzeug.
Der nachtschwarze dreijährige Hengst schnaubte kurz, dann senkte er den Kopf und begann gleichgültig wieder zu grasen.
Talmo Penderes runzelte mißmutig die Stirn.
„Du bist nicht bei der Sache,“ stellte der Herr des Hauses Penderes fest und strich sich über den grauen Vollbart.
„Konzentriere dich, Henno,“ sagte er eindringlich. „Ich weiß, was Du denkst. Aber du mußt dich von dem Gedanken lösen, wer heute dein Gegner ist, auch wenn es dir schwerfällt.“
Henno fuhr sich mit einer schnellen Bewegung durch den blonden Haarschopf und senkte für einen kurzen Moment den Kopf.
„Das ist nicht wie die anderen Rennen bisher,“ gab er dann zurück und begegnete dem fordernden Blick seines Vaters.
„Richtig.“ entgegnete der kurz. „Heute reitest du für unser Haus, kein Mietling wie früher. Seit Shamtirs Geburt hast du dich um ihn gekümmert, ihn mit Stroh trockengerieben, kaum daß er den Schoß seiner Mutter verlassen hatte. Ihr seid gemeinsam aufgewachsen, habt alles geteilt, Ihr beide habt mir in den letzten drei Jahren gezeigt welche Möglichkeiten durch echte Freundschaft entstehen können. Daher war es mir eine einfache Entscheidung, dich als Reiter des Hauses Penderes zu benennen.“
Hennos Blick glitt erneut hinüber zum Biwak des Hauses Tarilon. Aber auch jetzt war keine Spur von Jola zu entdecken. Jola mit den roten Haaren, Jola Tarilon, ein Jahr älter als er, Henno Penderes. Sein bester Freund seit er denken konnte. Und heute sein ärgster Konkurrent. Denn Jola war in diesem Jahr der benannte Reiter des Hauses Tarilon.
Talmo Penderes erhob sich von dem Baumstumpf, auf dem er bisher gesessen hatte und ging zu seinem Sohn hinüber.
„Denke an das Rennen, an den Weg von hier bis zum Ziel dort drüben,“ sagte er und wies in die Richtung, in der die Burg des Herzogs lag, verborgen durch die hohen Bäume, die die Lichtung umsäumten.
„Es sind vier Meilen bis zur Burg. Für euch beide ein leichtes, wenngleich auch die Strecke ihre Tücken hat. Aber ich vertraue auf dich und Shamtir.“
Talmo streichelte den Hals des Hengstes. Shamtir schnaubte leise.
Talmo Penderes holte tief Luft.
„Und jetzt muß ich zurück zur Burg des Herzogs.“
Er legte seinem Sohn beide Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen.
„Ich weiß, wer als erster aus dem Hohlweg kommen wird, Henno,“ sagte er. „Das werdet ihr beide sein – Du und Shamtir!“
Damit wandte er sich ab.
Henno sah seinem Vater hinterher, der in leichtem Trab die Lichtung Richtung Westen verließ. Dann schweifte sein Blick einmal mehr hinüber zum Biwak des Hauses Tarilon.
'Wenn es nur so einfach wäre', dachte er...
*****
„Du kannst nicht gewinnen und das weißt du auch,Henno!“ scholl Jola Tarilons Stimme zu ihm herüber.
Henno drehte den Kopf und sah den Rotschopf links aussen in der Reihe der fünf Reiter sitzen, die nebeneinander am Rande eines kleinen Bachlaufes Aufstellung genommen hatten - die natürliche Startlinie des Rennens. Er, Henno, war dankbar ganz rechts plaziert worden zu sein. Denn Jola hatte sich sehr verändert. Noch vor einem halben Jahr war es wie früher gewesen: Sie hatten sich zum Schwimmen getroffen, über ihre Pferde gesprochen und natürlich auch über das bevorstehende Rennen.
Aber von einem Tag zum nächsten hatte Jola sich zurückgezogen, sich nicht mehr mit ihm treffen wollen. Eine Erklärung dafür hatte Henno nicht finden können. Jola zu fragen hatte sich nicht ergeben. Und nun standen sie hier.
Vor ihnen eine weite Ebene wogenden Grases, etwa zwei Meilen welligen Bodens. Dahinter erhob sich steiniges Gelände, eine Gerölllandschaft. Der schwierigste Teil, wie Henno wußte. Loses Gestein, auf dem die Pferde ausgleiten konnten, zwar nur einige hundert Schritte lang, aber dennoch tückisch. Danach würde nur noch der Wald folgen und an dessen Ende die letzte Meile ebenes Gelände, in dem man seinem Pferd die Zügel freigeben konnte.
„Ihr Reiter – Achtung!“ rief der Herold aus der Höhe seines Ausgucks, von der er die fernen Höhenzüge hinter der herzoglichen Burg beobachtete. Jeden Augenblick konnte dort ein rotes Feuer in den Himmel steigen, das Signal für den Beginn.
Hennos Muskeln spannten sich und so auch die Shamtirs unter ihm. Die Ohren des Hengstes spielten nervös, die Erregung nahm zu. Die Blicke der Reiter richteten sich auf den Herold. Der wiederum spähte hinüber zu den fernen Höhen.
Dann riß er den Wimpel in seiner Hand hektisch nach oben und wedelte damit herum.
„Looos!!! - Reitet! Reitet wie der Wind!!!“ schrie der Herold mit überschnappender Stimme.
Die Wettkämpfer stießen ihren Pferden die Fersen in die Seiten und sprengten los.
Das Rennen hatte begonnen.
Hennos Blick klärte sich. Er wußte nicht wie und er wußte nicht warum, aber er und Shamtir lagen weit vorne. Er sah zurück. Wie erwartet war Jola hinter ihm. Die Reiter der anderen Häuser waren jetzt schon abgeschlagen und lagen weit zurück. Mietlinge auf ihnen fremden Pferden. Wo keine Seelenverbindung war, konnte Sieg nicht sein.
Jola und Berendes. Henno und Shamtir.
Und Jola holte auf mir jeder Sekunde, preschte heran durch das wogende Gras der Ebene. Henno sah nach vorn: In wenigen Sekunden waren sie in den Geröllfeldern.
„Jetzt mußt du vorsichtig sein, mein Freund!“ flüsterte er, sich vorbeugend, Shamtir zu. Dessen Ohren spielten, als hätte er die Worte genau verstanden.
Steinsplitter flogen empor, als die schmetternden Hufe über den Kies flogen.
Henno warf einen Blick zurück. Jola hatte fast aufgeschlossen. Er konnte den Triumph im Gesicht des anderen sehen.
Verbissen drückte er Shamtir die Schenkel in die Seiten. Der Hengst streckte sich, flog scheinbar über das tückische Gelände und ließ es hinter sich, stürmte auf den nahen Wald zu.
Aber aller Anstrengung zum Trotz: Jola und Berendes zogen gleichauf. Flockiger Schweiß war auf dem braunen Fell des Hengstes zu sehen, unter dem die Muskeln einen wilden Tanz aufzuführen schienen. Henno konnte den schweren Atem von Berendes hören, rythmisch und angestrengt, während Roß und Reiter sich langsam an ihm und Shamtir vorbeischoben.
„Wir sind die Besten!“ brüllte Jola zu ihm herüber. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. „Das Haus Tiralon wird erneut siegreich sein!“
Henno's Blick richtete sich nach vorne. Der Hohlweg. Der Eingang zur Passage durch den Wald bot nur Raum für einen Reiter. Und auch auf Shamtirs Fell begann jetzt der Schaum der Erschöpfung zu flocken...
Hinter Jola und Berendes schossen er und Shamtir in den Hohlweg. Eine einzige Chance blieb ihnen noch, ehe sie aus dem Wald auf die Schlußstrecke jagen würden: Eine Lichtung. Neunhundert Fuß lang. Die einzige Möglichkeit, an den beiden noch vorbei zu kommen.
Henno gab Shamtir die Zügel frei. Der Hengst streckte sich unter ihm, seine langen Beine holten weit aus. Pferd und Reiter preschten durch die enge Passage, dann weitete sich der Weg endlich und Shamtir flog.
Brachte sich und Henno wieder auf gleiche Höhe mit Jola und Berendes.
„Und jetzt?“ schrie Henno durch den Donner der Hufe ihrer nebeneinander herjagenden Pferde zu Jola herüber. Dessen Gesicht war von Anstrengung verzerrt.
„Immer noch so sicher, daß du gewinnst?“ Henno grinste triumphierend.
Und dann war Jola auf einmal weg. Aus den Augenwinkeln heraus sah Henno, wie Berendes in vollem Lauf einknickte. Wie Jola aus dem Sattel geschleudert wurde in einem grotesken, wirren Flug und dann plötzlich im Gebüsch verschwunden war.
Shamtirs Hufe trommelten über den Waldboden, brachten sie beide dem Ausgang des Hohlweges entgegen. Nur wenige Augenblicke später hatte er den Wald hinter sich gelassen. Vor ihm lag die Burg des Herzogs, flaggengeschmückt in Erwartung des siegreichen Reiters der fünf Häuser.
Henno zog hart an den Zügeln. Aus dem Galopp heraus verlangsamte er Shamtir zum Trab, danach zum Schritt. Und dann standen sie still. Henno blickte zum Wald zurück.
Er konnte den Jubel von der Burg her hören. Nur noch einige Dutzend Pferdelängen und das Haus Penderes würde in der Gunst des Königs stehen. Für drei Jahre.
Aber sollte Jola noch am Leben sein, was wäre der Wert der Gunst des Königs gemessen am Wert der Freundschaft?
Und so zog Henno die Zügel Shamtirs, ritt zurück und suchte nach Jola, während die Reiter der drei anderen Häuser an ihm vorüberpreschten. Weit abgeschlagen zuerst. Scheinbar siegreich jetzt.
Scheinbar. Henno lächelte...