Der braune Fleck - Eine Weihnachtsgeschichte

Es gibt 13 Antworten in diesem Thema, welches 2.967 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (16. Dezember 2020 um 19:20) ist von Tariq.

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    Der braune Fleck - Eine Weihnachtsgeschichte

    (Teil 1/3)

    Schon beim Öffnen der Beifahrertür streifte Hannah ein leichter Geruch von Holzkohlegrill und brutzelndem Fleisch. Und als sie ausgestiegen war, brandete förmlich eine Welle der verschiedensten Düfte über sie hinweg. Da war zuerst Tannengrün, vermischt mit frischem Harz. Dann erschnupperte sie gebrannte Mandeln und Glühwein. Und Räucherkerzchen.

    Unverwechselbar, so roch nur der Weihnachtsmarkt!

    Die Vorfreude ließ ihr Herz etwas schneller schlagen und sie befeuchtete erwartungsvoll die Lippen. Ihre braunen Augen begannen zu leuchten, während sie sich den dicken Schal zweimal um den Hals schlang und die blonde Haarsträhne, die unter der Pudelmütze herausgerutscht war, wieder zurückschob.

    Genießerisch schloss sie die Augen, lehnte sich mit dem Rücken ans Auto und sog die duftgeschwängerte Luft tief durch die Nase ein, um sie gleich darauf mit einem glücklichen Lächeln wieder auszustoßen. „Ich habe das so vermisst!“, stellte sie fest und seufzte.

    Von der Fahrerseite des Autos klang ein Lachen herüber, dann wurde die Autotür zugeknallt. Sie hörte das Klirren eines Schlüsselbunds hinter sich und das Klackern von hohen Absätzen auf dem Asphalt. Gleich darauf schob sich ein Arm um sie. Eine behandschuhte Hand legte sich auf ihre Schulter und Hannah spürte den tröstenden Druck einer festen Umarmung.

    Lächelnd öffnete sie die Augen wieder. „Dankeschön“, flüsterte sie und umfasste die Hand mit ihrer Linken, die trotz der knackigen Kälte keinen Handschuh trug.

    „Das hätten wir schon letztes Jahr tun sollen“, antwortete eine warme Frauenstimme neben ihr. „Ein Freundinnenbummel über den Weihnachtsmarkt. Mit Glühwein und Bratwurst und anderen Leckereien. Ich habe es dir angeboten, aber du wolltest nicht. Zu viele Leute, das war deine Ausrede. Kein Argument ließest du gelten, da konnte ich ins Feld führen, was ich wollte.“ Ein leises Seufzen schob sich zwischen die Worte. „Vielleicht nächstes Jahr, das war alles, wozu du dich überreden ließest. Madam zog sich in ihre vier Wände zurück wie eine Schnecke in ihr Haus.“

    „He!“ Hannah versetzte der Hand auf ihrer Schulter einen leichten Klaps. Dann wandte sie der Sprecherin den Kopf zu. „Aber du hast ja Recht. Wie immer. Ich war dumm.“

    Sophie, die Frau, die neben ihr stand, hatte heute nicht nachgegeben. Der Besuch war schon vor drei Wochen beschlossen worden und im selben Maße, wie der vereinbarte Zeitpunkt immer näher rückte, hatte Hannahs Nervosität zugenommen. Als es dann an der Tür klingelte, war sie fest entschlossen gewesen, zu Hause zu bleiben. Es stimmte, was Sophie sagte: Unter viele Menschen zu gehen vermied sie nach Möglichkeit. Eigentlich tat sie es nie.

    Das war nicht immer so. Erst seit ihrem Autounfall vor zwei Jahren. Er hatte alles verändert ...

    „Mein Reden“, unterbrach Sophie ihre Gedanken und klimperte drängelnd mit dem Autoschlüssel. „Ja, dein Unfall war schlimm und hat dein Leben aus dem gewohnten Trott gerissen. Aber du lebst noch. Begrab dich nicht selbst! Und jetzt komm, lass uns gehen. Vergiss deinen Rucksack nicht wieder!“

    „Den hab ich hier“, gab Hannah zurück und hielt ihn hoch, während sie mit der anderen Hand die Autotür zuwarf. In Gedanken verglich sie den schon etwas abgenutzten Lederbeutel mit der schicken City Bag, die Sophie bei ihren gemeinsamen Ausflügen immer bei sich trug. Diese und das elegante, graue Wollcape der Freundin verrieten, dass die Eigentümerin Geschmack und auch das dafür nötige Kleingeld besaß.

    Sophie lachte und schmiegte kurz den Kopf an ihre Schulter, wobei die pelzverbrämte Kapuze des Capes wie eine Liebkosung über Hannahs Wange strich. Die Bewegung ließ einen Hauch teuren Parfums folgen, der das Bratapfelaroma verdrängte.

    Hannah lächelte. Neben ihrer Freundin war sie eine typische graue Maus. Kein Make-up, kein Schmuck, keine schicken Klamotten. Diese Dinge waren ihr nicht wichtig.

    Und Sophie war das von Beginn ihrer Freundschaft an schnurzegal gewesen. Sie hängte sich bei Hannah ein und zog sie vorwärts. „Ich habe schon richtig Hunger“, verkündete sie ungeduldig. „Zuerst will ich eine Bratwurst und ein Bier.“

    „Ein Bier?“ Hannah legte eine gehörige Portion Entrüstung in ihre Stimme, obgleich sie genau wusste, was die Freundin meinte. „Du musst fahren!“

    Die stieg prompt auf das Spiel ein. „Stimmt“, sinnierte sie halblaut, „dann brauch ich was Stärkeres.“

    Die Hand in Hannahs Ellenbeuge drückte scherzhaft kurz zu und beide prusteten wie auf Kommando los.

    Sie hatten nicht weit zu laufen. Man konnte die Geräusche schon hören. Weihnachtsmusik, Stimmengewirr, Gläserklirren, Lachen und Schritte. Die Schritte vieler Menschen. Als sie um die Straßenecke bogen, blieb Sophie kurz stehen. „Oh, dieses Jahr ist der Baum sogar mal ganz ansehnlich“, lästerte sie und erntete einen leichten Rippenstoß.

    „Ist doch egal“, wurde sie zurechtgewiesen, „Hauptsache, er leuchtet. Vor zwei Jahren sah er einfach nur schlimm ...“ Hannah beendete den Satz nicht und Sophie, die wusste, warum sie ihn abgebrochen hatte, sagte nichts darauf.

    Noch bevor sie ihr Ziel erreichten, wurde Hannah wieder unruhig. Je näher sie kamen, desto langsamer setzte sie ihre Schritte.

    Sophie, die es sofort registrierte, ließ das nicht zu. Sie hängte sich ein wenig fester bei ihr ein und schob sie so rigoros vorwärts. Und dann waren sie da.

    Schlagartig wurden sie von den sich gegenseitig schiebenden und drängenden Menschen erfasst und fast mitgerissen. Lärm umgab sie und doch war kaum ein einziges Wort klar zu verstehen. Die Musik vermischte sich zu einem schrägen Missklang. Gleich neben dem Eingang stand ein Leierkastenmann. Dessen etwas klägliches „Oh Tannenbaum“ versuchte verzweifelt, sich gegen das „Last Christmas“ von Wham zu behaupten, das aus den überall aufgehängten Lautsprechern schepperte.

    Leute stießen sie an. Manche entschuldigten sich, andere knurrten ungehalten, weil die beiden Frauen stehen geblieben waren.

    Hannah roch Bierdunst und Schweiß. Zigarettenrauch. Angewidert zog sie die Nase kraus. Aber das Schlimmste waren die Farben. Bunte Kleckse, die sich vor ihren Augen unablässig bewegten. Unzählige Farbtöne waren zu erkennen. Sie tauchten auf, verschwanden, arrangierten sich, verteilten sich, neue erschienen, ... es war beängstigend.

    Sophie merkte, was in Hannah vorging und wie die Freundin sich versteifte. Außerdem spürte sie, dass deren Finger fast panisch ihre Hand umklammerten. Schnell sah sie sich um.

    „Wir setzen uns jetzt erstmal hier auf die Bank“, entschied sie kurzerhand und zog Hannah behutsam ein wenig nach rechts und damit heraus aus dem Pulk von durcheinanderlaufenden und schiebenden Menschen. „Ganz ruhig. Schau auf den Boden. Du kannst dich entspannen. Dir wird nichts geschehen. Versprochen. Komm, setz dich.“

    Mit linkischen Bewegungen folgte Hannah der Anweisung. Steif hockte sie auf der Bank, den Rücken kerzengerade durchgedrückt, als hätte sie einen Stock als Wirbelsäule. Sie atmete tief durch, kniff die Augen zu und rief sich die Worte ihres Psychiaters ins Gedächtnis, der versucht hatte sie auf solche Situationen vorzubereiten.

    Angestrengt presste sie die Lippen zusammen, so sehr konzentrierte sie sich, während sie spürte, wie Sophies Hand ihr beruhigend über den Rücken strich. Von oben nach unten, von oben nach unten ...

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    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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    7 Mal editiert, zuletzt von Tariq (2. Oktober 2023 um 15:34)

  • Hallöchen Tariq :)

    ich glaube das ist das erste mal, dass ich etwas von dir gelesen habe und muss sagen: Gefällt mir gut :hmm: Der Start dieser Geschichte ist dir schon mal total gelungen und ich bin überaus gespannt darauf wie es weiter gehen wird. :thumbup:

    Ich finde es schön zu lesen, wie du beschreibst. Dein Schreibstil sagt mir sehr zu. :)


    Schon beim Öffnen der Beifahrertür streifte Hannah ein leichter Geruch von Holzkohlegrill und brutzelndem Fleisch. Und als sie ausgestiegen war, brandete förmlich eine Welle der verschiedensten Düfte über sie hinweg. Da war zuerst Tannengrün, vermischt mit frischem Harz. Dann erschnupperte sie gebrannte Mandeln und Glühwein. Und Räucherkerzchen.

    Gleich der Einstieg, schon richtig klasse. Ich hatte sofort das Gefühl ich wäre dort. :love:

    Bildhafte Sprache, sehr atmosphärischer Aufbau der Szene, einfach top! :metal:

    Das war nicht immer so. Erst seit ihrem Autounfall vor zwei Jahren. Er hatte alles verändert ...

    Sie ist definitiv nicht zu beneiden. Ich hoffe im Rest der Geschichte wird sie dieses traumatische Erlebnis überwinden können. Ich gönne es ihr :hmm:


    Angestrengt presste sie die Lippen zusammen, so sehr konzentrierte sie sich, während sie spürte, wie Sophies Hand ihr beruhigend über den Rücken strich. Von oben nach unten, von oben nach unten ...

    Ein guter Abschluss für diesen ersten Teil. Lässt mich definitiv nachdenklich zurück, da ich echt gerne wissen will was als nächstes passiert.


    Zum Abschluss muss ich noch sagen, dass die beiden Figuren sehr gut rüber kommen und mir ihre Gespräche gut gefallen.

    Es hat sich definitiv gelohnt den Anfang dieser Geschichte von dir zu lesen.

    Korrektur über lass ich jetzt erstmal anderen, jetzt wo es auf die Abendstunden zugeht ist mir das zu anstrengend :ninja:

    Vielen Dank dafür, dass wir diese Geschichte hier lesen dürfen und ich kann nur sagen, weiter so! 8)

    Grüße vom Dämonenfürst Astrael Xardaban

    Es heißt nicht dumm, sondern: geistig unbewaffnete, verbal inkompetente, bildungsresistente, kognitiv suboptimierte, parasitäre Nebenexistenz.

    Als ich neulich in das Zimmer meines bekifften Mitbewohners kam, saß er im Schneidersitz mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden und sagte mit völlig ernstem Ton zu mir: "Auch wenn wir uns auf der selben Position befinden, bist du nicht auf meinem Breitengrad."

    Hans Riegel aus Bonn gründete 1920 Haribo. Sein einziger Konkurrent, Valentin Ginser aus Nassau, hatte nie wirklich eine Chance.

    Kannibalenstämme in Papua-Neuguinea bieten an Flüchtlinge aufzunehmen. Damit wäre das Thema dann wohl gegessen.

    Porno im Mittelalter:

    "Aus welchem Grund liegt ebendort auf dem Boden gedroschenes Getreide?"

    "Warum verbergt ihr euer Antlitz mit dieser Maskerade?"

    "So sauget an meinem Gemächt!"

    Warum ist der Turm von Pisa schief? Er hat bessere Reflexe als das World Trade Center

    Was haben Donald Trumps Haare und ein Tanga gemeinsam? Beide bedecken kaum das Arschloch


  • Liebe Tariq ,

    oh nein, jetzt bekomme ich direkt Sehnsucht nach dem Weihnachtsmarkt. Die Stimmung hast du wunderbar eingefangen und man fühlte sich förmlich selbst dort, wobei natürlich jeder Leser "seinen" individuellen Weihnachtsmarkt dann vor Augen hat, denke ich mal. Ich jedenfalls versetzte mich automatisch an unseren historischen Ruprechtsmarkt, der natürlich dieses Jahr ausfällt... :(

    Zu deiner Geschichte: sehr einfühlsam, sehr behutsam geschrieben, die schönen Beschreibungen und atmosphärischen Verdichtungen kennt man ja schon von dir. Am Anfang dachte ich tatsächlich, Hannah wäre blind, denn zu Beginn beschreibst du fast ausschließlich Sinne des Riechens und Hörens. Erst später, als Sophie beschrieben wird, kommen die visuellen Reize hinzu. Das fand ich extrem spannend und würde gern wissen, ob das absichtlich so gesetzt wurde.

    Ansonsten hoffe ich natürlich auch bald zu erfahren, wie es weitergeht.

    Liebe Grüße

    Stadtnymphe

    Was ich schreibe: Eden

  • Astrael Xardaban und Stadtnymphe

    Ich freu ich total, dass ihr bei mir reingeschaut habt, Astrael Xardaban und Stadtnymphe , und dass euch die kleine Weihnachtsgeschichte gefällt!! Schön zu hören, dass ich euch im Kopf mitnehmen konnte auf den Weihnachtsmarkt (als ich sie letztes Jahr geschrieben habe, wusste ich ja noch nicht, dass es in diesem Jahr keinen geben wird ^^ ). Eure Gedanken dazu sind spannend. Ich will euch auch nicht auf die Folter spannen - Heut habe ich den zweiten Teil für euch.

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    (Teil 2/3)

    Es funktionierte schon nach wenigen Sekunden. Die immer und immer wieder absolvierten Übungen trugen Früchte. Konsequent zog sie sich in sich selbst zurück. Dann aktivierte sie die Filter im Kopf, welche sie mit der Hilfe ihres Psychiaters konstruiert hatte. So konnte sie die Flut der auf sie einprasselnden Sinneswahrnehmungen kontrollieren und steuern. Sie begann mit der Dämpfung des Gehörs und alle Geräusche um sie herum verklangen nach und nach zu einem undefinierbaren Brummen. Als Nächstes drosselte sie den Geruchssinn. Die Düfte verloren ihre Intensität und ließen sich nicht mehr unterscheiden. Und erst als sie das geschafft hatte, konzentrierte sie sich auf die Farben.

    „Geht es?“, hörte sie Sophies leise und besorgte Stimme nach einer Weile. Dankbarkeit ergriff sie, denn die Freundin wusste, dass sie nichts anderes als Zeit benötigte, um die Attacke niederzuringen.

    Ein erleichtertes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, als sie nickte, ohne die Augen zu öffnen. „Es geht“, gab sie zurück. „Gib mir noch eine Minute, ja?“

    „Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Kann ich dich einen Moment alleinlassen? Dann hole ich uns einen Punsch, damit wir nicht anfangen zu frieren.“

    „Gute Idee“, stimmte Hannah zu. „Ich warte hier.“ Sie öffnete die Augen wieder und lächelte beruhigend, weil sie an Sophies Stimme hören konnte, dass die Freundin sie nur ungern hier zurückließ.

    „In Ordnung. Bin gleich wieder da.“ Das bekannte Klacken der hohen Absätze verlor sich kurz darauf im Gewühl der Menschen.

    Erneut kniff Hannah die Augen zu und tauchte in sich selbst hinein. Jetzt konnte sie die Farben hinter ihren geschlossenen Lidern gelassen betrachten. Es war ganz einfach. Ihr Blick folgte den einzelnen Nuancen von Blau, Grün und Weiß, die sich an ihr vorbeischoben. Jede Person war von einer anderen Farbe umgeben, je nach Laune und Stimmung. Ab und zu fand sich ein kräftig leuchtendes Rot dazwischen. Sie lächelte, wenn sie es sah, denn dieses Rot bedeutete Liebe und Wärme bei der Person, die es umhüllte. Und deshalb bewegte sich diese Farbe meist im Doppelpack. Viel Gelb gab es und auch Orange, besonders bei den kleinen Silhouetten, aber Aufregung und Ungeduld waren ja normal hier an diesem Ort.

    Dann entdeckte sie ihn. Einen runden Fleck, tiefbraun und dunkel. Er bewegte sich nicht, verharrte still an einer Stelle schräg gegenüber von ihr. Die Entfernung konnte sie schlecht schätzen. Aber der Fleck war so klein ... viel kleiner als die anderen. Beunruhigt spitzte sie die Ohren, ob aus der Richtung auffällige Geräusche kamen. Doch da war nichts zu hören außer Sophies Absätzen, die sich eben wieder näherten.

    „Hier, dein Punsch“, meinte die Freundin, als sie sich neben ihr niederließ. „Pass auf, ist kochend heiß.“

    Hannah nahm ihr das Getränk ab und schloss beide Hände um den Pappbecher.

    „Sophie, hier ist was Braunes“, meinte sie. „Und es ist klein. Gleich da drüben.“ Sie nickte mit dem Kopf in die Richtung.

    „Braun? Hier an diesem Ort? Und klein?“ Die Antwort zeigte, dass ihre Freundin keinen Zweifel an ihren Worten hatte. Im Gegenteil, sie war sofort genauso besorgt wie Hannah selbst. „Ist es sehr dunkel?“

    „Ziemlich. Kannst du vielleicht irgendwas Auffälliges sehen?“

    „Nein, nicht von hier. Lass uns mal hingehen. Wenn du Braun siehst, sollten wir nachschauen.“

    Sofort stand Hannah auf. Sie war dankbar, dass sie Sophie an ihrer Seite hatte, die die Sache ernst nahm. Ihre Freundin hatte damals verblüfft gelauscht, ohne sie einmal zu unterbrechen, als sie ihr das erste Mal von den Farben erzählt hatte.

    Sie waren schon immer da gewesen, seit sie denken konnte. Bereits als kleines Kind hatte sie die Augen geschlossen und staunend die bunten Schlieren betrachtet, die die Silhouetten der Leute umgaben. Sie verrieten ihr, welche Gefühle und Stimmungen den jeweiligen Menschen gerade beherrschten. Bei der Mutter war es meistens Blau gewesen. Ihre Ruhe und Ausgeglichenheit ließen die Farbe förmlich leuchten. Nur wenn sie mit dem Vater stritt, wurde es dunkler und Lila löste dann das Blau ab, das Zeichen für Mutters Hilflosigkeit und Mutlosigkeit. Bei ihrem Vater war da nur Rot zu sehen, mit Grau vermischt zu einem schmutzigen, sehr dunklen Rot, das seinen Jähzorn und seine unerklärliche Aggressivität zeigte.

    Und dann hatte es noch Tanyel gegeben, ihren zwei Jahre älteren Bruder. Tanyel leuchtete in Ocker, der Farbe für Gemütlichkeit, Stabilität und Sicherheit. Er war ihr Idol und ihr Fels gewesen. Seine Arme hatten ihr Zuflucht geboten, wenn der Vater die Mutter anschrie. Seine Stimme hatte sie getröstet, wenn sie vor Angst schluchzte, weil sie ihre Mama weinen sah.

    Sie war acht Jahre alt gewesen und Tanyel zehn, als ihre Kindheit jäh endete. An dem Tag hatte sie den Nachmittag und auch den Abend bei einer Schulfreundin verbracht und dann dort übernachtet. Am nächsten Morgen war die Polizei in die Schule gekommen. Man hatte sie aus dem Unterricht geholt und ihr erklärt, dass ihre Eltern tot waren. Und dass Tanyel vermisst wurde. Er war bis heute nicht gefunden worden.

    Sie hatte sich gefühlt, als hätte man eine Hälfte von ihr weggeschnitten. Ihr Bruder hatte genau wie sie die Farben sehen können, wenn er die Augen schloss oder wenn es dunkel war. Es hatte sie fest miteinander verbunden. Fester als es jedes andere Band gekonnt hätte. Doch sie hatte ihn nie mehr wiedergesehen.

    „Gut, konzentrier dich nur auf dem Fleck und sag mir, wo er ist. Ich gehe voraus.“ Sophies Stimme zerriss das Gewebe ihrer Erinnerungen.

    Hannah nickte und schloss erneut die Augen, um den braunen Punkt zu fokussieren. „Diese Richtung.“ Ihr Zeigefinger wies den Weg.

    Die Freundin ergriff kurzerhand die ausgestreckte Hand und zog Hannah ohne viel Federlesens hinter sich her. Die beiden auf der Bank stehenden Punschbecher waren vergessen.

    „Mehr rechts“, meinte Hannah nach ein paar Schritten, denn Sophie konnte den Fleck ja nicht sehen. „Es ist so ein kleiner Klecks, ich glaube, es ist ein Kind.“

    Ein Kind, das panische Angst hatte, denn das Braun war wirklich dunkel. Und das noch dazu ganz allein war, denn um den Fleck herum war nichts. Da leuchtete keine weitere Farbe.

    „Rechts? Da ist nur der Weihnachtsbaumverkäufer“, rief Sophie über ihre Schulter, um Mariah Careys „O Holy Night“ zu übertönen.

    „Egal, dort ist es!“ Hannah stieß mit einem Mann zusammen, der ihr in den Weg lief. Sie entschuldigte sich halbherzig, nachdem sie ein derbes Schimpfwort von ihm hörte, und wedelte den Gestank von billigem Fusel mit der Hand weg.

    Sophie blieb stehen und fast wäre Hannah deshalb mit ihr zusammengestoßen.

    „Du musst dich irren, hier sind nur Weihnachtsbäume“, meinte die Freundin enttäuscht.

    Doch Hannah schüttelte den Kopf. „Nein“, gab sie kategorisch zurück. „Lass mich vorangehen. Ich sehe es.“

    „Ja, wer auch sonst?“, konterte Sophie trocken. „Wir finden es schon. Wo soll ich suchen?“

    Die Absätze knallten auf den Asphalt, als sie nun entschlossen in das abgeteilte Areal hineinging und Hannah einfach wieder hinter sich her zerrte.

    „Weiter geradeaus, die Richtung stimmt“, bestimmte diese und verkündete gleich darauf: „Hier ist es. Genau vor uns.“

    „Ich sag doch - nur Weihnachtsbäume“, hörte sie Sophie murmeln, während sie den braunen Fleck nicht aus den Augen ließ. Inzwischen erkannte sie, dass es ein Kind war, das sich zusammengekauert hatte.

    „Bück dich“, wies sie die Freundin an. „Ganz unten.“

    Es raschelte, als Sophie die Bäume beiseiteschob. Einmal hörte Hannah sie ungehalten knurren und nahm dabei den Duft von Kiefernharz wahr.

    Dann wurde es still.

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    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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    5 Mal editiert, zuletzt von Tariq (2. Oktober 2023 um 15:36)

  • Es geht spannend weiter und nun habe ich auch eine Idee, warum dieses Geschichtchen bei "Urban Fantasy" gelandet ist. Diese Art der Aura-Beschreibung ist ja nicht unbekannt in der Literatur, ich finde es aber total schön, wie du konkret die Farbsymbolika mit hineinbringst. Hannah scheint also etwas Besonders zu sein und ich bin gespannt, auf wen sie und Sophie da stoßen werden. Wie immer schön malerisch und sensibel geschrieben, danke dir.

    Was ich schreibe: Eden

  • Spoiler anzeigen

    Ich hatte ehrlich gesagt Probleme, die richtige Kategorie für die Geschichte zu finden, Stadtnymphe , weil Urban Fantasy ja in der realen Welt spielen und irgendwie einen Zugang zu einer fantastischen Welt haben soll.

    Hierbei handelt es sich um Geschichten, in denen die reale Welt mit phantastischen, magischen Welten verschmilzt. Beispiel: Der Protagonist gelangt durch ein Portal auf der Erde in eine andere Welt

    Aber ich habe es dann doch hier eingestellt. ^^

    Ich freu mich, dass du es spannend findest und so nette Worte für die kleine Geschichte findest. :danke:

    Astrael Xardaban , Kiddel Fee , Stadtnymphe und Cory Thain : Danke für's Lesen euch allen und auch für eure Likes!

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    (Teil 3/3)

    „Na, kleines Fräulein?“, hörte Hannah die Freundin leise sagen. „Was machst du denn hier unten?“

    „Ich muss mich verstecken“, wisperte ein zittriges Stimmchen.

    „Verstecken? Wovor denn?“

    „Vor dem Weihnachtsmann.“ Es war nur ein angstvolles Flüstern, das das Kind von sich gab, und es zeigte die Panik, die in der kleinen Person vorherrschte. Unsagbare Angst. Dunkelbraun.

    „Ah ja. Das versteh ich. Der ist wirklich zum Fürchten. Doch keine Angst, ich beschütze dich“, versprach Sophie mit entschlossen klingender Stimme. „Du kannst herauskommen.“

    „Aber dann findet er mich!“

    Hannah war vorsichtig einen kleinen Schritt nähergetreten. Sie fand, dass Sophies Worte nicht geeignet waren, dem furchtsamen Geschöpf die Angst zu nehmen. „Warum fürchtest du dich denn so vor ihm?“, erkundigte sie sich.

    Wieder raschelten die Tannenbäume, dann schlurften Schuhsohlen über den Asphalt. „So“, meinte Sophie zufrieden, „du kannst aufstehen. Oh, du hast dich ganz schmutzig gemacht. Jetzt kriegst du erstmal was Warmes zu trinken. Bist du ganz allein hier?“

    „Malte, mein Bruder, ist mit mir hergekommen. Bestimmt sucht er mich schon.“ Mühsam zurückgehaltene Tränen ließen das Stimmchen fast kippen. „Mama und Papa werden mit ihm schimpfen. Ich bin einfach weggerannt.“

    „Wieso?“, wollte Hannah noch einmal wissen.

    „Ich habe ihn gesehen. Den Weihnachtsmann.“

    „Und da bist du einfach losgelaufen und hast dich unter den ganzen Tannenbäumen versteckt“, schlussfolgerte Sophie. „Schau mal, deine hübschen Zöpfe und die rosa Pudelmütze sind voller Tannennadeln. Und hier am Schal hast du Harz ... Nein, nun wein doch nicht schon wieder. Das ist nicht schlimm.“ Sie seufzte und stieß Hannah ratlos an.

    „Dein armer Bruder hat also keine Ahnung, wo du steckst“, fuhr diese nachdenklich fort. „Wo er wohl ist?“

    „Ich fürchte, wir müssen dich zur Polizei bringen“, verkündete Sophie, „die finden ihn schon.“

    Das Mädchen gab einen quietschenden Laut von sich, der von schierem Entsetzen kündete.

    Das hielt Hannah für keine gute Idee. „Warte noch. Ich finde ihn“, meinte sie entschlossen. „Du kannst ihr inzwischen einen Kakao kaufen und ich bleibe hier am Tor stehen. Wenn er nach ihr sucht, werde ich ihn entdecken.“

    „Wie willst du ... ah, ich verstehe. Du denkst, der Junge ist mindestens genauso braun wie unsere kleine Ausreißerin hier, nicht wahr? Und zwar so lange, bis er seine Schwester gefunden hat.“ Sie lachte leise, doch dann wurde sie wieder ernst. „Bist du dir sicher?“, vergewisserte sie sich.

    Hannah nickte entschieden.

    „Gut. Wenn du meinst, du schaffst das, dann machen wir es so. Du bleibst hier und ich bin gleich mit ihr zurück. Fünf Minuten, länger nicht.“ Sophie wartete noch auf ihr zuversichtliches Nicken, dann verschwand sie mit dem Kind.

    Hannah schloss wieder die Augen. Neben dem blauen Leuchten ihrer Freundin sah sie das kleinere Persönchen, dessen Farbe sich inzwischen zu einem hellen Ocker gewandelt hatte, nachdem das Thema Polizei erstmal vom Tisch war. Nicht mehr lange und es würde ein kindlich unschuldiges Weiß sein.

    Entschlossen straffte sie die Schultern und hob den Kopf. Sie war ganz allein und die Menschen strömten an ihr vorbei, lachten, scherzten, stritten, grölten. Doch keiner behelligte sie und sie verspürte auch keinerlei Panik. Jetzt konnte sie ihre Gabe nutzen, endlich etwas Sinnvolles damit anstellen. Ganz ruhig stand sie da und ließ die farbumhüllten Silhouetten an sich vorüberziehen.

    Halt, da war Braun gewesen. Ganz kurz nur, gleich wieder verschwunden. Sie richtete den Blick auf die Stelle. Da - erneut ein huschendes Braun, das sofort wieder hinter den anderen Farben abtauchte. Da war jemand flink unterwegs.

    Ob sie hingehen sollte? Allein? Durch die ganzen Menschen? Das Herz raste schon in ihrer Brust, obwohl sie nur daran dachte. Doch als sie es das nächste Mal sah, war es bedeutend näher. Und nachdem es ein weiteres Mal kurz verschwunden war, tauchte es unmittelbar vor ihr zwischen zwei roten Silhouetten auf.

    „Malte!“, rief sie kurzentschlossen. „Malte!“

    Die braun schillernde Person blieb stehen. Ein Kind war es, schien ihr nicht mal bis zur Schulter zu reichen.

    „Bist du Malte?“, wollte sie wissen.

    „Woher wissen Sie meinen Namen?“, kam es zögernd zurück.

    Hannah lachte. Sie hatte ihn tatsächlich gefunden.

    „Deine Schwester hat ihn mir verraten“, antwortete sie immer noch lächelnd. „Bleib hier bei mir, sie kommt gleich.“

    „Sie haben Hanna gesehen?“, fragte der Junge jetzt verblüfft. „Wo ist sie?“

    Oh, die letzten drei Worte hatten zornig geklungen, erkannte Hannah belustigt und freute sich gleichzeitig, dass der verschreckte kleine Findling den gleichen Vornamen trug wie sie selbst.

    „Geduld“, mahnte sie, „sie kommt schon.“

    „Malte!“ Der erleichterte Schrei des kleinen Mädchens gellte über die dudelnde Musik hinweg. Eine kleine, weiß umhüllte Gestalt rannte auf Hannah und den Jungen zu, während sich das Weiß in ein strahlendes Gelb änderte. Die Farbe der Erleichterung und Freude. Je strahlender, je größer die Freude. Und dieses Strahlen hier konnte es mit der Sonne aufnehmen.

    Noch bevor sie sich versah, hing der kleine gelbe Schemen am Hals des Größeren, der inzwischen in derselben Farbe leuchtete.

    „Hanna!“, schimpfte er, doch die Freude in der Stimme war unüberhörbar. „Wo warst du? Ich habe alles nach dir abgesucht!“

    „Ich habe den Weihnachtsmann gesehen und da musste ich mich doch schnell verstecken.“

    „Verstecken? Warum denn? Der ... ach, etwa weil ich gesagt habe, der steckt böse kleine Kinder in seinen Sack und haut mit der Rute drauf?“

    Das kleinere gelbe Persönchen gewann einen Schimmer Braun zurück. „Ja“, konnte Hannah leise hören.

    „Das erklärt einiges“, murmelte Sophie an ihrer Seite amüsiert.

    „Aber du bist doch gar nicht böse“, versuchte Malte seine Schwester zu beruhigen.

    „Doch“, kam es gedämpft zurück von der Kleinen, die ihren Bruder noch nicht losgelassen hatte. „Ich habe dem Mann vorhin Senf an den Ärmel geschmiert. Aber ich wollte das gar nicht.“

    „Ach du Dummchen. Hättest du doch was gesagt.“ Eine Weile schwiegen alle vier, nur Hannas Schniefen war zu hören. „Vielen Dank, dass Sie sie gefunden haben“, wandte sich der Junge dann an die Frauen. „Ich wäre ohne meine Schwester heute nicht nach Hause gegangen.“

    „Ist doch alles gut jetzt. Hanna, du kannst froh sein, so einen Bruder zu haben, der dich überall gesucht hat.“ Sie beugte sich herab bis zu dem Ohr der Kleinen. „Dafür würde ich ihm etwas ganz Schönes zu Weihnachten schenken“, fügte sie flüsternd hinzu.

    Hanna nickte. „Das mach ich. Ganz bestimmt.“

    „Wir gehen jetzt besser heim“, verkündete Malte. „Mama und Papa werden schon warten. Sag auf Wiedersehen zu den beiden Damen.“

    Eine winzige, warme Hand schob sich in die von Hannah. „Vielen Dank“, wisperte die Kleine.

    „Auf Wiedersehen, ihr zwei“, gab sie lächelnd zurück. „Und schöne Weihnachten.“

    Die beiden jetzt wieder in sattem Gelb leuchtenden Persönchen entfernten sich. Die kleine Schwester und der besorgte große Bruder. Wie Tanyel und ich damals, dachte Hannah bekümmert.

    Ein paar Augenblicke noch stand sie mit ihrer Freundin neben dem Eingang zum Weihnachtsbaumverkauf, dann schob Sophie wieder ihre Hand in Hannahs Ellenbeuge. „Also ich denke, unser Punsch auf der Bank ist kaltgeworden. Lass uns einen neuen holen. Und Hunger habe ich immer noch. Jetzt noch mehr als vorhin.“

    Hannah lachte. „Okay, auf geht’s.“

    Schon nach zwei Schritten wurde sie grob angerempelt.

    „Passen Sie doch auf“, polterte eine harte Männerstimme. „Haben Sie keine Augen im Kopf?!“

    „Doch“, konterte Sophie an Hannahs Stelle kalt. „Die hat sie. Genau wie Sie. Das Dumme ist nur, dass meine Freundin blind ist.“

    Und ohne auf eine Antwort oder Entschuldigung des Mannes zu warten, packte sie Hannah noch ein wenig fester am Arm und strebte mit ihr dem Bratwurststand zu.

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    Trivia

    Die Geschichte ist streng genommen eine Fan-Fiction. Tanyel, der vermisste Bruder von Hannah, ist einer der Charaktere in meiner Roman-Trilogie "Guardians".

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

    ___________________

    4 Mal editiert, zuletzt von Tariq (2. Oktober 2023 um 15:37)

  • Spoiler anzeigen

    Warte, Tariq . Jetzt bin ich verwirrt. Ist sie doch blind, so wie ich es am Anfang dachte, oder ist das nur ein Scherz vonseiten Sophie? Was ich allerdings nicht annehme, in dieser Situation macht man doch keine Witze. Dann würde das aber heißen, du hast zwischendurch einen auktorialen Erzähler drin, der das Sichtbare beschreibt, oder? Das kann Hannah ja nicht sehen, dass Sophie das und das anhat etc.

    ;( ...?

    Ansonsten ein sehr schönes und rührendes Ende. Vielen Dank!<3

    Was ich schreibe: Eden

  • Liebe Stadtnymphe , das ist mir bewusst. Ich habe lange überlegt, wie ich das ändere, aber dem Leser bleiben wichtige Dinge vorenthalten, wenn nur Hannah "zu Wort kommt". Aber du hast recht und ich schaue mir das nochmal an.

    Und ich danke dir!!

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Spoiler anzeigen

    Wieso sollte Hannah nicht wissen, wie Sophie aussieht? Immerhin ist sie nicht seit Geburt an blind. Ich hatte den Eindruck, die zwei kennen sich schon etwas länger. (isn't it, Tariq ?)


    Ich mag die Geschichte sehr, Magie gibt es überall. Auch in unsrem Leben. Wir haben (vielleicht) nur zu weit offene Augen, um sie zu sehen.

    Frohe Weihnachten Euch allen!

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
    -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Stadtnymphe und Cory Thain

    Noch einmal lieben Dank euch beiden!!

    Stadtnymphe

    Ich habe noch einmal nachgebessert. Da war wirklich ein Teil drin, der vom auktorialen Erzähler stammen musste, und zwar, dass Sophies Handtasche über der Schulter hing und dass sie sich die Kapuze hochgezogen hat. Das konnte Hannah wirklich nicht sehen. Denn du hattest recht: Sie ist blind. Ein bisschen grämt es mich ja, dass du schon beizeiten drauf gekommen bist, denn das sollte die Pointe sein. :pardon:

    Dankeschön, dass du dabei warst bei diesem Weihnachtsmarktbesuch ^^

    Cory Thain

    Es stimmt, Hannah weiß, wie Sophie aussieht, denn sie sind schon vor dem Unfall Freundinnen gewesen. Schön, dass du das so herausgelesen hast. Aber manche Dinge muss sie sehen können, um sie zu bemerken, und das hat an einigen Stellen nicht ganz gepasst. Deshalb hab ich nochmal die Feile angesetzt. Aber ich freu mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Vielen Dank für dein Interesse.

    Euch beiden auch schöne Weihnachten. smilie_xmas_151.gif

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Liebe Tariq ,

    da habe ich mich gleich mal an die Arbeit gemacht. Ich habe alles rausgesucht, was im engeren (also wirklich streng bewerteten!) Sinne auktorial zu sehen ist. Ich habe mich hier einfach mal (dem veralteten) Modell Stanzls bedient. Es gäbe noch ein anderes von Genette, das da differenzierter vorgeht, glaube aber, dass Stanzl hier reicht. Es ist auch tatsächlich recht engstirnig, bitte fass es nicht als Besserwisserei auf :P

    Liebe Grüße :)

    Spoiler anzeigen
    Zitat

    Ihre braunen Augen begannen zu leuchten, während sie sich den dicken Schal zweimal um den Hals schlang und die blonde Haarsträhne, die unter der Pudelmütze herausgerutscht war, wieder zurückschob.

    Hier verwendest du "braun" und "blond" - klar, Hannah weiß, wie sie aussieht, aber es kann strenggenommen trotzdem eine Passage eines auktorialen Erzählers sein. Denn Hannah würde sich selbst doch wohl kaum in Erinnerung rufen, dass ihre Augen- und Haarfarbe so und so sind. Die Information dient hier dem Leser, das macht der Erzähler klar, der das nämlich sehen kann. Insofern: auktorial.

    Zitat

    In Gedanken verglich sie den einfachen und schon etwas abgenutzten Lederbeutel mit der schicken City Bag, die Sophie bei sich hatte. Diese und das elegante graue Wollcape der Freundin verrieten,

    Nun gut, das ist auch sehr eng gesehen: Woher weiß Hannah, dass Sophie heute ausgerechnet diese Tasche bei sich hat? Da müsste sie sie ja gefühlt haben oder so. Frauen haben doch mehrere Taschen :D Außerdem "das elegante graue Wollcape" - könnte Hannah natürlich auch erfühlt haben, steht aber nirgendwo. Insofern: auktorial, da sie als persönlicher Erzähler es ja nicht zwingend weiß.

    Zitat

    Gleich neben dem Eingang stand ein Leierkastenmann.

    Woher weiß sie, dass es ein Mann ist? :P

    Zitat

    Sophie merkte, was in Hannah vorging und wie die Freundin sich versteifte. Außerdem spürte sie, dass deren Finger fast panisch ihre Hand umklammerten.

    Hier hast du einen Wechsel zu Sophie als Erzähler! Ganz klar, das Innenleben wird präsentiert. Und zwar nicht das von Hannah. Du könntest es ändern in "Sophie schien zu merken..."

    Zitat

    Vergessen standen die beiden Punschbecher auf der Bank.

    Das kann Hannah nicht sehen. Sie weiß es zwar, aber ob jemand kommt und einen wegnimmt, ob ein Becher umgerempelt wird etc... weiß sie nicht. Für mich liest sich das wie eine Drüberschau des Geschehens von oben - klares Indiz für auktorialen Erzähler.

    Zitat

    Er hob den Kopf und sah Sophie an.

    Auch das kann Hannah nicht sehen.

    Zitat

    Und ohne den verdutzt dastehenden Mann eines weiteren Blickes zu würdigen

    ...ebenso wie das.


    Ich hoffe es hilft dir! :)

    Was ich schreibe: Eden

  • Liebe Stadtnymphe

    Spoiler anzeigen

    Denn Hannah würde sich selbst doch wohl kaum in Erinnerung rufen, dass ihre Augen- und Haarfarbe so und so sind. Die Information dient hier dem Leser

    Das stimmt und ich habe damit dem Leser Hannahs Äußeres vorstellen wollen. Mir fiel keine andere Möglichkeit dafür ein und ich dachte, dass es subtil genug ist, um nicht mit dem Holzhammer zu kommen.

    Wegen dem, was Sophie trägt, würde ich nichts ändern. Die beiden sind vorher miteinander im Auto gefahren und Sophie hat Hannah abgeholt. Da setze ich mal frech voraus, dass der Leser annimmt, dass sich die beiden über ihr Outfit unterhalten haben. Frauen halt :pardon:

    Beim Leierkastenmann, bei den Punschbechern, bei Maltes Blick und beim Wechsel zu Sophie als Erzähler stimm ich dir zu. Hier bastle ich nochmal ein wenig.

    Aber den letzten Satz möchte ich wirklich gern so lassen. :P

    Okay. Da hab ich noch zu tun. Vielen Dank dir!!

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Heyho Tariq

    Sehr schön!

    Im Gegensatz zu Stadtnymphe hat die Schlußpointe mit Hannah's Blindheit bei mir gesessen. Ich habe ihre Gabe der Synästhesie beim lesen als etwas Zusätzliches empfunden. Also: Ziel erreicht.:thumbup:

    Als ich den Namen "Tanyel" las, war hier erst mal Großalarm.:D:D:D

    Aber warum nicht mal einen kleinen Link nach nirgendwo einfügen...ich mag das.

    Was mir noch so auffiel, findest Du hier:

    Spoiler anzeigen

    (1/3)

    „He!“ Hannah versetzte der Hand auf ihrer Schulter einen leichten Klaps. Dann wandte der Sprecherin den Kopf zu.

    Da fehlt was...

    „Den hab ich hier“, gab Hannah zurück und hielt ihn hoch, während sie mit der anderen Hand die Autotür zuwarf.

    Wen oder was sie da hat, verrät mir der nächste Satz. Nur kann ich im Vorfeld nirgends die passende Frage zu Hannahs Antwort finden.:(

    (2/3)

    Das bekannte Klacken der hohen Absätze verlor sich kurz darauf im Gewühl der Menschen.

    Würde ich weglassen. Sophie geht Punsch holen, stante pede. Und nicht erst, nachdem sie in der Tasche nach ihrem Geld gesucht hat.:)


    (als ich sie letztes Jahr geschrieben habe, wusste ich ja noch nicht, dass es in diesem Jahr keinen geben wird).

    Bei dem Kommentar mußte ich erst mal meine bisherige Idee abstreifen, daß Du einen Weihnachtsmarkt nach Corona beschreibst.

    Finde ich schon bemerkenswert, wie sehr mich dieses Jahr 2020 anscheinend in meinem Denken konditioniert hat. Danke für's Aufwecken!!!:nummer1:

    Und dass Tanyel vermisst wurde. Er war bis heute nie gefunden worden.

    Korrektur: "Er war ("bis zum heutigen Tag") bis heute nicht gefunden worden."

    Danke für diese kleine, feine Geschichte.

    <3

  • Hallo, Der Wanderer :)

    Danke für's Vorbeischauen und dein nettes Feedback! hab mich gefreut.

    Zu deinen Anmerkungen
    Zitat von Der Wanderer

    Nur kann ich im Vorfeld nirgends die passende Frage zu Hannahs Antwort finden.:(

    Upps, da fehlt ja ein ganzes Stück Text! Danke für's Bemerken! Ist wahrscheinlich bei der Überarbeitung versehentlich gelöscht worden. Ich hab es wieder eingefügt. Hier für dich: Das Rote ist der fehlende Teil. Sorry! :blush:

    Zitat

    Sophie, die Frau, die neben ihr stand, hatte heute nicht nachgegeben. Der Besuch war schon vor drei Wochen beschlossen worden und im selben Maße, wie der vereinbarte Zeitpunkt immer näher rückte, hatte Hannahs Nervosität zugenommen. Als es dann an der Tür klingelte, war sie fest entschlossen gewesen, zu Hause zu bleiben. Es stimmte, was Sophie sagte: Unter viele Menschen zu gehen vermied sie nach Möglichkeit. Eigentlich tat sie es nie.

    Das war nicht immer so. Erst seit ihrem Autounfall vor zwei Jahren. Er hatte alles verändert ...

    „Mein Reden“, unterbrach Sophie ihre Gedanken und klimperte drängelnd mit dem Autoschlüssel. „Ja, dein Unfall war schlimm und hat dein Leben aus dem gewohnten Trott gerissen. Aber du lebst noch. Begrab dich nicht selbst! Und jetzt komm, lass uns gehen. Vergiss deinen Rucksack nicht wieder!“

    „Den hab ich hier“, gab Hannah zurück und hielt ihn hoch, während sie mit der anderen Hand die Autotür zuwarf.

    So und dann noch:

    Zitat

    Sophie geht Punsch holen, stante pede. Und nicht erst, nachdem sie in der Tasche nach ihrem Geld gesucht hat.

    Hmmm ... Das "kurz darauf", das dich stört, war eigentlich so gemeint, dass das Klackern der Absätze sofort beginnt und immer leiser wird, bis es sich dann verliert (übertönt wird). Es sollte nicht wirken, als ob Sophie erst in ihrer schicken City-Bag kramt :D. Ich hatte hier Hannahs Blindheit im Kopf und das, was sie wahrnimmt, als Sophie weggeht. Also klackernde Absätze, die immer leiser werden, bis sie nicht mehr zu hören sind.

    Danke für's Aufwecken!!!

    Gerne doch. Ich fand es schön, ein bisschen Weihnachtsmarkt-Feeling ins Forum zu bringen für die, denen er in diesem Jahr richtig fehlen wird (und für alle anderen natürlich auch ^^ )

    Korrektur: "Er war ("bis zum heutigen Tag") bis heute nicht gefunden worden."

    Stimmt, klingt besser. Wird geändert. :thumbup:

    Aber warum nicht mal einen kleinen Link nach nirgendwo einfügen...ich mag das.

    Ich hatte dran gedacht, aber die Guardians sind nicht mehr im öffentlichen Forum zu sehen. Von daher fand ich das ein bisschen unfair, denn ich hätte nur zum Lexikon-Eintrag verlinken können. Und das ist kein Link ins Nirgendwo, sondern zu einer Auflistung, wo das Buch gekauft werden kann. :/

    Naja, ich werd's einfach mal einfügen. Klappern gehört wohl doch zum Handwerk, obwohl ich mich extrem schwertue, für meine Bücher zu werben. smilie_verl_061.gif

    Noch einmal ein großes Dankeschön für deine Vorschläge und dass du deine Eindrücke mit mir geteilt hast.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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