Okay, ich schiebe die Hausaufgabe mal lieber nicht auf.
Kürze: Da, das versteht sich wirklich von selbst. Grenzen sind natürlich fließend, wie bei fast allem.
Bei allen weiteren Punkten wäre es mMn definitiv einengend, wenn man sie als Dogma auffasst. Es sind aber gute Empfehlungen, um eine angenehme Kurzgeschichte zu schreiben.
Konzentration aufs Wesentliche: Ja, definitiv angebracht. Wenn Unwesentliches zum Konzept gehört, ist es auch nicht mehr unwesentlich. Außerdem gehören bei Sci-Fantasy (jetzt nicht die Schnittmenge von beidem, sondern beide Bereiche zusammen) ja auch viele Kleinigkeiten zur Bühne, um es erst immersiv zu machen. Ich denke, was wesentlich ist, das lässt sich durchaus diskutieren. Man sollte also irgendwann, vielleicht auch erst nach dem ersten Entwurf, entscheiden, was man eigentlich will, und das dann konsequent durchziehen.
Ein Handlungsstrang, eine Hauptperson: Das verstehe ich wirklich eher als Empfehlung, aber jeder Protagonist hat meist seine eigene Geschichte, die dann wahrscheinlich erzählt werden will. Da sollte man also gut drüber nachdenken, sonst ist es um die Kürze geschehen.
Einheit des Ortes und die Überschaulichkeit des Zeitraums: Solche Leitlinien finde ich gerade für Anfänger (also oft mich) sehr hilfreich. Ich denke, dass man mit einem guten Protagonisten auch zeitraffend erzählt viele Orte und Jahre abdecken und damit eine tolle Kurzgeschichte zimmern kann. In den meisten Fällen wird eine Kurzgeschichte aber eher wie ein kurzes Kapitel sein (in einem Thriller beispielsweise, wo oft eine Szene ein Kapitel ist) und man hat einen eher szenischen Ansatz.
Offener Anfang: Die Handlung setzt unmittelbar ein, keine langatmige Einleitung: Bietet sich auch wunderbar für Kapitelanfänge an. Überhaupt betrachte ich Kapitel oft wie Kurzgeschichten.
Offenes Ende, die Geschichte ist nicht abgeschlossen, der Leser muss das Ende weiterdenken: Deine Anmerkung hier finde ich ganz wunderbar. Das ja nicht nur eine Faustregel für Kurzgeschichten, sondern für Szenen allgemein, wie bei der vorigen Regel: Beginne eine Szene, kurz nachdem sie tatsächlich begonnen hat, und beende sie, kurz bevor sie tatsächlich endet. Die meisten Szenen beginnen ja eigentlich irgendwie mit Geplänkel: Begrüßungen, Händedruck, etc. Sowas ist trivial, und nicht unbedingt interessant, wenn es nicht gerade für irgendetwas weiter verwendet wird. Vielleicht verabschieden sich deswegen die Leute in Filmen auch nie, bevor sie ein Telefonat beenden.
Der Sprachstil ist gradlinig, sachlich und knapp: Da bin ich auch skeptisch. Gerade wenn man einen Ich-Erzähler hat, ist es wichtig, eine starke Stimme zu transportieren. Sachlichkeit ist da völlig fehl am Platz, wenn die Figur nicht völlig sachlich denkt (was die meisten eben nicht tun).
Knappheit und Geradlinigkeit ... naja, das sind wieder Empfehlungen in meinen Augen. Wenn man einen Thriller schreiben will oder sein Buch ganz bewusst auf Bestseller trimmt, klar, dann sollte man das kompromisslos durchziehen. Da gehen einem aber auch viele Möglichkeiten, etwas auszudrücken, flöten, wenn man das für zwingend notwendig hält. Ich habe mal eine Kurzgeschichte von Günter Grass gelesen, die aus einem einzigen Satz bestand, der über zwei, drei Seiten ging, und die Wirkung war enorm mMn. Wenn man wie Grass schreiben kann, dann gibt es keinen Grund, das nicht zu tun. Wenn man sowas nicht kann, ja, dann lässt man es besser sein.
Wenn man von Sachlichkeit, Geradlinigkeit und Knappheit abweicht, dann hat man eben immer noch eine Kurzgeschichte geschrieben, wenn sie denn kurz ist.
Kernaussage ist nicht offensichtlich: Keiner mag gerne belehrt werden. Ich mag eigentlich Geschichten lieber lesen, die meine Intelligenz nicht beleidigen, weil sie alles übererklären (so ein typisches Phänomen in der deutschen Mainstream-Unterhaltungslandschaft). Der Leser darf gerne seine eigenen Schlüsse ziehen.
Aber auch hier: Wenn die Kernaussage offensichtlich ist, habe ich immer noch eine Kurzgeschichte geschrieben.
Das Außergewöhnliche im Alltäglichen: Es werden außergewöhnliche Ereignisse in alltäglicher Umgebung geschildert: Ja, für Fantasy ein komischer Punkt. Daran wurde dabei wahrscheinlich nicht gedacht. Aber es bringt einen guten Punkt, den ich bei Fantasy-Kurzgeschichten immer schwierig finde: Worldbuilding. Dafür hat man eigentlich fast keine Zeit, aber es ist irgendwie nötig. Ich denke, wenn man seine Worte gut wählt, kann man auch in kurzen, knappen Sätzen, also quasi nebenbei, genug Worldbuilding vermitteln, damit die Geschichte nicht blass bleibt.
Chronologische Handlungsfolge: Ich habe fast den Eindruck, dass das hier als Gattungsmerkmal kommt, weil es eigentlich auf fast alle Formen auch zutrifft.
Also das meiste ergibt ich irgendwie daraus, dass eine Geschichte kurz sein soll.
Was ich noch ergänzen würde, ist die Art, wie man eine Kurzgeschichte liest:
- Ein Roman ist ein großes Ding, das vollgestopft mit vielen Geschichten ist. Dem kann man einiges durchgehen lassen, von einem nicht zu 100% logischen Plot, zu ein, zwei, drei nicht so notwendigen Kapiteln.
- Ein Gedicht kann durch eine einzige schlecht platzierte Silbe verdorben werden.
- Und eine Kurzgeschichte bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Durch ihre Kürze liest man sie viel intensiver als einen Roman. Alles muss viel konzentrierter und dichter sein. Da reichen zwei, drei blöde Sätze und ein Meisterwerk, das über allem schwebt, wird zu einer ordinären, ganz okayen Kurzgeschichte.