Hallo allerseits. Anbei noch einmal mein Beitrag zum Schreibwettbewerb mit dem Thema "Die Kellertreppe"
Die Geschichte ist eine Verbeugung zu den Großen der dunklen Literatur wie Lovecraft und Clark Ashton Smith. Insbesondere letzterer hat mich stark zu dieser Geschichte inspiriert. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Stadt_der_singenden_Flamme
Ich habe, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet, dass ich mit dieser Geschichte nicht gewinnen würde . Diese Aussage mag etwas seltsam klingen. Aber aus meiner Sicht, ist es eine der besten Kurzgeschichten aus meiner Feder. Da muss ich erstmal meine Wunden lecken und es neu einordnen.
Das Singen der heiligen Flamme
Lieber Freund,
Wenn du diesen Brief in Händen hältst, dann hat mich meine Neugier endgültig an einen Ort geführt, der den Menschen meist verborgen bleibt. Denn er liegt hinter dem dünnen Vorhang, der die Welt der Mythen und Albträume von dem trennt, welches wir gemeinhin als Realität bezeichnen.
Wir beide lieben und den respektieren das Alte und Ehrwürdige. Daher kannst du meine Freude sicher verstehen, als die betagte Villa am Stadtwald endlich zum Verkauf angeboten wurde. Nachdem Fenster und Dach gerichtet sowie die Böden geschliffen und neu versiegelt waren, zog ich zunächst in das geräumige Kaminzimmer ein.
Ich begann voller Elan mit der Arbeit an dem neuen Manuskript. Das leise Summen appellierte am dritten oder vierten Tag der in Besitznahme des Herrenhauses erstmals an mein Bewusstsein. Es drängte an die Oberfläche und überraschte mich als kaum wahrnehmbare, aber eindringliche Melodie. Ich folgte dem Klang und fand eine schmale Tür, die ich stets für den Zugang zu einer Abstellkammer gehalten hatte. Als ich die Hand auf den Knauf legte, sprang die Tür auf und gab eine steinerne Treppe frei. Diese machte nach wenigen Stufen eine scharfe Kurve und schien in den Keller zu führen. Erst schrak ich vor der abgrundtiefen Finsternis des Ganges zurück, aber die Melodie drang nun deutlich von den unergründlichen Untiefen zu mir hinauf und lockte mich. Mir wurde klar, dass die Musik keinem von Menschen ersonnenen Instrument entsprang, das was ich hörte, entstammte einer anderen Quelle. Diese Melodie war engelsgleicher Gesang.
Unsicheren Fußes betrat ich den schmalen Steig. Meine Finger strichen in der Dunkelheit über grob behauenen Stein. Tastend schritt ich vorwärts, dabei ging es in einer engen Spirale immer weiter hinab und hinab, bis ich einen sanften Schimmer wahrnahm. Unweit zeichnete sich der Schatten eines Felsens ab und dahinter glimmte ein Licht. Mit schnellen Schritten verließ ich Treppe und Gang.
Unmittelbar stand ich vor einer atemberaubenden Landschaft. Ich befand mich auf einem sanften Hügel, grasartige violette Vegetation wiegte sich im warmen Wind. In der Ferne zeichneten sich titanenhafte Bäume ab. Zahlreiche ovale, rötlich schimmernde Blattgebilde streckten sich von regelmäßig angeordneten Ästen zum bernsteinfarbenen Himmel. Keine Sonne stand am Firmament, dennoch ging von ihm ein matter Glanz aus, der die Welt in ein fahles, überweltliches Licht tauchte. Dahinter glitzerten unbekannte Sterne. Meine Gedanken schwanken zwischen Faszination und blankem Entsetzen. Voller Panik eilte ich zurück, das Pochen meines Herzens verlangsamte sich, als ich die Stufen erreichte, die in die bekannte Welt führten. Der Weg war nicht verstellt, ich konnte jederzeit zurückkehren. Der rationale Mensch in mir versuchte nun, die Dinge einzuordnen und in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Lag unter dem Haus seit jeher ein Spalt in der Raumzeit? Oder hatte der Vorbesitzer ein verborgenes Prinzip entdeckt und einen Durchgang erschaffen, der die Erde mit der fernen Welt verband, auf deren Boden meine Füße nun standen?
Langsam begriff ich, welche Gelegenheit für ungeheure Entdeckungen sich mir hier bot. Zudem lockte mich die fremdartige Musik. Vorsichtig ging ich den Hang hinab. Monolithische Felsen ragten wie Wegmarken auf und markierten einen Pfad hinunter in den bizarren Wald. Die süße Melodie rief unaufhörlich, wie von Halluzinogenen übermannt schritt ich voran. Mir blieb der drogengleiche Einfluss der Klänge auf meine Gedanken und Wünsche nicht verborgen, diese Wirkung beseelte mich und ängstigte mich zugleich. In einem wacheren Moment holte ich ein Papiertaschentuch hervor. Ich zerriss es in zwei Teile und formte Keile, mit denen ich mir die Ohren verstopfte. Die Musik verstummte nicht ganz, rief jedoch weniger dringlich und ich konnte wieder klarer denken. Der Weg mündete in eine weit größere Straße, die mit meterlangen quadratischen Steinen gepflastert war. Ich bemerkte die drei Flügelwesen erst recht spät. Ohne von meiner Anwesenheit irritiert oder verwundert zu sein, schritten sie an mir vorbei und lächelten freundlich. Voller Erstaunen sah ich den schönen Gestalten nach, deren schmetterlingshaften Flügel in hellem Orange und Blau schimmerten. Ihr Erscheinungsbild war trotz der Fremdheit unerwartet menschlich. Die beiden größeren Wesen waren offensichtlich männlichen Geschlechts, während das grazilere in der Mitte eine junge Frau darstellte. Ich beschloss, den friedlichen Geschöpfen eine Weile zu folgen, wobei ich einige Meter Abstand hielt, um die Reisenden nicht zu verschrecken. Das Weibchen wandte sich kurz um und schenkte mir ein ermunterndes Lächeln. Die Nähe der Schmetterlingsmenschen gab mir frischen Mut.
Umso mehr erschütterte mich der Anblick der Stadt, die vor uns aufragte, als wir eine weite Ebene erreichten. Die Metropolis schien von wahren Riesen erbaut und das Zentrum eines sagenhaften Reiches zu bilden, denn von allen Richtungen strömte Volk der gewaltigen Stadtmauer entgegen. Ich sah krebsartige Lebewesen und durchscheinende metergroße Quallengeschöpfe, die über uns schwebten und sich an den Tentakeln hielten. Die Vielfalt an Formen und Spielarten des Lebens beschäftigte meinen Geist, sodass ich die lauter werdende Musik erst wieder bemerkte, als die Prozession das Stadttor erreichte. Die Wachen, die uns gelangweilt durchwinkten, gehörten wohl der einheimischen Spezies an. Sie besaßen eine auberginenfarbene ledrige Haut, hatten Mund und Nase, sowie kreisrunde dunkle Augen. Ich fand die Flügelwesen grade noch in der Menge wieder und folgte ihnen rasch. Zu meiner Freude warteten sie, bis ich mich angenähert hatte. Wir kamen an einer gläsernen Röhre vorbei, durch die eine grünlich leuchtende gasförmige Substanz geleitet wurde. Sie mündete in einen Brunnen, in dem warmes Wasser dampfte. Waren die Röhren Teil der Energieversorgung der Metropole?
Auf dem Weg trafen wir immer wieder auf die Leitungen, sie schienen ein weitverzweigtes Netz zu bilden, das in jedes Haus und jede Wohnung führte. Dann sah ich das Ziel unseres Weges. Der Tempel war von monumentalen Ausmaßen, gewaltige weiße Säulen hielten die ersten Stockwerke, darüber wuchs das Gebäude in Form einer spitz zulaufenden Pyramide bis in den Himmel. Dorthin strömten die Pilger, den nichts anderes waren wir, Pilger auf dem Weg zum inneren Heiligtum der Welt und die freundlichen Bewohner der Stadt hüteten es. Meine Begleiter duldeten mich nun in ihrer Mitte, gemeinsam gingen wir die breite Treppe hinauf, dem Gesang entgegen. Die geöffneten Tore führten in eine weite, hohe Halle. Dort tanzte sie, die Quelle der himmlischen Melodie.
Die grüne Flamme entsprang einem kreisrunden Loch in der Mitte des Raumes und flackerte mal flach und mal hoch hinauf. Keiner der Pilger sprach und doch fühlten alle das Gewicht des hehren Moments. Ich sah Wesen kniend oder das Haupt neigend vor der heiligen Flamme. Jeder betete auf seine eigene Weise und ich selbst fiel seufzend auf die Knie. Meine Gefährten hoben den Kopf zum Himmel und streckten die Arme empor. Die Melodie steigerte sich zu einer intensiven Kadenz von verführerischen, ja fordernden Tönen. Der Gesang versprach süße Erfüllung, ungezügelte Freiheit und unendliche Liebe. Lockend flackerten die Feuerzungen ihren hypnotischen Tanz. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, mich mit der Flamme zu vereinen. Die vage Idee wuchs zu heiligem Verlangen. Zugleich geriet über uns der Schwarm von Quallenwesen in Bewegung. Sie schwebten auf das grüne Licht zu. Ich hielt den Atem an. Ein stilles Raunen ging durch den Saal, als die erste von dem Feuer berührt wurde und in einer Stichflamme verging. Die anderen folgten in schneller Abfolge. Wie ich sie beneidete. Eine große Unruhe erfasste die gesamte Pilgerschaft, zwei meiner Schmetterlingskameraden flogen auf. Immer mehr Pilger stürzten sich in das grüne Licht und auch die beiden Flügelwesen verglühten in der heiligen Flamme. Die Hallendecke füllte sich mit jenem Gas, das ich in den gläsernen Röhren bemerkt hatte, gleichzeitig nährte der Opfertod den Gesang. Sie rief mich zu sich.
Ich stand auf und wollte nähertreten und endlich eins werden mit der Melodie der Welt, die das Universum zusammenhielt. Doch ein fester Griff hielt mich zurück. Es war das Schmetterlingsmädchen, sie starrte in die Flamme und sah mir dann direkt in die Augen. Tränen rannen ihre Wangen hinab. Erst verstand ich nicht. War sie verzückt? War sie traurig? Sie nahm meine Hand und führte mich aus dem Tempel der singenden Flamme. Wir hasteten durch die monumentale Stadt. Niemand hielt uns auf.
Schließlich standen wir auf dem Hügel neben dem grauen Felsen, hinter dem sich die Treppe in die Welt der Menschen verbarg. Sie löste sich nur widerstrebend von mir und hauchte einen schüchternen Kuss auf meine Wange. Zögernd ging sie auf den Wald zu, dann breitete sie die herrlichen Flügel aus und verschwand über den Wipfeln der Bäume. Ich blieb allein zurück. Eine Weile starrte ich in den fremden Himmel und die unbekannten Sternenbilder. Die Musik rief weiterhin sehnsuchtsvoll nach mir, aber ich wandte mich ab. Ich erklomm die Treppe in die bekannte Welt und schloss die Kellertüre hinter mir.
Lieber Freund. Du magst nachempfinden, dass ich am nächsten Tag, als ich zur Mittagszeit in meinem Bett erwachte, die Ereignisse als bloßes Traumgebilde abtat. Mir gelang es gar für einige Zeit, dem gewohnten Tagwerk nachzugehen, dann stahlen sich mehr und mehr Bilder und Eindrücke des Ausfluges in jene fremde Welt in mein Bewusstsein. Immer wieder erschien mir die Flamme in den Träumen. An den Kuss des Schmetterlingsmädchens, dachte ich selbst am Tage. Der Mond stand hell und voll am Himmel, als ich die lockende Melodie erneut vernahm. Ich wusste, ich sollte rennen oder den Zugang in jenes ferne Reich verschließen. Aber ich konnte es nicht tun. Was, wenn der junge Schmetterling den Ruf der grünen Flamme ebenso hörte wie ich? Sie hatte mich gerettet. War es nicht an der Zeit, ebengleiches für sie zu tun? Sie zu retten, oder gemeinsam mit ihr im Licht der heiligen Flamme Erlösung zu suchen?
Ich werde jetzt gehen.