Es gibt 42 Antworten in diesem Thema, welches 11.147 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (25. August 2020 um 09:19) ist von Stadtnymphe.

  • Naja. Der erste Satz ist wie als wenn man eine neue Person kennenlernt. Du möchtest doch schließlich nicht damit begrüßt werden, dass dich einer mit seinen Schultern dich in die Ecke schubst, oder? Ein freundliches »Hallo!« wirkt eben besser als ein herablassendes »Ey, Alter! Wer bist du denn?«, oder? Nicht umsonst gelten die ersten 10 Seiten als die entscheiden Seiten. Die sind wichtig, weil der Leser ab dort entscheidet, ob er weiter liest. (Beim Film ist es übrigens nicht anders. Manchmal springen Produzenten direkt auf eine bestimmte Seite im Drehbuch – nämlich das Event nach dem Höhepunkt. Kann der Leser sich mit der Figur am Ende identifizieren oder buht er die doch aus? Nur so als kleiner Tipp. Ich weiß nämlich nicht wie es bei den Verlagen aussieht. Aber ich denke, dass es so ähnlich sein wird.)

    "Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung."
    - John F. Kennedy (US Präsident)
  • Neulich haben wir im Chat mal über erste Sätze geschrieben und ein paar Sachen wollte ich hier nochmal posten. :)
    Erste Erkenntnis: Der erste Satz ist nicht unbedingt kriegsentscheidend, ein schlechter erster Satz ist aber eine vergeudete Chance. Man sollte es nicht totdenken, aber etwas Sorgfalt ist hier definitiv angebracht.

    Eine allgemeine Formel für einen guten ersten Satz ist beispielsweise diese hier:

    Zitat von kalkwiese

    [Person] tat gerade [Tätigkeit], als [Ereignis] passierte.

    Diese Struktur habe ich schon oft gesehen und sie funktioniert einfach gut. Auf eine Person wird Fokus gelegt, die mit einer Tätigkeit, oft im Alltag, bereits näher charakterisiert wird bzw. eine Ahnung von der Umgebung wird geschaffen und es passiert etwas. Alles in einem Satz. Damit ist manchmal das erste Bild schon fertig gemalt!

    Gerade weil es eine gängige Art des Einstiegs ist, fühlt es sich für mich auch nicht besonders interessant an. Die Art des Einstiegs wohlgemerkt. Der Inhalt des Satzes kann natürlich trotzdem Fragen aufwerfen und mein Interesse wecken. :)

    Ich liste mal einige erste Sätze aus ein paar meiner Lieblingsbücher auf.

    Der Frühling war spät dran, genau wie ich an diesem verregneten Morgen.
    David Mitchell - Chaos, Kapitel 2 "Tokyo"

    Das Buch besteht aus 9 Novellen, die zusammenhängen. Kapitel 1 hab ich auf der vorigen Threadseite schon genannt.

    Hier bekomme ich gleich ein Gefühl von Stress. In meiner subjektiven Empfindung renne ich durch eine kalte, verregnete Stadt und versuche den Zug zu erwischen.

    Der Mond, der Mond am Nach...

    Kapitel 3 "Hongkong"

    Hier wird schön eine ruhige Nacht angetäuscht, bis dann mitten im Wort der Wecker klingelt.

    Hinauf, hinauf, immer höher und manchmal hinab.

    Kapitel 4 "Der Heilige Berg"

    Es spielt an einem Berg. Und der ist heilig. Darum hat er auch einen eigenen Einführungssatz ganz am Anfang verdient.

    Die Steppe zog in sanften Hügeln vorbei, endlosen, endlosen Hügeln.

    Kapitel 5 "Mongolei"

    Da wird ein Ausblick aus dem Fenster des Transsibirien-Express gezeichnet.

    Dieses Hundewetter bringt mich noch um.

    Kapitel 6 "St. Petersburg"

    Man bekommt gleich die Stimmung der Hauptfigur vermittelt. Da das hier alles in der Ich-Perspektive steht, fallen kaum Namen und das ist auch gar nicht nötig. Stattdessen gibt es eher einen Fokus auf die Umgebung des erzählenden Ichs.

    Das Buch hat noch mehr erste Sätze, aber gehen wir mal zum nächsten. Es gibt nämlich eine gewisse Art von ersten Sätzen, die ich besonders gerne mag.

    Am Anfang gab es einen Mörder, ein Maultier und einen Jungen, aber noch sind wir nicht am Anfang, noch sind wir vor dem Anfang, und vor dem Anfang, da gibt es mich, Matthew, und ich sitze in der Küche, mitten in der Nacht - in diesem uralten Flussdelta des Lichts -, und ich tippe und hämmere unermüdlich.

    Markus Zusak - Nichts weniger als ein Wunder

    Der erste Satz kann ein Statement sein. Eine Herausforderung. Einstiege wie diesen finde ich überaus mutig und ich bekomme da Lust auf mehr. Zugegeben, dieses spezielle Beispiel wirkt auf mich noch ein kleines bisschen zu gewollt. Das Bild mit dem Flussdelta sticht besonders hervor. Im Verlauf des Buchs wird die Küche aber öfter mal so genannt, also muss man das auch ein bisschen als einen Rahmen sehen. Das weiß der Leser, der es sich zum ersten Mal anguckt natürlich nicht. So ein Anfang kann Leser abschrecken, die Sätze mit mehr als 14 Worten nicht gerne mögen, aber ich finde es auch fair, wenn man diesen Leuten gleich zum Anfang zeigt, was auf sie zu kommt.

    Noch ein Beispiel.

    Ich reiße den Vorhang auf, und da ist der durstige Himmel und der breite Fluss voll mit Booten und Schiffen, aber ich denke schon wieder an Vinnys schokoladige Augen, Shampooschaum auf Vinnys Rücken, Schweißperlen auf Vinnys Schultern, an Vinnys schelmisches Lachen, und mein Herz tickt aus, o Gott, wäre ich doch jetzt bei Vinny in der Peacock Street und nicht in meinem dämlichen Zimmer.

    David Mitchell - Die Knochenuhren

    Lang, aber lang mit Sinn. All die Informationen rauschen auf einen ein wie die Worte eines jungen, total verschossenen Mädchens, das von ihrem Geliebten schwärmt, die sie eben auch sind. Sie liebt Vinny und das auf eine sehr verklärte und naiv-jugendliche Weise. Vinny ist nicht bei ihr, das erfahren wir auch. Wie sie sich Vinny da vorstellt, gibt einen Eindruck von dem, was er und sie zusammen tun: Duschen, miteinander schlafen, Lachen usw. "In meinem dämlichen Zimmer" fängt mMn auch ihr junges Alter gut ein, das dann auf den nächsten Seiten auch deutlich wird.

    Mal ein anderer Typ:

    NEHMEN WIR MAL DIE SCHILDKRÖTE UND DEN ADLER.

    Terry Pratchett - Einfach Göttlich

    Jawohl, alles groß. Fragt mich nicht warum!

    Auktorialer Erzähler. Statt von sich zu erzählen, wird der Leser direkt angesprochen, als würde man sich schon einige Minuten in einem Gespräch finden. Unvermittelte Anfänge mag ich auch gerne, die geben einem bereits einen Sinn von Bewegung, auch wenn dieser hier eher eine philosophisch-metaphorische Betrachtung von zwei Tieren einleitet.

    Stellt euch den krankesten Ort von ganz Zamonien vor!

    Walter Moers - Der Schrecksenmeister

    O Gott, ein Ausrufezeichen! Hilfe! Wieder ein auktorialer Erzähler. Wenn man den verwendet, ist ein Einstieg mit einem Bruch der vierten Wand anscheinend nicht allzu abwegig, im Gegenteil, es bietet sich sogar an.

    Gute erste Sätze sollten, finde ich, auch ein bisschen was wagen. Die oben erwähnte Formel tut das meistens nicht, wobei das durchaus darauf ankommt, womit man die Lücken ersetzt. Für einen Kapitelanfang, der einfach nur seinen Job erledigen soll und es nicht nötig hat besonders extravagant zu sein, bietet sie sich aber geradezu an. Warum also nicht? :D

    EDIT: Entsprechend gibt es auch Bücher, die den extravaganten Einstieg gar nicht nötig haben und bei denen was Schlichtes eben am besten passt. Ihr kapiert schon, was ich meine!

    Häupter auf meine Asche!

    Einmal editiert, zuletzt von kalkwiese (14. Juni 2020 um 22:28)

  • Was für ein toller Thread! Lasst uns doch bitte erste Sätze sammeln :D

    Ich glaube, ich bin tatsächlich jemand, dem Geschichten (oder Threads) am liebsten sind, die voller erster Sätze sind. Auf Szenerien hab ich gar nicht so viel Bock – und mir für eigene Geschichten Handlungen ausdenken zu müssen ist das mühsamste. Die ersten Sätze sind ein Bild und alles danach ist Eintauchen. Hier die ersten Sätze durchgehen zu dürfen ist ein Gefühlskonzert.

    Um also das Museum ein wenig weiterzuführen, hier ein wenig Bücherregal:

    "Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später…"

    Jede gute Geschichte beginnt mit Regen. Das hier ist aus Tintenherz. Tintenherz ist so ein Buch, das versucht, voller erster Sätze zu sein, und sich in all dem Pathos verrennt. Ich habe es meist nur bis zur Hälfte geschafft.

    "Was ist das. – Was – ist das…"

    "Je, den Düwel ook, c'est la question, ma très chère demoiselle!"

    Das sind die Buddenbrooks :D Musste gerade lachen, als ich das aufgeschlagen habe. Ich kenne keinen, bei dem Sätze egaler zu sein scheinen als Thomas Mann. Ist auch mühsam.

    "In dieser Nacht noch sollten die Trolle kommen, so hieß es."

    Find ich sehr gut. Habe mich mit einer Kommilitonin darüber gestritten, ob das literarische Qualität ist. – Ach und warum nicht? "Na – Trolle! Welcher vernünftige, also ernsthafte Autor schreibt denn über Trolle!" :P

    (Hennen, Elfenlicht)

    Funfact: Den ersten Satz der Unendlichen Geschichte kann ich hier kaum wiedergeben, denn er steht über dem Kapitel in Spiegelschrift als

    Dann folgt: "Diese Inschrift stand auf der Glastür eines kleinen Ladens, aber so sah sie natürlich nur aus, wenn man vom Inneren des dämmerigen Raumes durch die Scheibe auf die Straße hinausblickte. Draußen war ein grauer kalter Novembermorgen und es regnete in Strömen. Die Tropfen…"

    Ha! Regen! Proven my point.

    Ich muss zugeben, bei dieser Recherche fällt mir doch auf, dass denn alles mit dem zweiten Satz steht und fällt ;)

    Und: Erste Sätze machen mich glücklich. So voller Möglichkeit. Sobald die Verstrickungen der Handlungen dazukommen, geschieht wieder alles aufs Ende hin. Hier geschieht es auf den Anfang hin.

    Gute Nacht!

  • Ich mag auch mal was beisteuern. Weil ich nämlich dachte - hey, deine Lieblingsbücher fangen doch alle mit tollen Sätzen an. Naja, manchmal hab ich da weit gefehlt.

    Vielleicht errät der Eine oder Andere ein paar Bücher - ich pack sie in die Spoiler.

    Zweihundert Schemel wurden gerückt.

    -klar, einfach, schlicht - und trotzdem interessant: Was für Schemel? Rücken die alle gleichzeitig? Wo findet das statt?

    - ein schlicht konstruierter Satz lädt manchmal mehr zum Weiterlesen ein als eine ellenlange Verschachtelung unnötiger Wörter.

    Spoiler anzeigen

    Erich Kästner: Das fliegende Klassenzimmer (Kapitel 1)

    Es geht dann weiter mit:

    Zweihundert Gymnasiasten standen lärmend auf und drängten zum Portal des Speisesaals. Das Mittagessen im Kirchberger Internat war zu Ende.


    Das Erste, woran sich der Junge Garion erinnerte, war die Küche auf Faldors Farm.

    -eines meiner Lieblingsbücher, von dem ich ehrlich dachte, dass es toller anfängt...

    -ist aber nicht unbedingt ein schlechter Anfang (Ich habe mal den Prolog ignoriert), denn es verursacht doch Fragen: warum erinnert Garion sich zuerst an die Küche? Was ist an der so besonders? Und weil die Angabe "das Erste" eine Finte ist, fragt man sich, woran er sich denn noch erinnert...

    Spoiler anzeigen

    David Eddings: Belgariad-Saga 1: Kind der Prophezeiung oder moderner: Die Gefährten (Kapitel 1)

    In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit.

    - einfach, klar, ein bisschen lustig ("In einem Loch im Boden"...) und die komplett literarisch Weggetretenen mögen sich fragen, was ein Hobbit ist. Na gut, Kinder und Uneingeweihte auch. Und dann will man wissen, wie der Hobbit lebt, was er so macht etc.

    Spoiler anzeigen

    Spoiler ist überflüssig, wer das nicht weiß, ist in diesem Forum falsch... ^^

    Paulette Lestafier war nicht so verrückt, wie die Leute behaupteten.

    - Auch wieder ein herrlich schlichter Satz, fast ein bisschen herausfordernd-provokant. Denn wer kennt es nicht? "Ich singe nicht so schlecht, wie die Leute behaupten!" - "Ich bin besser in Mathe, als mein Lehrer denkt!" Und nun will man natürlich wissen, inwiefern die gute Paulette denn vielleicht verrückt ist. Das Verrücktsein anderer Leute - das ist doch spannend.

    Spoiler anzeigen

    Anna Gavalda: Zusammen ist man weniger allein

    Es geht dann weiter mit:

    Natürlich wusste sie, wann welcher Tag war, sie hatte ja sonst nichts zu tun, als die Tage zu zählen, auf sie zu warten und wieder zu vergessen.

    (auch das ist sehr schön geschrieben...)

    Joost hatte zwei Probleme: den Mond und seinen Schnauzer.

    - ein denkbar schlichter Einstieg mit einer komischen Pointe, die Fragen aufwirft

    - Denn: welche Probleme hat man schon mit dem Mond? Und mit seinem Bart? Warum sind diese Probleme so wichtig, dass sie an den Anfang eines gesamten Buchs gestellt werden? (Ironie dahinter: Diese Probleme tauchen tatsächlich nie wieder auf.)

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    Leigh Bardugo: Das Lied der Krähen

    Es war Herbst in der Stadt des Mondes, als Victor zum ersten Mal von Prosper und Bo hörte.

    - poetischer Einstieg "in der Stadt des Mondes", und man wird gleich ins kalte Wasser geworfen. Wer sind Victor, Prosper und Bo? Was hört er über sie? Warum im Herbst? Um diese Namen "Prosper und Bo" wird sofort ein Geheimnis aufgemacht.

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    Cornelia Funke: Herr der Diebe

    Es geht dann weiter mit:

    Die Sonne spiegelte sich in den Kanälen und überzog die alten Mauern mit Gold, aber der Wind blies eisig vom Meer herüber, als wollte er die Menschen daran erinnern, dass der Winter kam.

    Ihr wisst noch nichts von mir, wenn ihr nicht ein Buch gelesen habt, das sich "Tom Sawyers Abenteuer" nennt, aber das macht nichts.

    -Also gut, das Buch ist Weltliteratur aus dem Grund, weil es so herrlich unverblümt direkt aus dem entsprechenden Milieu heraus geschrieben wurde, und deswegen springt dieser Stil einen einfach an. Er ist ehrlich, direkt, originell. Und es macht gerade deswegen, weil der Erzähler einräumt, dass es nicht schlimm ist, wenn man ihn noch nicht kennt, neugierig. Die direkte Leseransprache hilft hier auch ungemein.

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    Mark Twain: Huckleberry Finns Abenteuer

    Es geht dann weiter mit:

    Das Buch hat Mr. Mark Twain geschrieben, und im großen und ganzen hat er dadrin die Wahrheit gesagt. Es gibt zwar Dinge, wo er ´n bisschen geflunkert hat, aber er hat im großen und ganzen die Wahrheit gesagt. Das ist nicht schlimm.

    Jenseits des indischen Weilers, an einem einsamen Gestade, stieß ich auf eine Spur frischer Fußabdrücke.

    - Hier werden wieder Fragen heraufbeschworen. Wo bitte ist der Protagonist? Noch wichtiger: Wo führen die Fußabdrücke hin?

    Spoiler anzeigen

    David Mitchell: Der Wolkenatlas

    Es geht dann weiter mit:

    Über fauligen Riementang, Reerescocosnüsse u. Bambus führten sie mich zu ihrem Verursacher, einem Weißen mit flott gestutztem Barte u. übergroßem Biberhut, welcher, Hosenbeine u. Ärmel seiner Seemannsjacke aufgekrempelt, mit einem Teelöffel so andächtig den groben Sand durchschaufelte u. siebte, dass er mich erst bemerkte, als ich ihn aus etwa zehn Schritt Entfernung anrief. Auf diese Weise machte ich Bekanntschaft mit Dr. Henry Goose, Chirurg der Londoner feinen Gesellschaft.

    Der Dämon explodierte in einem Regen aus blutigem Sekret und Eingeweiden.

    - sehr, ähm, unkonventioneller Einstieg, sehr anschaulich und dadurch irgendwie lustig. Oder eklig, je nachdem. Fragen werden auch gestellt: Was für ein Dämon? Warum explodiert er, was ist die Ursache dahinter? In welcher Szene sind wir überhaupt?

    Spoiler anzeigen

    Cassandra Clare: Clockwork Angel (Prolog)

    Mrs Rachel Lyndes Haus stand dort, wo die von Erlen und Fuchsien gesäumte Hauptstraße von Avonlea durch eine kleine Senke führte.

    - eines meiner Lieblingsbücher als Kind, dessen Einstieg ich auch aufregender in Erinnerung hatte. Denn so gibt der erste Satz nun nicht wirklich viel her, außer dass gleich blumig-malerisch eine Szene entsteht, eine naturgelegene Straße. Und man fragt sich, wer Mrs Rachel Lynde ist, aber das war's auch schon.

    Spoiler anzeigen

    Lucy Maud Montgomery: Anne aus Green Gables

    Als Herr Bilbo Beutling von Beutelsend ankündigte, dass er demnächst zur Feier seines einundelfzigsten Geburtstages ein besonders prächtiges Fest geben wolle, war des Geredes und der Aufregung in Hobbingen kein Ende.

    -Hier will man selbstverständlich sofort wissen, warum es denn Gerede und Aufregung gibt. Und was bitte schön die Zahl "einundelfzig" soll - man versteht, es ist Humor, es ist ein gewisser Stil, und das lädt doch auch zum Lesen ein. Genau wie die schöne Alliteration zuvor.

    Spoiler anzeigen

    Okay okay. Ich erwähne den Meister. J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Die Gefährten.

    Der Zirkus kommt überraschend.

    -Wieder wird man ins kalte Wasser geworfen. Ein kurzer, knackiger Satz, der weniger klärt, als dass er Fragen aufwirft. Von noch mehr Bedeutung sind aber die darauf folgenden Sätze, die ich in den Spoiler gepackt habe... weil sie nämlich richtig schön eine geheimnisvolle Atmosphäre schaffen, die zum Lesen motiviert.

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    Erin Morgenstern: Der Nachtzirkus

    Es geht dann weiter mit:

    Es gibt keine Ankündigung, keine Reklametafeln oder Plakate an Litfaßsäulen, keine Artikel und Zeitungsanzeigen. Plötzlich ist er da, wie aus dem Nichts.

    In Little Hangleton nannten sie es immer noch das "Riddle-Haus", obwohl die Familie Riddle schon seit vielen Jahren nicht mehr dort wohnte.

    -Ah, das Pronomenspiel. Kommt in den besten Büchern vor und bewirkt hier Fragestellerei: Wer nennt das Haus so? Und warum? Das Haus wird sofort mit etwas Besonderem, Bedeutungsvollen, Verwahrlosten assoziiert, und natürlich will man wissen, wer war diese Familie, warum wohnt sie nicht mehr dort. Hilfreich ist dabei, dass der Satz noch nicht zu viel hergibt und nicht zu lang ist.

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    Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Feuerkelch

    Am Abend traf sich Jorel mit dem Mädchen.

    - Kurz und wenig ergiebig - gerade deswegen fragt man sich: Wer ist Jorel? Warum trifft er sich mit "dem" Mädchen? Was ist das für ein Treffen?

    Spoiler anzeigen

    Jenny Mai Nuyen: Nocturna. Die Nacht der gestohlenen Schatten.

    Er sah Bücher.

    -Ich liebe diesen (zweiten) Einstieg. Einfach, weil der Satz nichts erklärt und trotzdem sieht man sofort Bilder vor dem inneren Auge.

    Spoiler anzeigen

    Auch Nocturna, zweiter Prolog

    Apolonia Magdalena Spiegelgold hatte eine exzellente Handschrift, wenn sie wollte.

    -Dieser (dritte) Einstieg macht eigentlich nur mit den folgenden Sätzen richtig viel Sinn, denn dann entfaltet der Anfang eine Art versteckte Komik, entwickelt sofort ein Charakterbild. Davon abgesehen ist der erste Satz auch ein richtiges Kleinod, denn man fragt sich: Schreibt die Person etwa gerade? Was schreibt sie?

    Spoiler anzeigen

    Auch Nocturna - endlich Kapitel eins, das dann weitergeht mit:

    Die Feder führte sie so elegant wie ein Fechter seinen Degen. Was Apolonia trotz der schönen Schrift jedoch gänzlich fehlte, war Geduld, und nach kaum fünf Zeilen verwandelten sich ihre fein geschwungenen Lettern in ein hastiges Gekrakel.

    Ich halte also fest:

    - Erste Sätze sollten Fragen stellen und möglichst nicht beantworten

    - Erste Sätze sollten, um die Lesemotivation zu steigern, nicht zu verschachtelt sein. Ich persönlich liebe knappe, aussagekräftige Sätze.

    - Erste Sätze sollten eine Atmosphäre formen, den Leser ins kalte Wasser werfen, neugierig machen.

    Natürlich alles nur aus meiner Sichtweise.

    Was ich schreibe: Eden

  • Ich für mein Teil muss sagen, das ich dem Ersten Satz auch nie so eine große Bedeutung beigemessen habe. Klar macht man sich als Autor darüber gedanken wo und wie der beste Einstieg für den Leser ist.

    Zitat

    Wieder einmal, wie schon so oft in den vergangenden Tagen, saß Anika auf dem Balkon und ihre Gedanken reisten wie von selbst in die Vergangenheit.

    Das ist mein erster Satz aus meinem Roman, das Drachenpentagramm.

    Ich denke, es kommt darauf an, wie das Buch, die Geschichte geschrieben ist. ISt das Buch sehr Poetisch, dann sollte auch der erste satz auch Poetisch den Einklank dazu geben. und so weiter. Ich denke es kommt wirklich darauf an, was der Autor bezwechen will und ich würde ein Buch daher nie nach dem ersten Satz beurteilen wollen.

  • Sorry, dass ich jetzt mal absolut germanistischen Mist loswerden muss!

    Aber beim Lesen eines Textes über sogenanntes "Thema" und "Rhema", fiel mir auf, ich hätte den Eindruck, besonders viele erste Sätze (zumindest von mir) begännen mit Es.

    Die Begriffe: Thema ist eine bekannte und Rhema eine neue Information. Wenn wir zwei Sätze haben wie:

    "Papa ist ein toller Ingenieur. Er weiß alles."

    Dann ist im ersten Satz "Papa" (der optimalerweise schon vorher erwähnt wurde) Thema und "Ingenieur" Rhema, weil dem Thema nun eine neue Information (Ingenieur) zugewiesen wird. Im zweiten Satz allerdings ist "Er" Thema (könnten wir auch mit "Papa" ersetzen, denn in diesem Satz kennen wir ihn ja schon aus dem ersten) und dass er alles weiß, ist Rhema.

    Charakteristisch fürs Deutsche ist erstmal, dass das Rhema (das Neue) immer eher am Ende des Satzes steht.

    Deswegen gefiel mir auch dein erster Satz unter diesem Blick so gut, @Drachenlady2001:

    Zitat

    Wieder einmal, wie schon so oft in den vergangenden Tagen, saß Anika auf dem Balkon und ihre Gedanken reisten wie von selbst in die Vergangenheit.

    Weil das "Wieder einmal" als Einstieg eigentlich relativ bedeutungsentleert ist, und ja irgendwie auch einer allgemeinen Lesehaltung entspricht, mit der man "wieder einmal" deinen Text und den ersten Satz liest (wie vielleicht auch in den vergangenen Tagen). Und erst mit Fortschritt, gegen Ende des Satzes, erreichen wir die rhematischeren Positionen: Anika, und schließlich der Rhema-Gipfel: Die Vergangenheit. Mit der es ab dem nächsten Satz wohl als neues Thema weitergeht.

    Damit gehst du irgendwie vom Leser selbst gleichsam behutsam wie auch mit der für die Spannung nötigen Rasanz in die Geschichte hinein und das ist, was mir gefällt ^^

    Nun dachte ich mir, dass das ja eigentlich klassisch ist: "Es war einmal" – Das heißt, man geht vom Anfang, vom Nichts (Es ist ja sinnleer) als Thema aus und sagt dann als Rhema, dass überhaupt etwas war.

    Leider musste ich beim Lesen aller ersten Sätze hier feststellen, dass keineswegs "Es" auffällig oft als erster Satz vorkommt, zumindest nicht so oft, dass man eine besondere Häufung von Wendungen wie "Es war Nacht" oder "Es regnete" feststellen könnte. (Aber deswegen wie toll! diese Sammlung!)

    Vielleicht hilft dieser theoretische Einschub ja, den ersten Sätzen ein wenig tiefer nachzuspüren. Denn üblicherweise ergibt sich gerade am Textanfang das Problem, das noch kein syntaktisches "Thema" aus dem Vorsatz bekannt ist (wie obig im zweiten Beispielsatz "Er") und man einfach irgendwas Neues als Thema setzen muss.

    Das ist dann, was man wohl oft auch gerne als 'direkten Einstieg‘ liest; man bekommt ein Thema vor den Latz geknallt, wird ins "kalte" (also unerwähnte) "Wasser geworfen", was ja auch Spannung erzeugen kann. Ich fühle mich allerdings von Sätzen wie denen Drachenladys angesprochener!

    Liebe Grüße :)

  • Ich bin immer wieder fasziniert, wie sehr "der Deutsche" (tm) Dinge verkopfen kann. Ist das in anderen Sprach-Gebieten auch so? Gibt es "espaniolisten" oder "italianoisten"? Auch wenn diese Worte jetzt albern klingen (nun, immerhin sind sie von mir!), ist meine Frage ernst gemeint. Machen die andren Völker auch so ein Gewese um ihre Sprache? Ich meine damit, Regeln und Fachbegriffe zu entwerfen, um Dinge zu deuteln und erklären, die eigentlich nur "gut klingen" sollen?


    "Gut klingen" ist natürlich eine ziemlich schwierige Sache. Was dem einen Ohre wohl klinget, bringt den anderen Leser an den Rand eines Würgeanfalls (Leser würgt Autor).

    Mir ist egal, ob da ein Thema, ein Tremor oder ein Plusquamperfekt im ersten Satz steht. Es muss für mich(!) zu meiner Geschichte passen, zu meinem Stil und grammatikalisch und ortodingslich einigermaßen korrekt sein...

    Werden Texte besser, wenn man sie durch die Germanistik-Mühle treibt?

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
    -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Bin ganz deiner Meinung Cory Thain, manchmal kann man es auch übertreiben mit der sprachlichen Analyse. Allerdings kann ich nicht sagen ob es in anderen Sprachen genauso ist. Ich weiß nur, dass es "Hispanistik" zumindest gibt.

    Wenn ich schon mal in hier bin, kann ich auch mal die esten Sätze meines Lieblingsbuches "Die Gärten des Mondes" von Steven Erikson nennen. "Sätze" weil ich nicht genau wusste welchen ich nehmen sollte und alle eigentlich ganz gut sind (zumindest die, die auch wirkliche Sätzte sind).

    Es kommt nämlich erst ein kurzer poetischer Text (ich würde ihn nicht als Gedicht bezeichnen). Dann kommt ein Gedicht, von einer Figur aus dem Buch geschrieben, dann folgt ein Prolog und dann beginnt das erste Kapitel, zunächst mit einem Bericht, es folgt ein Klagelied und schon sind wir beim ersten Prosasatzt des ersten Kapitels. :D

    Nun, da die Asche kalt geworden ist, öffnen wir das alte Buch.

    Der Imperator ist tot!

    Die Rostflecken auf der schwarzen, vernarbten Oberfläche von Mocks Wetterfahne sahen aus wie aufgemalte Seen aus Blut.

    "Zerren und stoßen", sagte die alte Frau, "so macht das die Imperatrix, genau wie die Götter."

    Alle vermitteln sofort die Stimmung der entsprechenden Aspekte der Geschichte und sorgen sofort für Aufmerksamkeit.

  • Damit gehst du irgendwie vom Leser selbst gleichsam behutsam wie auch mit der für die Spannung nötigen Rasanz in die Geschichte hinein und das ist, was mir gefällt

    Danke für deine sehr schöne Anmerkung. Ich war echt geplättet, das es doch so ansprechend war, obwohl ich mir hierzu zwar als Einstieg gedanken gemacht habe aber auf den ersten Satz so nicht wirklich viel Bedeutung gelegt hab. Dank das du mir dieses Feedback gegeben hast, und mir damit Zeigst, dass auch wenn man eher aus dem bau heraus Handelt man nicht immer falsch damit liegt.

    Herzlichen Dank :love:

  • Hey, Cory Thain

    Ich bin immer wieder fasziniert, wie sehr "der Deutsche" (tm) Dinge verkopfen kann. Ist das in anderen Sprach-Gebieten auch so?

    Ja, zumindest in der Anglistik gibt's die Analysen von Thema und Rhema in Texten auch. Manchmal ist es halt schon spannend, wie z.B. ein politischer Text (eine Rede) aufgebaut ist, wenn er eine bestimmte Wirkung erzeugen soll. Da wird man automatisch an Bekanntem anknüpfen und auf geteilte Überzeugungen zurückgreifen, bevor man z.B. die Abschaltung aller Atomkraftwerke verkündet (oder deren Wieder-ans-Netz-Gehen).

    Dazu fällt mir eine Hausarbeit ein, die ich in einer ähnlichen Richtung mal geschrieben habe. Es ging um Argumentationsmuster und rhetorische Mittel in politischen Texten und Geschichten der Auseinandersetzung von progressiven und konservativen Schriftstellern und Politikern in England mit der französischen Revolution. Ja, das Thema hat höchste Bedeutung für alle Menschen :rofl: , aber es war tatsächlich spannend und hat mir gezeigt, wie völlig gegensätzlich sich z.B. Metaphern einsetzen lassen.

    Werden Texte besser, wenn man sie durch die Germanistik-Mühle treibt?

    Bestimmt nicht automatisch, aber letztlich sind die Analyse- und Beschreibungswerkzeuge ja auch vor allem Hilfsmittel, die ich einsetzen kann (aber nicht muss). Vielleicht kann man das mit einer Brille vergleichen, die man aufsetzt, um etwas anderes im Text bewusster wahrzunehmen. Natürlich braucht das nicht jeder. Oder um mal in der Metapher zu bleiben:

    Viele Menschen haben zwei gesunde Augen und sehen damit ganz hervorragend. Andere brauchen eine Brille oder Kontaktlinsen. Manche schleppen riesige Ferngläser mit auf ihre Wanderungen, damit sie Wildtiere beim Futtern detailliert beobachten können. Andere schauen Zellen unter einem Mikroskop an. Jeder hat dabei natürlich andere Interessen, Bedürfnisse, Erfahrungen, Ziele, etc. und dementsprechend nutzen sie die Hilfsmittel, die ihnen am geeignetsten erscheinen.

    Mir ist egal, ob da ein Thema, ein Tremor oder ein Plusquamperfekt im ersten Satz steht. Es muss für mich(!) zu meiner Geschichte passen, zu meinem Stil und grammatikalisch und ortodingslich einigermaßen korrekt sein...

    Eine Lektorin oder der Autor einer ganzen Serie von Büchern (die also beide sehr viel mit ersten Sätzen zu tun haben) könnten sich irgendwann fragen: Wie können wir erste Sätze so gestalten, dass sie funktionieren? Was macht gute erste Sätze eigentlich aus? Meiner Meinung nach ist das eine Frage mit mindestens zwei Aspekten: zum einen natürlich ein sprachlicher Aspekt, zum anderen aber auch ein psychologischer: Was wird eigentlich als "guter erster Satz" bewertet. Auf der Ebene, auf der wir das hier im Forum betreiben, geht es uns vor allem darum, uns auszutauschen, verschiedene Beispiele zu sehen und uns eine Meinung über und ein Gefühl für erste Sätze zu bilden. Einer Wissenschaftlerin ist das vielleicht nicht genug (und passt auch nicht so ganz zu den Anforderungen, die ihr Berufsfeld stellt). Sie möchte objektiv beschreiben können, was gute erste Sätze ausmacht. Zugegeben, die Frage scheint mir wissenschaftlich etwas zu eng und zu irrelevant, aber man weiß ja nie ^^ Und wie es in jedem Beruf üblich ist, hat man die jeweilige Fachsprache zu lernen, weil das eben auch Teil des Berufs ist. In den meisten Wissenschaften kommt noch dazu, dass man alles möglichst genau und unmissverständlich (im Sinne von nicht zweideutig) formuliert, was sehr schnell eben "verkopft" wirkt.

    Also auch hier gilt, dass verschiedene Leute eben verschiedene Bedürfnisse haben. Dass es da zu Reibungen zwischen verschiedenen Meinungen kommt, ist dann ja auch irgendwie klar. So sind wir halt, wir Menschen ^^

    Ja, jetzt weiß ich auch nicht, warum ich so viel geschrieben habe... xD Bin halt auch etwas verkopft ^^

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Was mich dabei umtreibt:

    Wenn ich (Cory) einen Text fabriziere, ohne jegliche Kenntnis von Germanistik und deren Raffinessen... könnte ein Germanistiker da trotzdem "typische Stilmittel" rauslesen... ich hab ja ga keine reingeschrieben. Ich habe mich 'nen Fuchs drum geschert, ob da im ersten Satz (back to topic) all die Dinger drin sind, die ein Wissenschaftler für "wichtig" hält.

    Kann man die Texte einer Cory (das bin ich) nach den gleichen Kriterien aufdröseln wie die Texte eines Kant, eines Tolkien oder eines Konsalik? Ja, gut, können kann man sicher, aber ist es fair, jemanden nach wissenschaftlichen Kriterien auseinander zu nehmen, der einfach nur aus Spaß am Vergnügen schreibt?

    Der Unterschied zwischen dem, was Du bist und dem, was Du sein möchtest, liegt in dem, was Du tust.
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    Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

  • Ich bin immer wieder fasziniert, wie sehr "der Deutsche" (tm) Dinge verkopfen kann. Ist das in anderen Sprach-Gebieten auch so? Gibt es "espaniolisten" oder "italianoisten"?

    Yepp.

    Thema/Rhema und 'topicalization' habe ich vor zwei Wochen erst bei Erhard Graefe in der Mittelaegyptischen Grammatik gefunden - das ist jetzt meiner Einschaetzung nach eigentlich mehr was linguistisches als was stilistisches.

    Der Punkt ist, dass es im aegyptischen Substantivalsatz (ein Satz ohne Verben) einen Unterschied fuer sie Wortstellung macht, was Thema und was Rhema ist - der Satz wird dadurch nicht besser wenn sich der Schreiber klar macht was was ist, sondern er wird erst dadurch richtig.

    Linguistik beschaeftigt sich mit solchen Strukturen (da gibt's durchaus noch schraegere, Chomsky's X-bar zum Beispiel) um darueber zu reden was in verschiedenen Sprachen gemeinsam oder unterschiedlich ist.

    Also - zum Beispiel hat Deutsch ein Futur mit Hilfsverb 'ich werde wissen' - Finnisch hat keine solche Form, aber natuerlich reden auch Finnen ueber die Zukunft - also braucht man ein Set von Begriffen in denen man Konzepte fasst die ein Sprecher ausdruecken will damit man sehen kann mit welchen Formen eine Sprache diese Konzepte konkret realisiert.

    Thema und Rhema sind solche Konzepte - die helfen Dir primaer wenn Du wissen willst wie Dein Satz moeglichst gut uebersetzt werden sollte oder wenn Du Sprachen vergleichst - um einen besseren deutschen Satz zu schreiben bringen sie eher nichts.

    Und ja, es gibt auch Anglisten, Russisten,... die sich mit der Literatur und der literarischen Sprache dieser Laender auseinandersetzen - ich glaube wenn man sowas studiert bekommt man auch den Grundkurs Linguistik dazu...

    Werden Texte besser, wenn man sie durch die Germanistik-Mühle treibt?

    Jein.

    Schreiben ist kreativitaet, aber es ist halt auch Technik dabei - ich nehme an auch fuer Dich sollte die Rechtschreibung okay sein, sollte die Grammatik stimmen und sollte vermutlich auch die Stilebene der Saetze zueinander passen - und an dem Punkt ist eigentlich schon recht viel Technik drin.

    Also - mal konkret:

    bigbadwolf hat uns z.B. auch extra noch die Alliteration 'Hilferufe holder Hofdamen' wieder ins Drehbuch fuer Schwert und Held II geschrieben so dass ich gestern 5 Minuten gepuzzelt habe wie ich die fuer die Untertitel gut auf Englisch machen kann ('despair of damsels in distress') - wenn Du genug 'Muehle' verinnerlicht hast dass das alles aus dem Bauch raus geht, dann gut - aber grade wenn Du dann mit dem Text arbeitest und versuchst Stilebene und Wortspiele zu uebersetzen oder kuerzen willst ohne die Essenz zu verlieren, dann hilft es schon da mehr Werkzeug zu haben mit dem man das analysiert.:)

  • Kann man die Texte einer Cory (das bin ich) nach den gleichen Kriterien aufdröseln wie die Texte eines Kant, eines Tolkien oder eines Konsalik? Ja, gut, können kann man sicher, aber ist es fair, jemanden nach wissenschaftlichen Kriterien auseinander zu nehmen, der einfach nur aus Spaß am Vergnügen schreibt?

    Können kann man schon ;)

    Du schreibst gewiss auch einige Dinge auf eine bestimmte Weise und bist der Meinung, dass man sie so und nicht anders schreiben sollte, weil du ein Gefühl für Ästhetik, Stil oder was auch immer hast. Du kannst vielleicht nicht immer genau benennen, warum das jetzt in deinen Ohren gut klingt, aber eine Textanalyse kann da Stilmittel aufdecken, die du unbewusst reingebracht hast. Du brauchst also nicht immer ein Bewusstsein für diese Dinge, um sie anwenden zu können - aber helfen tut es schon (weniger zum Schreiben als viel mehr zum Verstehen von fremden, aber auch eigenen Texten).

    Kritisch wird es immer bei Fragen wie "was will uns der Autor damit sagen?", wie sie in der Schule häufig gestellt werden. Bei bestimmten Autoren kann man da vielleicht eine begründete Vermutung anstellen, weil man weiß wie sie die Welt betrachtet und über sie geschrieben haben, aber Cory kann man da dann vielleicht keine geniale Absicht unterstellen, wenn sie bestimmte Stilmittel nur benutzt hat, weil's gerade gut klang :D Aber auch das macht nichts, denn auch in die Texte großer Autoren wurden schon Dinge hineininterpretiert, die von selbigen Autoren persönlich vehement abgestritten wurden. Genützt hat es ihnen nichts, denn die Textanalyse hat das eben so ergeben.

  • Kritisch wird es immer bei Fragen wie "was will uns der Autor damit sagen?", wie sie in der Schule häufig gestellt werden. Bei bestimmten Autoren kann man da vielleicht eine begründete Vermutung anstellen, weil man weiß wie sie die Welt betrachtet und über sie geschrieben haben, aber Cory kann man da dann vielleicht keine geniale Absicht unterstellen, wenn sie bestimmte Stilmittel nur benutzt hat, weil's gerade gut klang :D Aber auch das macht nichts, denn auch in die Texte großer Autoren wurden schon Dinge hineininterpretiert, die von selbigen Autoren persönlich vehement abgestritten wurden. Genützt hat es ihnen nichts, denn die Textanalyse hat das eben so ergeben.

    Aus diesem Grund wird uns im Germanistikstudium eingepredigt, dass man diese Frage nicht stellen soll, weil sie sinnlos ist. Mein Prof erklärte das lang und breit an einem Beispiel, dass einer seiner Studenten eine Hausarbeit über ein Werk von irgendeinem Expressionisten geschrieben und dann anhand einer Textanalyse (Stilmittel etc.) interpretiert hat, es könne sich ja eigentlich nur um die Kritik an Massentierhaltung handeln. Dabei ist er so verkopft auf die Frage "Was könnte der Autor gemeint haben?" eingegangen, dass er nicht gecheckt hat, dass es zu der Zeit überhaupt noch keine Massentierhaltung gab.

    Und in dem Punkt hat Cory Thain schon recht. Als Leser oder Interpret, als derjenige, der den Text rezipiert, sollte man sich nicht fragen "Was hat sich der Autor dabei gedacht?" Im besten, häufigsten Fall ist der Autor längst tot und denkt gar nichts mehr, und man kann den Satz "Die Gardinen waren blau" bis in "Einsamkeit, Selbstisolation, Abschottung" und sonst-was interpretieren - der Autor dachte möglicherweise einfach nur: "Die Gardinen waren blau".

    Also bietet es sich mehr an, bei der Form zu bleiben und formal zu interpretieren - auf der Text/Zeichenebene. Und da kann eine ordentliche Textanalyse schon helfen, ja.

    Was ich schreibe: Eden

  • Aus diesem Grund wird uns im Germanistikstudium eingepredigt, dass man diese Frage nicht stellen soll, weil sie sinnlos ist.

    Hm - das scheint mir ungewoehnlich...

    Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem Germanisten die mich da - sagen wir mal vorsichtig - ratlos gemacht hat. Es ging um die Beziehung zwischen Aragorn und Eowyn im Herrn der Ringe - besagter Germanist hat in einer Sammlung von Essays (fuer den ich was linguistisches beigetragen hatte) eine eher steile These zum Frauenbild dahinter vertreten.

    Jetzt gibt's in den 'Letters fo JRRT' auch einen Brief wo Tolkien seine Gedanken zu dem Dreieck Aragorn, Eowyn und Arwen recht genau darlegt - was eben nicht zu der These passte. Also hab' ich besagten Germanisten auf Tolkien's Absicht ('das will uns der Autor hier wirklich sagen') aufmerksam gemacht.

    Etwas erstaunt war ich dann ueber die Antwort - es kaeme nicht auf die Absicht des Autors an, sondern auf die Rezeption des Texts.

    Man ist ja Empiriker, und ich war damals in recht vielen Tolkienforen unterwegs, also hab' ich eine Spontanumfrage gestartet wie verschiedene Leute den Text rezipieren. Von etwa 30 Antworten waren die meisten wie Tolkien das beabsichtigt hatten, ein paar abweichend, niemand auf der Seite des Germanisten.

    Daraufhin hatte ich ihm geschrieben dass auch niemand den Text so zu rezipieren scheint wie er das behauptet - worauf ich informiert wurde dass ich nichts davon verstehen wuerde.

    Jo, wollte ich dann auch nicht mehr. Mir schien das eine Einladung zum rumfabulieren, recht losgeloest vom Text oder der Absicht des Autors. Insofern - schoen wenn das heute nicht mehr gemacht wird :D

    könnte ein Germanistiker da trotzdem "typische Stilmittel" rauslesen... ich hab ja ga keine reingeschrieben.

    Klar hast Du das.

    Sollen wir die Probe auf's Exempel machen ob irgendjemand einen Text von mir anhand einer Stilanalyse von einem Text von Dir unterscheiden kann?

    Du magst eher klare, einfache Saetze - ich hab' viel mehr Drang zum Nebensatz (und eine Schwaeche fuer Partizipien...). Du hast weniger Scheu vor Wiederholung von Namen der Akteure - ich gehe da eher auf Synonyme. Du verwendest wenig Adjektive - ich mag sie eigentlich sehr gerne.

    Ob Du da jetzt bewusst Alliterationen setzt oder nicht ist eher nebensaechlich - Deine Texte sind nicht so unaehnlich wie Du auch hier im Forum bist - eher direkt. Zufall? Ich denke nicht...:D

  • Kritisch wird es immer bei Fragen wie "was will uns der Autor damit sagen?", wie sie in der Schule häufig gestellt werden.

    Ich kenne die Frage auch noch sehr gut aus der Schule. Sehr häufig wurde sie falsch formuliert oder falsch verstanden. "Was sagt uns der Text heute noch?", "Was bedeutet der Text, was wird dadurch ausgesagt?" sind nicht so weit davon weg (also sprachlich; strenggenommen inhaltlich schon eher). Gerade im alltäglichen Gespräch setzt man doch häufig Text und Autor gleich, einfach, weil alle am Gespräch beteiligten das schon richtig verstehen, etwa "bei Tolkien ist es so..." oder "in der Herr der Ringe schreibt Tolkien...".

    Wichtig finde ich solche Interpretationen eher aus dem Grund, dass man sich Zeit nimmt, mal tiefer über (geeignete) Texte nachzudenken und vielleicht auch das Genießen von Sprache zu erlernen (oder zumindest die Möglichkeit dazu zu eröffnen).

    Im besten, häufigsten Fall ist der Autor längst tot und denkt gar nichts mehr, und man kann den Satz "Die Gardinen waren blau" bis in "Einsamkeit, Selbstisolation, Abschottung" und sonst-was interpretieren - der Autor dachte möglicherweise einfach nur: "Die Gardinen waren blau".

    Prinzipiell stimme ich dir da zu. Allerdings gibt es schon auch Symboliken, die z.B. in einer Epoche so häufig von verschiedenen Autoren verwendet wurden, dass es eben naheliegender ist, dass die blauen Gardinen für Einsamkeit stehen, als das sie andeuten, dass alle Leute zu der Zeit blaue Gardinen hatten. Das kann man natürlich meist erst dann überblicken, wenn man aus der entsprechenden Epoche eine größere Menge an Werken gelesen hat oder es in irgendeinem Brief etc. der Autoren mal angesprochen wird.

    Eine weiße Taube kann natürlich einfach eine weiße Taube sein, aber wenn sie bei der Erstbegegnung mit Marsianern freigelassen wird, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Aliens friedliebend sind, dann wird dadurch schon an eine sehr alte Tradition angeknüpft, dass die weiße Taube im christlichen Kontext / Kultur für Frieden, vielleicht auch für den heiligen Geist und so was steht. Umso lustiger ist es, wenn besagte Marsianer das als Auslöser hernehmen und der Menschheit den Krieg erklären :D

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Ja, Asni , du hast recht, für bestimmte Epochen (blaue Blume - Romantik), stimmt das definitiv!

    Ich möchte noch ergänzen, dass diese Frage "Was möchte uns der Autor damit sagen?" ganz besonders im Schulkontext nicht gestellt werden soll, wenn man nach unseren Dozenten geht. Die sagen das alle. Es evoziert bei den Schülern nämlich auch ein falsches Bild vom Erzähler, der mit dem Autor gleichgesetzt wird. Als ich an die Uni kam, dauerte es auch sehr lange, dieses Fehlkonzept Autor = Erzähler abzustreifen und zu begreifen, dass der Erzähler eine vom Autor geschaffene, weitere Instanz ist, die mit dem Autor nicht gleichzusetzen ist. Bei manchen Werken, wenn z.B. ein männlicher Autor aus Sicht einer Frau schreibt, mag das recht eindeutig zu erkennen sein, aber in der Schule hatten wir zuvor eher aus personal/auktorialer Er/Sie-Sicht geschriebene Bücher analysiert und auch Stanzls (überholtes) Modell der Erzählperspektiven trug da nicht sonderlich erbauend bei.

    Was ich schreibe: Eden

  • Das Problem was ich nur dabei sehe ist, das egal ob mit Studium oder ohne, wenn ein Text geschrieben wird, es aus einem bestimmten Blickwinkel erfolgt.

    So hat es für den Europäer eben diese weiße Taube das Sympol von Frieden, (Europäisch weiß= rein und Taube Vogel= Freiheit Text Folgerung Reinheit und Freiheit = Frieden).

    So haben aber einen in anderen Länder dann wieder andere Bedeutung, bei denen eben Weiß nicht für Reihnheit steht, sondern eben für Trauer, oder leere, und die Taube für ein unreines Tier ist wie bei uns die Ratte. Und da bekommt die weiße Taube eben eine völlig neue Bedeutung.

    Jetzt kenne ich eben nicht von jedem Autor seine Lebensweißheiten und angezogenen Aspekte und lese als Autonomalverbrauche den Text wie er ist ohne ihn interprätieren zu wollen. Wenn also es für den einen eben eine falsche deutung ist, das eine weiße taube auslöser ist für einen Krieg, dann ließt du das aus deinem verständniss heraus, doch ich lese eine weiße Taube hat eben diesen Krieg ausgelöst.

    Ich hoffe es ist einigermaßen rüber gekommen was ich damit sagen will. Es ist gut einige Aspekte zu beleuchten, aber immer nach Sinn und Hintergrund aus einem Satz lesen zu wollen, macht aus meiner Sicht wenig Sinn. Denn das übernimmt mein Gefühl. Wenn also ich gelernt habe, das weiße tauben für Frieden stehen, dieser aber der Auslöser für den Krieg war, dann ist es so. Es kann demnach aber alleine schon mehrer Gründe geben warum eben der Autor dieses So geschrieben hat.

    A. Die Taube war einfach da. flog weg und der Soldat hat sich erschreckt und hat damit einen Krieg ausgelöst. Es hätte damit auch eine Blau, grau oder sonst irgendeine Farbe sein können.

    B. Es steck der Sinn von Frieden in dem Bild und der, der als erstest geschossen hat hatte eben keinen Sinn für Frieden. Weil er ein Ziel verfolgt.

    C. Der Soldat der als erstes geschossen hatte wollte eigendlich die Taube erschiessen weil er keine tauben mag und nicht nachgedacht hat.

    d. ....

    Ihr seht, es gibt soviele möglichkeiten einen Eizelnen Satz so auseinander zu nehmen, das es im Grunde egal ist was der Autor damit sagen will. Es ist wichtig wie der Verbraucher den Satz liest. und da hat man eben dann einen Erfolg, wenn man wirklich mit einer weißen Taube bewusst diese Gefühl von Hass er einen Seite ausdrückt und dieses Dann erkannt wird. Es werden aber nunmal nicht alle so lesen und ich muss sagen als Autor kann ich damit leben.

  • das es im Grunde egal ist was der Autor damit sagen will. Es ist wichtig wie der Verbraucher den Satz liest.

    Du bist hier etwas auf der Spur, das sich "Rezeptionsästhetik" oder - "Der Leser beendet das Werk" nennt. Genau das ist es, warum "Was will der Autor uns damit sagen?" sinnlos ist. Denn wir können das fast bis ins Unendliche interpretieren und werden nie eine Antwort bekommen*. Natürlich macht es Sinn, gewisse Konventionen (Autor ist christlich - benutzt weiße Taube - könnte Frieden bedeuten) zu beachten. Besonders, wenn solche Metaphern und Symbole oft gebraucht werden. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass es nur in besonderen Fällen hilft, die Frage "Was will der Autor uns denn sagen?" zu stellen. UNS will der Autor erst mal gar nichts sagen, er kennt uns ja nichts persönlich. Er will vielleicht etwas ausdrücken... aber es liegt am Leser, das für sich festzustellen... denn der Leser gehört ja auch zum Prozess dazu. Er zieht sich das aus dem Text heraus, was er versteht, was er deuten kann, weil es ihm selbst ähnlich passiert etc. Das kann der Autor aber nicht vorher steuern. Er weiß ja nicht, wer seinen Text wann und wie lesen wird.


    *In seltenen Fällen soll das schon vorgekommen sein, als Schüler die Autoren ihrer Pflichtlektüre gefragt haben, was sie sich bei bestimmten Passagen denn eigentlich dachten, und die haben auf Facebook dann nur geantwortet: "Eigentlich hab mir da nix tieferes gedacht, sorry"...

    Was ich schreibe: Eden

  • Er will vielleicht etwas ausdrücken... aber es liegt am Leser, das für sich festzustellen... denn der Leser gehört ja auch zum Prozess dazu.

    Und das ist irgendwie das schoene am Forum, denn der Autor bekommt gleich Feedback wie das was er ausdruecken wollte bei verschiedenen Lesern angekommen ist.