Willkommen bei meinen literarischen Eintagsfliegen! Hier findet ihr die kurzen spontanen Ideen, die es nicht zu einem Roman geschafft haben.
Viel Spaß beim Schmökern!
Feuertaufe
Noch lange vor Sonnenaufgang schlug er die Augen auf. Freudige Erregung durchströmte seine Glieder, mit einem Schlag war er hellwach und es war unmöglich, auch nur einen weiteren Moment im Bett zu vergeuden.
Heute war der Tag.
Mit vor Aufregung bebenden Fingern langte er nach dem Morgenrock, weil sein nichtsnutziger Kammerdiener noch selig im Vorzimmer zu schlafen schien. Rasch schwang er die Beine aus dem Bett und trat, während er sich das Kleidungsstück überwarf, zu den großen Fenstern hinüber.
Weit unter ihm, am Fuße des Berges, vor der mächtigem Festung kauernd, lag die Hauptstadt im tiefen Schlaf unter einem sternenklaren Nachthimmel. Es war still. Erst bei Tagesanbruch weckten die Glocken die Bewohner und riefen zum Gebet.
Doch bis dahin war er verwandelt und die Stadt würde ihm gehören. Alles würde ihm gehören. Heute wurde der endgültig letzte Schritt seiner Transformation getan und dann endlich war er derjenige, der er schon immer hatte sein sollen. Die Stadt, das Reich, die ganze Welt - es würde ihm alles zu Füßen liegen, anbetend, zusammengekauert, verstummt ob des Anblicks seiner Pracht und Herrlichkeit …
Mit herrischer Stimme rief er nach dem Kammerdiener, der mit einem schlaftrunkenen “Hier bin ich, mein Prinz” ins Zimmer gestolpert kam. Was für eine lächerliche Figur dieses halbe Hemd abgab. Nach der Zeremonie musste er sich wohl nach einem neuen Bediensteten umsehen, doch das war kein Problem. Schließlich gab es Unmengen Menschen, die einem Wesen wie ihm nur zu gerne dienen wollten.
Er trat vor den mannshohen Spiegel, während weitere Höflinge wortlos ins Zimmer geeilt kamen. Sie alle erledigten ihre allmorgendlichen Aufgaben flink und vor allem schweigend und mit größtmöglichstem Respekt. Das hatten einige von ihnen durch harte Schule lernen müssen. Besonders heute durfte nichts schiefgehen.
Prüfend glitt sein Blick über das Spiegelbild. Ein schlanker Mann sah ihm aus violett-blauen Augen entgegen. Das Gesicht wirkte angespannt, versteinert und die blasse Haut unter dem silberglänzendem Haar ließ ihn fast ein wenig krank wirken. Doch der Eindruck täuschte, er hatte sich noch nie so lebendig gefühlt. Fast schien es ihm, als leuchtete er von innen heraus, als brannte bereits ein Feuer tief in seinem Inneren. Er konnte die Hitze durch seine Adern rinnen spüren.
Leuchtflamme, in der Tat. So würden sie ihn nennen, ehrfürchtig und erstaunt. Der Mann, der zum Drachen wurde.
Theatralisch streckte er die Arme aus. Sein Morgenmantel glitt von seinen Schultern, Diener hüllten ihn in Kleidungsstücke für den Tag, schwarz mit blutrotem Futter, welches durch kunstvolle Schlitze in dem dunklen Samt schimmerte wie Glut.
Dann brachten sie einen neuen feuerroten Umhang, den das Wappen seines Hauses zierte, gürteten seine Hüften mit Gold und setzten ihm ein Diadem mit schimmerndem Rubin auf das glänzende Haar.
Ein letztes Mal musterte er sich. Ja, er bot einen unvergesslichen Anblick. Sein letzter Auftritt als gewöhnlicher Prinz, doch selbst dieses Bild würde sich ewig in die Köpfe aller einbrennen, die der Zeremonie beiwohnten. Und wenn er schon als Prinz so mächtig aussah, wieviel atemberaubender mochte er dann erst in seiner wahren Gestalt sein.
Keiner seiner jämmerlichen Brüder würde noch gegen ihn bestehen können. Weder der verweichlichte Bücherwurm, der am liebsten seine gesamte Zeit zwischen dicken staubigen Folianten verbrachte - oh, was für ein entzückendes Feuer diese doch geben würden - noch der weibische kleinste Bruder. Selbst sein Vater, sein starker Vater, musste dann vor ihm das Haupt beugen und ihm den Thron übergeben.
Ein letztes Mal strich er über seine Gewänder, dann wandte er sich rasch um. Die Türen vor ihm öffneten sich sofort. Nur mit großer Beherrschung gelang es ihm, die Flure gemessenen Schrittes zu durchqueren, am liebsten wäre er losgestürmt, doch das ziemte sich nicht für den Kronprinzen und schon gar nicht für die Kreatur, die er zu werden gedachte.
Die Zeremonie sollte im Thronsaal stattfinden, da dieser die mit Abstand größte Halle der gesamten Anlage war. Gerade groß genug also für sein Vorhaben.Wenn auch riskant.
Selbst zu dieser frühen Stunde mochte es sein, dass ungebetene Augen sein Anliegen erfassten und dem König meldeten. Und sein Vater verfügte noch immer über die Macht, ihn einsperren zu lassen, ihn zu ächten.
Denn noch war er nur ein sterblicher Mensch, seine innere Form glich nicht der äußeren und in dieser schwachen Hülle gefangen konnte er die Kräfte in sich nicht entfesseln.
Die Türflügel zum Thronsaal schwangen auf. Er nickte den Wachen rechts und links des Portales zu. “Ich wünsche keine Störung.”
Sie nahmen Haltung an und nickten. Mit einem Krachen fielen die mit Gold verzierten Holztüren hinter ihm ins Schloss und er durchquerte die Halle. Seine Schritte auf dem blanken Boden hallten von den Wänden wider. Bis auf sechs einsame Fackeln nahe des aus Klingen alter Feinde geschmiedeten Throns war es dunkel.
Nur wenige Eingeweihte hatten sich am Rande des vom Feuerschein erfassten Bereichs versammelt. Sie alle wiesen sich durch Treue und eiserne Verschwiegenheit aus und sie alle würden belohnt werden, sobald seine Verwandlung abgeschlossen war.
Die Aufregung kribbelte in seinem Nacken und ein Schauer überlief ihn, als sein Blick auf den Greis ganz rechts fiel. Er trug ein kostbares Glasgefäß, verziert mit großen blitzenden Edelsteinen, aus denen ein grüner Schein verheißungsvoll schimmerte.
Der Mann daneben hielt eine Truhe aus purem Gold in den Händen. In dieser ruhte, auf nachtblauen Samt gebettet, der kostbarste Besitz des Kronprinzen - ein Drachenei, das mit goldenen und silbernen Schuppen bedeckt war. Auf keinen Fall durfte die Zeremonie ohne dieses Ei stattfinden, ohne diesen Beweis seiner Auserwähltheit.
Erhobenen Hauptes trat er in den Kreis, musterte jeden der Anwesenden und streckte schließlich auffordernd die Hände aus.
Schlurfend kam der Alte auf ihn zu und reichte ihm den Pokal mit einer ehrfürchtigen Verbeugung. Dann wich er wieder zurück. Ein jüngerer Mann nahm eine der Fackeln aus der Wand und sah abwartend zu dem Prinzen herüber.
Er blickte in sein Glas.
Die Substanz schillerte in verschiedenen Grüntönen und war gleichzeitig so klar, dass er durch sie hindurch seine leise bebenden Finger erkennen konnte. Mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken forderte er den Fackelträger auf, seiner Aufgabe nachzukommen.
Der trat zu ihm, senkte die Fackel und entzündete die Flüssigkeit im Pokal.
Jetzt würde er wirklich ein Drache sein.
Er hob das Gefäß, aus dem grüne Flammen tänzelten, an seine Lippen.
Auszug aus Maester Yandels "Chroniken von Westeros", gewidmet Tommen, Erster seines Namens, König der Andalen und der Ersten Menschen, Herr der Sieben Königslande, Beschützer des Reiches
"232 n. A. E. verschied Aerion Targayen, der sich auch Aerion Leuchtflamme nannte, als er einen Becher Seefeuer trank, im Glauben es würde ihn in einen Drachen verwandeln. Er starb schreiend."