Der Standpunkt. Oder „Point of view“

Es gibt 17 Antworten in diesem Thema, welches 1.468 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (19. Februar 2024 um 11:17) ist von Miri.

  • Der Standpunkt. Oder „Point of view“

    Bei den meisten Geschichten wird das Geschehen vom Standpunkt einer oder mehrerer Charaktere und deren Perspektive geschrieben. Wir folgen dann einem Protagonisten, bei dem, was er so tut und denkt. Bein einigen meiner Schreibversuche bin ich innerhalb eines Kapitels von einem Kopf in den nächsten gesprungen, dies ist oft kritisiert worden und es ist für Leser auch schwerer nachzuvollziehen. Bei Kurzgeschichten bleibe ich, wenn möglich, in einem PoV (Point of view Charakter). Auch bei längeren Texten bleibe ich jetzt zumindest innerhalb eines Kapitels innerhalb der Gedanken und Sichtweise eines Charakters. Das funktioniert ganz gut. Manchmal kommen in einer Geschichte später neue PoV Charaktere hinzu. Mir gefällt das. Wie seht ihr das als Leser und Autoren?

    Verwirren viele PoV Charaktere, oder ist das ein Plus für die Geschichte?

  • Ich persönlich mag Geschichten mit mehreren POVs, um mehr Facetten und Eindrücke von der Geschichte und ihrer Welt zu erhalten. Wobei es je nach Story natürlich auch besser sein kann, wenn man immer beim Protagonisten bleibt.

    Von Perspektivenwechsel innerhalb der Kapitel bin ich nicht so Fan. Wenn, dann bevorzuge ich es, wenn die Wechsel wenigstens deutlich gekennzeichnet sind, z.B mit doppelten Absätzen und ein zentrierten Sternchen *, einer horizontalen Linie oder sonstigen Symbolen.

  • Ich bin auch ein Fan von mehreren POV's. Ich habe keine Probleme, von einem Kopf in den anderen zu wechseln, sei es als Leser oder als Schreiber. Und ich mache das auch gern. :D Aber ich mag auch keine Perspektivwechsel innerhalb eines Kapitels, da bin ich bei Jufington und Sensenbach. Kurzgeschichten bleiben auch bei einem Charakter.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Als ich mit dem Schreiben anfing, tat ich mich mit der Erzählperspektive etwas schwer, da mir nicht immer bewusst war, welche Erzählinstanz welche "Kameraeinstellungen" mitbringt.

    Theoretisch spielt es für mich keine Rolle, wie viele PoV-Figuren in einem Roman vorkommen, so lange sie relevant und interessant sind. Die Gefahr, dass einige Figuren die Leser:innen weniger interessieren, als andere, ist wohl immer gegeben. Vor allem, wenn irgendwann neue dazu kommen, da man erst mit ihnen warm werden muss. Je nach Fähigkeitenlevel und persönlichem Interesse der Leser:innen kann das mal schneller, mal langsamer oder eben gar nicht erst funktionieren.

    Was ich persönlich nicht mag, ist, wenn die Kameraeinstellung nicht stimmt. Also wenn eine Ich-Erzählerin plötzlich wie eine Drohne eine Landschaft beschreibt und sich auf dem Boden befindet, sodass sie keinen solchen Blick auf die Landschaft haben kann.

    Bein einigen meiner Schreibversuchen bin ich innerhalb eines Kapitels von einem Kopf in den nächsten gesprungen, dies ist oft kritisiert worden und es ist für Leser auch schwerer nachzuvollziehen.

    Das empfinde ich bei den meisten Belletristik-Werken auch eher störend.

    Ein Grund hierfür ist, dass der Lesefluss meistens gestört wird und das Tempo der Erzählung nimmt ab. Vor allem, wenn es dann ein Hin- und Herspringen ist.

    Ein weiterer Grund ist der, dass ich das Gefühl habe, dass viele Autor:innen es versehentlich machen, sodass eine Inkonsistenz aufkommt. Sie "rutschen" in die Köpfe der anderen Figuren hinein (jedenfalls kommt es mir so vor).

    Wenn man diesen Perspektivwechsel allerdings gekonnt macht, kann das auch ein wundervoller Effekt sein, wodurch die Geschichte besonders gut in Erinnerung bleibt und ein gewisses Etwas erhält. Ein Buch, an das ich mich bis heute erinnere, das das schafft, ist "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak. Wobei es sich mit diesen Momenten ziemlich zurückhält und es nicht übertreibt.

  • Was ich persönlich nicht mag, ist, wenn die Kameraeinstellung nicht stimmt. Also wenn eine Ich-Erzählerin plötzlich wie eine Drohne eine Landschaft beschreibt und sich auf dem Boden befindet, sodass sie keinen solchen Blick auf die Landschaft haben kann.

    Was ich manchmal mache ist diesen "Drohnenfekt" am Anfang eines Kapitels zu setzen und mich dann hinab in den Kopf eines Potagonisten zu begeben. Meisterlich vorgemacht von Robert Jordan im "Rad der Zeit". Das ist womöglich old school, für das Setzen der Stimmung allerdings sehr effektiv.

  • Heyho.

    Verwirren viele PoV Charaktere, oder ist das ein Plus für die Geschichte?

    Ich würd mal sagen: Weder noch.

    Weil's ja immer vom Leser und seinen Aufnahmemöglichkeiten abhängt.

    Der eine ist schon von zwei PoV's überfordert, dem anderen kann man zehn nacheinander vorstellen und es macht ihm Spaß.

    Grundsätzlich würde ich innerhalb eines Kapitels bei einer Sichtweise bleiben.

    Allerdings könnte ich mir gut vorstellen, daß der Wechsel in bestimmten Szenen eine gehörige Spannungssteigerung schaffen könnte.

    Beispiel Hinterhalt:

    Drei Angreifer mit einem gemeinsamen Plan, drei verschiedene Positionen und Sichtweisen auf die gleiche Stelle, drei Meinungen dazu, ob es klappt. Kulminierend im gemeinsamen Angriff.

  • Leider mag die Zitat-Funktion gerade nicht so, wie sie soll...

    Bei einigen meiner Schreibversuche bin ich innerhalb eines Kapitels von einem Kopf in den nächsten gesprungen, dies ist oft kritisiert worden

    Ich mag verschiedene POV-Charaktere, gerade weil es die Möglichkeit eröffnet, manche Dinge etwas unscharf oder zweideutig darzustellen - verschiedene Sichtweisen auf die gleiche Situation eben. Ich denke, dass ich das am Anfang aus Leserperspektive auch seltsam fand, dass die Geschichte nicht nur einen Hauptcharakter oder eine Gruppe von Hauptcharakteren hat.

    Die Kritik in deinem Zitat, Sensenbach , kann ich ehrlich gesagt in der Allgemeinheit nicht nachvollziehen. Ich finde, dass es auch innerhalb eines Kapitels gut funktionieren kann, unterschiedliche POV zu haben. Dass das nicht immer funktionert, ist denke ich auch klar. Die Frage ist halt, was das jeweilige Kapitel ausmacht. Mein Lieblingsbeispiel an der Stelle ist ein Kapitel aus "The Heroes" von Joe Abercrombie, in dem der erste Angriff einer Armee auf eine andere Armee dargestellt wird. Hier ist das gesamte Kapitel von POV-Charakteren erzählt, die sonst nicht mehr auftauchen, aber sie erfüllen super die Funktion, den Leser sehr nahe an das Kampfgeschehen zu bringen, an dem die Hauptcharaktere nicht beteiligt sind. Der Wechsel von POV zu POV wird sinnvoll durch das Geschehen begleitet, also Truppen der Angreifer stürmen einen Hügel hoch, das sieht man aus sich eines der Angreifer. Zum Abschluss dieser Passage wird der POV von einem Charakter der Verteidiger getötet. Damit wechselt dann auch der POV zu diesem Charakter. Das wiederholt sich dann nochmal ähnlich, wenn ich mich richtig erinnere und funktioniert innerhalb dieses Kapitels mMn sehr gut (vor allem weil es gut geschrieben ist). Vielleicht gibt es im ganzen Roman noch ein weiteres Kapitel in dieser Art, da bin ich mir gerade nicht sicher, aber viele sind es nicht und wenn dann immer für ausgewählte Ereignisse, die sich so eben sinnvoll darstellen lassen.

    „Alice, man darf sein Leben nicht nach anderen richten. Du allein musst die Entscheidung fällen.“ [Alice im Wunderland]

  • Verwirren viele PoV Charaktere, oder ist das ein Plus für die Geschichte?

    Es ist einfach anders. :)

    Viele PoVs machen eine Welt reichhaltiger erfahrbar weil man sie eben nicht nur durch ein paar Augen sieht. Das ermoeglicht es, an jedem interessanten Platz der Geschichte einen Erzaehler stehen zu haben - bei einer Geschichte mit einem PoV geht sowas nicht oder wird sehr unglaubwuerdig, da passieren oft interessante Dinge 'ausserhalb' die nicht erlebt werden. Auch das Argument der unterschiedlichen Deutung des gleichen Geschehens aus mehreren Perspektiven finde ich reizvoll.

    Auf der anderen Seite driftet Information - durch den Leser - von Perspektive zu Perspektive - die Situation dass das Leserwissen gleich dem Charakterwissen ist kommt eigentlich seltener vor, und wenige PoV (oder nur eine einzige Perspektive) verengen die Erzaehlung so dass sie wirklich das Erlebnis einer Person sein kann - was dann der Identifikation des Lesers mit dem Protagonisten dienen kann.

    Also - viele PoV legen den Fokus auf die Welt, wenige legen ihn auf die Charaktere.

    Persoenlich - und das ist wirklich Geschmacksfrage - stelle ich fest dass ich, je laenger ich schreibe, umso mehr die verengte Perspektive reizvoll finde. Zum Beispiel einfach mal nicht bei einem dramatischen Ereignis live dabei zu sein sondern nur davon zu hoeren ist schwierig, aber kann den Leser dann wie den Charakter raten lassen was genau abgegangen ist. Fuer meinen Geschmack gibt das einen subtilen Realismus - auch das Leben eines Abenteurers besteht aus low key Szenen...


    Bein einigen meiner Schreibversuche bin ich innerhalb eines Kapitels von einem Kopf in den nächsten gesprungen, dies ist oft kritisiert worden und es ist für Leser auch schwerer nachzuvollziehen.

    Der Wechsel von POV zu POV wird sinnvoll durch das Geschehen begleitet

    Ich denke den Punkt hat Asni auf den Kopf getroffen.

    Die einzige Art bei der ich erlebt habe dass das funktioniert ist was, das man vielleicht einen 'Staffellauf' nennen koennte - jemand bewegt sich durch die Szene, trifft jemanden (oft geht das fuer den ersten schlecht aus) und wie der Stab beim Staffellauf geht die Perspektive an den zweiten ueber der sie dann weiter traegt. Das ist normalerweise sehr gaplant und durchkomponiert.

    Die Art die meines Erachtensnicht funktioniert ist wenn in einer hektischen Szene die Perspektive hin- und her irrlichtert weil der Autor hier einen interessanten Gedanken hat, da noch was erzaehlen will und so weiter.

  • Ich habe beim "Wolf vom Elk Mountain" etwas völlig Neues ausprobiert. Die Geschichte des Wolfes ist im gesamten Buch in kursivem Text geschrieben, die Geschichte des Menschen Alec in geradem Text. Beide laufen parallel nebeneinander bis zu dem Punkt, an dem sich die beiden begegnen. Hier hatte ich nun die Wahl, mich für eine Perspektive zu entscheiden oder einen auktorialen Erzähler zu wählen, der den Leser das Treffen aus der Ferne bobachten lässt.

    Ich habe aber die dritte Möglichkeit genommen, indem ich Alec und den Wolf zeitgleich agieren ließ (meist nur zwei oder Sätze, aber akkurat im Wechsel und mit dem vorher gewählten Schriftformat kursiv und gerade). Als der Part fertig war, erschien mir das Ganze so unerhört gewagt, dass ich es mehreren Leuten zum Lesen gab, bevor ich weiterschrieb. Seltsamerweise bekam ich von allen Seiten die Bestätigung, dass es durch den unterschiedlichen Schrifttyp zu jeder Zeit klar ist, wem welcher Text zuzuordnen ist, und dass keine Verwirrung entstanden ist. Einziges Manko: Für das Hörbuch wird das sehr, sehr schwierig werden, weil das Vorlesen einer solchen Stelle (die ohne Dialoge auskommen muss) bestimmt eine Herausforderung ist.

    "Er wird wiederkommen. Die Berge sind wie ein Virus. Man infiziert sich mit der Liebe zu ihnen
    und es gibt kein Gegenmittel. Sie führen in eine Sucht, man kommt nicht mehr von ihnen los.
    Je länger man sich woanders aufhält, desto größer wird das Verlangen, sie wiederzusehen."

    Chad, der Holzfäller
    aus "Der Wolf vom Elk Mountain"

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  • Interessantes Thema und auch sehr aufschlussreiche Gedanken bisher :rolleyes:

    Für mich kommt es in beiden Szenarien - also entweder bei der Situation, dass es eine Vielzahl an POVs gibt oder in dem Fall, dass mehrere Perspektiven innerhalb einer Szene vorkommen - einfach drauf an wie es sich in der Gesamtschau der Geschichte einordnet. Es darf sich mMm nicht wie ein Fremdkörper in der Story anfühlen, ansonsten kann ich unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Freiheit viel mitmachen/lesen. Wenn bspw. 70% der Story aus einer einzigen POV besteht und dann in den letzten 30% ganz viele verschiedene Figurenperspektiven passieren, kann sich das Ganze "awkward"/amateurhaft/einfallslos anfühlen - obwohl natürlich immer noch die Möglichkeit besteht, dass das als Stilmittel/genialer Kunstgriff trotzdem funktioniert. Genauso halte ich es auch mit mehreren Perspektiven innerhalb eines Kapitels/Szene.

    Von der Herangehensweise von Sensenbach bin ich übrigens ein großer Fan, also die Szene quasi mit einem Drohnenshot einzuführen und dann ggf in den Kopf der Figur zu "zoomen" :)

  • Verwirren viele PoV Charaktere, oder ist das ein Plus für die Geschichte?

    Ich finde die Erzählperspektive einen sehr wichtigen Aspekt den man sich gut überlegen sollte.

    Und: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Beides hat seine Vor- und Nachteile.

    Ich habe am Anfang meines Schreibens (ohne mir darüber klar zu sein) alle Texte auktorial geschrieben und bin wild in Perspektiven hin- und hergesprungen wie es mir gerade passte. Das Springen hat geholfen (wie ich auch erst später merkte) Logiklöcher zu überspringen und die Charaktere blieben in der Regel blass. Auch die Szenen blieben blass weil ich nur das beschrieb was einfach war. Später habe ich sämtliche auktorialen Szenen personal umgeschrieben und war verblüfft über den riesigen Unterschied.

    Um deine Frage zu beantworten: Es gibt Geschichten die durch viele Charaktere gewinnen. Meist erzeugt das eine vielschichtigere Perspektive und ist dann auch breiter angelegt. Ich nehme mal als Beispiel GoT. Da ist es gerade interessant dass man durch so viele Charaktere die ganze Welt kennenlernt. Das würde mit nur einer oder zwei Perspektiven nicht dasselbe komplette Bild ergeben. - Ich gebe jedoch zu dass mir das Lesen der Story Mühe gemacht hat weil ich eine der Perspektiven nicht leiden konnte. Dann habe ich mich enorm gequält wenn diese Perspektive seitenlang dran kam und habe sogar manches übersprungen. Einen Band habe ich dann trotzdem gelesen weil die Geschichte insgesamt ja wirklich extrem spannend ist. Aber ich hatte dann keine Lust mehr mich durch den blöden Charakter zu quälen und habe abgebrochen. Trotz guter Story also.

    Ich habe bei meinen Geschichten gemerkt dass ich am liebsten sehr nah an einer Perspektive bleiben will. Meine erste Geschichte hatte zwei PoV die stark miteinander kontrastierten und das hat mir sehr gut gefallen. Ich habe aber auch zwei Nebencharaktere eingeführt die - als umgekehrte Spiegelung zur Hauptstory - nochmal einen Kontrast zu den beiden PoV gebildet haben und gleichzeitig die Funktion der Antagonisten bekamen.

    Die Meermädchen-Geschichte (die auch hier im Forum lief) hatte ich anfangs als eine Story mit nur einer PoV in der Ich-Form im Kopf. Das wollte ich so machen damit die fremde Königin anfangs ein Rätsel für sie bleibt und sie deren Organisation und ihre Ziele erst so nach und nach kennenlernt. Die Begrenzung der Perspektive kann ja auch mal sehr reizvoll sein. Besonders wenn es sich um eine Prota handelt die eine etwas eigenwillige Sichtweise der Welt hat.

    Das hat letztlich aber nicht richtig funktioniert weil ich selbst als Autorin dadurch nicht nahe genug an die Königin herankam und mir nicht klarwerden konnte wie die nun eigentlich tickt. (Ich kann sowas nicht plotten). Darum habe ich die Königin als zweite Perspektive eingeführt. (Das hat dann sehr viel Spaß gemacht sie auf diese Weise kennenzulernen indem ich ihr gefolgt bin). Zuerst wollte ich dann beide umschreiben in die dritte Person aber habe mich dann dazu entschieden zweimal die Ich-Form zu wählen wegen der großen Nähe zum Charakter die dadurch entsteht.

    Mein aktuelles Projekt hat auch wieder zwei Hauptcharaktere als PoV die 80% der Sendezeit bekommen und die stark miteinander kontrastieren. Aber ich habe auch drei oder vier Nebencharaktere die zwischendurch mal eine Szene beanspruchen. Manchmal finde ich es eine gute Idee wenn man auf diese Weise mitten in einer spannenden Szene abbrechen kann (und den Leser ungeduldig zurücklassen) um auf einen Nebencharakter umzuschalten der gerade mit was anderem beschäftigt ist. Natürlich müssen das solche Charaktere sein die auch für den Leser einen Reiz haben und die dann auch eine gewisse Entwicklung durchmachen und für die Geschichte selbst eine Funktion haben.

    Eigentlich hätte ich die Geschichte auch gern wieder in der Ich-Form geschrieben aber bei so vielen Charakteren finde ich das zu verwirrend. Da passt die personale Erzählweise dann doch besser.

    Prinzipiell ist es wohl zwangsläufig so dass wenn du viele Hauptcharaktere hast dass dann auch das Werk an sich groß angelegt sein muss weil die ja alle ihre Geschichte erzählen wollen. Wenn du für jeden eine Heldenreise anlegst kommt schon ein gewaltiges Ding dabei heraus. Aber wenn du es gut machst - warum nicht.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Ich finde, es kommt auch auf die Länge der Geschichte an. Eine Kurzgeschichte ist mit ein oder zwei POVs vielleicht besser bedient als mit fünf. Eine Romanreihe kann durchaus fünf POVs haben und gerade bei Romanreihen hat man Protagonisten, die sich an verschiedenen Orten befinden und eventuell auf verschiedenen Seiten stehen, da macht es sehr viel Sinn und ist interessant.

    Wenn ich mich im Kopf von jemanden befinde, finde ich es irritierend, wenn die Perspektive alle paar Sätze hin- und herspringt, und man kann sich an niemanden so recht binden. Verbringt man aber für eine längere Szene oder ein ganzes Kapitel im Kopf eines Charakters und wechselt zum Nächsten, lernt man jeden Perspektiventräger kennen.

  • Ich habe hierüber ein bisschen nachgedacht. Es wurde schon vieles genannt, was ich so unterschreiben würde. Ich ziehe nicht unbedingt eines von beidem vor, denn ob es jetzt mehrere Protagonisten gibt oder nur einen, macht die Geschichten mehr nur anders, aber nicht schlechter. Ich glaube aber, dass mehrere Perspektiv-Figuren sich für Sci-Fi-Fantasy einfach anbieten, weil sich das Genre einfach so sehr über das Setting definiert. Und wenn man das Setting erkunden will, kann man entweder eine Reise beschreiben (Walter Moers schreibt Geschichten, in denen gereist wird. Davon gibt es auch welche in Ich-Perspektiven), oder man hat eben Figuren an unterschiedlichen Orten.

    Bei mehreren Perspektivfiguren sehe ich im Moment eigentlich zwei Extremfälle, die dann auch alle Möglichkeiten dazwischen zulassen. Alle Figuren sollten eine eigene Sub-Geschichte haben, einen Erzählbogen, der sich befriedigend anfühlt.

    Möglichkeit 1 wäre, dass diese Geschichte sehr kurz ist und vielleicht nur ein einziges Kapitel umfasst. Diese Perspektiven kann man wahrscheinlich auch ohne Probleme später in einer Geschichte einführen.

    Möglichkeit 2 wäre, dass diese Sub-Geschichte deutlich länger ist und die Figur damit deutlich mehr einen Protagonisten-Charakter bekommt.

    Als Leser von A Song of Ice and Fire bin ich viele Perspektivfiguren durchaus gewöhnt, und ich finde sie auch nicht verwirrend. Meine Frustration mit der Reihe liegt eher darin, dass der Fokus mit jeder neuen Perspektivfigur etwas diffuser wird. Anfangs ging es um Familie Stark, Jon Snow, der irgendwie auch ein Stark ist, um Daenerys und Tyrion Lannister. Mittlerweile (bin mitten in Band 4, englische Sprache), gibt es einige Perspektivfiguren mehr, und die Bücher erzählen jetzt auch deren Geschichten. Während alle Kapitel richtig stark sind, fühlt es sich eigentlich mehr an, als würde man acht Romane parallel lesen, und keiner kommt jemals zum Punkt, es sei denn, die Figur stirbt.

    Ich sehe die Gefahr also gar nicht so sehr darin, dass viele Perspektiven eine Geschichte verwirrend machen würden, solange sie kompetent erzählt sind. Es ist viel eher für mich so, dass ich vielleicht manche Figuren mehr leiden kann als andere, oder dass die Erzählökonomie leidet. Und gerade dass die Geschichte zum Punkt kommt, ist mir als Leser einfach wichtig. :hmm: Einen guten Einzelband werde ich wahrscheinlich immer stärker finden als einen Einzelband einer Reihe.

    Als Schreiber merke ich, dass meine Ergebnisse in der Regel besser sind, wenn ich einen engeren Fokus habe. Vielleicht lerne ich das aber auch noch. ^^

    Häupter auf meine Asche!

  • Mittlerweile (bin mitten in Band 4, englische Sprache), gibt es einige Perspektivfiguren mehr, und die Bücher erzählen jetzt auch deren Geschichten. Während alle Kapitel richtig stark sind, fühlt es sich eigentlich mehr an, als würde man acht Romane parallel lesen, und keiner kommt jemals zum Punkt, es sei denn, die Figur stirbt.

    Das stimmt. Du fasst das sehr gut zusammen. Es fehlt das befriedigende Gefühl eine Geschichte gelesen zu haben mit Anfang Mittelteil und Schluss. Der Tod von Eddard Stark war für mich so ein Punkt. Da sich um ihn alles zentrierte hatte ich erwartet seine Geschichte zu erfahren aber er stirbt quasi mittendrin als noch alles offen ist. Daraufhin zerteilt sich die Story in die seiner Kinder. Zuerst dachte ich Rob führt es weiter aber der stirbt auch. Dann die Mädchen aber auch deren Geschichten ziehen sich in andere Gefilde. Ich habe ja zwischendurch dann die Filme gesehen. Ab und zu schließt sich ja mal ein Kreis und man begreift wie einer der Fäden in sich zusammenhängt. Aber es sind gleichzeitig immer jede Menge andere Fäden offen und man gelangt nie an ein befriedigendes Ende.

    Die Geschichte ist trotzdem gut weil er einfach ein guter Erzähler ist und jedes neue Kapitel auch wieder zündende Elemente enthält.

    Meine Geschichten: * Meermädchen * Kriegerkönigin * Dark Prince

  • Ich liebe es, wenn eine Geschichte aus mehreren Personen und Perspektiven geschickt gewebt wurde. Wenn alles ein großes Netz ergibt und man mit jeder Figur neue Perspektiven, Einsichten und "Aha!"-Momente erlebt. Man wird gelungen eingewickelt und erlebt mit jeder Figur etwas Neues.

    ABER -

    (und hier ist es, das berühmte "ABER" ...)

    - steige ich inzwischen aus, wenn absolut nichtssagende Figuren ohne jeden Grund, die zuvor nur als Namen erwähnt wurden, plötzlich völlig zusammenhanglos über ein ganzes Kapitel ihre eigene kleine One-Man-Show abliefern. Just because.

    Bestes Beispiel hierfür: "A little life" von Hanya Yanagihara. Viele sagen ja, dass dem Buch gut zweihundert Seiten weniger absolut nicht geschadet hätten - und da ziehe ich aus vollem Herzen grölend mit. "Mehr" bedeutet nicht immer "besser".

    Man hat Personenwechsel ohne Takt und (gefühlt) Sinn. Innerhalb dieses Personenwechsel gibt es auch komplette Zeitsprünge und Flashbacks, die aus der Gegenwart in die Vergangenheit und dann plötzlich in eine Art Zukunft reißen. Das verwirrt schon ein wenig. Wenn dann aber Nebenfiguren, so ganz plötzlich nach vierhundert Seiten, auch noch ganze Kapitel lang aus ihrer Perspektive langatmige Flashbacks behandeln, die KEINERLEI Rolle für die Geschichte spielen, sondern den Leser absolut ausbremsen und aus allem rausreißen; dann fühle ich mich wie bestellt und niemals abgeholt.

    Ich mochte "A little life", es hatte ein paar sehr starke Momente, aber ich habe irgendwann wirklich zehn, zwanzig oder dreißig Seiten nur noch genervt überblättert. Was juckt mich die Ehe zweier Nebenfiguren, die plötzlich hundert Seiten lang in Flashbacks geschildert wird? Wieso lese ich über die Studiumzeit und die Hochzeit dieser zwei Nebenfiguren, wenn es eigentlich um völlig andere Figuren, ein völlig anderes Thema in einer eigentlich völlig anderen Zeit geht? Man lernt absolut nichts, was irgendwie relevant ist - oder einen Eindruck hinterlässt. Und ich bin sonst wirklich niemand, der Seiten überspringt. Ein einziger Satz kann eine komplette Handlung oder einen Charakter neu definieren.

    ABER -

    - holy hell, komm mal zum Punkt, Yanagihara!

    Ich bin ein großer Verfechter von Multiperspektive, aber umso frustrierender finde ich es, wenn es zu viele "sinnlose" Charaktere gibt und die Perspektive allein als Bühne für "Personal Favorites" von Nebenfiguren des/der Autor:in ausgenutzt wird, die eigentlich keinerlei Rolle spielen.

    Meiner Meinung nach ist Multiperspektive ein wunderbarer, aber auch sehr wackliger Hochseilakt, der einer Geschichte nach einem unglücklichen Sturz das Genick brechen kann.

  • Kirisha

    Ja, genau! Dieses Gefühl einer vollständigen Geschichte mit Anfang, Mittelteil und Schluss scheint zumindest mir auch für die Perspektiv-Figuren wichtig zu sein. :hmm:

    Bein einigen meiner Schreibversuche bin ich innerhalb eines Kapitels von einem Kopf in den nächsten gesprungen, dies ist oft kritisiert worden und es ist für Leser auch schwerer nachzuvollziehen.

    Ja, das halte ich auch für nicht optimal, natürlich mit einer Ausnahme ...

    ... und die ist der allwissende Erzähler. Ich habe jetzt schon ein paar Geschichten gelesen, in denen der wirklich perfekt angewendet wurde und in denen im Fließtext die subjektive Wahrnehmung unterschiedlicher Figuren geschildert wurde. Leider habe ich das selber noch nie so gut selbst schreiben können, und vielleicht halte ich gerade deshalb Leute, die mit einem allwissenden Erzähler spannende Geschichten schreiben können, für echte Meister. Die müssen dafür immer wissen, welches Detail und welche Perspektive gerade wirklich wichtig ist und vor allem schaffen sie weiche Übergänge, dass die Leser folgen können.

    Als Beispiel habe ich da eine Szene aus "Sternwanderer" (engl. "Stardust") von Neil Gaiman im Kopf, in der eine Figur, deren Wahrnehmung wir erleben, von einer Hexe in eine Maus verwandelt wird. Die Hexe steckt sich die Maus in die Brusttasche und plötzlich ist der Held aus der Szene verschwunden und wir erleben, wie es mit der Hexe und den anderen weiter geht. Das gleiche, wenn eine Figur einschläft.

    In der "Meister und Margarita" von Michail Bulgakov genauso. Dort verlässt der Protagonist eines Kapitels hals-über-kopf Moskau und stürmt dafür eine Treppe runter. Wir bekommen vom Erzähler kurz mitgeteilt, dass er niemals mehr nach Moskau zurückkehrt, und dann kommt der nächste Protagonist des Kapitels auch schon die Treppe hoch.

    Es scheint also sinnige Momente zu geben, bei denen man mit allwissenden Erzählern von einer Figur zur nächsten wechseln kann, und die muss man dann wohl richtig abpassen.

    Ich denke, der Schlüssel liegt auch im Spiel mit der Distanz zu Figuren. Ein allwissender Erzähler mag in der Lage sein, die subjektive Wahrnehmung aller Figuren mitzuteilen und auch alles, was sie nicht wissen können, aber dafür muss er auch immer etwas auf Abstand bleiben und niemals so richtig in eine Figur eintauchen. Sobald der allwissende Erzähler mit der Stimme einer Figur zu sprechen beginnt, hat er seine olympische Perspektive verloren, so scheint es mir zumindest. Dann kann man nicht einfach mehr wechseln.

    Dieser Effekt des Reinzoomens geht aber wunderbar damit. :) Ich lese sowas auch gerne.

    Das scheint eine eher altmodische Art des Erzählens zu sein, denn moderne Romane fühlen sich mit den eher limitierten Perspektiven natürlich direkter, intimer an. Oft entsteht aus einem Mangel an Informationen Spannung. Distanz ist eher nützlich für Humor und für ausschmückendes Fabulieren. :hmm:

    Vielleicht meistere ich das mal. Eines Tages ... Denn das ist durchaus eine Erzählsituation, die ich gerne lese. Es ist sicher kein Hexenwerk, auch wenn sich für mich immer irgendwie magisch liest. :D

    Häupter auf meine Asche!

  • Hier gings ja schon hoch her :D Und ich glaube, viel Neues werde ich nicht mehr beisteuern können.

    Im Grunde finde ich verschiedene POVs klasse.
    Gerade bei romantischen Büchern ist das Konzept verbreitet einige Kapitel aus seiner/ihrer und dann aus seiner/ihrer Sicht zu schildern - Meist im Wechsel. Das ist eigentlich ganz nett, weil einige Stellen aus dem vorigen Kapitel dann plötzlich einen Sinn machen oder man sie tiefer verstehen kann.

    Bei großen Werken ist es ebenfalls sinnvoll die verschiedenen Storylines aus jeweils der entsprechenden Perspektive zu erzählen - einfach, weil es aufgrund der gleichzeitigen Geschehnisse nicht möglich ist, die Sache nur aus einer Sicht zu erzählen #naheliegend XD

    Neulich habe ich auch ein sehr süßes Buch gelesen, das sich in der Mitte trifft :D
    Es ging um ein Meerschweinchen, dass von Berlin über die Mauer in den Westen "geschmuggelt" wird XD
    Die erste Hälfte erzählt die Geschichte eines Jungen, der das Meerschwein seiner Nachbarn (sind geflohen und mussten das Tier zurück lassen) vor dem drohenden Tod durch die Metzgerin rettet und ihm einen Gleitschirm aus einer roten Plastiktüte und einer Socke bastelt und es so über die Mauer segeln lässt.
    Dann dreht man das Buch um und beginnt von vorne: Hier geht es um ein Mädchen, das sich unbedingt ein Meerschweinchen wünscht, die Eltern sie aber nicht lassen. Und natürlich landet das Schwein an der roten Plastiktüte genau in ihren Armen <3 Hach.
    (Die rote Tüte macht auch noch Sinn, wenn man das Buch liest :D )

    Wobei eins meiner Lieblingswerke (13 Bände) alles konsequent aus der Ich-Sicht der Protagonistin erzählt ist. Ich mochte die Ich-Perspektive eigentlich nie, bis ich diese Bücher gelesen habe :D Allerdings ist es gerade dabei wichtig bei der / dem Prota zu bleiben und nicht zu springen (außer bei wechselnden Perspektiven in den jeweiligen Kapiteln (s. Liebesromane oben)).

    Bei Kurzgeschichten machen mehrere POVs eher wenig Sinn.
    Genauso empfinde ich das ständige springen von einem Kopf in den anderen als anstrengend.

    Long Story Short: Viele POVs sind bereichernd und manche Storys funktionieren ohne diese Vielzahl auch gar nicht. Aber bitte geordnet einer nach dem anderen :D

    Writers aren't exactly people ... they're a whole bunch of people trying to be one person.
    - F. Scott Fitzgerald